Nicholas war schweigend ins Haus gegangen, hatte Rebeccah die Tür aufgehalten und hinter sich wieder geschlossen. Die Schuhe hatte er abgeklopft, sie aber angelassen. Dann war er Rebeccah in die Küche gefolgt und in der Tür stehen geblieben. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Er war wütend, dass sie ihm auf der Straße vor allen Leuten ein Aber entgegengebracht hatte. Das passte so gar nicht zu ihr. Dann war er eifersüchtig auf Matt. Andererseits war er erleichtert, dass sich Rebeccah nach all der Zeit endlich ein wenig öffnete. Das war ja eigentlich das, was er immer gewollt hatte. Wozu er sie ständig ermutigt hatte. Und doch traf es ihn so unvorbereitet, dass er es noch nicht richtig wahrhaben wollte.
Und so platzte es schließlich aus ihm heraus. Allerdings war seine Stimme ruhig und verriet kaum etwas von seinen Gefühlen. "Wer ist dieser Matt?" Dummkopf, der Sohn der MacKays!
Mr. Tanner verabschiedete sich höflich von allen, währen Nicholas überraschend schweigsam blieb und nur mit einem letzten Nicken in Richtung Mr. Tanner darauf wartete, dass dieser seinen Weg fand und dann den eigenen schweigsam weiterführte. Rebeccah wusste nicht, was sie mit dieser Situation anfangen sollte. Sie fühlte sich deutlich schuldigt, wegen Matthew, ihren Einwänden von eben... aber das Schweigen zu brechen wagte sie sich nicht. Es war an Nicholas das Wort zu ergreifen und so lange er das nicht tat, würde sie ihre eigene Ungeduld eben im Zaum halten müssen. Wobei sie es völlig abwarten konnte, was er als erstes zu ihr sagen würde...
Als sie das Haus erreicht hatten fühlte sie sich alles andere als gut und mit großem Unbehagen ging sie an ihm vorbei durch die offen gehaltene Tür. In Erwartung, dass sie zwar nicht lange blieben, aber in Rücksicht auf die ganze Arbeit, die an ihr alleine hing, wandte sich Rebeccah der Gaderobe zu und wollte die nassen Stiefel abstreifen. Doch Nicholas schlug seine nur vom Schnee frei und machte keine Anstalten sie auszuziehen. So tat sie es ihm gleich und ging rasch in die Küche, weiter zur kleinen Kammer, um den Kuchen zu holen.
Als sie wieder herauskam, stand Nicholas noch immer in der Tür und schin in Gedanken versunken zu sein. Am liebsten hätte sie ihn gefragt, ob er böse auf sie war oder sie irgendetwas falsch gemacht hatte. Unschlüssig blieb sie auf halbem Weg zu ihm mitten in der Küche stehen, nicht sicher ob sie nun einfach wieder gingen, oder der unangenehme Teil noch vor ihr lag. Es hatte wohl sicher seinen Grund, wieso er darauf bestanden hatte sie zu begleiten. Gerade allen Mut gesammelt, um Nicholas zu fragen, was vor sich ging, sah er sie an und unerwartet platzte eine Frage aus ihm heraus, mit der sie so nicht gerechnet hätte. Es war ihr schwer festzustellen ob er verägert war, gar wütend. Er war so ruhig wie immer, nur klang er ein klein wenig ungeduldiger als sonst.
"Wer Matt ist?", fragte sie so überrascht zurück, wie sie sich fühlte. "Du du... kennst doch Matthew. Ich meine... das hast du doch eben selbst gesagt. Auf der Straße...," ganz langsam dämmerte es ihr aber doch, was Nicholas eigentlich hatte hören wollen und sie errötete ein klein wenig. Sie wusste ja selbst noch nicht, was Matt für sie war und wie man über solche Dinge und GEfühle mit Nicholas reden konnte, ohne die Grenze zu überschreiten.
"Ja, ich weiß, Mathhew Mac Kay, der Sohn des Ladenbesitzers." sagte Nicholas ein wenig genervt. Dummkopf, was hast Du erwartet, was sie Dir bei der Frage antwortet?
Dann sah er, dass Rebeccah ein wenig errötete und seinem Blick etwas auswich. Und schon hatte sie ihn wieder. "Ich meine ... magst Du ihn?" fragte er deutlich sanfter und kam sich auf einmal unglaublich lächerlich vor. Fragte man soetwas eine junge Frau, mit der man seit Jahren zusammenlebte, mit der man ein recht stabiles Vertrauensverhältnis hatte und die dennoch nicht seine richtige Tochter war?
Nicholas hatte die Hände in die Manteltaschen gesteckt und wirkte ein wenig verlegen. Dennoch, er wollte es aus ihrem Munde hören. Ja, er wollte wissen, ob er sie beschützen musste oder ob sie die Nähe von diesem Matt als angenehm empfand.
"Rebeccah. Ich ... ich will doch nur, dass es Dir gut geht." schob er hinterher und sah die junge Frau freundlich an.
Rebeccah hielt ihren Blick gesenkt, als sie Nicholas gereizte Stimme vernahm, mit der ihr zu verstehen gab, dass er natürlich wusste, wohin Matt gehörte, er aber etwas völlig anderes hatte hören wollen. Sie seufzte innerlich auf und suchte nach einem Ausweg aus dieser doch eher peinlichen Situation. Nur am Rande fiel ihr auf, wie sehr sich alles um sie in einem rasanten Tempo zu verändern begann. Früher hätte eine gereizte Stimme ihres verstorbenen Vaters gereicht um ihr zu zeigen, dass sie zu weit gegangen war und mit Strafe zu rechnen hatte. Nie wäre ihr in den Sinn gekommen, noch nach einem Ausweg zu suchen oder nach einer Lösung mit der sie beide hätten leben können. Nein, sie wäre stumm geblieben und hätte in ängstlicher Erwartung seiner Befehle für die notwendige Bestrafung ausgeharrt. Hier und heute war Angst nicht mehr nötig und sie verspürte sie nicht einmal mehr. Ob ihr das Anlass zur Freude sein sollte, wusste Rebeccah noch nicht wirklich einzuordnen. Sie empfand Erleichterung, das konnte sie mit Sicherheit sagen. Aber sie befürchtete, dass diese Erleichterung die sie heute empfand in naher Zukunft womöglich zu ihrem Sittenverfall führen könnte. Hatte sie nicht vorhin auf der Straße schon wissentlich unterschlagen, dass es Matt Idee mit dem Essen gewesen war und nicht etwa die der McKays? Und hatte sie nicht absichtlich das Vorhaben mit dem Spaziergang verschwiegen um nicht am Ende ein Verbot zu riskieren?
Diese Gedanken halfen Rebeccah nicht mit Ruhe an einer Lösung zu arbeiten und so zuckte sie nur ertappt zusammen, als Nicholas sie nach ihren Gefühlen für Matt fragte. Überraschter als sie zeigen wollte sah sie nun doch auf und erblickte einen recht verlegenen Nicholas, der sich scheinbar über seine eigenen Worte unsicher zu sein schien. "Ich... ," sie hätte nur zu gerne gesagt, dass er sich keine Sorgen machen müsse und das sie Matt tatsächlich mochte. Aber sie hatte keine Definition für dieses Mögen. Und zeitgleich fiel ihr erschreckend auf, wie leicht es Matt gefallen war durch ihre sonstige, sehr hohe Schutzmauer zu brechen. Ganz einfach war ihm das gelungen, als hätte es diesen Schutzwall nie gegeben, als früchte sie sich nicht vor den Männern und ahnte nicht hinter jeder freundlichen Geste Leid und Schmerz. Nicholas Worte waren daher mehr als berechtigt, nur wie erklärte sie Nicholas das alles?
"Ich denke... du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Nicholas. Matt ist.. nett?", unsicher klang sie bei ihren Worten und so unsicher fühlte sie sich auch. "Ich glaube ich mag ihn tatsächlich," gestand sie schließlich ein, nach wie vor ohne zu wissen, wohin dieses Mögen sie führen würde und wie weit sie tatsächlich Matthew vertrauen konnte. "Ich...meine... das ist doch okay," fügte sie jedoch rasch noch hinzu, als spielte es wirklich eine Rolle, ob sie eine Wahl hätte Nicholas um seine Zustimmung zu bitten. Wenn er nein sagen würde, dann wäre es eben ein Nein, das sie zu akzeptieren hatte....
Immer noch brodelte die Eifersucht in Nicholas. Doch der Araber wusste, dass das hier fehl am Platze war. Und endlich tat Rebeccah, worauf er immer gehofft hatte. SIe öffnete sich ein kleines Stück, zeigte etwas von ihren Gefühlen. Auch wenn sie sofort eine Erlaubnisfrage hinterher schob. Nicholas seufzte. Natürlich war das in Ordnung. Er wollte sie schließlich nicht an sich ketten. Er wollte nur, dass sie nicht wieder verletzt wurde. Und Männer waren schließlich ein Thema für sie, bei dem sie unglaublich verletzbar war.
Doch es gelang ihm, ein ernstes Gesicht aufzusetzen. Nur seine Stimme passte nicht ganz dazu. Sie war eine Spur zu weich. "Ja, Rebeccah, das ist in Ordnung. Ich möchte nur, dass Du vorsichtig bist und Dich nicht einfach auf irgend Jemanden einlässt, verstehst Du?"
Vielleicht ist das gerade ein guter Zeitpunkt ihr zu sagen, dass ich mir um sie nun mal Sorgen mache.
"Ich möchte nicht, dass man Dir wieder weh tut. Dass Jemand Dein Herz vereltzt. Daher will ich diesen Matthew einfach etwas genauer kennen lernen, bevor ..." Ich Dich ihm überlasse! "... bevor Du vielleicht auf ihn reinfällst."
Es entstand eine kleine Pause.
"Komm, nimm den Kuchen mit und lass uns auf dem Empfang gehen." Der Reverend ist sicherlich schon da und die Leute zerreißen sich schon jetzt das Maul. "Du hast schließlich eine Einladung von Matt zum Essen bekommen." schob er freundlich hinterher.
Es war fast schon ein wenig rührend, wie Nicholas sich um sie sorgte, fand Rebeccah und schenkte ihm ein dankbares Lächeln über seine Worte. Sie hatte nur schwer abschätzen können, wie er auf ihr Geständnis reagieren würde und war daher weder überrascht, noch enttäuscht aber doch unendlich erleichtert. "Ich werde schon aufpassen, versprochen, Nicholas. Du kennst mich doch," sie würde selbst Matthew prüfen und sich bestimmt nicht einfach so auf ihn einlassen, wie es Nicholas eben ausgedrückt hatte. Es erschien ihr sowieso wie ein Wunder, dass sie so leicht Matt vertrauen konnte, obwohl sie sich geschworen hatte den Männern fern zu bleiben und in ein gutes Kloster einzutreten. Der Entschluss aus dem Winter erschien ihr auf einmal fast kindlich, vielleicht sogar lächerlich. Aber noch vor einigen Wochen war ihr das als gute Lösung für ihr Leben und als Zeichen ihrer Liebe zu Gott und Jesus erschienen. Jetzt hatte sie schon seit Tagen nicht mehr darüber nachgedacht und auch Nicholas nicht, wie einst vorgenommen, in ihre Pläne eingeweiht. Matt schien das alles wie nebensächlich erscheinen und das betrübte Rebeccah nicht einmal.
"Du wirst Matt bestimmt kennenlernen dürfen. Ich glaube in dieser Beziehung ist er sehr altmodisch erzogen worden," sie lächelte schräg bei den Gedanken an Matts Eltern mit wenig guten Gefühlen verbunden. Bei diesen Worten hob sie den Kuchen in ihren Händen ein Stück hoch. Sie hatte ihn nie abgestellt und schmunzelte über Nicholas, der sichtlich bei dem Thema alles andere als sicher auftrat. "Wir können gehen. Aber nicht vergessen, du hast die Einladung auch bekommen," dummerweise eben nur von Matt und nicht von seinen Eltern. Sie hoffte, dass dies nicht zu einer dummen Situation im Gästehaus führen würde und Nicholas gleich einen falschen Eindruck von den McKays bekam. "Oh und ich hoffe Mister Towätsch ist so schlau und ist bereits vorgegangen. Er hatte bei der Kirche auf dich gewartet und wollte glaube ich sogar in den Saloon gehen.", fiel ihr beim Gehen und mit Blick auf die ZImmertür des Kroaten ihr Untermieter wieder ein.
Nicholas lächelte. Natürlich würde Rebeccah Matt einer genauen Prüfung unterziehen. Er wusste das eigentlich, doch es beruhigte ihn das nochmal direkt von Rebeccah zu hören. "Ja, das wirst Du." lächelte er und sein Ton war sanft. Und dann senkte er kurz verlegen den Blick.
"Mister Towätsch hat mich doch aus dem Saloon geholt, weil ..." Nicholas schaute Rebecch entschuldigend an. Mist. "Ach Rebeccah, ich habe so über den Büchern gesessen und mir ging so viel durch den Kopf ..." Wieder brach er ab. Es gab keine Entschuldigung dafür, dass er Rebeccah einfach vor der Kirche vergessen hatte. "Es tut mir leid." sagt er schließlich.
Dann versuchte er der für ihn peinlichen Situation zu entkommen. "Ja, komm, lass uns gehen. Der Reverend hat wahrscheinlich schon ohne uns angefangen." Er machte eine einladende Geste und hoffte Rebeccah würde nicht weiter darauf herumreiten - was eh nicht ihre Art war - dass er sie einfach vergessen hatte abzuholen, wie er versprochen hatte.
Tamina folgte Nicholas die paar Schritte bis zu seinem Haus. Er öffnete der Prinzessin brav die Tür und ließ sie zuerst eintreten. "Bitte, vorne rechts in die Küche." bat er und zog sich seine Schuhe aus. Was Tamina natürlich nicht tat. Oh je, arme Rebeccah. Sie hielt das Haus penibel sauber und hatte gestern erst frisch gewischt. Er folgte Tamina in die Küche. Der Ofen verstrahlte noch immer etwas Wärme und Nicholas nutzte die Glut, um das Feuer wieder zu entfachen. Dann setzte er Teewasser auf.
"Bitte, Prinzessin, setzen Sie sich doch." sagte er und bot ihr einen Stuhl am Tisch an. So, und was jetzt? Ich kann sie ja schlecht ausfragen. Obwohl, wenn ich es geschickt anstelle ... Aber erst einmal braucht sie etwas zum Aufwärmen. "Ich werde euch eine Decke holen und ein paar Socken." stellte er fest und verließ den Raum mit einer leichten Verbeugung. Wenige Minuten später war er mit einer warmen, weichen Wolldecke und ein paar Wollsocken von sich selbst wieder da. "Der Mantel wärmt auf Dauer nicht." sagte er und half ihr beim Ausziehen. Dann legte er ihr die Wolldecke um und ging dann in die Hocke, das eine Knie auf dem Boden, das andere Bein angewinkelt aufgestellt, um ihr in die Socken zu helfen.
Der Wasserkessel begann zu pfeifen und Nicholas nahm ihn vom Herd. Dann goss er echten arabischen Tee auf, von dem er noch einen kleinen Vorrat gut verwahrt hatte. Den Becher stellte er vor die Prinzessin. Mit seinem Becher setzte er sich neben sie an den Tisch. "Leider haben wir keinen Zucker oder Honig mehr." sagte er. "Es gibt durch den harten Winter einige Versorgungsengpässe." Dann nippte er an seinem Tee.
"Eure Begleiter werden sich sicherlich Sorgen um euch machen. Ich werde gleich morgen ein Telegramm nach St. John schicken und fragen, ob man sie dort gesehen hat." sagte er fürsorglich und hoffte, so ein wenig mehr Informationen aus der Prinzessin heraus zu bekommen.
Froh darüber endlich von diesen ungehobelten Eingeborenen weg zu kommen und auch aus der Kälte, folgte Tamina ihrem Prinzen. Allerdings war sie mehr als enttäuscht als sie sah wohin er sie brachte. Das war doch hoffentlich nicht sein Wohnsitz? Wieso lebte ein Prinz wie ein einfacher Bürger? Aber Tamina dachte vorerst nicht darüber nach. Sie bekam schon Kopfschmerzen von all den Fragen die sie nicht beantwortet bekam. Oder vielleicht war es auch einfach nur die Kälte, die ihr langsam zusetzte. Natürlich zog sie auch nicht ihre Schuhe aus. In ihrer Heimat war das Tradition. Aber sie war hier bekanntlich nicht in der Heimat und irgend etwas ausziehen wiederstrebte der Prinzessin im Moment. Ihr war kalt genug. Sie ging den gezeigten Weg und setzte sich dann auf den mehr als unbequemen Stuhl. Wie sehr vermisste sie ihre weichen Kissen und die Sessel in ihrem Palastzimmer! Sehnsüchtig seufzte sie leise, als ihr Prinz sie kurz alleine lies. Ihr Blick schweifte umher, doch sie fand nichts, dass ihr Interesse wecken konnte.
Zum Glück kam ihr Prinz wieder zurück und half ihr aus dem schweren Kleidungsstück. Auch wenn Tamina am Anfang froh darüber war, so war sie jetzt erleichtert darüber die Last von ihren Schultern weg zu haben. Die Decke fühlte sich um einiges angenehmer an und war vor allem leichter. Ihre zarten Finger klammerten sich in den Stoff und hielten ihn fest. Sie glaubte nie wieder warm werden zu können. Weiter lies sie den Prinzen auch gewähren als er ihr die seltsamen Schuhe anzog. Es war zwar ungewohnt, dass ein Prinz sie bediente. Aber im Grunde war es Tamina nur recht, dass er das tat. Schließlich war so eine Behandlung gerade gut genug für eine Prinzessin. Sie wunderte sich weiter darüber, dass er selbst Tee zubereitete. Hatte er keine Bediensteten? Wo sollte das nur hinführen? Wurde man so, wenn man zu lange in diesem Land blieb? Noch ein Grund für Tamina so schnell wie möglich wieder in ihre Heimat zurück zu kehren. Am Ende stand nämlich sie noch dort an der Feuerstelle und bereitete Tee zu!
Der Duft erinnerte sie dann wieder an ihr Zuhause und fast wehmütig blickte Tamina den Inhalt der Tasse an. Sie umklammerte diese mit beiden Händen um ihre schon klamm gewordenen Finger daran zu wärmen. Erst die Worte des Prinzen veranlassten Tamina wieder aufzusehen. "Nein!" Kam es dann befehlend in ihrer gemeinsamen Muttersprache. "Das werdet ihr nicht tun." Und so wie Tamina das aussprach war klar, dass sie diese Art gewohnt war. Sie befahl nicht zum ersten Mal etwas. Auch ein Prinz hatte ihre Befehle zu respektieren. "Niemandem werdet ihr bescheid geben. Morgen werdet ihr mir den Weg zur nächsten Hafenstadt beschreiben und mir eine Kutsche besorgen. Für euren Aufwand werde ich euch entlohnen. Aber ihr werdet niemandem von meinem Aufenthalt berichten." Aus zu Schlitzen verengten Augen sah die orientalische Schönheit ihren Gegenüber an. Wehe er würde sich nicht daran halten.
Nicholas hatte freundlich, ruhig und mit sanfter Stimme gesprochen. Dass Tamina ihn nun anherrschte, empfand er als ziemlich unhöflich. Selbst für eine Prinzessin. Nun ja, sein Vater hatte oft erzählt, dass es bei Prinzessinnen auch Unterschiede gab. Solche, die guten Herzens und reiner Seele waren und ihre Befehle wie Bitten klingen ließen; die den Armen halfen und ein fröhliches Gemüt hatten. Prinzessin Tamina jedoch schien es gewohnt zu sein harsche Befehle zu geben. Und ganz offensichtlich erwartete sie auch, dass Nicholas ihre Befehle befolgte.
Nun, er hatte grundsätzlich kein Problem damit und hätte ihrem Befehl auch entsprochen. Einzig war es eisiger Winter. Ob die Postkutsche überhaupt fuhr, wusste er nicht, geschweige denn, wo die nächste Hafenstadt war. Und abgesehen davon, was bildete sie sich eigentlich ein? Selbst in Arabien gab es Höflichkeitsformen, wenn man irgendwo zu Besuch war. Auch für Prinzessinnen! So langsam dämmerte ihm, warum ihr Vater sie in ein fremdes Land geschickt hatte, um sie zu verheiraten.
Nicholas sah die Prinzessin über seinen Becher hinweg ruhig an, als er erst einmal einen Schluck nahm, bevor er ihr mit gefährlicher Ruhe antwortete. "Ihr seid in der Mitte eines riesigen Landes, Prinzessin. Die nächste Hafenstadt ist viele Wochen entfernt. Ob die Postkutsche bei dem Wetter überhaupt fährt, bezweifle ich. Die Bahn hat ihren Dienst jedenfalls eingestellt." Er fixierte die Prinzessin. Er hatte Respekt vor ihr, aber sie scheinbar nicht vor ihm. Und das wurmte ihn sehr. "Ich werde euch ein Zimmer im Gästehaus der Stadt besorgen. Morgen könnt ihr dann zum Telegrafenamt gehen und euch die Hilfe ordern, die ihr braucht."
Tamina war mittellos. Das war unübersehbar. Und sie sprach kein Wort Englisch. Sie kannte sich hier in der Stadt nicht aus. Und sie brauchte warme Kleidung. All das konnte Nicholas ihr geben. War er sogar bereit ihr ohne Gegenleistung zu geben. Die arabische Gastfreundschaft lag ihm im Blut, hatte er von seinen Eltern stets vorgelebt bekommen. Wie sonst war zu erklären, dass Rebeccah und er nun zusammen so etwas wie eine Familie waren? Doch die Arroganz der Prinzessin stieß ihm sauer auf. Und er konnte es nicht leiden, wenn man ihm auf der Nase herum tanzte. So absolut überhaupt nicht. Er beschloss das von vorn herein klar zu stellen. ER war der Mann im Haus und ER hatte das Sagen. Basta.
Wer nun der Herr im Haus war und wer hier mehr Respekt verdient hatte rückte gerade in den Hintergrund. Bisher hatte Tamina ja immer noch fest daran geglaubt einfach ein Stück weiter reiten zu müssen und dann endlich an einen Hafen zu kommen um von hier verschwinden zu können. Doch als sie ihren Prinzen nun reden hörte zerschlug sich diese Hoffnung. Vielleicht lag es daran, weil er es ihr in ihrer Muttersprache erklärte. Oder weil er so ehrlich aussah. Aber Tamina hegte keine Zweifel an seinen Worten. Wortlos stellte sie den Becher mit Tee auf den Tisch und stand auf. Die Decke hielt sie fest um ihre Schultern gelegt und ging zum Fenster hinüber. Auch das war wieder eine Art Unhöflichkeit, denn sie strafte den Prinz mit Nichtbeachtung. Aber ob das nun der Grund dafür war, warum ihr Vater sie hergeschickt hatte oder nicht. Tamina wollte ihre Lage einfach nicht akzeptieren. Sie war keine dieser Prinzessinnen, die sich der Prinz offensichtlich wünschte. Warum sollte sie sich um die Probleme anderer Leute kümmern? Um Untergebene oder gar Bürgerliche? Wenn sie deswegen ein schlechtes Herz hatte, dann war es eben so. Sie wusste was sie wollte und wenn das ein Fehler war, dann musste ihre Umgebung das eben so akzeptieren. Tamina wollte jetzt nicht hier sein. Traurig war ihr Blick mit dem sie nun nach draußen sah. Überall dieses weiße, kalte Zeug, dass sich Schnee nannte. Sie würde nicht weit kommen. Es fuhr kein Zug und auch keine Postkutsche. Wie sollte sie nur jemals von hier fort kommen?
Man konnte es nur an ihren hängenden Schultern erkennen, dass die Prinzessin gerade sehr mit ihrer Fassung rang. Sie durfte nicht das Gesicht verlieren, nicht vor einem Prinzen. Und schon gar nicht Schwäche zeigen. Wenn sie eines aufrecht erhalten wollte, dann die Worte ihres Vaters, dass sie niemals ihre wahren Gefühle zeigen durfte. Das war eines, dass sie sogar mit ihrer Schwester gemeinsam hatte. Die hätte dem Prinzen hinter ihr sicherlich besser gefallen. Doch all das spielte keine Rolle. Tamina wusste nicht mehr weiter. In ein Gästehaus sollte sie ziehen! Ihr gebührte ein Palast! Sie schloss kurz die Augen und zählte in Gedanken bis fünf. Niemals Schwäche zeigen! Was der Prinz ihr vorschlug war eine bodenlose Gemeinheit und als nichts anderes erkannt Tamina das. Anstatt ihr zu helfen schob er sie ab. Aber dann sollte es eben so passieren. Sie war eine Prinzessin und würde sich schon irgendwie Gehör verschaffen. Mal davon abgesehen, dass sie niemanden hatte dem sie ein Telegramm schicken konnte oder wollte. Ihre Begleiter suchten sicherlich noch nach ihr. Und sie würden sich nicht nach Hause trauen. Schließlich hatten sie die Prinzessin verloren. Sicherlich würde ihr Vater sie bestrafen. Das hoffte sie zumindest.
Die Gastfreundschaft ihres Prinzen in Anspruch zu nehmen kam für die Prinzessin nicht in Frage. Das brachte sie nicht über sich. Schließlich hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht einmal um etwas bitten müssen. Man hatte ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Wenn ihr Prinz sie aber aus dem Haus werfen wollte, dann sollte er das tun! Dann würde sie auch nicht länger bei ihm verweilen. "So soll es geschehen." Meinte sie dann nur tonlos. War das schon ihre Art sich ihm unterzuordnen? Denn obwohl sie eine Prinzessin mit allen Freiheiten war, war es auch ihr Vater gewesen, der immer das letzte Wort hatte. Und so war es für die Prinzessin selbstverständlich, dass sie sich einem Mann unterzuordnen hatte. Sie würde die Nacht also in einem Gästehaus verbringen. Und sicherlich viele weitere. Wie sie das Gästehaus bezahlen sollte? Nun, sie trug noch ihre Armspange und auch noch einen kostbaren Ring. Das war zwar ein Geschenk ihres Vaters, doch würde sie diesen verkaufen müssen. Hinzu kam noch ihr Dolch, den sie unter ihrem Gewand trug. Eine Weile würde sie sicherlich dort wohnen bleiben können. Und vielleicht verschwand dieser Schnee ja bald wieder, dann konnte sie ihre Reise fortsetzen.
Dir Prinzessin stand wortlos mit der Decke um ihre Schultern auf und ging ans Fenster. Eine erneute Respektlosigkeit und Nicholas machte sich auf eine Schimpftirade gefasst. Doch weit gefehlt! Sie stand nur stumm da und starrte nach draußen. Und an ihrer Haltung konnte er sehen, dass sie verzweifelt war. Sie rang mit ihrer Fassung und das war spürbar. Endlose Minuten vergingen, in denen Tamina nur am Fenster stand und Nicholas sie schweigend vom Tisch aus ansah. Als sie sich schließlich wieder zu ihm umdrehte und ihn ansah, behielt sie mehr schlecht als Recht ihre Fassung. Sie hielt ihren Kopf zwar hoch und versuchte ihn gleichgültig anzusehen, doch ihre Fassade hatte Risse und bröckelte.
"So soll es geschehen." sagte sie.
Nicholas sah sie eine Weile schweigend an. Dann stand er auf und ging auf sie zu. Dabei schüttelte er den Kopf. Ihr jetzt eine Predigt zu halten, wie ungebührlich ihr Verhalten war, wäre der falsche Weg gewesen. Sie hatte ihn als Hausherren akzeptiert und begriffen, dass sie Hilfe brauchte. Auch wenn sie das noch nicht in Worte gefasst hatte, ihre Haltung sprach für sich. Sanft legte er seine Hände auf die Ihren, die die Decke noch immer umklammerten. Er sah ihr direkt in die Augen.
"Prinzessin. Glaubt Ihr denn wirklich ich lasse Euch hier in dieser Wildnis, bei diesem Wetter und ohne Hilfe einfach in einem Gästehaus übernachten?" Er lächelte sanft und schüttelte dabei den Kopf. Und gerade noch so konnte er sich beherrschen sie einfach sanft in den Arm zu nehmen. "Ihr werdet selbstverständlich hier schlafen. Ich habe noch ein separates Zimmer, welches ich Euch herrichten werde. Seid mein Gast."
Dann machte er eine Pause, in der er die Prinzessin unverwandt ansah. "as-salâm 'alay-kum" [möge der Friede mit Dir/Euch sein]
Als der Prinz auf sie zukam, wich Tamina seinem Blick aus. Sie wollte ihn nicht ansehen! Er hatte es nicht verdient von ihr beachtet zu werden. Schließlich hatte er gerade mehr als deutlich gemacht wie ihre Zukunft aussah. Nichtbeachtung war eine schwere Strafe der Prinzessin, mit dem sie viele ihrer Untergebenen bestrafte. Nichts und niemand konnte sich dagegen wehren. Wenn man einmal das Missfallen der Prinzessin errungen hatte, dann schaffte man so schnell nicht wieder den Sprung auf die andere Seite. Einmal in Ungnade gefallen war es meist ein sehr steiniger Weg, wenn es einem überhaupt jemals wieder gelang die Prinzessin für sich zu gewinnen. Und genau aus diesem Grund sah die orientalische Schönheit nun zur Seite. Sie wollte den Mann nicht ansehen, der sie aus dem Haus warf. Sie konnte sich nicht dagegen wehren, eben weil es in ihrer Heimat Sitte war, dass der Mann immer das letzte Wort hatte. Sei es nun der eigene Vater oder eben der Prinz des Hauses. Eine Frau hatte sich unter zu ordnen. Etwas, dass Tamina nicht gefiel, das sie aber respektierte. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt als ihr Vater anfing Heiratskandidaten für sie auszusuchen. Da hatte sie angefangen diese Regel zu brechen und war aus diesem Grund nun in diesem unwirklichen Land. Die Prinzessin wusste also was mit ihr geschah wenn man dem Wort eines Mannes wiedersprach.
Als ihr Gegenüber dann aber lächelte, was die Prinzessin nur aus dem Augenwinkel wahr nahm und ihr versicherte sie konnte hier bleiben, war die Dunkelhaarige mehr als erleichtert. Allerdings konnte sie das seht gut hinter ihrer kühlen Fassade verbergen. Andere hätten sich nun sicherlich Gedanken darüber gemacht wie sie das dem Prinzen wieder vergelten konnten. Tamina aber war der Meinung, dass dies das Mindeste war, dass man ihr zugute kommen lassen konnte. Deswegen würde sie keine Worte des Dankes verlauten lassen. Auch wenn dies sicherlich in diesem Fall mehr als angebracht war. Ein eigenes Zimmer würde sie bekommen und sie musste nicht einmal mehr raus in diesen grässlichen Schnee. Wenn sie jetzt noch die Decke behalten durfte und den Tee trinken, dann war ihr Glück eigentlich schon perfekt. Aber hinter ihrer schon fast porzellanhaftigen Miene verbarg sie diese Gefühle sehr gut. Nur für einen kurzen Moment huschte so etwas wie Zärtlichkeit über ihre Züge. Dann als ihr Prinz den so gut bekannten Segen aussprach. Ihr Vater hatte das immer zu ihr gesagt. Wie sehr sie ihn doch vermisste.
Sie antwortete ihm darauf wie es in ihrer Heimat vorgeschrieben war und neigte sogar ein ganz klein wenig ihr Haupt. Dann aber reckte sie ihr Kinn wieder etwas nach vorne und als sie ihren Prinzen ansah, war die Sanftheit wieder aus ihrem Blick gewichen. Dunkel betrachteten die Augen den Mann durch den Schleier, den sie immer noch trug. "Ich benötige auch wärmende Kleidung und nach den Strapazen meiner bisherigen Reise würde ich mich frisch machen wollen. Es wäre also auch gut, wenn man ein Bad herrichten würde." Die Tatsache, dass ihr gegenüber gerade sagte, dass -er- das Zimmer herrichten würde, hatte Tamina nicht gehört. Schließlich war er ein Prinz und selber hier musste er doch noch Angestellte haben. Und die konnten dann für all das sorgen, was sie verlangte.
Für einen kurzen Moment hatte Nicholas den Verdacht, dass die Prinzessin endlich ein Einsehen hatte und zur Vernunft kam. Doch der sanfte Schatten in ihrem verschleierten Gesicht war so schnell wieder weg, wie er gekommen war. Dennoch senkte sie kurz leicht den Kopf und erwiderte seinen Segen. Doch dann hob sie wieder das Kinn und begann sofort Forderungen zu stellen. Nicholas schüttelte lächelnd den Kopf. "Ihr müsst noch viel lernen, Prinzessin. Dies ist nicht das Land unserer Väter. Hier laufen die Dinge etwas anders. Allerdings habt ihr Recht. Ihr braucht wärmere Sachen. Behaltet vorerst die Decke, damit sie euch wärmt. Und nun, bitte, nehmt wieder Platz und trinkt den Tee zu Ende. Ich werde in der Zwischenzeit das Zimmer für euch herrichten und ein Bad vorbereiten." Er sah die Prinzessin an und wartete, dass sie sich setzte.
Dann atmete er ergeben durch. Was hatte er sich da bloß eingefangen? Das würde noch zu großen Problemen führen, so viel ahnte er. Und das ausgerechnet jetzt, wo er mit Rebeccah so viel zu tun hatte. Um Luka machte er sich weniger Sorgen. Der würde das sicherloch verstehen und außerdem bekam er ja ersatzweise ein Zimmer im Saloon. Aber die Prinzessin hier im Haus zu haben würde eine ziemliche Herausforderung sein. Und er musste dafür sorgen, dass der Haussegen gerade blieb; was er noch nicht so ganz sah, dass ihm das gelingen würde. Aber er würde es versuchen.
Nicholas wandte sich ab und ging gegenüber in das Zimmer, in dem er Luka untergebracht hatte. Sorgsam und vorsichtig sammelte er die paar Dinge zusammen, die der Mann schon ausgepackt hatte und verschnürte sie sorgsam. Dann sah er nach und stellte sicher, dass er nichts vergessen hatte. Die Sachen trug er in die Küche und stellte sie in eine Ecke.
"Es wird eine Weile dauern, bis ich das Bad fertig habe. Nehmt euch solange gerne noch etwas von dem Tee." sagte er lächelnd zu Prinzessin und schnappte sich zwei leere Eimer. Damit ging er durch die Hintertür nach draußen und füllte sie mit frischem, sauberen Schnee. Dann ging er wieder nach drinnen zu der kleinen Ecke, in der ihr Waschzuber stand und kippte den Schnee hinein. Das wiederholte er ein paar Mal, bis der Zuber ein Viertel voll mit Schnee war, der bereits schmolz. Dann holte er erneut Schnee, trug die Eimer jedoch in die Küche und stellte sie auf den Herd, um das Wasser zu erhitzen. Die Prinzessin saß noch immer am Tisch.