Dort angekommen, schob der Zhuáng eilfertig einen Holzstuhl direkt neben den Ofen und drueckte die erschoepfte junge Frau hinein, bevor er aus dem Nachbarzimmer eine Decke holte und sie darin einhuellte. Er fuehte alle diese Aufgaben ruhig, effizient und ohne jeden Widerspruch zu dulden durch - was immer das Maedchen an diesem garstigen Morgen hierher gebracht hatte, es konnte warten bis zumindest die groebsten Folgen der Unterkuehlung bekaempft waren. Er fuellte eine grosse Schuessel mit - urspruenglich fuer den Tee vorgesehen - heissem Wasser und reichte seinem Gast dann den Becher Tee mit Honig, den er eigentlich gerade fuer sich selber aufgegossen hatte. "Sie muessen sich aufwaermen, Miss Runs Ahead.", bescheinigte er schlicht. "Sie sind fuer dieses Wetter ja gar nicht angezogen ..." Er pruefte die Temperatur in der Schuessel mit dem Finger (es war noch nicht zu heiss, ausgezeichnet!), nickte zufrieden und stellte die Schuessel dann zu Fuessen seines Gastes ab. Mit einem hoeflichen: "Bitte entschuldigen sie ..." streifte er ihre Schuhe ab und liess ihre Fuesse dann vorsichtig ins Wasser gleiten damit sie ebenfalls warm wurden und sie sich hier nicht noch den Tod holte.
[OOC - Hoffentlich ist das so OK fuer Dich - ich stelle mir einfach vor dass sie gerade zu erledigt ist, um wirklich zu protestieren. Und Zhuáng kann sehr bestimmt auftreten, wenn es sein muss ...]
Die Wärme tat wohl. Und ebenso wohl... nein, noch viel mehr wohl tat die freundliche und sehr fürsorgliche Behandlung durch Tsu-Angh. Insgeheim leistete Runs Ahead Abbitte. Bei ihrem vorigen Besuch hatte die junge Arapahoe diesen gelben Mann etwas geringschätzig als Sklaven abgetan, auch wenn er überaus aufmerksam und höflich war. Doch was er jetzt tat, war mehr als ein Sklave normalerweise tun würde. Nein, dieser Mann liebte die Familie für die er sorgte deutlich und er war so großherzig, diese Liebe nun auch auf sie auszudehnen. Dabei hatte sie die eigentlich gar nicht verdient.
Ihre Füße hatten sie nicht mehr getragen und so hatte Tsu-Angh sie hochgehoben wie ein Kind und ins Haus getragen. Und sie dann dort in einen Stuhl direkt an das Feuer gesetzt, ihr eine kuschelige Decke umgelegt und ihr dann die Mokassins ausgezogen und ihre armen Füße in ein heißes Wasserbad getaucht.
Es war so unwirklich. Eben noch... vorhin halt, da war der Krieg ausgebrochen, da wurden ihre Liebsten umgebracht von den weißen Soldaten und sie hier wurde lieb und fürsorglich empfangen. Ach, sie hatte das gehofft, hatte gehofft, dass es so sein würde, dass sie hier Freunde finden würde.
Und Runs Ahead brach in Tränen aus!
Den ganzen Ritt über hatten sich ihre Gedanken in sehr engen Kreisen gedreht. Das Bild ihrer geliebten Freundin, die von dem Gewehr eines der weißen Krieger getroffen zu Boden stürzt... Anovaoo'o, die von einem anderen Soldaten erschlagen wurde... Der weiße Häuptling, der mit dem Revolver auf Tadewi zielte... oh... oh... oh..! Runs Ahead kniff die Augen zu und versuchte diese Bilder zu verscheuchen. Victor... Victor und sein Vater... dieser freundliche Mann, der sie sie lieb eingeladen hatte, der wirklich unglaublich Väterlich wirkte und sie so überaus freundlich behandelt, mit ihr gesprochen hatte. er würde helfen. gewiss würde er helfen. War er nicht auch Major? So wie der weiße Häuptling? Sicher konnte er helfend eingreifen. Wenn es nicht nur schon zu spät war?
Sanuye... Anovaoo'o... vielleicht auch Tadewi. Auch wenn sie jetzt schon tot waren... ihr Volk aber, das Lager, ihre Eltern... sie mussten geschützt werden. Die weißen Krieger durften nicht losreiten und das Lager überfallen... alle niederschießen... nein..!
Runs Ahead atmete einmal tief durch. Sehr tief. Dann schaute sie wieder auf. "Tsu-Ang... bitte!" schniefte sie heftig. "Bitte hole Victor, ja? Oder Major Pellow holen. Bitte. Es ist Krieg! Meine Freunde... Sanuye... sie sterben..! Ach..." Wieder kamen die Tränen und Runs Ahead ballte die Fäuste mit der sie die Decke vor der Brust geschlossen hielt.
Stirnrunzelnd schaute Victor von der kniffligen Berechnung auf, die Vater ihm zu loesen aufgetragen hatte und er lauschte angestrengt. Hatte er soeben wirklich die Stimme seiner indianischen Freundin Nenii gehoert oder war das lediglich ein suesser Tagtraum gewesen? Er wusste immer noch nicht wie er eigentlich zu dieser Sache mit der Liebe stand, die das Maedchen fuer ihm geschworen hatte und irgendwie machte ihn das Ganze durchaus ein bisschen nervoes. In seinem bisherigen Leben - zumindest soweit er sich erinnern konnte - hatte Liebe keine besonders grosse Rolle gespielt. Er glaubte schon dass Vater ihn liebte aber darueber wurde - wie zwischen Maennern nicht anders zu erwarten - nicht gesprochen. Und Nenii? Wenn er an sie dachte, schwammen die Gedanken ziellos in seinem Kopf umher und sein Koerper stellte die merkwuerdigsten Dinge an. War das Liebe oder lediglich Angst vor dem Unbekannten?
Entschlossen legte der Junge seinen Stift beiseite, trat zum Fenster und schaute pruefend in den kalten Wintermorgen hinaus. Und sobald er dort das Pony seiner indianischen Geliebten erblickte, wusste er dass er sich nicht getaeuscht hatte - sie war in der Tat hier. Aber warum hatte Zhuáng ihn nicht gleich gerufen? Mit einem klammen Gefuehl im Magen knoepfte Victor seine Weste zu, rueckte seinen Binder zurecht und eilte dann mit entschlossenen aber keinesfalls hastigen Schritten die Treppe hinab. Unten im Flur traf er auf den Chinesen, der mit ungewohnt ernster Miene auf das Labor seines Vaters zusteuerte. Die treue Seele hatte nach der traenenerstickten Bitte des Maedchens keine Zeit verloren sondern lediglich genickt, ihr beruhigend die Hand auf die Schulter gelegt und hatte sich dann auf den Weg gemacht. "Sie ist in der Kueche, Master Vic.", berichtete er seinem jungen Herrn. "Und sie braucht Deinen Trost ..."
Der Englaender beschleunigte seine Schritte und stuermte foermlich in den warmen freundlichen Raum, wo Nenii wie ein Haeuflein Elend auf einem Stuhl neben dem Feuer sass. Einen Augenblick spaeter schon war er an ihrer Seite und schloss sie in seine Arme ... was sonst sollte er denn schon tun? Er streichelte sie sanft und fragte dann so ruhig er konnte: "Nenii ... Du bist ja ganz verkuehlt. Was ist denn geschehen?"
Der gelbe Mann, Tsu-Angh, war so freundlich und hilfsbereit, dass Runs Ahead für sich beschloss, ihm später noch einmal ausdrücklich zu danken. Sie hatte jetzt auch eine Schuld bei ihm und auch wenn die Regeln des Anstandes nicht verlangten, jede Schuld gleichermaßen abzutragen, so war es doch wichtig, sich dieser Schuld bewusst zu sein.
Tsu-Angh legte ihr die Hand auf die Schulter nickte ihr aufmunternd zu und ließ sie dann in dem Raum alleine. Runs Ahead erschauderte. Ihr war wirklich kalt. Wie kalt, das merkte sie erst jetzt wo ihre Füße langsam wieder auftauten und entsprechend ganz fürchterlich an zu kitzeln anfingen. Aber das war ein gutes Zeichen. Sie würde keine Erfrierungen davon tragen.
Sie seufzte. Ihr Aufbruch war einfach zu überstürzt gewesen. Hätte sie ihr eigenes Pony, Schmetterling, genommen statt hektisch Sanuyes Wintersturm zu reiten, hätte sie in ihrer Packtasche Handschuhe und Überstiefel gehabt. Und die warme Fellmütze. So musste sie sich allein auf die Kapuze der Felljacke verlassen. Dem große Geist sei Dank, dass ihr nicht die Ohren, die Nase oder die Lippen abgefroren waren.
Andererseits war es wichtig gewesen. Krieg war ausgebrochen und nur ein weißer Mann mit einer entsprechend würdigen Stellung konnte schrecklicheres verhindern. Wo schon so viel Schreckliches geschehen war. Sanuye..! Anovaoo'o..! Ach...
Ihre Stimmung sank gerade wieder als die Tür aufging und Victor hereingestürmt kam. Runs Ahead stand auf, trat aber nicht aus dem Bottich mit dem heißen Wasser heraus. Victor war sofort an ihrer Seite, nahm sie in den Arm und drückte sie fest an sich und sie fühlte seine Hände über ihren Rücken und ihren Nacken streicheln. Ach, wie wohl tat das nach all den Schrecknissen! "Victor..!" rief sie leise und doch laut. "Victor, oh, Victor. Ach..!" Ohne ihn loszulassen - weil sie selber auch gar nicht losgelassen werden wollte - brachte sie dann hervor: "Victor, Krieg ist da. Die Soldaten... sie haben Sanuye erschossen. Und Anovaoo'o. Sie hat versucht zu kämpfen mit ihr Messer. Aber sie haben sie erschlagen. Ich bin weggeritten. So schnell ich kann. Direkt über die See. Bitte hilf mir. Bitte!"
Runs Ahead und Victor in der Küche. Major Pellew und Zhuáng werden mitgefuehrt.
Er hatte schon davon getraeumt, Nenii wieder in seinen Armen zu halten - aber in diesen Tagtraeumen war sie nicht derartig veraengstigt und am Ende ihrer Kraefte gewesen! Zunaechst brachte sie ausser seinem Namen nichts Verstaendliches hervor, dann aber begann sie endlich zu erzaehlen und ihre Worte trieben eisige Schauer ueber seinen Ruecken. Bevor er allerdings seinen Schock ueberwunden hatte und reagieren konnte, betrat Vater die Kueche, dicht gefolgt von Zhuáng. Waehrend er die erschoepfte Indianerin sanft zurueck in ihren Stuhl gleiten liess, schaute der junge Englaender hilflos zu den beiden Erwachsenen waehrend er kurz widerholte was sie ihm gerade berichtet hatte. Ohne sich dessen so recht bewusst zu sein, hatte er eine schuetzende Hand auf ihrer Schulter abgelegt und er streichelte sie sanft mit seinen Fingerspitzen.
Major Pellew zog sich einen Stuhl heran, nahm vor Runs Ahead Platz und schaute sie einen Augenblick lang aufmerksam an, bevor er sich mit ruhiger Stimme an sie wendete. "Selbstverstaendlich moechte ich helfen.", begann er sachlich. "Allerdings muss ich so genau wie moeglich wissen, was heute vorgefallen ist. Ich habe ausreichend viele Schlachten erlebt um sagen zu koennen dass es dort chaotisch zugeht und selbst Veteranen nicht immer wissen, was genau um sie herum geschieht. Daher moechte ich Dich bitten, mir genau zu beschreiben was Du gesehen hast. Vor Allem wuerde mich interessieren, ob Du weisst wie es zu dieser Auseinandersetzung gekommen ist?"
Runs Ahead und Victor in der Küche. Major Pellew und Zhuáng ebenfalls anwesend.
Plötzlich betrat Victors Vater ebenfalls die Küche und Runs Ahead verkrampfte sofort. Doch ebenso schnell hatte sie sich wieder in der Gewalt. Der Major - sie hatte mittlerweile gelernt, dass dieser Begriff kein Name sondern ein Titel wie Häuptling war - war ein freundlicher Mann und hatte nichts einzuwenden gehabt, wenn sie und Victor einander an der Hand gehalten hatten. Und jetzt hatte sie den Trost seiner Nähe gebraucht.
Der Major setzte sich dann ihr genau gegenüber und musterte sie einige Augenblicke lang ehe er sie bat, ihm doch noch einmal genau zu schildern, was sie genau gesehen hatte. "Ja." erwiderte sie und stellte fest, dass ihre Stimme doch deutlich zitterte. So wie ihr ganzer Körper. Das lag sicher an der Kälte aber mindestens ebenso sehr an der Anspannung, die sich nur langsam von ihr löste.
"Wir hatten Chief golden Leaf besucht." begann sie. "Old Man Chief Satanta mit zwei Krieger. Und der Häuptling der Cheyenne, Oh-cum-ga-che auch mit zwei Krieger. Und Anovaoo'. Sanuye. Und Wind in seinem Haar."
Sie machte eine Pause und versuchte sich zu sammeln. "Chief golden Leaf ist Major in das Fort. Er ist ein Freund. War ein Freund. Ich weiß es nicht mehr. Vor einige Tage ist Chief Oh-cum-ga-che mit seine gruppe von Cheyenne angekommen. Er wollte Freiden. Also sind wir heute zu das Fort geritten um mit Major golden Leaf sprechen. Er hat die Häuptlinge gehört. Und gesagt, er will auch Frieden. Er hat Geschenke gegeben. Zwei große Wagen voll. Und er hat gesagt, dass Chief Oh-cum-ga-che sich ergibt und seine Waffen hergibt. Das hat der Häuptling gemacht und alle waren sehr froh. Chief golden Leaf hat sogar Chief Oh-cum-ga-che die Waffe zurück gegeben.
Anovaoo'o und Sanuye sind dann aus das Haus heraus gegangen. Zwei Cheyenne-Krieger auch. Ich bin dann mit Wind in seinem Haar auch aus dem Haus raus gegangen. Und da hatten die weißen Krieger ihre Gewehre und zielten auf Sanuye und Anovaoo'o und die Krieger. Und Sanuye wollte weglaufen und dann haben die weißen Krieger geschossen. Ich habe gesehen wie Sanuye gefallen ist und im Schnee lag. Und Anovaoo'o hat dann einen weißen Mann angegriffen. Und die weißen Soldaten haben sie mit ihren Gewehren geschlagen. Oh, und ein weißer Krieger hatte Eisen dabei um die Krieger zu fesseln. Ich bin ganz schnell in das Stall gelaufen und habe mir Pony genommen und bin hierher geritten."
Sie sah Major Pellow jetzt mit großen Augen an. "Bitte, ich habe Angst. Wenn die Weißen Krieger jetzt reiten und das Lager angreifen, dann werden ganz viele Menschen sterben. Ich will das nicht."
Sie streckte eine Hand aus und legte sie dem Major auf dessen Hand. "Bitte, kannst Du nicht reiten und Major golden Leaf sagen, dass er nicht kämpfen muss. Mein Volk will nicht kämpfen. Ich will kein Krieger sein. Ich will nicht töten. Bitte!"
Major Pellew hoerte der Schilderung der jungen Eingeborenen zu wie damals einem Kriegsbericht - aufmerksam aber ohne jegliche erkennbare Gemuetsregung. Im Krieg waren Gefuehle fehl am Platze, sie verstellten nur den Blick auf das eigentlich Wichtige und laehmten die Entscheidungsfaehigkeit. Ausserdem wollte er weder das bereits vollkommen aufgeloeste Maedchen noch seinen Sohn weiter beunruhigen indem er erkennen liess wie schlecht sich diese Nachrichten anhoerten. Es klang ganz danach als habe dieser Major Shepard den Befehl erhalten, die Anzahl der Indianer in dieser Gegend zu reduzieren - entweder durch Verhaftungen oder durch ... harschere Massnahmen. Dies fiel nicht in seine Verantwortung, aber ein Blick in die besorgten Augen seines Sohnes verriet ihm wie sehr ihm diese Angelegenheit zu Herzen ging. Ausserdem musste er zugeben dass er die Rund Ahead durchaus mochte und ihr gerne helfen wollte - zumal hier kein wirkliches Risiko bestand. Er kannte die ungefaehre Staerke der im Fort stationierten Truppen; sollte dies wirklich ein Kampf gewesen sein, waere er jetzt mittlerweile vorbei!
"Ich habe hier keinerlei Befehlsgewalt, Miss Runs Ahead.", stellte er ruhig fest. "Aber ich werde umgehend aufbrechen und mit Major Shepard ein Gespraech von Offizier zu Offizier suchen. Sie werden in der Zwischenzeit hier im Haus bleiben und mein Sohn wird Ihnen Gesellschaft leisten." Victor wollte aufbegehren aber ein scharfer Blick des Majors brachte ihn zur Raeson ... erst dann ging selber ihm auf dass er Nenii hier wesentlich besser helfen konnte als im Fort. In ruhigem Kommandoton befahl der Major: "Zhuáng! Connor soll zwei Pferde satteln und in zehn Minuten zum Abmarsch bereit sein!" Dann nickte er den beiden jungen Leuten noch einmal zu und verliess ohne weiteres Wort mit entschlossenen Schritten die Kueche, dicht gefolgt von seinem Butler.
Victor legte eine Hand gegen die Wange des Maedchens und sagte leise: "Er wird tun was er kann, Nenii. Und ich bin sicher dass Major Shepard mit ihm kooperieren wird ..." Innerlich war er nicht ganz so zuversichtlich, aber der amerikanische Offizier schien ein Gentleman zu sein und den Eingeborenen durchaus wohlgesonnen. Hoffentlich wuerde sich diese Angelegenheit als harmloser herausstellen als es gerade den Anschein hatte ...
OOC: Danke, das hatte ich uebersehen, ist angepasst.
Runs Ahead und Victor in der Küche. Major Pellow geht.
Runs Ahead hätte noch so viel mehr sagen wollen. Vor allem wollte sie von Sanuye erzählen und wie lieb ihre Schwester do immer sei und ganz bestimmt auch keinen krieg wollte. Und dass Tadewi Niyaol, Sanuyes Mann, zu sehr unter all dem Krieg gelitten hatte und sicher auch keinesfalls erneut kämpfen wollte. Doch sie schwieg erschöpft. Und... außerdem... kam ihr der Skalptanz in die Erinnerung. Sie hatte fasziniert zugeschaut wie Anovaoo'o und Sanuye getanzt hatten. Damals noch wollte sie ja auch gern Kriegerin werden. Dieser Wunsch hatte nicht lange gehalten. Höchstens diesen einen Sommer.
Major Pellow erklärte dann, dass er wohl dem Häuptling der Weißen nichts vorzuschreiben hatte. Aber er hatte den Einfluss eines Weisen und Beraters, dessen war sich das Mädchen sicher. Oder was immer Offisser bedeutete. Dass sie den Major nicht zu begleiten brauchte, darüber war Runs Ahead insgeheim sehr froh. Sie wollte nicht kämpfen und schon gar nicht Gefangen oder gar getötet werden. Sie glaubte nicht, dass sie feige war aber den Schrecken eines Krieges war sie einfach nicht gewachsen. Dessen war sie sich nun voll und ganz bewusst.
Major Pellow ging dann und ließ sie mit Victor zurück. Runs Ahead seufzte tief. Hoffentlich konnte er etwas ausrichten. Hoffentlich..! Victor schien ihre Zweifel zu erraten. Das war ja auch nicht sehr schwer. Lieb legte er eine Hand an ihre Wange und tröstete sie. "Danke, Victor." sagte sie und lächelte ihn dankbar an. "Dein Vater ist ein sehr guter Mann. Was er macht ist... groß. Ich bin dankbar. Und meine ganzen Leute werden dankbar sein. Aber ich habe Angst. Sanuye..! Ach..."
Spontan schlang sie ihre Arme um Victor und drückte sich an ihn, ihr Kopf an seiner Brust. Sie mochte jetzt nicht an ihre Schwester denken. Oder an Anovaoo'o. Wie dieser weiße Krieger ihr das Gewehr über den Kopf gezogen hatte. Ach... Es dauerte einige Augenblicke, aber diese Umarmung tröstete sie wirklich. Langsam beruhigte sich das Mädchen wieder. Und mit ihrer Ruhe kehrte auch die Wäre zurück in ihre Gliedmaßen. Dennoch blieb sie brav sitzen, entließ Victor aber aus ihrer Umarmung. Sie schaute auf ihre Füße in dem warmen Wasser, spielte ein wenig mit den Zehen und fragte dann vorsichtig: "Victor, glaubst Du, ich darf meine Füße jetzt aus das Wasser nehmen, ja?"
Runs Ahead und Victor in der Küche. Major Pellow geht.
So schrecklich der Anlass auch war, es tat Victor gut, einen die Indianerin sicher in seinen Armen zu halten und ihr Trost zu spenden. Dabei war ihm nur zu bewusst, wie gering Vaters Einfluss in diesem neuen Land war - anders als im Koenigreich hatte er hier keine alten Waffenbrueder zu seiner Verfuegung. Dass er sich dennoch in dieser Lausekaelte auf den Weg machte um einer ihm doch fremden jungen Frau zu helfen, konnte man gut als Liebesbeweis fuer seinen Sohn verstehen. Er wusste bestimmt genau dass Victor deiner neuen Freundin helfen wollte und vielleicht hatte er selber sie ja auch zumindest ein wenig schaetzen gelernt. Der Junge spuerte wie sein Herz seinerseits vor Zuneigung ueberzulaufen schien und wuenschte einmal mehr dass er einen Weg finden wuerde, sich zu erklaeren ohne dass es fuer beide Beteiligten peinlich wurde. Vielleicht sollte er einfach mal versuchen, das Ganze in Worte zu fassen - gut vorbereitet natuerlich, damit er nicht zu stammeln begann!
"Sorge Dich nicht, liebliche Nenii.", bat er schliesslich. "Vater handelt sehr entschlossen wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat - er wird fuer Deine Leute tun was in seinen Kraeften steht. Und Major Sheppard ist ein guter Mann, vielleicht ist das Ganze ja auch nur ein schreckliches Missverstaendnis ..." Als das Maedchen ihn nun aus ihrer Umarmung enliess und fragte ob sie ihre Fuesse nun aus dem Wasser nehmen durfte, ueberlegte er kurz und schuettelte dann aber entschieden den Kopf. "Ich denke, Du solltest Dich noch ein wenig erholen und aufwaermen ... Du hast heute Schlimmes erlebt und solltest Dich mal ein wenig verwoehnen lassen." Damit begann er, geschaeftig in der Kueche zu werkeln und schon bald stand ein Teller mit zwei Blaubeertoertchen vor seinem Gast und ein Kessel mit frischem Wasser koechelte auf dem Herd vor sich hin.
Als das Wasser kochte, bruehte der Junge zwei Zinnbecher mit dem aromatischem Tee auf und reichte Runs Ahead einen davon. Dann schaufelte er eine grosszuegige Portion Honig in das heisse Getraenk, denn er wusste nur zu gut wie sehr die Indianerin Suesses zu schaetzen wusste. "Kann ich sonst etwas fuer Dich tun?", fragte er leise.
Runs Ahead wollte Victor so gern glauben. Dass sein Vater alles in seinen Kräften stehende tun würde und seine ganze persönliche Autorität einbringen würde um die Situation zu retten, daran glaubte sie. Vielleicht würde es ja doch nicht zu einem schrecklichen Gemetzel kommen. Sie hatte schon so viel davon gehört. Allein das Massaker bei dem Sanuyes Mutter und all ihre Geschwister getötet wurden... nein, so etwas durfte hier nicht passieren. Doch dass alles nur ein Missverständnis sein würde... Das Bild, als die Weißen Soldaten auf Sanuye geschossen hatten und ihre liebste Schwester sich überschlagend zu Boden gegangen war... das hatte sich in ihrem Kopf eingebrannt. Das würde sie wohl nicht wieder vergessen.
Doch davon einmal ganz unabhängig war sie unglaublich dankbar für die Aufnahme hier. Sicher würde ihr eigenes Volk nicht anders gehandelt haben aber dennoch, die persönliche Aufmerksamkeit, die Victor ihr nun schenkte, das war schon äußerst lieb. Er bestand darauf, dass sie hier im Warmen sitzen bliebe und brühte ihr dann noch einen heißen Tee mit Honig auf. Und die Wärme von außen und innen zusammen mit der Süße des Tees ließen sie langsam wieder entspannen. Das Süßbrot mit den Heidelbeeren ließ sie erst einmal noch stehen. Sie hatte noch keinen rechten Appetit und außerdem war das so kompliziert zu essen. Die kleinen Gäbelchen und der krümelige Teig...
Runs Ahead seufzte tief. Konnte Victor noch etwas für sie tun? Und was? Am liebsten würde sie Victors Hand nehmen und mit ihm weit fortlaufen. In den Westen. Wo es keine solch grausamen Gefahren gab. Aber das war eine Illusion. Im Westen lebten die Shoshone. Dort würden sie nicht freundlich aufgenommen werden - im Gegenteil. Skalpierung und Versklavung wären ihre Schicksale. Und sie würde vorher vergewaltigt werden. nein. Das war absolut keine Lösung. Könnte sie bei den Weißen leben? In einem Haus wie diesem hier? Ihr erster Gedanke war: Ja! Ganz bestimmt. Doch dann dachte sie an ihre Eltern. Ihre Freunde. Den ganzen Stamm. Konnte sie auf die Familie verzichten? Die vielen Stimmen, das Leben im Lager, das Miteinander... all das. Und - schlimmer - konnten die auf sie verzichten? Was würde ihre Mutter sagen? Ihr Vater? Den Sohn hatten sie schon verloren. Und dann auch noch die Tochter! Statt einen Mann ins Tepee zu bringen würde sie fortlaufen um bei den Ve'hoé zu leben..!
Runs Ahead ließ den Kopf hängen. Hatte sie überhaupt eine Zukunft? Die Verletzlichkeit des Lebens war ihr heute brutal vor Augen geführt worden. Ihre beiden besten Freundinnen waren gleichzeitig umgebracht worden. Mal eben so. Peng-Peng. Zwei Leben ausgelöscht. Und ein weiteres Leben... von Tadewi und den Anderen einmal ganz abgesehen... ruiniert.
Dann fühlte sie plötzlich Victors Hand an ihrem Nacken. Und seine ungeteilte Zuneigung. Und sie seufzte erneut, sah auf zu ihm und in seine Augen. "Ich bin so müde..." flüsterte sie. "Ich möchte so gern bei Dir sein."
Nenii war still, so entsetzlich still und niedergeschlagen. Und der junge Englaender hatte nicht einmal die Spur einer Ahnung wie er sie aus dem Loch erretten konnte, in das sie nach den entsetzlichen Ereignissen des Morgens gefallen war. Der Tee schien sie ein wenig zu beruhigen, allerdings liess sich mit einem heissen Getraenk und einigen freundlichen Worten eben nicht einfach alles wieder ins Lot bringen. Die junge Indianerin seufzte zum Steinerweichen und liess mutlos den Kopf haengen wobei das uebliche strahlende Licht aus ihren Augen verschwunden war ... moeglicherweise fuer immer. Der Gedanke schitt Victor direkt ins Herz und er fuehlte sich so entsetzlich hilflos - wie sollte er sie an dem duesteren Ort erreichen, an dem sich ihre Gedanken gerade aufhielten?
Auf seine Beruehrung hin hob sie ihren Blick wieder, schaute ihm erschoepft in die Augen und bestaetigte nun auch mit Worten dass sie muede waere und bei ihm sein wollte. "Ich bin genau hier an Deiner Seite, meine Nenii.", erwiderte er beruhigend. "Ich gehe nirgendwo hin, keine Sorge ... und ich werde nicht zulassen dass Dir etwas geschieht." Wieder nahm er sie sanft und troestend in seine Arme und hoffte dass seine denkbar ungeschickten Worte ueberhaupt irgendwie halfen. Was wusste er denn schon von Maedchen, geschweige denn von indianischen Maedchen die vielleicht soeben ihre ganze Familie verloren hatten? Gar nichts wusste er und daher konnte er nur hoffen dass er hier nicht gerade alles falsch machte ...
Dann fiel ihm etwas ein und er fragte leise: "Wenn Du muede bist, solltest Du Dich vielleicht ein wenig hinlegen ... ich bleibe gerne an Deiner Seite wenn Du das moechtest?" Verdammt, warum gab es nirgendwo ein Buch mit den wichtigsten zwischenmenschlichen Ereignissen und dazugehoerigen sinnvollen Loesungsansaetzen? Nach Allem was er wusste, machte er gerade wieder Alles falsch und wuerde dafuer sorgen dass die arme Nenii gleich wieder in bittere Traenen ausbrach ...
Er war da, an ihrer Seite. Und Runs Ahead merkte wieder, wie gut ihr das tat. Die entsetzliche Kälte, die sich in ihrer Seele begonnen hatte auszubreiten ging wieder ein wenig zurück. Oder war das nur ein Abbild der Kühle in ihrem Körper? Ihre Füße waren wieder recht warm, dank des heißen Wassers in dem sie standen. Und ihr Blut, angewärmt durch die Hitze des Wassers hatte diese Wärme durch ihren ganzen Körper transportiert und geholfen, dass er auch langsam wieder etwas wärmer wurde. Der heiße Tee hatte auch geholfen, o ja.
"Ja!" erwiderte sie dann auf sein Angebot, sich hinzulegen. Wo genau wusste sie nicht. Da gab es diesen kleinen Raum in dem ihr vor wenigen Tagen erst ein Bett bereitet worden war. Oder Victors eigenes Bett. Oder einfach nur ein Lager in dem großen Raum mit dem Feuer in dem Steinkasten. Da lag ein schönes Fell davor. Aber es war dem Mädchen eigentlich einerlei, solange Victor nur bei ihr blieb und die Kälte vertrieb. Sie sah auf. "Bleib, bitte. Und ja, ich möchte gern legen. Und festhalten.