Der Raum hinter der Küche ist klein, bietet Platz für ein großes Bett, einem Kleiderschrank und Frisiertisch. Eine Kleiderkiste befindet sich am Fußende des Bettes und links und rechts vom Bett liegen kleine Läufer.
Ein schlechter Traum hatte Jeremiah ungewohnt früh aus dem Schlaf gerissen und zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in Camden Village wusste Jerry nicht gleich zu sagen wo er war. Kurze Irritation hatte sich mit aufkommender Panik über das fremde Zimmer abgewechselt. Das viel zu große Zimmer, das er noch nicht gewohnt war. Für einen AUgenblick hatte er sogar daran gedacht nach seiner Mutter zu rufen, aber noch mit dem Ruf auf den Lippen, war er kraftlos zurückgesunken, denn die Erkenntnis über ihren Tod hatte ihm die Tränen in die Augen getrieben. Einschlafen hatte Jerry nicht mehr können, denn er befürchtete die RÜckkehr des schlechten Traumes, der breits nach nur wenigen Minuten des Wachseins zu verblassen begann. Alles an was sich Jerry noch erinnern konnte, waren Wölfe, die ihn gejagt hatten. Der Angstschweiß darüber stand ihm noch auf der Stirn und ließ ihn die kalte Luft im Zimmer deutlicher spüren. Ein wenig fing er unter der warmen Decke dadurch sogar zu frösteln an und wälzte sich unruhig hin und her. Der Versuch an andere Dinge zu denken fiel ihm schwer, wollte ihm die Ablenkung angesichts eines Rudels Wölfe nicht mehr gelingen. Leise zog Jeremiah die Nase hoch, schluckte schwer und wischte sich ein paar Tränen aus dem Gesicht, als ihm erneut deutlich wurde, wie sehr er seine Ma vermisste, die ihn jetzt ganz sicher auf ein Rufen hin in die Arme genommen hätte oder ihn gar zu sich ins Bett hätte schlüpfen lassen. Auf die Idee nach seinen Vater zu rufen kam Jeremiah nicht, schon gar nicht zu ihm nach unten ins Schlafzimmer zu schleichen. Es war stets seine Mutter gewesen, die ihn nach schlechten Träumen getröstet hatte, weil Pa doch seinen Schlaf nötig hatte oder früh wieder raus musste.... Auf der langen Reise waren die Albträume von Jerry fern geblieben und so hatte es keinen Grund gegeben die Nähe seines Vaters zu suchen, um Trost zu erfahren. Doch hier alleine unter dem Dach schlich sich die Angst immer tiefer zu Jeremiah ins Bett und er wagte sich nicht einmal mehr herumzudrehen, um mit dem Rücken zur Tür zu liegen. Jedes Knarren einer Diele, jedes Pfeifen des Windes um das Haus herum, ließ Jeremiah hochfahren und in die Stille hineinlauschen. Es kostete ihn die größte Überwindung sich schließlich doch aus dem Bett zu quälen. Er hatte nun gefühlte Stunden damit verbracht sich mit den Gedanken an Ben abzulenken, hatte über Vaters Predigt gegrübelt, die ein Geheimnis war und schließlich sogar versuchet herauszufinden, ob Miss Spencer am Sonntag nun frei hatte, oder ob sie später auf der Feier auch da sein würde. Bestimmt würde sie das sein, aber das war ein Gedanke der Jerry nicht mehr so gut gefiel. Miss Spencer als Lehrerin war fein, dass musste er zugeben, sie war anders, als die Lehrer die er aus der Stadt kannte, aber sie nun täglich ständig um isch zu haben, war schon eine Zumutung... Fand Jerry zumindest. Der Gedanke half ihm allerdings kurz die Angst ein wenig zu besiegen und vorsichtig zur Tür zu schleichen. Eiskalt war es und Jerry konnte die üblichen Eisblumen an den Fensterscheiben erkennen. Sein Atem stieg in kleinen grauen Wolken vor ihm auf und er hätte jetzt viel darum gegeben, wenn er seine Weste mitgenommen hätte. Aber noch einmal zurück bis zum Stuhl würde er es nicht schaffen. Dafür war die Angst zu groß und trieb ihn nach draußen, dann nach unten und vor Vaters Schlafzimmertür. Dort wollte er hin. IN das warme Bett in die schützende Arme seins Pas. Das hatte er noch nie getan. Niemals zuvor und er wusste nicht, ob sein Pa es ihm erlauben würde. Aber er wollte jetzt nirgendwo anders lieber sein, als dort in Pas Bett. Also würde er in das ZImmer müssen. Er seufzte leise und klopfte zaghaft. Viel zu leise um gehört zu werden, denn er wollte komischerweise seinen Pa ja nicht wecken, aber die Höflichkeit gebot das Anklopfen... Dann öffnete er vorsichtig die Tür, schlüpfte durch den Spalt und schloss die Tür wieder leise. Unbeholfen trat er an die Schlafseite seines Vaters und blickte auf den dort ruhig schlafenden Mann hinab. Nicht sicher wie er es anstellen sollte, trat er von einem Bein auf das andere und zitterte am ganzen Laib. "Pa," raunte er leise, wieder zu leise um etwas zu bewirken und fügte nach langem Zögern ein ebenso leises "Pa, bist du wach" hinzu. Zu Ma wäre er jetzt einfach unter die Decke gekrochen und wäre am nächsten Morgen selig aufgewacht. Bei Pa wagte er sich das nicht und befürchtete auch eher ärgerlich am Morgen aufgeweckt zu werden, wenn er es einfach tat. Doch wenn er jetzt nicht gleich unter die Decke kam würde er erfrieren. Seine Lippen zitterten bereits und die Zähne schlugen leise gegeneinander, als er etwas lauter noch einen Versuch startete. "Pa? Pa bist du wach?"
Doch - ich träume doch, also schlafe ich wohl.. Terry träumte gerade sehr intensiv, als leise Schritte und die sehr leise danach, ob er schliefe in sein Unterbewusstsein einzudringen versuchen. Er war erst spät zur Ruhe gekommen und hatte zum ersten Mal seit ihrem Tod von seiner Frau geträumt. In seinem Traum war sie wie stets vor ihm aufgestanden und hatte gerade ein Frühstück gemacht. Nun war sie im Begriff gewesen, ihm dies ans Bett zu bringen. Nur langsam wurde Terry bewusst, dass er träumte und das die Stimme nicht die Susans war. Verschlafen drehte er sich auf die Seite. Eigentlich war es ein gutes Zeichen von Susan geträumt zu haben, hieß das doch, dass er auf dem besten Weg war, diesen Verlust zu verarbeiten, aber dennoch wollte er noch nicht aufwachen und sich damit der Realität und dem Leben stellen. Erst als Jeremiah ihn ein zweites Mal und dieses Mal lauter ansprach, drang dessen Anwesenheit so deutlich in sein Bewusstsein, dass er schließlich seinen Traum ganz abschüttelte und aufwachte. "Na, jetzt schon..." Noch war seine Antwort ein verschlafenes Brummen, aber er lächelte, als er Jeremiah mit zerzausten Haaren und im Schlafanzug an seinem Bett stehen sah. Der Junge zitterte vor Kälte und im ersten Augenblick dachte Terry, er habe verschlafen. "Oh, nein.. bitte, bitte nicht ausgerechnet an einem Sonntag.." Sein Worte waren ein leises Seufzen in dem kein Ärger zu hören war. Er streckte einen Arm aus und griff nach seiner Taschenuhr, die auf dem Nachtschränkchen neben dem Bett abgelegt hatte. "Ist ja noch mitten in der Nacht." Seufzend ließ er sich wieder auf den Rücken fallen, bevor er dann schmunzelnd die Bettdecke leicht anhob und andeutete, Jeremy mitsamt der Decke in die Arme nehmen zu wollen. "Na, komm - hüpf rein. Dir ist sicher kalt, hmm?" Eine Antwort erwartete Terry nicht wirklich, denn der Junge bibberte und klapperte hörbar mit den Zähnen vor Kälte. Das war auch kein Wunder, denn über Nacht waren die Temperaturen noch weiter gesunken, so dass es nun auch im Haus bitterkalt war.
Jerry verzog ein wenig das Gesicht, als sein Vater mit einem verschlafenen Brummen darauf hinwies, dass er dank Jerrys Rufen nun wach war. Aber er wirkte nicht ärgerlich, was Jerry gleich wieder aufatmen ließ. Auf die Worte darauf konnte sich Jeremiah allerdings erst einmal keinen Reim machen. Durfte er etwa an einem Sonntag nicht zu seinem Vater ins Bett? Verlegen stellte sich Jeremiah auf ein Bein und kratzte sich mit dem großen Zeh des angehobenen Beines an der Wade und wusste nicht so recht, was er jetzt sagen sollte. "Ist schon gut, dann geh ich wieder...", murmelte er mehr aus Verlegenheit und mit wenig Begeisterung. Denn die Vorstellung über den dunklen Flur noch einmal zu müssen, wo in all den dunklen Ecken doch ein Wolf lauern konnte, war nicht sehr verlockend. Dann hörte er aber die Taschenuhr seines Vaters - es war erst das vertraute leise Klimpern der Kette und dann das Schnappgeräusch des Verschlusses, als sein Pa die Uhr öffnete. Die Worte die darauf im Dunklen folgten ließen Jeremiah erneut durchatmen. Offenbar hatte sein Vater wohl nur angenommen verschlafen zu haben. Die Predigt für heute schien ihn sichtlich ein wenig nervös zu machen. Das verstand Jeremiah ganz gut. Er war an seinem ersten Schultag auch ziemlich aufgeregt gewesen und hatte natürlich prompt das Stottern angefangen, als Miss Spencer ihm tausend Fragen in Anwesenheit seines Vaters gestellt hatte. Und der hatte es natürlich nicht sein lassen können ungeduldig die angefangenen Sätze seines Sohnes zu vollenden. Vor der KLasse war es später dann nicht besser gewesen, denn die Aufregung gepaart mit dem Ärger über seinen Pa hatte ihn so nervös gemacht, dass ihm nicht mal mehr der Name seiner Heimat hatte einfallen wollen. Nein, er hatte aufrichtiges Mitgefühl für seinen Vater. Wie der aber in der Dunkelhleit die Uhr hatte lesen können, war dem Jungen dann doch ein Räsel. Er konnte ja nicht einmal seinen Pa richtig erkennen. Nur ein Schatten, Umrisse, schemenhafte Bewegungen. Seine Augen gewöhnten sich recht langsam an die Dunkelheit hier im Raum, aber als sein Vater die Taschenuhr wieder weglegte, konnte er schon ein bisschen mehr erkennen. ZUmindest sah er seinen Vater, wie sich dieser auf den Rücken fallen ließ, ehe er die Decke einladend anhob und Jeremiah damit ein breites, erleichtertes Grinsen entlockte. Endlich. Sein Pa hatte noch nicht einmal richtig ausgesprochen, war Jeremiah schon im Bett. Und zwar genauso wie Terry ihn dazu aufgefordert hatte - mit einem Hüpfer, dass die Federn unter ihnen protestierten. "Es ist verflixt kalt," stimmte er seinem Pa zu, und kuschelte sich mit dem Rücken an seinen Vater, der himmlisch warm war, genauso wie es unter seiner Zudecke war. Die eiskalt gewordenen Füße, die Jeremiah in seiner Angst vor den Wölfen nicht erst noch in Pantoffel gesteckt hatte, steckte er dabei unter die Beine seines Vaters um dessen ganze Wärme aufzunehmen. Das tat gut. Zwar zitterte er noch ein wenig, weil die Kälte rasch in die Knochen gekrochen war, aber zumindest fühlte er sich schon um einiges sicherer. "Pa... Wölfe... die können doch nicht einfach so... ins Haus kommen oder?". Die Frage kam in die Stille hinein und war vorsichtig gestellt. Jeremiah konnte kaum zugeben, dass er einen bösen Traum gehabt hatte, er war schließlich kein Baby mehr. Ab und an hatte er zu Hause nämlich aufgeschnappt, dass sein Pa seiner Ma gegenüber die Meinung vertreten hatte, dass Jeremiah zu leicht verweichlichen konnte, wenn sie ihn immer noch gewährte in ihr Bett zu kommen, wann immer Jeremiah das Bedürfnis hatte. Der Junge sei jetzt schließlich zehn, alt genug um alleine zu schlafen. Sein Pa hielt ihn demnach für einen großen Jungen, was Jeremiah durchaus gefiel. Dummerweise wurde er aber in viel zu vielen Fällen noch wie ein kleiner Junge behandelt, was ihm weniger gefiel. Aber im Moment genoß er es, dass ein Pa ihn nicht weggeschickt hatte und auch gar nicht groß nachgefragt hatte, wieso er vor seinem Bett leicht bekleidet und zitternd gestanden hatte.
"Huh - bist Du kalt..." Terry fuhr ein bisschen zusammen, als die eiskalten Füße seines Sohnes seine Beine berührte. Die Kälte drang tatsächlich durch den Stoff der Schlafanzughose hindurch. "Na, das ist wohl ein Aufwärmen nicht verkehrt, was?" Schmunzelnd ließ Terry zu, dass Jerry sich an ihn kuscheln konnte und legte ihm dann seinen Arm mitsamt der Decke um. Nun lagen sie beide unter der warmen Decke und Terry schloss noch einmal die Augen. Wie spät genau es war, hatte er nicht sehen können, aber das Ticken seiner Uhr, dass gegen Morgen stets langsamer wurde, bis sie schließlich stehen bleiben würde, war noch gewohnt schnell, so dass er davon ausgehen konnte, dass es eben noch keine zwölf Stunden her war, dass er sie abends aufgezogen hatte. Zufrieden seufzend atmete Terry tief ein, denn er genoss Jeremys Nähe und Wärme. Jerremiah roch nach Schlaf, Wärme, dem frischen Schlafanzug und natürlich eben nach ihm selbst - ein Geruch, der Terry seinen Sohn wohl mit verbundenen Augen unter Hunderten erkennen lassen würde. Sanft und zärtlich fuhr er durch dessen vom Schlaf zerzausten Haare. War er denn wirklich bereits zehn Jahre alt - sein kleiner Jeremy? Es schien Terry, als wäre es erst gestern gewesen, dass er dem Jungen die Hand zum Laufen lernen gereicht hatte und nicht viel länger her schien es zu sein, dass Susan ihm den winzigen Zwerg gezeigt hatte.. Über diese Gedanken hin, wäre Terry fast wieder eingeschlafen, als Jeremy ihn nach den Wölfen fragte - genau genommen danach, ob diese einfach so ins Haus kommen konnten. "Nein- natürlich nicht. Wir haben doch Alle Türen und Fenster geschlossen..." Terry drehte sich ein wenig grinsend auf die Seite. "Außerdem würde ihnen das schlecht bekommen - ist doch meine Winchester geladen." Terry wurde wieder ernst und sah Jerry ernst aber liebevoll an. Nein, der Wolf, der seinen Sohn angriff, musste gut aufpassen - denn da war er dazwischen. Ob er Angst hat? Oder verarbeitet er jetzt die gefährliche Situation mit den Wölfen unterwegs? "Nein - keine Angst, mein Junge. So schnell wird Niemand mal ebenso in unser Haus eindringen - auch kein Wolf."
Jerry hatte tatsächlich leise kichern müssen, als seine kalten Füsse, seinen Pa ein bisschen aus der Müdigkeit rissen und wohl auch erschreckt hatten. Es war allerdings kein schadenfrohes KIchern gewesen, sondern ein erleichtertes, weil er nicht eine Rüge für die fehlenden Hausschuhe oder den dicken Wollsocken erhielt. Er schlief nicht gerne mit Socken. Auch wenn es natürlich klüger gewesen wäre, aber Jeremiah mochte es gerne, wenn die Daunendecke nach kurzer Zeit anfing die kalten Füsse mit wohliger Wärme zu umgeben. Mit Socken kam er sogar im Winter unter einer Decke zum Schwitzen. Und jetzt war es sowieso viel gemütlicher die kleinen bloßen Füsse an Pa zu wärmen und sich an dessen Bett warmen Körper zu kuscheln. Jetzt fehlte nur noch die Erleichterung über diese blöden Wölfe, die ihn im Traum verfolgt hatten. Tief in sich drinnen wusste Jerry allerdings längst die Antwort. Nein, natürlich kamen sie nicht herein. Sie hatten ja keine Arme und Beine wie die Menschen und bestimmt auch keinen so klugen Verstand. Es waren ja doch nur wilde Tiere, die sie aber auf der Reise oft hartnäckig verfolgt hatten. Manche Tiere waren sogar in ihrer Neugier oder in ihrer Futternot aufdringlich geworden. Trotzdem wollte er es von seinem Vater bestätigt wissen und atmete auch sogleich erleichtert durch, als er Vaters Nein hörte. Jetzt hatte er die absolute Gewissheit. Und mit dem Wissen um Pas Gewehr, das geladen griffbereit war, konnte er sich sogar wieder ein wenig entspannen und fast ein bisschen über sich selbst lachen. Wölfe im Haus. Also wirklich. Ben würde ihn dafür bestimmt als bescheuert bezeichnen. Aber der Traum war so lebendig gewesen... Und dann gab es da auch noch die ganzen aufregenden Geschichten, die ihm Ben die ganze Woche über erzählt hatte. Bei denen war er sich nicht so sicher, ob Pas Gewehr reichen würde.... für einen kurzen Moment sagte er nichts, als wäre er mit Vaters Antwort zufrieden, aber das war er nicht. Er suchte nur noch nach den richtigen Worten um seine Angst so geschickt zu verkleiden, dass sein Pa ihn nicht für einen Angsthasen hielt.
"Ben hat mir aber erzählt, dass im Sommer hier ganz oft eingebrochen wurde," fing Jeremiah dann etwas stockend an. "Richtig viel. Und niemand wusste wie. Die Häuser waren alle abgeschlossen gewesen. Aber am Morgen fehlte Geld und Schmuck. Der Sheriff hat dann aber herausgefunden, dass die Diebe einen kleinen mageren Jungen durch den Kamin geschickt hatten. Der hat die Diebe herein gelassen und hinter ihnen wieder verriegelt. Und bei der Weide beim Rathaus lebt ein Mann, der hat angeblich sogar einen richtigen Wolf bei sich. Der darf sogar in den Saloon... das... ist das, das ist doch gefährlich, Pa..." Eine Frage stellte Jeremian nicht wirklich, aber ihm war anzuhören, dass ihn die Vorstellung jemand könne über den Kamin einbrechen ängstigte und er sicherlich nicht erpicht darauf war einem Wolf in der Stadt zu begegnen. "Meinst du der.. dieser Mann bringt den Wolf auch mit zur Kirche?" So etwas hätte es in City of Kansas sicher nicht gegeben, aber hier glaubte Jeremiah langsam, alles wäre möglich...
"Nun, wenn Ben das erzählt hat- wird es wohl so gewesen sein. Keine Angst, so der Sheriff hat heraus finden können, wie die Einbrecher vorgegangen sind, wird er sie sicherlich verhaftet und eingesperrt haben." Terry hatte nur mit halbem Ohr zu gehört. Fast war er bereits wieder eingeschlafen, als Jeremy ihn von diesen Einbrüchen berichtete. Ob Ben das gesehen hatte oder nur davon gehört hatte oder haben wollte, erschloss sich Terry nicht, aber das war auch nicht wichtig. So, wie er Ben kennengelernt hatte, war dieser kein Lügner und auch zur Wahrheit erzogen worden- um nicht zu sagen, man habe ihm eingebläut, die Wahrheit zu sagen oder zu schweigen. Daran war nichts Verkehrtes, aber es bedingte auch, dass Ben genauso wenig übertreiben würde. Ob Jeremiah nun Angst hatte, dass sich derartige Vorfälle wiederholten? Als ob bei uns was zu holen wäre.. Hätte Terry nicht gerade eben für sich beschlossen, Jeremiah mit seinen Bedenken ernst zu nehmen, hätte er wohl lauthals gelacht, denn außer einem einfachen Satz, Geschirr, Schulbuch und Bibel und ihrer Anziehsachen besaßen sie nun wirklich nicht viel, was einen Einbruch lohnen würde und seine Taschenuhr hatte wohl auch nur noch Erinnerungswert. "Ich denke nicht, dass wir Angst vor so Etwas haben müssen. Selbst falls der Sheriff diesen Jungen nicht erwischt hat - ich glaube, so dumm, dass noch einmal so zu machen, ist doch keiner, oder?" Terry zwinkerte seinem Sohn nun ebenso fröhlich wie beruhigend zu und drehte sich so auf die Seite, dass er ihn fest an sich drücken konnte. Die Sache mit den Wölfen schien Jeremy keine Ruhe zu lassen, denn gerade als Terry die Augen erneut zu fallen wollten, erwähnte er einen Mann, der angeblich einen Wolf bei sich wohnen ließe. Auch das hatte offenbar Benjamin McKay erzählt, aber dieses Mal schien auch dieser das nur vom Hörensagen zu wissen. "Na, hör Mal.. ein Wolf im Saloon? Wer weiß, was an der Geschichte dran ist - vielleicht ist es auch ein Hund, der einem Wolf ähnlich sieht.. Mach, Dir keine Sorgen, Jeremy. So lange ich Reverend bin, haben weder Hunde noch Katzen oder gar Pferde Zutritt zum Gottesdienst - und schon gar kein Wolf." Terry war zwar nicht sicher, welcher Teil dieser Geschichte denn nun der Wahrheit entsprach und welcher nicht, sprach aber dennoch mit Nachdruck. Jede derartiger Geschichten, die man sich erzählte, enthielt einen wahren Kern und in diesem Fall hoffte Terry, das lediglich die Annahme ein Mann halte einen Wolf der Wahrheit entsprach, weil dieser einem Hund ähnelte. Falls dieser Hund jedoch ein Wolf war und sich der Teil der Geschichte, nachdem der Wolf in der Stadt herum tobt oder sogar den Saloon unsicher machte, bewahrheitete, würde er wohl keine ruhige Minute mehr haben, so Jeremiah ohne ihn und seine Winchester auf dem Schulweg unterwegs war. Also- nein, Herr. Wirklich jetzt - Das geht ja wohl gar nicht.. Wider dieser Bedenken versuchte Terry nun seinem Jungen die Angst und Unsicherheit zu nehmen, in dem er diesen schmunzelnd ein bisschen fester in den Arm nahm und ihm mit einer Hand beruhigend durch die dunklen Locken fuhr. "Eine beängstigende Vorstellung - so ein Wolf mitten im Ort. Wer wei8, was an diesen Geschichten dran ist - Du weißt doch, dass die Menschen gerne tratschen und viel erzählen.. Ein Wolf im Ort oder gar im Saloon wäre wirklich gefährlich und deshalb, wird das sicherlich nicht geduldet. Das hat Ben bestimmt mißverstanden - da bin ich ganz sicher." Beinahe wären Terry noch weitere Worte heraus gerutscht. Selbst wenn der Saloonbesitzer merkwürdig war und einen Wolf in seinem Schankbetrieb, in dem wahrscheinlich auch kleinere Mahlzeiten serviert wurden, duldete - so wäre das für Jeremiah nur von geringer Bedeutung, denn der würde sich ja wohl nicht im Saloon aufhalten, oder?! Nein, nicht bevor er achtzehn ist, Herr.. achtzehn - quatsch.. dreißig. "Ben hat doch bestimmt auch Gutes zu berichten gehabt, oder?" Terry scheute sich einmal mehr, direkt nach Jeremiahs Erleben in der Schule zu fragen. Der Streich mit den Tintenfässern auf der Heizung war ihm vor Erin noch unangenehm genug - da wollte er eigentlich nicht von weiteren Streichen erfahren. Und doch erfuhr er auf diesem Wege vielleicht doch noch von den Dingen, die ihn bewegten - zum Beispiel davon, ob und wie Erin nun mit ihrem Sohn Eli umging und ob sie bereits wieder ans Heiraten dachte. Als ob ihn das irgendetwas anginge.
Jeremiah bließ ein wenig entrüstet die Luft durch die Nase, als sein Pa doch tatsächlich meinte Ben würde schon nicht gelogen haben. Als wenn Jeremiah etwas anderes angenommen hätte. Der Ben war doch viel zu ängstlich um zu lügen und ein Aufschneider war er auch nicht. Nein, die Geschichte mit dem Jungen, der durch einen Kamin kroch um für die Diebesbande die Türen zu öffnen war so wahr, wir das mit dem Wolf im Saloon. Wieso sollte Ben das wiederum erfinden? Von dem Gedanken wurde Jerry jedoch rasch abgelenkt, als sein Vater bemerkte, dass die Diebe länst eingesperrt sein mussten. Sollte ihn das beruhigen? Ja vielleicht, denn Ben hatte ja noch viel mehr erzählt. Dass der Sheriff den Chef der Bande erschießen hatte müssen, weil der zu dem Jungen sehr böse gewesen sei und wohl auch sonst entkommen wäre. Aber allem weiteren schenkte Jerry ein wenig kindliche Skepsis. Und entsprechend unwohl war ihm bei dem Gedanken, den er auch sogleich aussprach: "Derselbe vielleicht nicht Pa, aber ein anderer könnte doch auf die Idee kommen?" Diese Vorstellung war nun doch ein wenig beängstigend fand Jerry. Da half es auch nichts, dass er sich einzureden versuchte, dass die Dunkelheit, das noch fremde Haus und der böse Traum dazu führten, dass er sich die dümmsten Sachen ausmalte. "Und den Wolf hat sich Ben nicht ausgedacht, bestimmt nicht," nun, konnte er seinem Pa jetzt anvertrauen, dass er die ganze Woche über versucht hatte durch eines der Saloonfenster zu spähen, um den Wolf zu entdecken? Klug wäre das sicherlich nicht.. nein, das behielt er doch lieber für sich. Am Ende bekam er noch ein Verbot darüber ausgesprochen und dann wäre er wohl gezwungen damit aufzuhören. Denn so lange sein Vater nichts davon wusste, konnte Jerry so tun, als wäre es nicht verboten... "Ben übertreibt nicht und lügen tut er auch nicht. Aber ein Pferd in der Kirche," Jerry kicherte leise. "Wollte ich gerne mal sehen." Würde es überhaupt durch die Tür passen und Platz in der Kirche finden? Könnte ein bisschen eng werden... erneut musste Jeremiah kichern und die Angst war rasch verflogen, während er sich enger in Pas Umarmung ziehen ließ. Dessen Worte über Ben stimmten ihn aber gleich wieder nachdenklicher. Ben verstand in der Tat sehr vieles falsch und verdrehte auch manchmal den Sinn oder er kapierte es einfach nicht. Aber dumm war er auch nicht, nicht einmal einfältig. Manchmal hatte er ganz gute Ideen und man hatte viel Spaß mit ihm. Man durfte nur nicht anfangen verrückte Ideen zu spinnen, dann wurde Ben ganz nervös und unruhig. Wegen der Tinte am Donnerstag hätte er sich fast in die Hose gemacht und wollte ihn davon unbedingt abbringen. Wahrscheinlich hätte ihn sein Pa auch bestimmt ganz toll dafür verprügelt, weil er ihm ja helfen wollte auf den rechten Pfad zu bleiben... Ob er Pa darauf endlich ansprechen sollte? Jetzt wo sie sich gerade so gut verstanden und die Welt in Ordnung schien? Aber auch das wollte Jeremiah gerade unpassend erscheinen. Wie würde das wohl aussehen, wenn er seinen Pa fragen würde, ob er ihn überhaupt richtig lieb hat, so wie Mr. McKay Ben, weil er ihn doch fast nie züchtigte und wenn nicht mal wirklich so schlimm wie Ben, der am ersten Schultag von Jerry kaum richtig in der Schulbank hatte sitzen können. Jerry hatte ihn darauf nicht angesprochen, aber er hatte sich gut ausmalen können, was zu Hause bei Ben passiert war. Wenn er ehrlich zu sich selbst war empfand er langsam doch mehr Wut auf Mr. McKay, als das er Ben Glauben über dessen väterliche Liebe schenkte. Aber die Unsicherheit war noch immer da. "Aber ich glaube du hast recht. Ben versteht manchmal wirklich sehr viel falsch. Ich muss ihm manchmal ein paar Dinge zweimal erklären," übertrieb Jerry ein klein wenig und grinste unwissend darüber, hielt er sich doch im Moment gerade tatsächlich Ben gegenüber ein wenig überlegen. "Er wusste nicht mal, dass man ertrinken kann, auch wenn man schwimmen kann, Pa. Das musste ich ihm erst erklären," nachdenklich was Ben ihm sonst noch so erzählt hatte, rieb sich Jerry die kalte Nase und seufzte ein wenig, denn Ben hatte ihm ziemlich viel erzählt. Aber alles davon konnte man seinem Pa nicht erzählen. Der hielt sonst noch Camden Village für viel zu gefährlich und reiste wieder ab, jetzt wo Jerry einen Freund hatte und es heir richtig spannend fand. "Ach Ben hat viel erzählt Pa. Der kann richtig viel reden. Ich glaub der hatte vorher noch nie, gar keinen Freund gehabt. Und jetzt muss alles raus. Ich weiß schon vor wem ich mich in der Schule in Acht nehmen muss und bei wem man besser nicht über den Garten abkürzt, wenn man es eilig hat. Ich kenne schon die ganze Stadt," übertrieb er es ein weiteres Mal und klang dabei stolz. "Ben hat mir alles gezeigt, die ganze Woche über. Aber das Beste ist, dass er der einzige ist, der nichts gesagt hat, dass Miss Spencer jetzt auch noch für dich arbeitet und ich sie ständig sehen muss."
Terry grinste vor sich hin, als Jerry fragte, ob nicht vielleicht doch ein anderer kleine Junge durch den Schornstein bei ihnen einbrechen könnte. Es war sicherlich nicht ganz ausgeschlossen, aber auch nicht sehr wahrscheinlich. Wie viele kleine Jungs gab es wohl in Camden Village, die sich dafür mißbrauchen ließen und riskierten, sich bei so einer Aktion den Hintern zu verbrennen? Abgesehen davon, dass es wohl gelungen war, den Kopf dieser Diebesbande zu verhaften und vermutlich seiner gerechten Strafe zu zu führen. "Weißt Du - wir könnten Gott darum bitten, uns einen Engel auf das Dach zu setzen - der würde dann schon aufpassen, was meinst Du?" Terry meinte das durchaus ernst, denn er hatte schon sehr oft um Schutzengel für sein Haus oder Menschen gebeten, die er in Gefahr wähnte, aber nicht schützen konnte - und jedes Mal waren nicht nur die erwartete Gefahr fern geblieben, sondern es entstand sogar Gutes daraus. Das letzte Erlebnis dieser Art hatte er im Zusammenhang mit einem Hausbrand am Rande von City of Kansas erlebt. Damals brannte das Haus lichterloh, während die Einwohner bis auf einen kranken Angehörigen im Gottesdienst saßen. Als diese benachrichtigt wurden, dass es brannte, hatte er nichts unternehmen können, außer beten und Gott bitten, einen Engel zu senden. Die Geschichte endete damit, dass nicht nur der kranke Familienangehörige gerettet werden konnte, sondern an einen Arzt geriet, der ihm wirkungsvoll helfen konnte. Ein halbes Jahr später saß dieser alte Mann gesund und munter neben seinem Sohn in Terrys Gottesdienst und berichtete davon. Jeremiah konnte sicher von dieser Geschichte und ähnlichen erfahren haben, so dass er sich nicht auf den Arm genommen fühlen würde. "Oh - ja ein Pferd im Gottesdienst - so weit kommt es noch. Obwohl - witzig wäre das schon." Auch Terry musste bei der Vorstellung, wie ein Pferd sich lesend über die Bibel beugte lachen. "Hörte sich bestimmt schräg an, wenn es mitsingt - nur um nicht mit wiehert zu sagen. " Terry ging auf diesen Scherz ein, als er spürte, wie Jeremiah sich deutlich entspannte. Sicherlich hatte der Junge das von Ben durch die Erzählung provozierte Bild eines unheimlichen Kindes, dass durch den Schornstein eindrang, als sehr beängstigend empfunden. Das konnte er schon nachvollziehen. Immerhin war er auch einmal in Jeremys Alter gewesen und erinnerte sich noch gut an die Dinge, die ihm bereits bei der Vorstellung Angst gemacht hatten. Diese Angst würde weichen und Raum geben für das tägliche Erleben und im günstigsten Falle selbst Jeremiah vernünftig und vorsorgend handeln lassen. Ach - was.. so ein Einbrecher wertvolle Schätze sucht- soll er klopfen - ich helfe dann beim Suchen. Innerlich seufzte Terry, denn das, was sich in seinen Gedanken so witzig anhörte, war dem Grunde nach bitterer Ernst. Es war zwar richtig, dass er kein Vermögen sein Eigen nennen konnte und deshalb auch nicht fürchtete, bestohlen zu werden. Mit dem Nötigsten waren sie versorgt, aber darüber hinaus besaßen sie nicht viel - zumindest nicht in Camden Village - und Terry machte sich ab und zu doch Gedanken darüber, ob nicht Jeremy unter Entbehrungen materieller Art zu leiden hatte. Wie war es wohl für den Jungen, nicht ständig nach der neuesten Mode gekleidet zu sein, oder täglich einen guten Braten serviert zu bekommen? Schon in seiner Gemeinde in Kansas of City war es nicht immer leicht gewesen, allen materiellen Bedürfnissen einer Familie zu begegnen und das würde hier in Camden Village wohl noch schwieriger werden. Andererseits waren derlei Bedenken vielleicht nicht nötig, da es in Anbetracht der Nöte im Zusammenhang mit der durch die Witterungsverhältnisse bedingten Versorgungslücken ohnehin für viele Menschen schwer werden würde, den Grundbedarf zu decken. Bei den McKays hatte er sich insgesamt recht wohl gefühlt, hatte aber doch innerlich damit zu kämpfen gehabt, dass dort offenbar mehr als genügend finanzielle Mittel vorhanden waren. Der Haushalt war gut und vergleichsweise reich ausgestattet gewesen und ließ sich mit seinem bescheidenen Hausrat kaum vergleichen, aber waren die Kinder deswegen glücklicher als Jeremy? Daran hatte er seine Zweifel, aber dennoch fürchtete er nun, dass Jeremy sich von den anderen Kindern auf andere Weise Zuneigung und Anerkennung zu holen versuchte. Zum Beispiel in dem er gefühlte Armut durch auffallenden Mut kompensiert..Das wäre nicht gut - gar nicht gut. Terry verbot sich weitere Gedanken in diese Richtung und lauschte den Worten seines Sohnes. Dieser hatte offenbar bereits erkannt, dass Ben ein wenig weltfremd war und sich kaum traute zu leben. Das war sicherlich auf die harte und konsequent auf die körperliche Bestrafung ausgerichtete Erziehung zurückzuführen, die andererseits sicherstellte, dass der Junge funktionierte. Trotzdem war er froh, dass Jeremy offenbar dennoch Vieles mit Ben gemeinsam unternommen hatte, denn so würden beide voneinander lernen und profiieren können. Für Ben wurde es wohl höchste Zeit, endlich einen Freund zu finden, der ihm vorlebte, wie Jungs normalerweise tickten und Jeremy würde sich von diesem hoffentlich von dem gröbsten Unsinn und diverser Gefahren ablenken lassen. Uih.. dachte ich gerade, sich ablenken lassen? Dieser Gedanke war wohl ein Irrtum, denn Jeremy bestand gerade auf dem Wahrheitsgehalt mit dem Wolf. "Jeremy - vielleicht gibt es diesen Wolf tatsächlich - und auch den Mann mit dem Wolf und vielleicht nimmt der diesen sogar mit in den Saloon. Da hast Recht: Es ist gefährlich, nicht gefährlicher als ein Betrunkener, der eine Schusswaffe in der Hand hat oder ein Mann, der sich beim Spielen betrogen fühlt oder gar wird und genau deshalb, mein Junge, ist es Kindern verboten, sich im Saloon oder in dessen Eingangsbereich aufzuhalten. " Die letzten Worte waren mit mäßigem Nachdruck gesprochen, denn Terry nahm nicht an, dass Jeremy auf die Idee kam, sich dort umzusehen. Noch war vermutlich die Scheu vor dem Fremden größer, als die Neugier - zumindest hoffte Terry das. Ben durfte sich sicherlich nicht im Saloon aufhalten und auch Matthew MacKay schien sich dem Saloon fern zu halten, so dass Terry keine Bedenken hatte, so Jeremy mit Ben oder gegebenenfalls auch in Begleitung dessen älteren Bruders in Camden Village und Umgebung unterwegs war - jedenfalls nicht, so lange darunter weder die Hausaufgaben für die Schule noch die Hilfe bei der Versorgung Kendos zu leiden hatten. Da er inzwischen in Erin Spender eine Hauswirtschafterin gefunden hatte, musste Jeremy nicht mehr als üblich im Haushalt helfen und so hatte der Junge mehr Zeit für Hausaufgaben und leider auch für allerlei Unsinn, den man in Camden Village anstellen könnte. Davon würden ihn die McKay-Jungs hoffentlich abhalten können und wehe er würde, von diesen Gegenteiliges erfahren! Ein feines Lächeln glitt über sein Gesicht, als er Jeremy so bewusst in seinem Arm fühlte und seinen Atemzügen und Worten lauschte. Er hatte so viel Ähnlichkeit mit Susan und doch sah er auch einen großen Anteil Terry Stevenson in dem Jungen. Jeremiah war ohne Zweifel das Beste, was ihm widerfahren war - gleich nach seiner Bekehrung und Berufung zum Reverend - ach und ja nach seiner Ehe mit Susan. Dem Grunde nach war der Junge freundlich, fröhlich und alles Andere als dumm oder schüchtern - nur die Sache mit dem Lesen und Schreiben- die musste sich noch bessern. Darüber würde er wohl mit Erin in ihrer Funktion der Lehrerin noch einmal in Ruhe sprechen - vielleicht hatte sie ja eine Idee dazu oder gar eine andere Methode, mit deren Hilfe Jeremy das Stottern würde überwinden können - dann damit hingen sicherlich auch die Schwierigkeiten des Jungen mit dem Lesen und der Rechschreibung zusammen. Inzwischen war Terry hellwach, so dass er überlege, aufzustehen. Sicherlich war es noch früh, aber er hätte dann Zeit gewonnen, die es ihm ermöglichen würde, sich erstens den Bart noch zu stutzen und zweitens - viel wichtiger noch - sich Zeit für ein kurzes Morgengebet zu nehmen. Das war für ihn der Garant für einen guten Start in den Tag und den hatte er sich in den ersten Tagen in Camden Village kaum sichern können, weil morgens viel zu viel in viel zu wenig Zeit zu erledigen gewesen war. Noch sprach Jeremy über Ben, der ihm offenbar wichtig war und ihm auch Etwas zum Nachdenken gegeben hatte, denn er dachte laut nach. Das war bei Jeremy immer ein Zeichen dafür, dass es für ihn wichtig war. Terry blieb also den Moment noch liegen und hörte diesem bis zum Ende zu. "Da bin ich sicher." Terry nickte zustimmend, denn Ben würde wohl niemals über Andere reden oder irgendwelche abfälligen Bemerkungen machen und schon gar nicht über die Verhältnisse im Leben eines Freundes. Dazu war der Junge zu gut erzogen und das war sicherlich im Hause McKay nicht gerne gesehen - allerdings hatte die Kinder dort auch so nichts zu sagen. "So? Reden denn die anderen Kinder so viel darüber?" Terry richtete sich ein wenig auf, denn diese Bemerkung Jeremys ließ ihn aufhorchen. Er konnte Tratsch und Klatsch nicht leiden und wusste aus Erfahrung sehr genau, wie dünn die Grenzen zu Verleumdung und übler Nachrede sein konnten - und auch wie leicht gerade ein Reverend zum Opfer solcher Verleumdungen werden konnte. Im Grunde nach war er wirklich froh, dass Erin ihm den Haushalt führte, zumindest zu einem recht großen Teil. So konnte sie ihm den Rücken freihalten, um seiner eigenen Berufung wieder nachgehen zu können. Er war ja nicht zum Hausmann berufen, sondern dazu, den Menschen das Evangelium zu verkünden, sie zu taufen und sie zu lehren, was Jesus seine Jünger lehrte - einschließlich der den Glaubenden folgenden Zeichen und Wundern.. Dabei hatte er kaum einen Gedanken daran verschwendet, was die Leute in Camden Village wohl denken oder gar reden würde, so bekannt würde, dass er die Lehrerin seines Sohnes in seinen Haushalt genommen hatte - und dann gar eine junge Frau, die sich von ihrem Mann getrennt hatte, ihren Sohn verlassen haben sollte und es waren ihm vereinzelt Gerüchte zu Ohren gekommen, Erin hätte bereits eine weitere Beziehung abgebrochen. Oh.je- na, das ist der Skandal fast schon der Standard.. Dabei ist Erin eine wunderbare Frau. Allein ihr Lächeln lässt die Sonne aufgehen - ach, was rede ich da.. Terrys Herz schlug gefühlt schon bei der Vorstellung Erins schneller und Terry ahnte, dass er mehr für sie empfand, als ein Mann für seine Hauswirtschafterin fühlen durfte. Da waren Gefühle von unbedingter Annahme und in Erins Nähe fühlte er sich einerseits stark, aber auch sicher in seinen Schwächen und vor Allem aber ergänzt. Dieses Gefühl komplettiert zu werden, sobald Erin in seine Nähe kam, ohne dass er sich ohne sie unvollständig fühlte, war für Terry fast beängstigend, obwohl er es durchaus genoss. Insgesamt waren das Gefühle, die ergänzt wurden von körperlicher Anziehungskraft, denn Erin war für ihn mehr als nur attraktiv. Trotzdem würde Terry diese Gefühle in der Öffentlichkeit zumindest abstreiten, verneinen und sich schlicht verbieten. Er war erst seit kurzem verwitwet und er war ihr Seelsorger gewesen - nein, da brauchte er sich weder Hoffnungen machen, noch von Liebe sprechen. Andererseits war hier wohl abwarten das Nächstliegende, denn Gott hatte seine eigenen Pläne mit ihm, in die Erin möglicherweise passen könnte. Ah - das wäre wirklich zu schön, aber.. nein, Herr.. ich sehe es ja ein.. oder doch?
Ein Seufzen erfolgte auf Terrys Frage nach einem Gebet um einen Schutzengel. Dabei hatte Jerry nicht seufzen wollen. Zumindest nicht laut. Schließlich waren die Worte von seinem Vater ernst gemeint. Dass wusste Jerry ganz genau, trotz all seiner Skepsis und bestimmt würde Pa auch ärgerlich werden, wenn er spürte, dass Jerry im Stillen darüber lächelte. Aber wie konnte er ernsthaft daran glauben Gott könnte ihnen wegen solch einer Banalität ein Schutzengel auf das Dach setzen, wo alles Beten um Mas Gesundheit vergebens gewesen war? Da war auch kein Schutzengel gekommen und hatte Ma das Leben zurückgegeben, obwohl Jerry jeden Abend um einen in seinen Gebeten gebettelt hatte. Bei dieser Erinnerung wuchs Jerrys ganze, neu erwachte Ablehnung Gott gegenüber und ließ ihn wütend werden. Oft konnte er sich diese Ablehnung gar nicht erklären und schämte sich sogar ihrer. War er doch der Sohn vom Reverend, eines Mannes Gottes. Da durfte man doch nicht an Gott zweifeln und wenn, dann eben nicht auf diese Art, die Jerry auslebte. Hass awr nie gesund und trad ja gerne den Falschen. Aber all das Wissen half Jerry nicht davon abzukommen und die Zweifel hielten auch nie lange an. Die Scham war schnell vorbei und bei der nächsten Gelegenheit dachte er wieder abfällig über den Allmächtigen. Da halfen jetzt auch nicht mehr die scherzhaften Worte über das Pferd im Gottesdienst, über das sein Vater bereits wieder sprach und mit etwas Witz versuchte Jerry die Angst zu vertreiben. Sein Pa lachte sogar und zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Jerry bestimmt mitgekichert. Jetzt ließ er sich auf die Heiterkeit nicht ein und dachte mit Wut im Bauch, dass sein Pa schön blöd war, wenn er diesem Gott da oben noch immer vertraute. "Ja, das wäre witzig," murmelte Jerry abgelenkt und verzog gleich noch einmal das Gesicht, als sein Pa wegen dem Wolf seher eindringlich betonte, dass Kindern der Saloon verboten war. Er hatte es laut und deutlich vernommen und konnte sich jetzt nicht mehr herausreden, sollte er jemals dort erwischt werden. Das war ärgerlich. Konnte Pa etwa Gedanken lesen? So abwegig war das nicht einmal, denn Jerry hatte schon oft das Gefühl gehabt, sein Pa würde ihn viel zu gut kennen, oder seine Gedanken lesen können. Wie kam es sonst, dass so manchem Unfug schon im Vornherein ein Riegel vorgeschoben worden war? Das sein Pa wegen Miss Spencer nachharkte hatte Jeremiah nicht erwartet und entsprechend räkelte er sich mit einem unbehaglichen GEfühl im Bauch neben seinem Vater unruhig hin und her und druckste mit einer Antwort herum. Es war schwierig mit seinem Pa darüber zu reden, denn Jerry hatte das Gefühl, dsas sein Pa Miss Spencer ganz gut leiden konnte und wohl heilfroh war, dass sie ihm nachmittags im Haus zur Hand ging. Für Jerry sah das alles nicht ganz so leicht aus und war auch alles andere als hilfreich. Nein es half ihm wirklich nicht gerade neben Ben neue Freunde zu finden oder sich von Ärger fernzuhalten. "Na ja, sie reden halt dummes Zeugs," wich er ein bisschen der Tatsache aus, dass ihm bereits einer der älteren Jungen als Lehrers Liebling beschimpft hatte und sein Freund daraufhin Jerry fest, aber nicht allzu fest, gegen das Toilettenhäuschen geschubst hatte. Ben hatte ihn gerade noch auffangen können, sonst wäre er mit all seinen guten Schulsachen in den Schnee gefallen und hätte die ersten beiden Stunden frierend in der Bank sitzen müssen. Dabei gab es doch gar keinen Grund ihn deswegen zu ärgern. Miss Spencer sah über ihn hinweg wie über all ihre Schüler und ermahnte ihn genaus, wenn nicht sogar öfter als den Rest. Aber sicher nur, weil er eben so unruhig in seiner Bank herumzappelte, vor lauter Angst aufgerufen zu werden, und dann zu allem Übel auch noch zu stottern. "Und ziehen mich damit auf," fügte er noch hinzu und sah dann über die Schulter zu seinem Pa auf. Inzwischen hatten sich seine Auge an die Dunkelheit gewöhnt und er konnte die groben Züge des Vaters erkennen. "Pa, wegen dem Schutzengel," jetzt musste das doch heraus, fand Jeremiah, der darüber ganz abwesend auf die restliche Unterhaltung konzentriert gewesen war. "Du meinst damit, etwa so, wie bei Ma, ja," diese Worte kamen Eli zornig und ein wenig provokant über die Lippen, wenn auch nicht laut oder aggressiv. "Dann sind wir aber verloren. Ich glaube dann verlasse ich mich lieber auf deine Winchester, Pa," fügte er ein wenig undeutlich genuschelt hinzu und lag dann ganz still, weil er sich nicht sicher war, wie sein Pa darauf reagieren würde.
"Zu gemütlich, um aufzustehen, hmm?" Terry hatte wohl den Seufzer seines Sohnes gehört, der aus tiefstem Herzen gekommen zu sein schien. Er selber fühlte sich im Augenblick angenehm warm und verspürte nicht die geringste Lust, aufzustehen und durch das kalte Haus zu gehen, um Feuer zu machen. Allerdings halt das Alles nichts, denn schon bald, würde er doch aufstehen müssen und ein Feuer zumindest im Ofen der Küche entzünden. Dafür würde Jeremy ihn wohl auch aufstehen lassen müssen, so er warmen Kakao haben wollte oder Rühreier zum Frühstück. "Ach, so.. weißt Du, die Leute reden nun einmal gerne - und oft auch einfach nur ohne nachzudenken. Lass Dich nicht provozieren - irgendwann wird es ihnen schlicht zu langweilig. Ich denke nicht, dass sie in unserem Leben genug Spannendes oder gar Verbotenes fänden." Terry versuchte zu beschwichtigen, obwohl er doch ahnte, dass Jeremiah es auch hier nicht leicht haben würde. Sein Stottern schien sich zwar tatsächlich ein wenig gelegt zu haben, aber in der Schule, wo er neu war und entsprechend beurteilt und angestarrt wurde, war eher mit einer Verschlimmerung zu rechnen. Er in seiner Funktion als Vater konnte wohl nur dem Jungen den Rücken stärken, in dem er ihm Selbstbewusstsein vermittelte. Vielleicht wäre ein Gespräch mit Erin hilfreich.. Bevor Terry sich's versah, waren seine Gedanken wieder bei Erin und ihrem Lächeln angekommen. Irgendwie konnte er denken, woran er wollte - immer wieder drängte sich ihm Erins Antlitz in seine Gedanken - und vor Allem in seine Gefühlswelt und noch wusste er nicht zu sagen, ob das nun gut oder schlecht war. Gerade wagte er es sich zu fragen, ob Erin wohl ähnlich empfand, als Jerry ihn noch einmal auf den von ihm erwähnten Schutzengel ansprach. "Ja? Sprich nur - ich höre Dir zu." Terry reckte sich nach seiner Uhr, denn inzwischen war es nicht mehr nur dunkel, sondern eher grau. Wahrscheinlich wurde es nun doch allmählich Zeit aufzustehen. "Was? Nein .. natürlich nicht." Terry war leicht geschockt, über die Frage Jeremys. Natürlich hatte er bei dem Schutzengel nicht an den Tod Susans gedacht und schon gar nicht daran, dass ein Engel diese wieder ins Leben zurück holen könnte. Nein, das war schon nicht der Weg Gottes mit Eric gewesen.Er war inzwischen hell genug, um trotzige Züge in Jeremys Gesicht zu sehen. "Weißt Du - für Deine Ma .. da gab es keinen Engel, der sie wieder lebendig hätte machen können. Jesus ist der, der die Toten auferwecken kann." Terry seufzte, denn auch für ihn war es nicht leicht gewesen, zu akzeptieren, dass seine Gebete erhört wurden und Eric gesund geworden war - und Susan trotz aller Gebete verstorben war. Einen Grund dafür hatte er bis heute nicht und natürlich kannte er Zweifel an Gottes Liebe und Gnade. "Weißt Du... ich habe ganz oft für Ma gebeten und gehofft, dass Jesus sie von den Toten auferwecken wird.." Es fiel Terry schwer, seinem eigenen Kind gegenüber zuzugeben, dass er auch nicht wusste, warum seine Frau hatte gehen müssen. Manchmal sagte Gott eben auch "Nein." zu einem Gebet- auch wenn dieses scheinbar noch so berechtigt war. "Manchmal scheint es keinen Grund dafür zu geben, dass Gott uns nicht so antwortet, wie wir das gerne hätten. Oft hat er andere Pläne.." Terry seufzte, während er sich langsam erhob. Die Zeit blieb leider nicht stehen und er musste nun wirklich aufstehen, um das Frühstück noch in Ruhe auf die Reihe zu bringen. Kurz glitt ein Lächeln über sein Gesicht, denn der Hinweis Jeremys, dieser vertraue lieber auf sein Gewehr, ließ ihn zunächst annehmen, der Junge vertraute seinen Fähigkeiten im Schießen. Jeremiahs Worte klangen jedoch eine Spur provokant, so dass Terry doch den Zweifel an der Wirksamkeit eines Schutzengels auf dem Dach heraus hörte. "OH, Herr, oh Herr.. Er hat doch Recht - so Dein Engel nicht besser aufpasst, als der, der in Jeremys Augen versagte.. doch, das kann ich schon verstehen.. "Na - ich weiß nicht.. " Terry wusste wirklich nicht, was er darauf nun noch antworten konnte. Das war schon für Erwachsene alles Andere als leicht und einem Kind gar diese Zusammenhänge zu erklären, war noch schwieriger. Andererseits war es genau dieser naive Kinderglaube, der weder Erklärungen suchte noch brauchte, der den Arm Gottes immer wieder bewegte. "Gott hat versprochen, uns seine Engel zur Seite zu stellen - und das ist auch gut so, denn die Sache mit der Winchester funktionierte wohl nur, so ich im Hause bin." Auch das war Terry ernst, so dass er nicht mit einer Widerrede oder gar Gelächter Jeremys rechnete. "Weißt Du was ich denke? Ich glaube, Gott hat Deine Ma ganz besonders geliebt - und hat sie deswegen schon früh zu sich genommen. " Tröstend strich er Jeremy über die dunklen vom Schlaf etwas wirren Haare, bevor er sich einen Ruck gab und die warme Bettdecke zur Seite legte. "Na, komm - wir wollen mal lieber nicht den Gottesdienst verschlafen, oder?" Terry empfand keinen Ärger über Jeremiahs Zweifel, sondern unterdrückte gar ein Schmunzeln bei der Vorstellung, zu spät und schlaftrunken in der Kirche aufzulaufen. Die schockierten Gesichter der ehrbaren Christen Camdens würde er sein Lebtag nicht mehr vergessen - da war er sicher! Jerry war schon nicht mehr auf den Scherz mit dem Pferd in der Kirche eingegangen und auch jetzt schien er das nicht lustig zu finden. "Du bist ganz schön wütend - wegen Ma, oder? Ich war es auch lange."
Jeremiah spürte sein schlechtes Gewissen, als ihm bewusst wurde, dass sein Pa seinen lauten Seufzer missdeutet hatte und ihn auf die Gemütlichkeit im Bett zurückschloss. So einfach war es nicht, aber er wünschte sich es wäre dem so. Doch jetzt hatte er ausgesprochen was ihn bewegte und konnte es kaum noch zurücknehmen. Nur am Rande nahm er wahr, dass sein Pa versuchte ihn in Bezug auf die Kinder an der Schule ein wenig zu beschwichtigen. Er kannte schließlich Jerry gut genug, um womöglich entsprechende Bedenken zu haben, dass war dem Jungen trotz seines Ärgers über Gott bewusst. Sicher würde es nicht lange dauern, bis Jerry sich provozieren ließ. Und dann würde er kräftigt austeilen. Er hatte sich in den letzten Jahren in der Schule von niemanden dumm kommen gelassen. Und das würde hier nicht anders sein. Respekt musste man sich unter den Schülern schon hart erkämpfen, das wusste Jerry nur zu gut. Und ein Junge, der zwar nicht auf den Kopf gefallen war, aber leider unter Druck stotterte und immer schwerer verbergen konnte, dass er Probleme mit dem Lesen hatte, hatte es nun einmal schwer. So einer wurde ausgelacht, abgegrenzt und ausgeschlossen. Hier neue Freunde zu finden würde um einiges schwerer werden als es ihm zu Hause gefallen war. Hier kannte ihn niemand, hier hatte er noch niemand beeindruckt und hier würde er sich erst noch einen Platz erkämpfen müssen. Da half es ihm nicht gerade, dass die Lehrerin im eigenen Haus die meiste Zeit des Tages verbrachte und über ihn mitwachte. Doch das war ein Problem von dem Jerry schon jetzt wusste, dass er damit irgendwie alleine klar kommen musste. Sein Pa konnte ihm kaum in der Schule schützend zur Seite stehen und zu Hause hielt er ja die neue Situation offenbar für eine sehr gute Lösung für alle Beteiligten.
Dass Pa dann doch ein wenig wie erwartet auf seine Äußerung reagierte, ließ Jerry weiterhin ganz ruhig liegen. Er atmete sogar ein wenig flacher ein, weil er noch mit einem Sturm der wahren Entrüstung über die abtrünnigen Worte des Sohnes rechnete. Doch außer der ersten schockierten Reaktion blieb alles weitere aus, was Jerry befürchtet hatte und er atmete wieder etwas ruhiger durch, nun mit einem noch viel größeren schlechteren Gewissen, weil er glaubte bei seinem Vater eine leichte Spur der Hilflosigkeit herauszuhören. Aber auch der Traurigkeit, die sie beide immer wieder befiel, wenn sie über Ma redeten. Das hatte Jerry nicht provozieren wollen. Allerdings empfand es Jerry nicht für sehr tröstlich, dass auch sein Pa nicht wirklich zu wissen schien, wieso Gott Ma einfach hatte sterben lassen und andere Menschen dafür weiterleben durften. Mister Malone hatte ja auch wieder genesen dürfen und bereicherte nun Sarahs Leben. Das war doch alles andere als gerecht? Und wenn nicht einmal ein Reverend, wie sein Pa, der doch ständig mit Gott sprach, eine Antwort wusste, wie sollte dann er, Jerry, sich mit all dem abfinden? Das machte Jerry gleich wieder wütend und ließ ihn das schlechte Gewissen vergessen. "Ich finde diese anderen Pläne aber ziemlich doof," sagte er ein bisschen aufgebracht und stand nicht auf, obwohl sein Vater sich bereits erhoben hatte. Die Vorstellung in die Kälte zu müssen gefiel Jerry gerade gar nicht. Und der Kirchgang an sich war für ihn nur halb so aufregend wie für seinen Vater. Er wollte nicht in seinem guten Anzug in ein paar Stunden der ganzen Gemeinde vorgeführt werden. Er konnte sich jetzt schon all die älteren Damen vorstellen, die ihn in die Backe kniffen und sich ganz entzückt von ihm zeigen würden, während sein Pa jedem aus dem Ort mehr Aufmerksamkeit schenken musste als ihm. Warum er das musste, verstand Jeremiah natürlich. Es war die Arbeit seines Vaters und die brachte ihnen das Essen auf den Tisch. Das war nicht anders als Bens Vater jeden Morgen in den Laden ging und für die Stadt seine Türen aufschloss. Aber da war Ben in der Schule gut aufgehoben oder am Nachmittag zu Hause bei seiner Mutter oder bei seinen Pflichten. Er musste den Sonntagmorgen so gut wie alleine bestreiten, kaum dass sein Pa die Kirche betreten hatte. Früher war das nicht schlimm gewesen, da war seine Ma an seiner Seite gestanden und nach ihrem Tod die Großeltern. Wo blieb er heute? Wo würde er sich nur hinsetzen? Und dann all die Blicke und das neugierige Starren... Einmal ganz davon abgesehen, dass er den Gottesdienst seit einigen Wochen eher als lästige Pflicht betrachtete, als noch mit derselben Freude und Neugier wie vor Mas Tod. Er hatte gerne den Geschichten gelauscht, aus denen die Predigten seines Vaters entstanden waren oder die seines Großvaters. Und er mochte die Kirchenlieder gerne, auch wenn er nicht so besonders gut singen konnte. Aber das war einmal gewesen. Jetzt war er von Gott enttäuscht und in seiner kindlichen Naivität war er darum bemüht Gott dafür zu bestrafen, denn ihm alleine gab Jeremiah die Schuld. Er betete nur mit Vater, alleine tat er es nicht mehr. Dafür konnte er ja kaum in die Hölle kommen. Oder doch? Da war sich Jeremiah noch nicht so ganz sicher, wieso er auch lieber die Tischgebete artig verfolgte, vor dem Schlafengehen mit Pa betete und in der Kirche in den stillen Gebeten ein paar Worte an Gott fand. Zur Vorsichtig. Vorbeugend so zusagend. So wie die Waffe. Die mochte wirklich nur helfen, wenn Pa im Haus war, aber zur Not würde Jerry selbst damit schießen müssen. Das taten die Kinder hier doch alle. Nun, ja zumindest nach Jerrys Vorstellung konnte im Westen des Landes jedes Kind schon schießen. Er würde das bestimmt auch noch lernen und keinen Schutzengel brauchen, der dann doch eh nicht helfen konnte, weil Gott lieber einen anderen Weg gehen wollte. Nein der Logik konnte er gerade nicht folgen, oder wollte es schlicht nicht. Allerdings fand es Jeremiah tröstlich, dass sein Pa zugab, dass es in Ordnung war wütend zu sein, denn er war es offensichtlich auch gewesen. Das half ihm dann doch, noch ein paar mutige Worte auszusprechen, die ihn beschäftigten, er sie aber bisher für sich behalten hatte. Die Angst vor einer Rüge war bis lang größer gewesen, als die Hoffnung sein Pa könnte ihn verstehen.
"Dann brauch ich auch nicht mehr zu beten, wenn Gott dann doch sowieso gerade macht was er will." , beendet er nun trotzig seine eigenen Überlegungen laut. "Oder vielleicht.... vielleicht ist Gott gar nicht so allmächtig, wie du immer sagst. Denn dann hätte er doch gewusst, dass ich Ma ganz bestimmt viel, viel, viel lieber habe und ich brauch sie auch viel mehr als er sie. Und fändest du das nicht gemein, wenn es so wäre, dass hieß ja er hat dich und mich nicht genauso lieb. Dann brauch ich ja auch nicht in die Kirche mitzukommen und kann noch liegen bleiben," wirkte er der Aufforderung aufzustehen entgegen. "Wenn er uns nicht so sehr mag."
Terry im Schlafzimmer, Jeremiah noch in seinem Bett.
"So, findest Du?" Terrys Worte waren ein bisschen schärfer, als seine bisherigen, denn für sein Dafürhalten war er schon nicht in der Position Gottes Pläne zu beurteilen - und Jeremiah schon mal gleich gar nicht. "Du - es ist nicht an uns, Gottes Wege zu beurteilen - nur ihnen zu folgen - und nun aufgestanden. Wir haben schließlich auch einen Plan für heute." Mit diesen Worten wandte Terry sich zunächst von Jeremiah ab und trat an die Waschschüssel heran. Das Wasser war beinahe zugefroren, so dass er zunächst eine hauchdünne Schicht Eis zerstörte. "Brrr.. ist das Kalt." Terry schüttelte sich, als das eiskalte Wasser, mit dem er sich nun wusch, auch die letzte Bettschwere und Morgenmüdigkeit vertrieb. Okay - also dieser Plan ist definitv doof. Wann erfindet da bloss mal Jemand was? Mit einem kleinen Handtuch trocknete er sich Gesicht und Nacken ab, bevor er begann, sich seines Schlafanzuges zu entledigen. Noch einmal schüttelte er sich, als er sich unter den Achseln wusch. "Ich denke übrigens nicht, dass Du die Pläne Gottes bereits gut genug kennst, um sie beurteilen zu können." Selbstverständlich wollte Terry sich nicht am frühen Morgen bereits mit seinem Sohn über die Pläne Gottes und die damit verbundende Wichtigkeit der Bibel herkriegen. Dafür gab es immerhin die Sonntagsschule. Dennoch war es ihm wichtig gewesen, dies noch anzumerken, denn ein Recht auf eine Begründung für seine Aussage, die Pläne Gottes seien von Jeremy, oder ihm, nicht zu beurteilen, hatte der Junge dann wohl doch. "Na, sag mal, mein Junge? Du wolltest wohl unsere Pläne durchkreuzen. Nun, aber wirklich raus aus dem Bett!" Mit Nachdruck forderte Terry seinen Sohn nun auf, aufzustehen. Fast konnte er nicht glauben, dass der Junge immer noch im Bett lag. In der Erwartung, dass sich Jeremy dieser Aufforderung nachkommen würde, verzichtete er darauf, seinen Worten durch ein kontrollierendes Beobachten Nachdruck zu verleihen und ging zu einem Stuhl hinüber. Über diesem hing bereits sein guter Anzug, bestehend aus warmer Tuchhose, dunklem Hemd mit Krawatte und Anzugjacke darüber. Auf einen Pullover verzichtete er trotz der winterlichen Temperaturen, denn bei dem Lampenfieber, dass ihn spätestens kurz vor der Predigt befallen würde, würde er wohl kaum frieren. "Das kann schon stimmen, Jeremy. Du musst nicht beten, aber dann wird Gott auch nicht erhören." Grundsatzdiskussion, die Zweite.. Was ist daran nur so schwer zu verstehen? "Also ich bin froh, dass ich beten darf und Gott alle Macht hat - und doch nicht in allen Fällen so handelt, wie er eigentlich wollte. Dafür starb Jesus - damit Gott uns nicht bestrafen muss, wie es eigentlich seiner Gerechtigkeit und seinem Willen entspräche.." Die Anzugjacke anziehend wandte sich Terry wieder zu Jeremy um. "Du liegst ja immer noch in meinem Bett! Welche meiner Aufforderung, aufzustehen, hast Du nicht verstanden? Hopp, nun aber wirklich." Terry spürte, wie Ärger in ihm aufsteigen wollte, denn wenn Jeremiah nicht endlich in die Puschen kam, würde es eng werden - und unter Umständen würde sein eigener Sohn ihn vor seiner neuen Gemeinde bereits am ersten Tag seines Dienstes blamieren. Das wollte er nicht unbedingt erleben! Sein Gesichtsausdruck schien wie bewölkt, denn langsam aber sicher drohte seinem Sohn ernsthaft ein deutlicherer Tadel - um nicht Ärger zu sagen. "Bitte?! Was haben wir denn jetzt? So ein Quatsch.." Terry seufzte und steckte sein Oberhemd in die Hose, bevor er deren Schlitz zu knöpfte. Sicherlich wollte er nicht verächtlich klingen oder gar Jeremy verletzen, aber dessen Aussage, er liebe seine Ma mehr als Gott diese oder gar sie beide lieben konnte, konnte er jetzt nur als Quatsch abtun. Anderenfalls würde es doch noch auf eine Grundsatzdiskussion hinauslaufen, die er gerade eben nicht führen wollte - nicht hier und nicht jetzt. Kopfschüttelnd zog er sich die Weste an, schloss auch hier die Knöpfe. Die Krawatte würde er erst nach dem Zähneputzen umbinden wollen, so dass er diese zunächst hängen ließ. Eigentlich hatte er angenommen, nun eine weitere Diskussion vermieden zu haben, aber nein - gerade verweigerte sich Jeremiah vollends. Das war eine der wenigen Augenblicke in denen Terry die Worte wegblieben, er keine hatte. Wie leergefegt war sein Gedächtnis und kein noch so gut passendes Bibelwort lag ihm auf der Zunge. Mit der Annahme, Gott habe ihn und Jeremy nicht genauso lieb, wie Susan oder den Rest der Welt, zog ihm gewissermaßen den Boden unter den Füßen weg, denn die Liebe Gottes zu allen Menschen, Freund wie Feind, war der Boden auf dem nicht nur die Bibel stand, sondern der alleinige Grund, warum Gott seinen eigenen Sohn nicht verschont hatte. Allmächtiger! Das hat er doch hoffentlich nicht so gemeint, wie es sich angehört hat. "Ich werde Dir helfen, liegen bleiben. So Du nicht in den Gottesdienst, hast Du ja genug Zeit die Bibel zu lesen und zu lernen - vor Allem die Stellen, über die unendliche Liebe Jesu, unseres Herrn und Erlösers, nicht? Und nun raus mit Dir - bevor ich die Geduld verliere, mein Sohn!" Terry war nun deutlich verärgert und daran ließ sein Ton auch keinerlei Zweifel zu. Ein auffordernder und zorniger Blick traf den Jungen, bevor Terry sich abwandte und nach seinem scharfen Rasiermesser und Schere griff. Über die letzten Tage war er darüber hin gekommen, sich den Bart zu stutzen und unter dem Kinn und am Hals war eine Rasur bereits überfällig. Er ging davon aus, dass Jeremiah nun aufstehen würde, um doch noch mit in den Gottesdienst zu gehen, denn für diesen war das Lesen und Auswendiglernen wohl das größere Übel und das war auch ganz gut so, denn im Gegensatz zu Gottes unendlicher Geduld, war seine begrenzt.
Terry im Schlafzimmer, Jeremiah noch in seinem Bett.
Jeremiah wusste sehr genau was er tat. Und das Dumme daran war, er wusste auch ganz genau was ihm blühte, wenn er so weitermachte. Noch dämlicher war es, dass er ganz genau wusste, dass sein Rebellieren und sein Trotz völlig ohne Wirkung bleiben würde. In die Kirche würde er so oder so müssen, da führte kein Weg daran vorbei und sein Vater würde nur ärgerlicher werden, wenn er gänzlich den Aufstand probte. Das getraute sich Jeremiah nun doch nicht, schon gar nicht hatte er den Plan für Ungehorsam an einem Sonntagmorgen die Rute zu spüren. Danach war doch an ein langes Sitzen in der Kirchenbank nicht einmal mehr zu denken. Und dennoch konnte Jeremiah nicht damit aufhören. Und dabei war sein Pa schon sehr ärgerlich. Wenn er Pech hatte war bereits der berühmte Geduldsfaden gerissen. Denn so oft wie er ihn nun schon ohne wirklich ernsthaften Nachdruck aufgefordert hatte das Bett endlich zu verlassen, grenzte bereits an ein Wunder. Jeremiah täte nach eigenem Wissen gut daran zu gehorchen und doch blieb der Junge im Bett und sah missgelaunt dabei zu, wie sein Vater sich für den Sonntag zurecht machte. Das gründliche Waschen, das routinierte Anziehen des Anzuges und dann der Griff zum Rasierwerkzeug, machte Jerry nur zu bewusst, dass ihm dieselben leidigen Handgriffe noch bevorstanden. Zum Glück konnte er seit einiger Zeit selbst dafür sorgen, dass er einigermassen sonntagstauglich in der Kirche erschien. Denn seine Ma, die ihn jeden Samstagabend gründlich auf den Kopf gestellt hatte, gab es nicht mehr. Seltsam, er hatte vor kurzen nicht einmal daran gedacht, dass ihm die unliebsame Prozedur vor dem Sonntag eines Tages fehlen könnte. So froh er darum war, dass das lästige Halsschruben und diese gräßlichen Handtuchzipfel im Ohr nicht mehr waren, so sehr vermisste er es eben auch.
Mit einem Seufzen rollte Jeremiah auf den Rücken und starrte zu der Holzdecke hinauf. Er fand Vaters Worte ziemlich blöd, aber nicht, weil er deren Inhalt kritisch betrachtet hätte, sondern weil sie ihm schlicht gegen den Strich gingen und Vater seine Thesen einfach so verpuffen ließ. Es war schwierig mit Pa über Gott zu diskutieren. Dass hatte er schon früh erfahren und sich manchmal mit seinen Gedanken eher an seinen Großvater gewendet, der ihn dann aber trotz aller Hoffnung ausgelacht hatte. Seine Ma hatte ihm natürlich auch das eine oder andere zu erklären versucht, aber an manchen Punkten angekommen hatte sie stets auf den Vater verwiesen. Doch ihm gegenüber fühlte sich Jerry in dieser Angelegenheit ziemlich befangen, war es doch das, was Pa für seinen Lebensunterhalt zu bestreiten hatte - die Zweifler zu besänftigen und ihnen wieder die Zuversicht an Gott 'einzureden'. Er war ein Mann Gottes, einer der die Bibel kannte und sie studiert hatte, der sich Gott gegenüber verpflichtet hatte und mit ihm war es so sinnlos über Gott zu diskutieren, wie man vergebens versuchen würde einem Stier ins Horn zu kneifen. Wie sollte er da jetzt auf einer vernünftigen Ebene seinem Vater verdeutlichen, dass er Gott schlicht für ungerecht hielt und am liebsten nichts mehr mit ihm zu tun haben würde? So etwas ging natürlich nicht, wenn man der Sohn vom Reverend war, das war Jeremiah natürlich bewusst, aber er fand es noch viel schlimmer seinem Pa eine Gläubigkeit vorheucheln zu müssen, die für den Jungen im Moment nicht existierte. Entsprechend blieb er auch erst einmal stumm, ließ die vielen Aufforderungen seines Vaters an sich abprallen und hielt letztendlich auch seinen Pa für ungerecht. Seine Gedanken waren doch kein Quatsch. Die waren sehr wohl ernst gemeint. Aber was hatte er anderes erwartet, wenn ihn doch schon der Großvater ausgelacht hatte? Natürlich war es für den Vater Blödsinn, den er da hörte, vielleicht sogar ein Stückweit Gotteslästerung. Aber derer war sich Jeremiah nicht bewusst, noch empfand er in dieser Hinsicht Schuld. Noch einmal seufzte er leise, weil er nicht so ganz verstand wie er Gottes Wege folgen sollte, wenn er nicht einmal wusste, welche seine Wege waren. Das war doch recht verwirrend und für Jerry nur schwer einsehbar. Wirkliche Aufmerksamkeit bekam Terry allerdigns sofort wieder, als er das Studieren der Bibel erwähnte und das Auswendiglernen von Zitaten als Alternative für den Kirchgang anbot. Jerry war allen ernstes versucht dieses Angebot tatsächlich anzunehmen. Zuhause war es wenigstens anständig warm und nicht so kalt wie in der Kirche, hier gab es auch keine älteren Damen, die ihm die Backe kniffen und keine fremde Männer, die alle nur wissen wollten, woher sie kamen, wo seine Mutter war und wie der Reverend alleine mit so einem "Bengel" zurecht kam. Gespräche eben, denen Jerry gerne entgangen wäre, wenn da nur nicht das mit dem Auswendiglernen gewesen wäre...Aber einer Versuchung hatte Jerry noch nie widerstehen können... Und wenn es nur dazu diente herauszufinden, wie weit sein Vater wirklich gehen würde.
"Und, würdest du mich zu Hause lassen, wenn ich sagen würde, das wäre eine feine Abmachung?," reizte Jerry und hoffte damit noch nicht auf das sprichwörtlich dünne Eis geraten zu sein. "Hier ist es auf jeden Fall besser als in der Kirche. Wenn ich nicht mal sagen darf, was ich denke," maulte er weiter und schlug dann aber doch die Decke zurück. "Und es sind deine Pläne, nicht meine Pläne," Jerry rutschte auf die Bettkante, machte aber keine Anstalten von dieser aufzustehen. Er ließ die Beine lieber baumeln, verspürte unangenehm die Kälte nach ihm greifen und schielte zu seinem Vater hinüber. Irgendwie kam gerade so einiges an Ärger in Jerry herauf, als hätte das alles nur auf einen günstigen Moment gewartet. Es musste raus, dass wusste Jerry, aber zeitgleich befürchtet er auch, dass ihn seine "Dämonen" wieder packen könnten, und er dann so richtig wütend wurde. Dagegen war kein Kraut gewachsen und obwohl Jerry die Anzeichen jedes Mal rechtzeitig verspürte, konnte er nichts dagegen tun. Nur hoffen. Oder wie früher Gott um Beistand bitten. Doch das Vertrauen war seit Mas Tod nun einmal ziemlich zerstört. "Du frägst mich ja nie, ob ich die Pläne gut finde. Ganz wie Gott. Als wenn ich hier leben wollte. Oder jetzt aufstehen möchte. Oder Miss Spencer bräuchte. Sie ist nicht Ma! Ja? Und sie darf mir überhaupt nichts sagen! Sie kann gerne kochen und aufräumen, aber nichts sagen," stellte er mit Nachdruck fest, als wäre es wirklich an ihm die Bedingungen festzulegen. Eigentlich war es ja nur eine Banalität, aber dennoch, jetzt in Wut versetzt, fand es Jerry alles andere als fair, dass Miss Spencer erst gestern darauf hingewiesen hatte er, Jerry, doch in Zukunft den Flur selbst aufzuwischen hätte, wenn er noch einaml vergaß die Stiefel ordentlich abzutreten. Das durfte ihm sein Pa sagen, aber doch nicht die Haushälterin?
Terry im Schlafzimmer, Jeremiah noch in dessen Bett.
Oha, na wenn der Schuss man nicht nach hinten losging. Terry hatte gerade Seifenschaum an seinem Hals und Kinn verteilt und mit dem ersten Strich begonnen, sich zu rasiern, als Jeremiah seinen Vorschlag, daheim zu bleiben, offenbar für bare Münze nahm - und zur Terry Verwunderung für eine gute Abmachung zu halten schien. "Ja, wirklich - eine feine Abmachung! " Terry ahnte, dass sein Tonfall gerade mehr als eine Spur Sarkasmus enthielt, obwohl das ganz und gar nicht die Art der Kommunikation entsprach, die für Kinder angebracht war - und genau genommen auch nicht für einen Mann Gottes. Klar und eindeutig sei Eure Rede- ein Nein sei ein Nein und ein Ja ein Ja - Alles darüber hinaus ist von Übel.. Seufzend schlug Terry den Schaum von seinem Rasiermesser ab, bevor er seine Tätigkeit fort setzte. Ärgerlich fuhr er zu seinem Sohn herum, als dieser maulte, er dürfe seine Meinung nicht frei äußern. Ausgerechnet er! Als ob Terry ihm das jemals verboten hätte! "Also - ob Du vielleicht gerade eben Deine Meinung geäußert, hast? Du tätest besser daran, mit dem Gemaule auszuhören!" Diese Drohung war bereits von Zorn unterlegt und Terry atmete tief durch, um diesen wieder kontrollieren zu können. Er war kein Freund von Zorn- oder Wutausbrüchen und so wandte er sich wieder von seinem maulenden Sohn ab, der immerhin die Decke zurück geschlagen hatte. Was war nur in den Jungen gefahren? Bisher war doch der Gottesbesuch kein Thema gewesen, über das sie sich uneins gewesen wären! Autsch... Ein scharfes Einatmen verhinderte, dass ihm ein Schmerzenslaut über die Lippen kam, als er mit dem Messer ausrutschte und sich leicht verletzte. Es war ein kleiner Schnitt entstanden, der nicht einmal stark blutete, aber dennoch war das Brennen durch den Seifenschaum unangenehm. "Ob Du bitte was nicht gewollt hast?! Ich glaub' ich spinne. Natürlich wirst Du bei mir leben - und zwar genau hier." Ärgerlich und für seine Verhältnisse wütend fuhr Terry herum und mißachtete dabei, dass er gerade im Begriff war, das Messer unterhalb des Kieferknochens anzusetzen. Natürlich glitt er genau daran ab und das scharfe Messer fuhr ein gutes Stück weit in seinen gepflegten Bart hinein. Na, spitze.. Ehrlich, Herr -mir bleibt auch nichts erspart. Terrys Gesichtsausdruck sprach Bände und er hatte wirklich Mühe, nicht in unbeherrschtem Ärger zu allem Überfluss auch noch nach der Rute zu greifen. Seinen Sohn jetzt abzustrafen wäre zwar eigentlich durchaus dazu angetan, ihm das Maulen und Murren mit Nachdruck zu verbieten, aber es würde auch dafür sorgen, dass er mit Sicherheit zu spät in den Gottesdienst kommen würde. Die Zeit war ohnehin schon knapp, denn so, wie sich der Schaden nun anfühlte, würde er wohl um eine Komplettrasur nicht mehr herum kommen. Er ärgerte sich über Jeremiahs Worte zu Recht, wie er fand, denn das ein Sohn sich gegen die Entscheidungen des Vaters auflehnte - das war in einem christlichen Haushalt undenkbar und genau diese Auflehnung war es, die König David schon das Leben mehr als schwer gemacht hatte. Er würde aufpassen müssen, dass er derartigem Unsinn rechtzeitig einen Riegel vorschob, denn er wollte nicht, dass seine Geschichte mit Jeremiah auch nur so ähnlich endete wie die Davids mit Absalom. Dennoch hatte er nun weder die Zeit, den Anfängen mit der Rute zu wehren, noch sich auf eine Diskussion darüber einzulassen. "Selbstverständlich wirst Du hier mit mir leben und bis auf Weiteres auch mit Erin in Funktion der Hauswirtschafterin leben müssen - jedenfalls bis ich Anderes anordne. Hast Du das jetzt auf dem Plan?" Sein Sohn rebellierte und murrte, so dass Terry wirklich am Rande seiner Geduld ankam. Lediglich die Tatsache, dass er sich nun glatt rasieren musste, um noch halbwegs passabel auszusehen, hinderte ihn daran, dem obstinaten Burschen eine Ohrefeige zu geben. Jeremiah schien der warnende Tonfall seines Vaters entgangen zu sein, denn er murrte immer noch und betonte, dass Erin ihm nichts zu sagen habe, schließlich sei sie nicht seine Ma. "Du bewegst Dich gerade am Rande einer wohlgezielten Ohrfeige, mein Sohn. So lange ich Miss Spencer damit betraue, mich zu unterstützen und mir den Rücken frei zu halten, wirst Du Dir auch von ihr Etwas sagen lassen müssen. Ihre Anweisungen sind für Dich so verbindlich wie meine. Ich hoffe das war deutlich. Und jetzt rate ich Dir dringend, Dich ordentlich anzuziehen." Terrys Worte waren ungewohnt scharf, denn er ärgerte sich nicht nur über Jeremiah, sondern auch über sich selbst. Das Abrutschen mit dem Messer war nicht unbedingt nötig gewesen und nur auf seinen Ärger zurück zu führen. Na, ja.. da hilft nun nichts. Was muss, das muss. Hoffentlich kann ich mich daran gewöhnen.. Sicher war sich Terry da nicht, aber da er mit halbem Bart unmöglich seriös und glaubwürdig predigen konnte, hatte er keine Wahl mehr: Der Bart musste ab.