Als ihr Gegenüber erwähnte, dass dies nicht das Land ihrer Väter war, hätte Tamina fast aufgelacht. Glaubte der Prinz sie sei dumm? Das hatte sie auch schon feststellen müssen. Aber anders als er meinte musste nicht sie noch viel lernen, nein das Land und diese Eingeborenen mussten noch einiges dazu lernen. Zum aller ersten, wie man sich einer Prinzessin gegenüber verhielt. Aber das war jetzt zu mühsam zu erklären, deswegen ersparte sie sich eine langwierige Diskussion mit ihrem Prinzen. Wenn dieser seine Herkunft verleugnete und sich lieber den Gepflogenheiten dieses wilden Landes anpassen wollte, dann konnte Tamina das nicht verstehen. Sie war im Moment aber ehrlich gesagt auch zu müde. Der Unfall mit der Kutsche und der Ritt hierher waren anstrengend gewesen. Zumal sie seit zwei Tagen keinen Schlaf gefunden hatte. Zu nervenaufreibend war ihre Flucht vor ihren Verfolgern. Immer wieder hatte sie über ihre Schulter hinweggesehen ob ihr jemand folgte.
Deswegen kam sie erstaunlich friedlich der Anweisung nach, sie sollte sie setzen und noch etwas vom Tee trinken. Mit ihren, immer noch kalten, Fingern ergriff sie wieder die Tasse und wärmte sich daran. Er tat gut, wenigsten eine Kleinigkeit aus ihrer Heimat wieder zu erkennen. Ihre Zofe konnte Tee besonders gut herstellen. Jeden Abend hatte Tamina sich welchen davon bringen lassen. Als sie alleine im Zimmer saß, blickte die Prinzessin traurig in die Flüssigkeit. Wie gerne wäre sie jetzt in ihrem Zimmer im Palast. Weit weg von diesem schrecklichen Land. Wie lange es wohl dauern würde, bis ihre Begleiter eine Nachricht an ihren Vater schickten mit der Mitteilung, sie war verschwunden. Und würde er sich dann Sorgen um sie machen? Er war so wütend gewesen, dass er sich nicht einmal von ihr verabschiedet hatte. Fast hätte sich eine Träne aus Taminas Augenwinkel gelöst. Doch da kam ihr Prinz wieder zurück ins Zimmer. Sie hob eine Augenbraue und wagte es kaum zu fragen. Doch ihre Neugier war zu groß. "Ihr verrichtet aber nicht wirklich all die Arbeiten hier im Haus selbst, oder?" Irgendwie graute der Prinzessin vor der Antwort.
Der Araber schaute Tamina kurz erstaunt an. Dann lächelte er. Sie war so fremd in diesem Land und dieses Land war ihr so fremd. Sie hatte keine Ahnung davon, was hier so Sitte war und wäre er nicht in Amerika aufgewachsen, ihm wäre es wahrscheinlich ähnlich ergangen. Die Gepflogenheiten seiner Heimat - oder besser die seiner Eltern - kannte er nur aus Erzählungen. Doch seine Eltern hatten Wert darauf gelegt, dass die Kinder diese auch kannten und respektierten.
Während zwei Eimer auf dem Herd standen, damit das Wasser heiß wurde, antwortete Nicholas: "Doch, Prinzessin. Ich übernehme diese Arbeiten selbst." So weit kam das noch, dass er eine Hausangestellte hatte! Rebeccah würde sich sicherlich gekränkt fühlen und bisher waren sie prima ohne ausgekommen. Einzig würde Tamina in Rebeccah wahrscheinlich eine Bedienstete sehen. Nicholas würde da ein Auge drauf haben müssen.
"Ich weiß, als Prinz ist das eine Arbeit, die ich nicht tun sollte. Doch ich möchte, dass Ihr ein vernünftiges Bad habt. So sehe ich es als meine Pflicht an selbst dafür zu sorgen."
Das war hoffentlich eine Aussage, die Tamina einigermaßen verstand. Nicholas griff nach zwei Topflappen und nahm den ersten Eimer mit heißem Wasser, um ihn in den Badezuber zu gießen. Dann mit frischem Schnee auffüllen, wieder auf den Herd stellen und das gleiche mit dem zweiten Eimer machen.
Unverständlich schüttelte die Prinzessin den Kopf. Das machte dieses Land aus einem? Man tat am Ende seine Arbeit selbst? Nie wäre Tamina auf die Idee gekommen. Schließlich gab es die arbeitende Schicht und dann gab es die königliche Familie. Die Dienerschaft wurde meistens nicht einmal wahr genommen, denn sie waren angewiesen unsichtbar zu sein. Aber hier wurde sie mit der harten Realität konfrontiert. Ein Prinz der arbeitete. Daraufhin musste Tamina noch einen Schluck von ihrem Tee nehmen. Als er dann aber meinte, er täte das nur, damit sie die bestmöglichste Behandlung bekam, schmeichelte ihr das schon wieder sehr. Sie verstand es zwar immer noch nicht, aber natürlich war ein Prinz, der für sie arbeitete dann schon wieder ganz etwas anderes. Sie sah ihm dabei zu, wie er den Eimer in den Zuber goss. Noch zwei oder drei davon und sie konnte sich endlich aufwärmen. Die Prinzessin stand auf, kam zu dem Zuber und kniete sich daneben. Mit ihren dünnen Fingern strich sie durch das heiße Wasser während die andere Hand weiterhin die Decke um ihre Schultern festhielt. "Wie gerne würde ich jetzt meine Öle dort hinein gießen." Es klang sehr wehmütig, wie Tamina so auf das Wasser blickte. Ob sie jemals wieder ein Bad in ihrer Heimat nehmen konnte?
Sie schluckte seine Erklärung, dass er sich gerne persönlich um ihr Wohlergehen kümmern wollte. Dennoch blieb sie skeptisch. Das war ihr anzusehen. Schließlich kam sie an den Badezuber und wurde ein wenig sentimental.
"Ich bedaure, Prinzessin, die feinen arabischen Öle habe ich leider nicht hier. Ich kann euch mit ein wenig normaler Seife und Lavendelwasser dienen."
Dieses kostbare Zeug, von dem er noch eine kleine Flasche hatte.
"Ich werde Euch etwas davon holen." sagte er und verschwand kurz. Als er wieder kam, hatte er ein Stück edle Seife in der Hand und goss etwas von dem Lavendel in das Badewasser. Sofort verbreitete sich ein angenehmer Geruch. Nicholas war in Rebeccahs Zimmer gewesen und hatte eines ihrer Kleider und unbenutzte Unterwäsche mitgenommen. Um genauer zu sein war es das Kleid, welches er ihr in St. Johns gekauft und welches sie noch nie angezogen hatte.
Nicholas legte die Sachen zusammen mit einem Handtusch über einen kleinen Schemel neben dem Badezuber. Ich kann euch leider nicht mit mehr dienen. Aber ich denke das Kleid meiner Tochter sollte Euch passen. Die Unterwäsche ist selbstverständlich neu. Wenn Ihr etwas braucht, ich bin in der Küche." sagte er und verneigte sich leicht. Dann zog er hinter der Prinzessin den Vorhang zu, der den Badezuberbereich vom Flur trennte und ging zurück in die Küche. Er goss sich Tee nach und schloss die Augen.
Es war der Prinzessin vollkommen klar, dass der Prinz keine der kostbaren Öle hier hatte. Nicht, dass er nicht wissen konnte, dass Tamina den Duft von Rosen bevorzugte. Sie waren hier auch nicht in ihrer Heimat. Doch einen Moment war sie tatsächlich beeindruckt, als ihr Prinz wieder aus dem Zimmer verschwand mit den Worten er hätte ein sogenanntes Lavendelwasser hier. Was auch immer das war, Tamina kannte es nicht und als ihr Gastgeber diesen Duft dann im Raum verteilte indem er es ins Wasser goss, rümpfte die orientalische Schönheit erst einmal die Nase. Das sollte wohltuend sein? Aber sie schwieg auch jetzt, denn alles was besser als wieder in diese Kälte raus zu müssen. Der Vorhang schloss sich und nachdem Tamina sich noch einmal umsah, begann sie sich aus ihrem Kleid zu schälen. Ungewohnt, wenn man das vollkommen alleine tun musste und sie brauchte einige Minuten bis es ihr gelang die Schnürung in ihrem Rücken zu öffnen. Dann aber sank sie fast lautlos in das heiße angenehme Wasser und schloss genießerisch die Augen. Für einen ganz kleinen Moment konnte sie sich vorstellen wieder in ihre Badewanne im Palast zu sitzen. Mittlerweile hatte sie sich sogar an den Lavendelduft gewöhnt und Tamina musste zugeben, dass mit der Zeit die entspannende Wirkung einsetzte. Fast wären der Prinzessin die Augen ganz zugefallen. Deswegen entstieg die orientalische Schönheit noch rechtzeitig dem Badezuber, bevor das Wasser wieder kalt zu werden drohte. Als sie dann das Kleid sah, welches sie anziehen sollte, war die Erholung des Bades schon wieder dahin. Das war alles andere als das was die Prinzessin gewöhnt war. Doch wenn sie nicht nackt durch die Gegend laufen wollte, musste sie diesen Fetzen anziehen. Ihr Kleid war leider nicht mehr als solches zu bezeichnen. Auch das war alles andere als einfach, ohne Hilfe. Ohne Bedienstete, die einem jeden Handstrich abnahmen. Doch schließlich gelang Tamina auch das und obwohl sie den Stoff als kratzig und unedel empfand, fror sie darin wenigstens nicht. Auch die Unterwäsche behinderte sie zuerst beim Gehen. So etwas hatten die Frauen hier alle an? Ästhetisch war etwas anderes, aber davon schienen die Leute hier ja ohnehin nichts zu verstehen. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Tamina dann also wieder zurück zu ihrem Prinzen in die Küche. "Mein Dank für das Bad." Meinte sie dann distanziert. Aber immerhin hatte sie mittlerweile ein paar ihre Höflichkeitsformen ausgegraben. "Du hast vorhin etwas erwähnt, dass du für mich eine Gelegenheit hast um mich zur Ruhe zu begeben."
(ooc: Du hast nichts vorgegeben, da hab ich mir ein Kleid ausgesucht. Bei Nichtgefallen bitte melden.)
Während die Prinzessin ihr Bad nahm, hatte Nicholas das Zimmer, in dem er eigentlich Mister Towatsch untergebracht hatte, wieder hergerichtet. Sorgsam und vorsichtig hatte er die wenigen Habseligkeiten die Luka schon ausgepackt hatte, wieder zusammen gesammelt und ordentlich in den Taschen verstaut. Diese hatte er dann in eine saubere Ecke in der Küche gestellt. Dann hatte er das Bett frisch bezogen, neues Wasser in die Waschkanne gefüllt und zwei saubere Handtücher nebst Seife dazu gelegt. Auf das Bett hatte er ein neues Nachthemd mit Haube für Damen gelegt. Das hatte er eigentlich alles Rebeccah schenken wollen, doch das musste nun noch ein paar Tage warten.
Mehr konnte er der Prinzessin nicht bieten. Und er ahnte, dass sie damit mehr als nur nicht einverstanden sein würde. Doch sie hatte sich nicht über das Bad beschwert und das sah er als Fortschritt an.
Als Die Prinzessin fertig war, kam sie zu Nicholas zurück in die Küche. Und bedankte sich tatsächlich! Ja, was war denn das!? Und schon gab sie der Sache einen Dämpfer. Sie duzte ihn, als wäre er ein Diener! Nicholas runzelte kurz die Stirn und widerstand dem Drang es ihr gleich zu tun. Mit einer einladenden Geste lud er Tamina ein ihm zu folgen; über den kleinen Eingangsflur zur Tür gegenüber der Küche.
"Es ist das Zimmer für meine Gäste." sagte er. "Es ist alles frisch bezogen und sauber. Mehr kann ich euch nicht bieten, Prinzessin. Aber es wird genügen, damit ihr ein wenig Ruhe findet." Womit er gleich unterband, dass sie sich über die karge Einrichtung beschweren konnte. Wenn sie es doch tat, würde er sie erneut in ihre Schranken weisen. Das stank Nicholas schon jetzt. Doch er ließ sich nichts anmerken. Arabische Höflichkeit, wie es sich gehörte.
"Ich werde hier in der Küche sein und arbeiten." sagte er. "Wenn Ihr noch etwas braucht, sagt Bescheid." Damit nickte er leicht mit dem Kopf und lehnte die Tür an. Dann ging Nicholas zurück in die Küche und nahm ein paar Unterlagen aus dem Saloon aus einem Küchenschrank und setzte sich damit an den Küchentisch. Doch wirklich konzentrieren konnte er sich nicht. Zum wahrscheinlich tausendsten Mal schaute er auf seine kleinen Taschenuhr. Wo blieb denn bitte Rebeccah? Langsam machte er sich wirklich Sorgen. Und er musste zurück in den Saloon. Doch er konnte die Prinzessin nicht alleine hier lassen. Außerdem wusste Luka ja auch noch nichts von seinem Glück jetzt doch im Saloon wohnen zu müssen.
Meine Güte. Die Prinzessin wirft mein Leben ganz schön durcheinander! ... . Behalt die Ruhe, Khan, Du schaffst das!
Natürlich dutze Tamina den Prinzen. Schließlich war er in ihren Augen bisher nicht sonderlich adelig gewesen. Zwar hatte er ihr die typische Gastfreundschaft entgegen gebracht, doch die erwartete Tamina ohnehin. Und zusätzlich war es der Prinz, der für sie arbeitete. Wie ein Angestellter, ein Bediensteter. Wenn er so viel Wert darauf legte, dann durfte er sich aber auch nicht wundern, wenn Tamina ihn dann so behandelte, wie sie es von ihrer Heimat gewöhnt war. Sie hatte ihm ja sogar gedankt. Das war mehr als man erwarten konnte. In ihrem ganzen bisherigen Leben hatte sich die orientalische Schönheit noch niemals bei einem Angestellten bedankt. Man konnte also durchaus behaupten, dass ihr Prinz eine Sonderbehandlung bekam.
Als er sie dann aber mehr oder weniger in das Zimmer bugsierte in das sie eigentlich nicht wollte, stand Tamina da, die Hände in die Hüfte gestemmt und war vor Wut vollkommen sprachlos. Die Türe ging zu und sie war gefangen. Auch wenn die Türe nur angelehnt war, so hatte sich für die Prinzessin gerade eine ganze Welt geschlossen. Ihr bediensteter Prinz entfernte sich, was sie an den Schritten auf dem Dielenboden hörte und sie war vollkommen alleine. Seufzend setzte sich Tamina auf das Bett. Ihr Kleid kratzte immer noch und sie fühlte sich nicht wohl. Sie hatte Hunger, schließlich hatte sie schon seit gestern nichts mehr gegessen. Der Tee hatte ihr gegen die Kälte geholfen aber nicht gegen das leere Gefühl im Magen. Trauer lag im Blick, mit dem die Prinzessin in Richtung des Fensters schaute. Der Frost kroch an der Scheibe hinauf und dort draußen war diese elende Kälte. Sie konnte nicht noch einmal dort hinaus. Nicht einmal mit diesen Unmengen von Stoff, die sie nun zu tragen schien. Dabei wollte sie doch nur nach Hause. Und sie hatte Hunger
Die Trauer wich der Wut. War ihr Prinz nicht einmal in der Lage einer Prinzessin etwas zu essen anzubieten? Entschlossen stand sie auf und öffnete die Türe. Fest war ihr Schritt, den sie nun in Richtung der Küche anschlug. "Reicht deine Gastfreundschaft nicht einmal so weit, dass du einer Prinzessin etwas zu essen anbietest?" Ihre Worte waren genau so gemeint wie Tamina sie aussprach. Und dabei war sie noch sehr friedlich.
Nicholas zuckte leicht zusammen, als die Prinzessin plötzlich wieder in der Küche stand, mit den Händen in den Hüften und ihn anherrschte. Er sah sie kurz entgeistert an und dann platzte ihm der Kragen; ein klein wenig zumindest. Sie stellte seine Gastfreundschaft in Frage! Das war eine echte Beleidigung. Und sie schien das ernst zu meinen!
Nicholas erhob sich und sah Tamina durchdringend an. "Ich nahm an, Ihr wolltet euch erst ein wenig ausruhen, bevor ihr etwas essen möchtet. Wenn das nicht der Fall ist, mache ich euch etwas zu essen." sagte er, bewegte sich aber noch nicht. "Ihr mögt eine Prinzessin aus dem Land unserer Väter sein, aber hier seid Ihr es nicht. Alleine unser arabisches Blut verbindet uns und das ist der einzige Grund, weshalb ich euch nicht dem sicheren Tod überlassen habe." stellte er klar. "Wenn euch meine Gastfreundschaft nicht reicht, solltet ihr euch ein anderes Quartier suchen."
Nicholas hatte die Augenbrauen zusammen gekniffen. "Beleidigt mich nicht, so wie ich es auch nicht tue. Ich habe euch gegeben, was ich habe." Was die Definition von Gastfreundschaft in Arabien war. Es kam nicht darauf an, wie wertvoll das war, was man gab. Solange man teilte, was man hatte, war alles gut.
Nicholas räumte die Papiere wieder zusammen und verstaute sie sorgsam. "Setzen." befahl er der Prinzessin und holte den Topf mit dem nahrhaften Eintopf aus der kleinen Speisekammer. Er stellte ihn auf den Herd und begann ihn langsam umzurühren, damit er überall gleich schnell warm wurde. Dann deckte er einen tiefen Teller und einen Löffel auf und stellte eine frische Tasse Tee dazu. Außerdem schnitt er eine dicke Scheibe Brot ab. Als der Eintopf heiß genug war, füllte er den Teller damit und stellte ihn auf den Tisch. "Ich wünsche euch einen guten Appetit." sagte er mit einer einladenden Geste. "Allah möge das Mahl segnen." Er setzte sich, aß aber selber nichts. Zu satt war er och von dem reichhaltigen Buffet aus dem Gästehaus.
Viel zu perplex war Tamina in diesem Moment um überhaupt etwas sagen zu können. Es war zum ersten Mal in ihrem Leben, dass jemand so deutlich mit ihr sprach außer ihrem Vater. Niemand sonst hatte sich das jemals gewagt. Sicherlich hatten sich viele in ihrem Umfeld schon das ein oder andere gedacht. Aber ausgesprochen worden war noch nie ein böses Wort. Und nun herrschte sie der Prinz dermaßen an. Tamina erkannte ihr Fehlverhalten nicht. Sie war eine Prinzessin und er musste Allah danken, dass er sich um ihr Wohlergehen kümmern durfte. Als Nicolas ihr aber dann an den Kopf warf, dass sie in diesem Land keine Prinzessin mehr war, kämpfte Tamina schwer mit ihrer Beherrschung. Sich diese Worte denken und wissen war etwas anderes als sie direkt gesagt zu bekommen.
Doch sie war viel zu gut darin ihre wahren Gefühle zu verbergen. Eisig wurde nur der Blick mit dem sie ihren Gegenüber ansah. Es traf sie hart, dass er sich nur um sie kümmerte, weil sie irgendwann aus dem gleichen Land gekommen waren. Nicht weil sie eine Prinzessin war und er sich um sie kümmern wollte. Jeder wollte das. Zumindest war Tamina bisher immer davon ausgegangen. Es war jedermanns Pflicht gewesen. Aber eben nicht hier. Vielleicht setzte sie sich deswegen ohne Wiederspruch auf den Platz, den er ihr zuwies. Niemals hätte sie das in ihrer Heimat getan. Nein, der Bedienstete hätte noch nicht wieder eingeatmet, dann hätte sie ihn steinigen lassen. Niemals durfte man so mit ihr reden.
Schweigend saß sie aufrecht da, während ihr angestellter Prinz das Essen zubereitete. Immer noch im Kampf mit ihren Emotionen. Die Wut wollte die Trauer besiegen und ihre Hand wusste nicht ob sie die Wange des Prinzen treffen sollte oder lieber ihre Tränen wegwischen. Als das Essen dann auf dem Tisch stand, schwieg Tamina. Es kam kein Wort über ihre zarten Lippen. Sie sollte ja schließlich niemanden beleidigen. "Morgen werde ich mich nach einer anderen Unterkunft umsehen. Schließlich will ich niemandem zur Last fallen." Bam! Von wegen entschuldigen. Der Prinz sollte sich mal Gedanken darüber machen was er gerade gesagt hatte. Er warf eine adelige Tochter raus. Da sollte ihn dann ruhig das schlechte Gewissen plagen.
Nicholas beobachtete Tamina und erkannte, dass sie immer noch viel zu sehr Prinzessin war, als dass seine Worte sie erreicht hätten. Nein, sie war immer noch zu stolz und meinte sich im Recht. Das bestätigten ihm ihre nächsten Worte, die ziemlich beherrscht wirkten. Doch Nicholas wusste nicht, ob sie mit ihrer Wut oder ihren Tränen kämpfte. Auf jeden Fall war ihr Gesichtsausdruck eisig und hätte wahrscheinlich jeden Diener im Boden versinken lassen. Aber Nicholas war kein Diener. Zumindest nicht der einer Prinzessin. Er diente alleine Allah. Und der würde ihn sicher nicht tadeln. Er kam schließlich seine Pflicht als Gastgeber nach.
Höflich blieb er sitzen, während Tamina den Eintopf probierte. Wahrscheinlich war es für ihre verwöhnte Zunge ein Graus, doch Nicholas wusste, wie gut Rebeccah kochen konnte. Vor allem konnte sie jedoch ein wenig zaubern; so kam es ihm jedenfalls vor. Was immer übrig blieb vom Vortag, Rebeccah schaffte es draus ein leckeres Essen zu machen.
"Ich bitte euch, Prinzessin. Wollt Ihr allen Ernstes Euer Wohl in die Hände von Heiden geben? Die nicht einmal Eure Sprache sprechen? Geschweige denn Verständnis für Euch oder Eure Kultur zeigen werden?" Seine Stimme war milde und ruhig. Sein Blick besänftigend, ohne unterwürfig zu sein. "Ihr dürft bleiben, so lange Ihr möchtet. Allerdings müsst Ihr euch mit dem Gedanken abfinden, dass in diesem Land alles anders ist, als Ihr es kennt. Prinzen und Prinzessinnen, Könige und Sultane gibt es hier nicht. Und es ist den Menschen herzlich egal. Seid vernünftig und bleibt bei mir. Wenn der Frühling kommt und die Züge wieder fahren, dürft Ihr Eure Reise fortsetzen."
Es war ein Friedensangebot, doch ohne eine Niederlage einzuräumen. Nicholas wusste, es würde eine Menge Ärger geben, wenn Tamina sich im Gästehaus einquartierte. Es war besser, wenn sie hier blieb. Sie würden das schon irgendwie schaffen.
Tatsächlich war das was die da aß durchaus genießbar. Das hätte sie ihrem Gegenüber gar nicht zu getraut. Auch wenn die Prinzessin zugeben musste, dass er sie bisher sehr zuvorkommend behandelt hatte. Nicht so wie sie es gewöhnt war, das stand außer Frage. Hier fehlte es noch an allen Ecken und Enden. Aber sie war nicht dumm. Es fiel ihr durchaus auf, dass er alles in seiner Macht stehende tat um ihr das zu bieten was sie gewohnt war. Er hatte einen Duft Zutage gefördert, denn sie zwar nicht gut fand, doch damit verbesserte er ihr Badewasser. Er richtete ihr ein Zimmer in diesem kleinen Haus ein und gab ihr Klamotten zum anziehen, damit sie nicht mehr frieren musste. Der Stoff war alles andere als angenehm. Doch er wärmte. Das alles hatte sie sehr wohl zur Kenntnis genommen. Auch wenn es ihr nicht ausreichte und sie immer noch nicht zufrieden war.
Als er sie jedoch so direkt ansprach und ihr schon fast klar machte, dass sie aufhören sollte eine Prinzessin zu sein, ließ Tamina fassungslos den Löffel sinken. Und in so ein Land hatte sie ihr Vater tatsächlich geschickt. Er konnte doch unmöglich gewusst haben wie es hier war. Wissentlich hätte ihr Vater sie doch niemals so einem Leben preis gegeben. Wie sollte sie hier denn zurecht kommen? Wenn es hier keine Sultane und Prinzen gab, wer war dann ihr zukünftiger Mann? Auch so ein armer Mann wie ihr Gegenüber? Und würde sie dann auch für den Rest ihres Lebens in so einem Haus wohnen müssen? Mit solch kratzigen Klamotten und in einer kalten Eisenwanne baden müssen? Ohne ihre Öle und ohne Bedienstete, die ihr jeden Wunsch erfüllten, bevor sie ihn aussprach?
Die Prinzessin stand auf. Auch wenn das nun sicherlich wieder unhöflich war, doch sie hatte genug gehört. Mit ihrer Selbstbeherrschung war es dahin. Und eine Prinzessin weinte nicht vor anderen! Sie weinte eigentlich niemals. Aber Tamina konnte im Moment nicht anders. "Das kann er mir nicht angetan haben." Flüsterte sie dann leise, aber deutlich in ihrer gemeinsamen Muttersprache. Dann drehte sie sich um, verließ das Zimmer und kurz darauf hörte man wie sie die Türe ihres Zimmers mit Schwung schloss. Und dann war das leise Schluchzen einer weinenden Prinzessin zu vernehmen, wenn man direkt an dieser Türe vorbei ging.
Ach herrje, jetzt war es um ihre Selbstbeherrschung geschehen. Was sie genau damit meinte, dass irgendwer ihr das nicht antun könnte, wusste Nicholas nicht. Tamina ging aus der Küche in ihr Zimmer und warf die Tür hinter sich zu. Nicholas seufzte. er hatte die Prinzessin eigentlich nicht verletzen wollen. aber sie musste der Realität ins Auge sehen. Und er hätte sie unmöglich so weiter machen lassen können. Also aß er seinen Teller leer und ging dann zur Tür der Prinzessin. Leises Schluchzen war zu vernehmen. Vorsichtig klopfte Nicholas. "Prinzessin?" fragte er ruhig und sanft. Doch er bekam keine Antwort. Also klopfte er nochmal. Als er wieder keine Antwort erhielt, öffnete er vorsichtig die Tür und lugte hinein. Sie saß auf dem Bett und hatte das Gesicht in den Händen vergraben.
Langsam kam Nicholas herein und blieb einen Moment lang unschlüssig stehen. Stand es ihm zu sie jetzt zu trösten? und wenn ja, wie sollte er das machen? Rebeccah hatte er nur selten weinen gesehen und da hatte es meist nur geholfen, dass er ihr zuhörte. Selten hatte er sie in die Arme genommen. Das war eine Nähe, die seine Ziehtochter nur selten zuließ; wenn auch letzter Zeit öfter mal.
Nicholas setzte sich neben die Prinzessin und wartete ab. Doch sie reagierte nicht. Also rückte er ein klein wenig näher. Der Höflichkeitsabstand war damit gerade eben unterschritten. "Prinzessin. Ich bin hier. Und ich bin für Euch da. Ich werde Euch nicht fort schicken. Und ich werde Euch helfen Euch hier zurecht zu finden." sagte Nicholas sanft. Seine Stimme hatte etwas fürsorgliches.
Doch die Prinzessin reagierte überhaupt nicht. Sie schien ihn gar nicht wahr zu nehmen. Also stand Nicholas wieder auf und ließ die Prinzessin alleine. er schloss die Tür leise hinter sich und ging zurück in die Küche. Dort widmete er sich wieder seinen Papieren und vertiefte sich in sie. Die Prinzessin würde sich schon wieder beruhigen und dann zu ihm kommen.