Erleichtert atmete Jason auf und trieb seinen Rappen an, ein wenig schneller zu gehen. Vor sich sah er bereits den lichten Waldrand. Zwischen den Bäumen sah er die ersten grauen Grabsteine. Besonders einfallsreich war man hier nicht bei der Grabanlage, fand Jason. Die Grabsteine sahen auf den ersten Blick alle gleich aus. Eigentlich wusste er gar nicht, was er sich davon versprechen sollte, so er das Grab seiner Eltern und Lauras fand. Was erwartete er denn bloss, dort zu finden? Selbst falls Jemand sich an die Familie Burnett erinnerte und Blumen brachte, war die Wahrscheinlichkeit, dass es sich dabei um Anna handelte, nicht besonders groß. Die Glocken hatte er bereits bis in den Wald hinein gehört und so konnte er wohl davon ausgehen, dass sich Niemand in der Nähe des Friedhofes aufhalten würde. Die meisten braven Einwohner der Stadt würden sicherlich bereits in der Kirche sein, oder sich auf dem Kirchplatz treffen, so dass er sich dem nicht stellen musste. Sicherlich konnte er sich nicht allzulange darum drücken, gesehen und eventuell erkannt zu werden, aber noch musste er das nicht haben. Die geballte Aufmerksamkeit diverser Menschen, die ihn entweder erkannten oder ausfragten und er hatte keine Ahnung, wie er ihr gelebt hatte und wen er eigentlich kennen müsste.... Die Marones hatten ihm zwar gesagt, wie sein Name war, dass er der Sohn des Ehepaares Burnett war und mit seinen Schwestern Laura und Anna auf einer Ranch gelebt hat, aber er verband keinerlei Gefühle und Erinnerungen damit. Was also sollte er bloß antworten? Dennoch - früher oder später würde er sich bedingt den Fragen stellen müssen, denn er konnte nicht auch die nächste Nacht im Freien verbringen. Obwohl er stets ein Feuer hatte, um nicht gerade zu erfrieren, hatte er sich bereits vor Tagen übel erkältet. Immer noch waren seine Nasenhöhlen zu und den trockenen, hartnäckigen Husten würde er wohl noch wochenlang nicht wieder los werden. Seufzend glitt Jason am Waldrand aus dem Sattel und wies Black Jase an, stehen zu bleiben. Das Pferd war gut trainiert, so dass Jason sich nicht sorgen musste. Der Rappe würde einfach dort am Waldrand stehen bleiben, bis er zurückkam. Jason verzichtete darauf, seine Winchester vom Sattel zu nehmen, denn Black Jase wirkte zwar eher ruhig, fast verschlafen, würde aber laut wiehern und um sich treten, so ihm ein Fremder zu nahe kam. Das hatte er lange mit dem Tier trainiert, nachdem er endlich von den Folgen des Überfalles halbwegs genesen war. Sein Messer hatte er wie gewohnt bei sich, so dass er nicht völlig unbewaffnet war. Außerdem erwartete er nicht, ausgerechnet auf dem Friedhof in Schwierigkeiten zu geraten. Außer Toten waren dort keine Menschen zu erwarten und Erstere pflegten nicht aus ihren Gräbern aufzustehen. Darin war sich Jason sicher, als er durch das Grau über ihm und das Weiß unter seinen Füßen stapfte. Er bewegte sich langsam, witternd und huschte von Grabstein zu Grabstein. Es war wahrhaft totenstill auf dem hinteren Teil des Friedhofs, so dass ihm seine eigenen Schritte und sein rasselnder Atem überlaut erschienen. Ab und zu blieb er stehen, um die Namen der Verstorbenen zu entziffern. Der Wind pfiff um die Steine und ihm um die Ohren, so dass er den Kragen seines warmen dunklen Wollmantels hochschlug und den Hut tiefer ins Gesicht zog. Der Wind trieb ab und zu mal ein wenig Schnee mit sich, der zwischen die Grabsteine geriet und wie Nebelgeister wirkten. Natürlich gab es keine sogenannten Nebelgeister, die um die Gräber herum waberten. Es war Unsinn, dass die Toten aufstanden und in der Form solcher Geister im Nebel oder bei Vollmond um die Grabsteine herum huschten oder gar die Angehörigen in den Häusern aufsuchten! Da war sich Jason wirklich sicher und doch strahlte die Szenerie etwas Unheimliches aus, so dass sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Kurz fragte er sich, ob seine Schwestern diese Geschichten kannten, die man den Kindern erzählte. Er konnte sich auch daran nicht erinnern, wusste nicht, ob seine Eltern Geschichten erzählt hatten oder nicht. Ihm war nur bekannt, dass es diese Geschichten gab, denn er wusste von deren Existenz und Inhalt, ohne sich an Einzelheiten erinnern zu können. Wer ihm das erzählt hatte oder ob er derlei Unsinn in der Schule gelernt hatte, wusste er schlicht nicht mehr. Langsam ging er zwischen den Reihen hin und her, bis er schließlich vor einem Grabstein stehen blieb. Das war also das Grab seiner Familie. Die Inschriften waren schon verwittert und er wusste nicht zu sagen, ob die Daten stimmten, aber die Namen seiner Eltern und Lauras sprachen für sich. Jason streckte die Hand aus, berührte den Stein und fuhr den Inschriften mit dem Fingern nach, ohne irgendwelche Gefühle der Trauer oder des Verlustes zu empfinden. Sein Verstand sagte ihm, dass er trauern müsste, da hier seine Eltern und Schwester begraben worden waren, aber er empfand nichts. Seine Erinnerung wollte sich auch hier nicht wieder einstellen und Jason stöhnte verzweifelt auf. Wie sehr hatte er gehofft, hier seiner Erinnerungen wieder habhaft zu werden, aber da war nichts - nur ein dunkles Loch in seinem Gehirn - eine Art toter Punkt oder einer Mauer, vor deren Überwindung seine Gedanken scheuten, wie ein Pferd vor dem Feuer. Langsam ließ sich Jason auf die Knie rutschen und schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. Sein Kopf brummte durch die Erkältung ohnehin und der vergebliche Versuch, sich zu erinnern ließ ihn einen leichten Anfall von Migräne spüren. "Warum erinnere ich mich nicht! Wer war ich hier? Es ist zum verrückt werden.." Heiser waren Jasons Worte und immer wieder hustete er seinen trockenen Husten zwischen den Worten. Er würde sich wirklich ein Dach über dem Kopf suchen müssen und hoffen, dass er keine Lungenentzündung bekam.
Jerry von der Kirche kommend (Jason unbemerkt am Familiengrab)
Es war völliger Schwachsinn was er da gerade tat. Jerry wusste das ganz genau. Er ahnte auch, dass er dafür bei weitem mehr Ärger zu erwarten hatte, als für die Fensterscheibe, oder für sein freches Verhalten Mr. McKay gegenüber. Für das erstere konnte er so gut wie nichts und dafür würde er vielleicht nur den McKays den Winter über die Veranda und Straße vom Schnee räumen müssen, oder den Schaden zu Hause abarbeiten dürfen, da kannte er inzwischen seinen Vater gut genug, um sich über das Strafmaß sicher zu sein. Und für das letztere ließ sich mit einer anständig zerknirschten Entschuldigung die Welt wieder gerade rücken. Aber vor so vielen Leuten seinen Vater zu blamieren und dann auch noch einfach wegzulaufen würde ihm garantiert das Arbeitszimmer UND den Stock nicht ersparen. Nicht mal der Stein, den er verheimlicht hatte, würde so viel Ärger einbringen, wie das Weglaufen von eben! Na ja, vielleicht ein bisschen würde der auch noch eine Rolle spielen, aber das wäre sicher zu verkraften gewesen, wenn es nur um diesen dummen Stein gegangen wäre. Nur konnte er jetzt genauso wenig umkehren, wie sich einzugestehen, dass er selbst Schuld daran haben würde, wenn sein Pa später zum Rohrstock greifen würde. Alleine dieser kurze Gedanke daran ließ Jerry eher noch ein wenig schneller um die Kirchenecke flitzen, als dass er ihn aufgehalten hätte. Das war schon irgendwie dumm, fand Jerry und lief, als wäre der Teufel hinter ihm her. Dabei wusste er ganz genau, dass sein Pa die Gemeinde nicht einfach so im Regen stehen ließ. Der zog jetzt den Gottesdienst durch, ganz gleich ob Jerry wieder zurückkam oder nicht. Das war eben die Arbeit. Und die ging wie immer vor. Der Gedanke war nicht neu, aber er trieb Jerry wie so oft die Tränen in die Augen. Er mochte ja wissen, dass es so sein musste und dass er sich jeden anderen Tag lieber für seinen Blödsinn ausgesucht hätte, aber dieses Wissen langte nicht, um dem Jungen verständlich zu machen, dass es Zeiten gab, in denen er einfach zurückstecken musste. Seiner Meinung nach hätte sein Pa jetzt gefälligst hinter ihm her laufen müssen. Und wenn nur, um ihn einzuholen und ihm ein paar Ohrfeigen zu verpassen. Aber dann hätte Jerry wenigstens gewusst, dass er sich sorgte, kümmerte und ihn wahrnahm. Doch was erwartete er schon? Er hatte es ja eben erst mit eigenen Ohren gehört: Erwachsene waren solidarisch. Entschuldigen sollte ER sich! Nein, falsch. Mr. McKay müsste sich bei IHM entschuldigen. Für die Hiebe und für das unmögliche Verhalten Ben gegenüber. Aber so etwas sahen die Erwachsenen natürlich nicht. In ihren Augen hatte er sich daneben benommen, hatte nicht nach ihren Spielregeln gespielt und sollte dafür jetzt büßen. Damit es kein nächstes Mal gab. U-n-f-a-i-r!!
Jerry schlitterte an der nächsten Ecke ein wenig auf dem Eis aus und fing sich mit Mühe auf einem Bein hüpfend auf. Das war gerade noch einmal gut gegangen. Mit klopfendem Herzen sah er sich kurz um, ob sein Pa nicht doch nachkam, aber enttäuscht stellte er fest, dass er mutterseelenallein war. Mit einem tiefen Seufzen sah er wieder nach vorne und sah sich dann plötzlich dem Waldrand gegenüber. Perfekt. Er würde jetzt einfach in den Wald laufen und nie wieder zurückkommen. Dann würde ihn sein Pa weder verprügeln können, noch ihn dazu zwingen sich bei den McKays zu entschuldigen. Sollte er mal sehen, was er ohne ihn anfing... Wild entschlossen und auch noch mit Terrys verärgertem Gesichtsausdruck vor den eigenen Augen war der Plan gefasst. Doch schon mit dem ersten Schritt kamen die Zweifel. Denn sein Pa kam ja ganz gut ohne ihn zurecht. Er hatte ja Eli, der für ihn den Schnee räumte und die Kirchenbücher waren genauso ausgelegt gewesen, wie das Feuer im Ofen gebrannt hatte. So wichtig konnte Jerry gar nicht sein. Wahrscheinlich vermisste er ihn nicht einmal oder war im Augenblick nur wütend auf den Sohn. Nein, da war es besser, wenn er so weit wie es nur ging in den Wald lief und versuchte dort alleine zurecht zu kommen. Er hatte genug Geschichten gehört, um zu wissen oder um zu wissen zu glauben, wie man überlebte. Dass er nichts dabei hatte, das ihm ein Überleben sicherte, kam Jerry nicht in den Sinn. Nun zumindest nicht so zwingend, dass er sich sorgte. Eine Höhle würde ihn schon trocken halten, dafür brauchte man keine Decken und wenn er Fallen baute, fing er sich bestimmt ein Kanninchen und war nicht auf Lebensmittelvorräte angewiesen. Es würde schon irgendwie klappen. Da war er sich sicher. ALles war besser, als schon wieder gezüchtigt zu werden und sich auch noch bei Mr. McKay entschuldigen zu müssen.
Der Wind bließ ihm hart ins Gesicht und er zog die Schirmmütze zum Schutz hastig über, tiefer, damit der Wind sie nicht vom Kopf riss und stemmte die Hände tief in seine Jackentaschen. So lief er ein Stück am Waldrand entlang, ehe er erkennen musste, dass es hinter der Kirche schwierig war durch das Unterholz einzubrechen. Noch ein Stück weiter, stieß er auf den Friedhof, der ihm wenig Schutz bot. Der Wind fegte hier bei weitem unerbitterlicher über die Garbsteine und Kreuze hinweg und Jerry musste hastig nach der Mütze greifen, die ihm sonst davongeflogen wäre. Den Gedanken über den Friedhof zu huschen verwarf er daher schnell wieder. Vielleicht fand er aber am Rand des Friedhofes einen Zugang zum Wald....
Jason am Grab seiner Eltern u. Schwester (Jerry von der Kirche aus kommend)
Rasselnd holte Jason tief Luft, bevor er den Kopf hob und sich langsam wieder aufrichtete. In seinem Kopf hämmerte es vor sich hin und obwohl es wohl makaber zu nennen war, war es eben dieser Schmerz, der ihm so vertraut war, dass er ihn fast als angenehm empfand. Immerhin war er noch in der Lage körperliche Schmerzen zu empfinden, auch wenn er das Gefühl hatte, seine Seele, sein Herz, stumpfe zunehmend ab. Er hatte in den letzten Jahren viel Schmerz und Leid gesehen - ja, sogar selbst anderen Menschen zugefügt, so dass er derartige Gefühle kaum mehr wahrnehmen konnte. Trauer über den Verlust seiner Familie hatte sich zwar immer wieder eingestellt, denn wer wäre über den Verlust seiner Identität und Erinnerungen nicht traurig, aber von einer Trauer um verlorene Personen konnte er kaum sprechen. Selbst jetzt, wo er am Grab seiner Eltern stand, deren Namen las, ja sogar mit seinem Finger den in das Holzkreuz geschnitzten Buchstaben folgte, trauerte er weder, noch erinnerte er sich an seine Eltern oder Schwester. Es war wirklich merkwürdig, dass man so gar nicht wusste, wie diese waren, ob man gut miteinander ausgekommen war oder ob man einander aus dem Weg gegangen war. Auf die Fragen nach seiner Herkunft hatte er keine Antwort gefunden, zumindest keine, die ihn befriedigen konnte, und er konnte auch nicht behaupten, seine Eltern oder Schwestern zu vermissen. Seine älteste Erinnerung war die an ein vielleicht zehnjähriges Mädchen, dass von einem Indianer von ihm fortgeschleppt worden war - und seinen Namen gerufen hatte. Dabei musste es sich um seine Schwester Anna gehandelt haben, so er den kurzen Berichten der Marones Glauben schenkte. Natürlich versprach er sich von einem Zusammentreffen mit Anna, dass sein Erinnerungsvermögen wieder hergestellt würde, aber wie sollte er Anna finden? Jason schüttelte den Kopf, denn die Antwort darauf, konnte nur ein klares Verneinen sein. Anna könnte vermutlich vor ihm stehen und er würde sie nicht erkennen - zumindest nichts für sie empfinden. Einen Hinweise darauf, dass sich Jemand um das Grab kümmerte, konnte er nicht entdecken - wenn man davon absah, dass kaum Unkraut in der Wiese war. Genauso interessant war die Frage, ob man sich noch an ihn erinnerte. Das traf wohl nur für die älteren Herrschaften zu, die seit Generationen hier lebten und sich noch an die Ranch der Burnetts erinnerte. Darum war Jason auch nicht böse, denn er mochte sich den Fragen nach seinem Verbleib genauso wenig stellen, wie denen Fremder nach seiner Herkunft. Lamgsam straffte er die Schultern und wandte sich von der Grabstelle ab. Black Jase stand immer noch am Waldrand und Jason beschloss, diesen zunächst am Zügel zu nehmen und zu Fuß in die Stadt hinein zu gehen. Er hatte ja gar nicht die Absicht, die Stadt so bald wieder zu verlassen in deren Nähe das Unglück seinen Lauf zu nehmen begonnen hatte. Falls sich Jemand an ihn erinnerte, ihn erkannte, dann wusste man vielleicht inzwischen auch wieder Näheres über den Verbleib Annas. Erst nach ein paar Schritten überfiel Jason das Gefühl, nicht mehr alleine zu sein. Meine Instinkte scheinen nachzulassen - sicherlich die Erkältung. Mit einer Hand fasste er nach dem Colt über seiner Hüfte, während er sich umdrehte. Im ersten Augenblick glaubte er, sich wirklich getäuscht zu haben, aber dann sah er den Jungen. Er schien ungefähr zehn Jahre alt zu sein und griff nach seiner Mütze, die ihm vom Kopf zu wehen drohte. Erleichtert zog Jason seine Hand wieder zurück und steckte diese in die Tasche seines Wollmantels . Ein zehnjähriger Junge bedeutete keine Gefahr, von hinten erschossen zu werden, zumal er alleine zu sein schien. Mit der Frage, warum ein Junge bei dem Wetter alleine auf dem Friedhof herumtobte, hielt Jason sich gar nicht auf. Er war müde, sein Kopf schmerzte und seine Nase lief, so dass er sich mehr Gedanken um eine warme Mahlzeit und ein Dach über dem Kopf zu machen hatte, als um einen Jungen. Trotzdem hielt er einen Augenblick inne, betrachtete den Jungen und hob wortlos eine Hand zum Gruß, bevor er endgültig das Grab seiner Eltern verließ. Irgendwie strahlte die Anwesenheit dieses Jungen eine gewisse Normalität aus: Das Leben ging weiter - irgendwie.
Jerry zwischen Friedhof und Waldrand (Jason am elterlichen Grab)
Noch immer überwog die Wut, die es Jerry nicht ermöglichte klar nachzudenken oder langsam zur Ruhe zu kommen. So schmiedete er einen Plan nach dem anderen, der ihn immer weiter von Camden Village wegbrachte und in rasante Abenteuer stürzte. Er ging sogar alle Eventualitäten durch, die ihn in Gefahr bringen könnten. Er glaubte sich gegen die Kälte, den Hunger, die langen Nächte alleine und bei einer Begegnung mit Indianern richtig schützen zu können. Immerhin kannte er die Geschichte um Tom Swayer und hatte schon einmal versucht wie dieser mit ein paar Freunden in der "Wildnis" zu überleben. Gut war es ihnen allen nicht bekommen, aber er war nun älter und stärker, war besser vorbereitet. Oh ja, er würde schon seinem Pa zeigen, dass er auch ohne ihn und seine ganzen blöden Regeln zurecht kam. MIt diesen wütenden Gedanken belastet ging Jerry wie geplant am Rand des Friedhofes entlang um einen Zugang in das Unterholz zu finden. Seinen Blick hielt er dabei auf den Waldrand gerichtet und sah so die Gestalt auf dem Friedhof nicht, die dort an einem Grab sich aufrichtete und ihm sogar zuwinkte. Auch das Pferd des Mannes entdeckte Jerry erst, als er es leise schnauben hörte und erschrak sich gewaltig. Mit seiner Anwesenheit hatte Jerry wahrlich nicht gerechnet. Fast wäre er sogar rückwärts taumelnd ausgerutscht und auf die Kehrseite gefallen. Er hielt sich aber gerade noch rechtzeitig an einem Busch fest und fluchte leise. Mit klopfendem Herzen stand er da und bestaunte das Pferd etwas entgeistert. Es schien ihm von Gott geschickt, um seine geplante Reise zu erleichtern, denn eine Pferdedecke und Satteltaschen versprachen Jerry eine unerwartete Wendung. MIt der Decke würde er in jeder Höhle oder geschütztem Winkel des Waldes das Wetter überleben und vielleicht waren in den Satteltaschen sogar ein paar Konservendosen oder Dörrfleisch. Es fiel Jerry nicht im Traum ein, dass er sich gerade gedanklich des Diebstahls schuldig machte, noch dass er damit sowohl weltlich als auch glaubenstechnisch ein Verbrechen begehen wollte. Alles was Jerry denken konnte, war, dass es völlig egal sein würde, denn bis der Besitzer des Pferdes die fehlenden Dinge bemerken würde, war er längst auf seiner Wanderung udn weit genug weg um dem väterlichen Gericht deswegen zu entgehen. In Erinnerung an seinem Umgang mit Kendo streckte Jerry vorsichtig seine Hand aus und hielt sie dem Pferd entgegen. Sein erster Versuch einer Kontaktaufnahme. Dabei lief er vorsichtig weiter auf das Pferd zu. "Shhhh, ganz ruhig... ich tu dir nichts. Ich will nur mal nachsehen, was du so hast... okay...." seine Hand berührte inzwischen fast die Nase des Pferdes, das Jerry fest im Auge behielt...
Jason auf dem Weg vom Grab zu seinem Pferd am Waldrand Jeremiah auf das Pferd zugehend
Der Junge reagierte mit nichts auf den Gruß Jasons, sondern lief weiter am Waldrand entlang. Es war Jason nicht klar, wohin der Junge gehörte oder wo er hinwollte und es konnte ihm auch theoretisch egal sein. Wahrscheinlich würde er ihn ohnehin nie wieder sehen. Andererseits konnte der Junge für ihn eine gute Informationsquelle sein, denn so wie er gekleidet war, schien er nicht auf der Durchreise sondern einer der Bewohner Camden Villages sein. Vielleicht ging er gar in die Schule und dann würde er sicherlich wissen, ob und wer in der Umgebung einen Hilfsarbeiter gegen Kost und Logie gebrauchen konnte oder ob gar ein Rancher Jemanden suchte, der sich mit Pferden auskannte. Seinen Beruf als Kopfgeldjäger wollte Jason zwar nicht gänzlich aufgeben - genauso wenig wie die Suche nach Anna und damit nach seinen Erinnerungen - , aber um seiner Gesundheit willen wäre eine vorübergehende Sesshaftigkeit bei gutem Essen und Dach über dem Kopf für die nächsten Monate sicherlich eine gute Alternative. Jason verlor den Jungen am Waldrand aus dem Auge und ging nun den direkten Weg über den Friedhof. Der Schnee knirschte unter seinen Stiefeln und Jason empfand dieses Stapfen durch den hohen Schnee als anstrengend. Immer wieder blieb er stehen und hustete. Erst als er Blackjase unruhig schnauben hörte und sah, dass dieser auf der Stelle hin und her trat, beschleunigte er seine Schritte. Irgendetwas brachte sein Pferd aus der Ruhe, denn mit einem Mal wieherte der Rappe laut. Noch war Jason nicht nahe genug heran, um gegen das Grau des Winters und den durch den Wind davon getragenen Schnee hindurch zu erkennen, was sein Pferd so beunruhigte. Er verlängerte seine Schritte und zog bereits im Laufen seinen Colt aus dem Halfter. Ein Versuch, ihm Blackjase zu stehlen oder auch nur einen Teil seiner Ausrüstung würde dem vermeintlichen Dieb schlecht bekommen! Mit zwei weiteren Sätzen war Jason nahe genug herangekommen, um zu erkennen, dass es offenbar der Junge war, der sich an sein Pferd heran wagte. Er konnte sich kaum vorstellen, dass dieser gekommen war, um Blackjase oder seine Ausrüstung zu stehlen. Sicherlich war er er nur neugierig, Jungs halt, aber diese Neugier von bösen Absichten zu unterscheiden, konnte man wohl von Black Jase kaum erwarten. Dieser reagierte mit unruhigem Getrappel, Wiehern und hatte die Ohren bereits flach angelegt. Das war für Jason ein sicheres Zeichen, dass Blackjase jeden Augenblick nach dem Jungen treten würde - und aus der Nähe könnte das für diesen tödlich enden! Noch im Laufen steckte Jason den Colt wieder ein, denn auf einen kleinen Jungen würde niemals schießen wollen. "Hey, Du! Weg von meinem Pferd! " Jason brüllte den Jungen an, während er sich bereits nach ihm ausstreckte, um ihn von den Pferdehufen wegzuzerren, die diesem bereits gefährlich nahe kamen. Ein Hustenanfall verhinderte, dass er sich dem Jungen noch erklären konnte, während er diesen mit der linken Hand an der Jacke packte und von dem Pferd weg zerrte. Den rechten Arm hob er an, um Blackjase zu beruhigen, der bereits auf der Vorhand drehte und sich anschickte, mit der Hinterhand nach dem Jungen auszuschlagen. "Ruhig, Black Jase.. Alles gut.. " Jason sprach mit dunkler Stimme auf das Pferd ein und bedeutete diesem mit Handzeichen rückwärts zu treten. Erst nach ein paar Sekunden, in denen Blackjase sich wieder beruhigt hatte, fuhr er zu dem Jungen herum. "Bist Du lebensmüde?! Der hätte Dich umbringen können! Verschwinde, bevor ich.. ach, hau schon ab!" Jason war genauso wütend, wie erschrocken, denn nicht nur für den Jungen, sondern auch für ihn hatte durchaus die Gefahr bestanden, von dem Rappen zusammen getreten zu werden. Ohne weiter darauf zu achten, ob der Junge das Weite suchte, wandte Jason sich nun wieder dem Pferd zu und kontrollierte, ob sein Gewehr noch da war. Es hing an gewohnter Stelle und auch sonst schien Alles noch an Ort und Stelle zu sein. Jason hustete erneut seinen trockenen Husten, während er sich nach dem Jungen umdrehte. Dieser war vermutlich längst auf und davon, denn nicht nur war der Versuch ein Pferd zu stehlen, bereits strafbar, sondern er hatte auf diesen wahrscheinlich sehr bedrohlich gewirkt.
Jason auf dem Weg vom Grab zu seinem Pferd am Waldrand Jeremiah auf das Pferd zugehend
Jerry war viel zu ungeübt im Umgang mit Pferden um wirklich zu wissen was er da tat. Noch verstand er die Körpersprache der Tiere. Andernfalls wäre er wohl ein paar Schritte wieder nach hinten ausgewichen, kaum dass das Pferd angefangen hatte nervös mit den Ohren zu wackeln und dabei zu tänzeln anfing. Jerry hielt jedes Pferd seit er Kendo kannte, zunächst für 'freundlich' und ging unvoreigenommen darauf zu. Dieselbe Sichtweise besaß er auch bei Hunden, denn bis lang war er noch nie von einem gebissen worden, um wirklich zu erahnen wie gefährlich ein Hund sein konnte. Erst als das Pferd unruhig zu schnauben anfing schlich sich etwas Misstrauen in Jerrys Blick und ihm kam ein erster Zweifel. Von Kendo hatte Jerry bisher nur ähnliches erlebt, als Wölfe in der Nähe waren und sie diese mit dem Gewehr hatten vertreiben müssen. Entsprechend bezog Jerry die Unruhe des Pferdes nicht auf sich, sondern suchte fieberhaft den Waldrand nach Wölfen ab. Doch nichts bewegte sich zwischen den Stämmen, noch hörte er das Gebüsch rascheln. Beim lauten Wiehren des Pferdes blieb Jerry schließlich stehen und blinzelte vorsichtig zu dem Pferd auf. Etwas stimmte ganz gewaltig nicht. Und es hatte wohl kaum etwas mit eingebildeten Wölfen zu tun. Vielleicht, so kam Jerry recht spät der Gedanke, lag es an ihm. Im selben Moment ertönte von der anderen Seite, vom Friedho her, eine männliche, aufgebrachte Stimme, die eindeutig an Jerry gerichtet Befehle brüllte. Jerry taumelte automatisch, wenn auch sehr erschrocken nach hinten weg und fühlte sich im selben Augenblick an der Jacke gefasst. "Hey...", ein leiser, kaum hörbarer Protest. Denn mehr brachte der Junge in diesem Schreckmoment nicht hervor. Während er noch zu begreifen versuchte, was gerade geschah, wurde er von dem Unbekannten noch ein ganzes Stück weiter nach hintengezogen, ehe das Pferd ausschlagen konnte. Verdutzt blinzelte Jerry und beobachtete, wie der Fremde mit erhobenem Arm auf das Pferd zuging und es mit leiser Stimme zu beruhigen versuchte. Der Versuch gelang dem Mann, was Jerry offenkundig machte, dass er sich mit dem Besitzer des Pferde konfrontiert sah. Au wei, der würde bestimmt wissen wollen, was er hier zu suchen hatte oder von seinem Pferd hatte haben wollen. Der Umstand des versuchten Diebstahls trieb Jerry die Schamesröte in die Wangen und er schluckte hart. Heute hatte er aber wirklich nur Pech.
Er versuchte sich ein paar Worte zurecht zu legen, um dieser Situation einigermaßen heil zu entgehen, aber ehe er sich ein paar nette Lügen zurecht hatte legen können, fuhr der Fremde zu ihm herum und ließ Jerry ängstlich die Luft anhalten. Der Mann wirkte wütend genug um schlimmes zu befürchten. Instinktiv zog Jeremiah ein wenig den Kopf ein, als wollte er sich ducken, sah dann aber recht verblüfft auf, als die wütenden Worte des Mannes eine so deutliche Sprache sprachen, dass sie Jerry unverhofft die Möglichkeit gaben zu entkommen, ohne sich erklären zu müssen. Jerry schluckte, nickte nur und machte auf den Fersen kehrt um den Worten zu folgen - er lief so schnell er konnte am Waldrand zurück auf den schmalen Trampelpfad und wetzte um die Ecke, so dass die Kirche wieder zu seiner Rechten lag und der Wald nun zu seiner Linken. Sein Herz pochte bis zu seinem Hals hinauf und der Schrecken saß noch tief in seinen Knochen. Er hatte diesen Unbekannten zuvor gar nicht wahrgenommen und das erschreckte ihn doch sehr. So unvorsichtig durfte er nicht noch einmal sein, so etwas konnte ihn beim nächsten Mal in ernsthafte Bedrängnis bringen. In unerwartete Gefahr womöglich. Jerry lief noch ein Stück weiter, ehe er sich sicher war, dass der Mann ihm nicht doch noch folgte, hielt an und rang heftig nach Luft, die ihm eiskalt in die brennenden Lungen stach. Er musste husten, heftig und ungesund. Etwas, das Jerry daran mahnte, dass er erst vor kurzem mit einer schlimmen Erkältung hatte ringen müssen. Der Arzt hatte sogar davor gewarnt, dass Schäden zurückbleiben könnten. Jerry hatte sich nie ausgemalt was der Arzt damit gemeint haben könnte. Er war jung und stark. Er hatte immerhin überlebt und war genesen. Aber immer öfters verspürte er beim Toben und Laufen eine unangenehme Kurzatmigkeit und wenn die Fenster geschlossen waren und der Ofen bollerte, war ein sonderbarer Druck auf seinem Brustkorb, der nach frischer Luft verlangte. Nichts, was Jerry bislang geängstigt hätte, aber das gerade tat weh und brachte mit Wucht die Erinnerung zurück. Mit diesen Gedanken blinzelte Jerry ein wenig misstrauisch in die Düsternis des Waldrandes. Sein Plan erschien ihm auf einmal ziemlich blöd. Ohne Feuerhölzer, Nahrung und Decke würde er doch schon in zwei, drei Tagen irgendwo erfrieren oder verhungern. Und jetzt wo ihm der Schreck noch so tief in den Knochen steckte, sehnte er sich nach den schützenden Armen seines Pas. Wenn Pa hier gewesen wäre, hätte ihn dieser Fremde ganz bestimmt nicht so angebrüllt. Aber dann hätte er auch bestimmt niemals die Idee gehabt, einen Wildfremden zu bestehlen.... MIt hängenden Schultern lief Jerry ein Stück weiter, ließ den Schnee mit der Schuhspitze aufwirbeln, hob ab und an den Blick nach rechts und sah zur Kirche hinüber. Die Orgel war gedämpft zu vernehmen und er vermutete, dass der Gottesdienst längst angefangen hatte. Es war unmöglich jetzt zurückzukehren. Ganz unmöglich. Sein Pa würde ihm nach der Kirche ganz bestimmt das Fell über die Ohren ziehen. Missmutig trat Jerry nach einem größeren Stein, der aus dem Schnee herausragte und prellte sich unerwartet heftig den Zeh, als der Stein nicht nachgab und wegsprang. Der Schmerz und die erste Niederlage in seinem Plan trieben Jerry Tränen in die Augen und er ließ sich erschöpft mit schmerzenden Lungen in den Schnee fallen, zog die Beine heran und schlang die Arme darum. Dieser Sonntag war einer seiner schwärzesten Tage in seinem Leben. Alles war schief gelaufen und aus dem Ruder geraden. Jerry sah für den Augenblick keine andere Lösung als sich selbst zu bemitleiden. Denn zurück konnte er unmöglich gehen, ihn würde dort zwar die Wärme und gewohnte Sicherheit erwarten und vor allem sein Pa, aber leider auch eine Menge Vorhaltungen, Schimpfe und bestimmt obendrein Hiebe. Weiter in den Wald konnte Jerry aber auch nicht. Er hatte nichts bei sich, was ihm ein Überleben sichern würde. Zudem trieb sich dort im Wald ein Unbekannter herum, der gar nicht freundlich war. Schniefend wischte sich Jerry ein paar Tränen vom Gesicht und die Hoffnungslosigkeit ließ ihn weiter weinen. Er war froh hier hinter der Kirche alleine zu sein, denn es wäre ihm doch sehr peinlich gewesen, hätte ihn ein anderer Junge so gesehen. Ben am Ende noch, oder gar Eli... Eli! Auf einmal hatte Jerry einen hervorragenden Gedanken und die Tränen waren schlagartig versiegt. Miss Spencer. Sie hatte vorhin in der Küche ungewohnt besänftigend auf seinen Pa eingewirkt. Jerry hatte sich dort schon wegen seiner frechen Worten vor Elis Augen und denen von Miss Spencer ein paar saftigen Ohrfeigen ausgesetzt gesehen, aber nichts war passiert. Sein Pa hatte ihn nur mit Ben aus dem Haus gejagt. Was ihr einmal gelungen war, mochte ihr vielleicht noch einmal gelingen? Sie war im Gästehaus und sicher kam sie nicht zum Gottesdienst. Wenn er es bis dorthin schaffen würde und ihr alles erklären könnte, was passiert war, würde sie vielleicht ein Einsehen mit seiner Bitte haben? Flüchtig kam ihm in den Sinn, dass Miss Spencer eher einen Grund dafür hatte ihn umgehend zu seinem Pa zu bringen, aber wenn er sich erst einmal ordentlich für heute Morgen bei ihr entschuldigte... sie war ja kein schlechter Mensch. Nein sie war eigentlich furchtbar nett. Und das war ja im Grunde das Problem. Sie war zu nett, zu sehr darum bemüht, wie es ihm ging und seinem Pa, zu sehr seine Mutter, als dass er sie an sich heranlassen wollte. Selbstschutz, wenn er es genau betrachten wollte. Selbstschutz davor, dass sie Miss Spencer hinter sich lassen mussten, wenn Pa es hier nicht gefiel und weiterzog oder Miss Spencer eines Tages kündigte und ihr eigenes Leben wieder aufnahm oder vielleicht sogar wegzog, weil .. ach was wusste Jerry schon. Es gab genug weils um alleine wie bisher zu kämpfen. Sein Pa und er waren doch in den letzten zwei Monaten ganz gut zurecht gekommen. Und doch wollte er genau zu dieser Frau laufen. Jetzt. MIt seinem Problem. Und er war verzweifelt genug, um deswegen über seinen Schatten zu springen.
Sicher über seinen neuen Plan stand Jerry auf und lief auf dem Trampelpfad noch ein Stück weiter. Zurück wollte er nicht. Denn er befürchtete am Friedhof noch einmal auf den Fremden zu stossen. Und die Abkürzung über den Kirchhof wollte er nicht nehmen. Die Gefahr seinem Pa in die Arme zu laufen war zu groß. Nach dem Weglaufen von vorhin war sich Jerry nicht mehr so sicher darüber, ob sein Pa im Fall einer unerwarteten Begegnung den Gottesdienst nicht doch ein paar Minuten später anfangen ließ, um seinem ungezogenen Sohn die Leviten zu lesen. Also bog Jerry erst wieder Richtung Stadt ein, als er ein paar Gärten zwischen sich und die Kirche gebracht hatte.
Jason mit Blackjase am Waldrand, Jeremiah rennt davon
Jason sollte Recht behalten, denn als er sich nach dem Jungen umdrehte, war dieser schon fast aus seiner Sichtweise. Er musste ihn ziemlich erschrocken haben, denn allein dessen Aufenthalt hier draußen, wies darauf hin, dass dieser im Allgemeinen nicht so folgsam war. Gestohlen hatte der Junge ihm offenbar nichts, stellte Jason beruhigt fest. Allmählich beruhigte sich auch sein Herzschlag wieder, so dass er tief durchatmend sein Pferd zunächst am Zügel nahm und mit sich führte. Erst als er den Friedhof weit hinter sich gelassen hatte, saß er auf und ritt in einem großen Bogen von Camden Village weg. Er folgte dem Millriver flussaufwärts, denn in der Richtung lagen wohl ein paar Ranches oder Farmen. Blackjase hatte sich längst wieder beruhigt und schritt sicher am Fluss entlang. Der Boden war von Eis und Schnee bedeckt und ein paar Mal geriet der Rappe mit einem Huf ins Rutschen. Das Risiko, dass das Pferd ausglitt und stürzte, war recht groß und da Jason nur wenig Lust verspürte, in dem eiskalten Wasser des Millriver zu baden,lenkte er Blackjase in einen Bogen und in den Wald hinein.
Gabriel kannte den Weg zum Friedhof natürlich, hatte er doch damals an der Beerdigung seiner Halbschwester Emma teilgenommen. Der Weg dorthin fiel ihm daher auch auf gewisse Weise schwer und dies sicherlich nicht wegen dem vielen Schnee oder der Kälte. Er hatte seine Halbschwester damals gerade gefunden und kennengelernt und sie auf Anhieb in sein Herz geschlossen. Und dann war sie auch schon kurze Zeit später tot. Und auf sie schreckliche Weise umgekommen. Ja, Gott konnte manchmal arg ungerecht sein. Dennoch würde Gabriel dann vielleicht noch die Kirche hier betreten, aber dann sehr viel später, denn er wollte den Gottesdienst hier heute nicht stören. Und der Gang zum Grab würde ihm vielleicht eh schon genügen. Er hatte extra getrocknete Blumen mitgebracht, denn es war tiefster Winter und Blumen gab es weder zu pflücken oder zu kaufen. Und so hatte er sich seinen Weg gebahnt und merkte sogleich, als er den Friedhof betrat, wie still es einerseits war, auf der anderen Seite aber bemerkte er einige frische Spuren. Er war also heute nicht der erste, der sich heute hier her begab. Oder aber es war kein Schnee gefallen in den letzten Tagen. Egal, irgendwie sahen die Spuren frisch auf, aber sehr achtete Gabriel eh nicht darauf. Bald stand er an Emmas Grab und er starrte darauf und erinnerte sich an seine Halbschwester. An ihre schönen Augen, ihr Lachen, an ihre Stimme. Sie war so lebensfroh gewesen. Sie hatte ihn damals gleich akzeptiert als ihren Halbbruder, obwohl sie beide nichts von einander gewusst hatten. Und Gabriel erinnerte sich noch an die Wärme, welche er gespürt hatte, noch eine Schwester zu haben, auch wenn es nur eine Halbschwester war, das war ihm egal. Er hatte sonst keine Familie gehabt und es hatte ihn mit unglaublicher Freude erfüllt, sie gefunden zu haben.
Gabriel musste nun aber ein wenig Schnee vom Grabstein wischen, um diesen kalten Stein schliesslich zu berühren. Er war kalt wie der Tod und er seufzte innerlich traurig. Aber es war dann eben auch nur ein Stein, dennoch stand er hier, eingeritzt der Name seiner Halbschwester. Dann legte er die getrockneten Blumen auf ihr Grab mit seiner gesunden Hand. Seine andere lag ja samt Arm in Gips. Er konnte also nicht einmal seine Hände demütig verschränken. Also legte er erneut seine gesunde Hand auf den Grabstein und versuchte so irgendwie, Emma durch diese Geste näher zu kommen und sprach leise, während er im Hintergrund erst ein wenig Gesang aus der Kirche vernahm, dann leises Gemurmel. »Ach meine liebe Emma. Ich denke so oft an dich. Und auch wenn ich dich kaum kannte, so vermisse ich dich sehr. Ich mochte dein Lachen, Deine Art. Du warst so herrlich unkompliziert. Ach, eigentlich habe ich dich viel zu kurz gekannt, als dass ich mir ein wirkliches Bild hätte machen können. Das ist auch nicht wichtig. Ich liebe dich, Schwesterherz. Auch wenn ich Dich erst kurz kannte. Das Lied, welches ich damals für dich komponiert hatte, spiele ich nun auch in den großen Konzertsälen und es gefällt den Menschen, was mich sehr freut. Und ich erzähle ihnen die wahre Geschichte. Vielleicht mögen sie auch deshalb dieses Lied, welches ich für dich geschrieben hatte, als du noch gelebt hast. Ach Emma ...«
Gabriel hatte leise gesprochen und war alleine hier, so das ihn keiner hören könnte. Und das war gut so. Ja, es war seltsam still immer wieder. Nur manchmal bog sich ein Ast der Bäume am Waldrand unter der Schwere des Schnees und dieser fiel dann fast lautlos zu Boden.
Lange stand Gabriel dann einfach nur vor dem Grab und hing seinen Gedanken an seine Halbschwester nach. »Gerne hätte ich dir etwas gespielt auf meiner Geige, aber leider ist mir das mit meinem gebrochenen Arm nicht möglich. Aber ich weiss, du würdest es mir verzeihen.« Und dann schien der Gottesdienst beendet zu sein, denn irgendwie drang etwas Unruhe zu ihm hinüber, aber Gabriel interessierte es nicht. Weiterhin schaute er einfach auf das Grab und er seufzte leise. Gerne hätte er seine Andacht an Emma mit jemanden geteilt. Ja, irgendwie war so ein Friedhof, so ein Grab doch furchtbar einsam ... aber so war das nun einmal.
Gabriel hatte eine Ewigkeit am Grab seiner Schwester verbracht. In tiefen Gedanken und Trauer. Innerlich sang er die Melodie ihr vor, die er ihr gewidmet hatte. Innerlich war er bei ihr. Den ganzen Gottesdienst über, den er nicht mitbekam, sondern statt dessen hier in der Kälte stand, mit seinem gebrochenen Arm in Gips. Aber er war warm in seinen Fellmantel eingepackt, so dass er die Kälte draussen lassen konnte, auch wenn er fast wie eingeschneit wirkte. Das der Reverend dann selbst einen Spaziergang um den Friedhof machte, bekam Gabriel eben so wenig mit, wie dieser ihn gesehen hatte. Und das war gut so. Doch nach einer langen Zeit merkte Gabriel, dass er sich nun wohl langsam mal in etwas wärmere Gefilde begeben musste und so dachte er noch zum Schluss an Emma mit tiefen Gefühlen, verabschiedete sich dann aber in Gedanken mit einem Lied, was er auf der Geige sehr gut beherrschte.
Dann verliess Gabriel den Friedhof, ohne genau zu wissen, wohin. Er fühlte sich ein wenig verloren. Es gab nicht mehr vieler Menschen mehr hier, die er kannte und die ihn kannten. Und heute war Sonntag, wahrscheinlich waren alle in der Kirche. Und auch wenn diese nun aus war, wollte er niemanden stören.
Er dachte an eine Frau, welche er hier einst kennengelernt hatte, eine Sängerin, mit der er sich sehr hatte verbunden gefühlt ... Faith ... auch wenn sie hier nicht mehr weilte, überlegte Gabriel, dass er einfach den Saloon aufsuchen sollte. Da gab es dann vielleicht auch Megan und diesen Pianospieler, aber er machte sich nicht viele Hoffnungen. Zuerst wollte Gabriel sich ja dann irgendwo aufwärmen, aber auch wen ihm kalt war, beschloss er erst einmal noch einen Spaziergang am Wald zu machen. Er wollte einfach die Einsamkeit und Ruhe hier geniessen. Und so ging er in Richtung See.