Johns und Cassidys Wohnung liegt im Erdgeschoß links, wenn man von der Straße aus das Treppenhaus betritt. Hinter der Wohnungstür liegt gleich der kleine Wohnbereich mit einem Sessel und Sofa vor dem Kamin und einem Bücherregal, das sich John und Cassidy für ihre Bücher teilen. Rechts von der Tür steht ein einfacher, langer Holztisch mit zwei Holzbänken, die zusammen die Eßecke für John und Cassidy bilden. Daneben in einem kleinen, schmalen Schlauch steht die große Steinspüle, für die Cassidy Wasser aus dem Brunnen im Hof holen muss, sowie der offene Kamin der Küche, auf dem Cassidy kocht und bäckt. Eine Vitrine beinhaltet ihre gesamtes Geschirr und Besteck,sowie die Vorräte. Eine kleine Tür führt von der Küche über zwei Stufen hinab in den Gemeinschaftshof, wo es einen Brunnen, ein Toilettenhäuschen und Wäscheleinen gibt.
Das kleine Badezimmer besitzt eine Wanne, ein kleines Tischchen mit Wasserkrug und Waschschale, so wie einen kleinen Schrank mit Wäsche darin und allem was Cassidy fürs Wäschewaschen braucht.
Überwiegend wirkt die Wohnung kalt und unbewohnt, weil sich keiner der beiden die Mühe macht sie wohnlich zu gestalten. Da sie durch die vielen Reisen auch kaum Möbel mit sich nehmen können, gibt es keine Teppiche oder Vorhänge und das meiste Mobiliar ist angeschlagen durch die vielen Reisen.
Die einzigen persönlichen Gegenstände in der Wohnung sind zur Zeit das Familienfoto der Claytons auf dem Kamin, das alte, schlichte Kreuz von Cassidys Mutter über der Eingangstür und Johns alter Gürtel, neben der Tür an einem Haken, den er für Cassidy als Mahnmal dort angebracht hat und auch nicht davor scheut davon Gebrauch zu machen, wenn es nötig dafür wird.
John schlug die Eier in die Pfanne, in der bereits das Fett unter zur starker Hitze zu spritzen angefangen hatte und fluchte leise, weil ihm die Fettspritzer den Handrücken verbrannten. Wie sehr er sich in den letzten Wochen auf Emily verlassen hatte, bemerkte er nicht nur gerade in diesem Moment. Jeder Sonntag an dem er auf sich alleine gestellt war, war ein vergeudeter Sonntag in seinen Augen, denn er musste gezwungenermaßen auf Emily verzichten. Seit Montagabend fiel ihm die Trennung nun deutlich schwerer. Es war wunderschön gewesen, auch wenn nicht sehr viel romantisches sondern eher animalisches zwischen ihnen passiert war. Emily hatte es sichtlich genossen, auch wenn die Scham am nächsten Morgen um so größer bei ihr gewesen war. Meine Güte, sie wagte sich seit einer Woche kaum ihm in die Augen zu sehen und wenn er versuchte mit ihr einen Moment alleine zu sein, hatte sie ständig eine gute Ausrede parat gehabt, um sich davor zu drücken. Nur ein einziges Mal war ein Gespräch möglich gewesen, in dem ihm eine in Tränen ausgebrochene Emily wohl kaum zugehört hatte. Ihm war dafür umso deutlicher geworden, dass Emily keineswegs schon so weit war um vernünftig mit ihm über die Zukunft zu reden. Auch trug die Situation mit Cassidy nicht gerade dazu bei, dass sich die Lage im Haus entspannen konnte. Sie ließ alle, vor allem Emily, spüren, dass sie es unmöglich fand, dass ihr Vater sein Herz an die Britin verschenkt hatte. Und wo und wann sie konnte streute sie spitze Bemerkungen auch gegen John ein, die verletzten. Wäre Cassidy selbst nicht körperlich durch ihren Rettungseinsatz verletzt gewesen, hätte er sicherlich nicht mit der einen oder anderen Ohrfeige gespart. So ließ er ihre Worte über sich ergehen und hielt es teilweise auch noch für die gerechte Buße dafür, dass er sich von Cassidy und Major Shepard in einer sehr peinlichen Situation hatte ertappen lassen. Er hatte es wohl kaum besser verdient, dass der letzte Funken Respekt, den Cassidy vielleicht ihm gegenüber noch empfunden haben mochte, verloren gegangen war. So ließ sich nicht nur Emily von Cassidy herum scheuchen, sondern er auch. Erneut mit ihr über Emily und die geplante Zukunft zu reden hatte John dagegen nicht noch einmal versuchte. Dass dies relativ feige war und ihm als Vater nicht besonders gut stand, wusste er. Doch ihm war der sehr wackelige Hausfrieden bedeutend lieber, als eine nächste Runde im Ring mit seiner Tochter. Wäre nur Erin nicht auch noch aufgetaucht. Wohin sollte er jetzt nur mit all den alten Gefühlen für sie hin? Sie waren erschreckenderweise noch immer da. Er hatte sie nur verdrängt und mit Emilys süßer Nähe betäubt. Doch als Erin plötzlich wieder vor ihm gestanden war, war all das vergessen gewesen. Dass hatte ihn doch sehr schockiert und auch vor Augen geführt, dass er keineswegs wie Emily gegenüber behauptet über Erin hinweg war. Dass sie das Kind verloren hatte, hatte ihn erschüttert. Noch viel mehr, dass sie mit diesem Verlust alleine hatte zurechtkommen müssen. Worte hatten ihm allerdings gefehlt und Erin hatte auch nicht weiter darüber reden wollen. Joey hätte der Junge heißen sollen. Die Erinnerung an das ihm völlig unbekannte Kind schmerzte und John war froh, dass ein besonders großer Fettspritzer aufsprang und ihm erneut den Handrücken verbrannte. "Verdamm mich," fluchte er laut und lutschte die schmerzende Stelle, wobei es keines wegs besser wurde. Er schüttelte die Hand aus und gab der Pfanne einen derben Stoß, so dass sie ein Stück über den Herd rutschte. Weiter hinten war die Platte nicht so heiß, vielleicht würde er dann ohne weitere Verletzungen das Frühstück noch vor der Kirche fertig bekommen. Immerhin hatte er sich noch anzuziehen und zu rasieren. Auch würde er Cassidy helfen müssen, die heute zum ersten Mal wieder das Haus verlassen wollte. Dass war auch gut so. John befürchtete nämlich, dass ihr die Decke auf den Kopf fiel und sie deshalb mitunter so unausstehlich war. Sie hatte weder Sophie besuchen können, noch in der Schule Elisa sehen können, aber auch der Umstand dass Erin wieder in der Stadt war, machte Cassidy unruhig. Das gepaart mit der Gesamtsituation ließ seine Tochter auf einem Pulverfass sitzen.
John warf einen Blick zum Eßtisch, der bereits gedeckt war. Es fehlten nur noch die Eier. Dafür war er bereits früher als gewöhnlich aufgestanden. Normalerweise sorgte sich Cassidy an den Sonntagen für sein und ihr Wohl, aber mit dem schmerzenden Fuß konnte er dies kaum von ihr verlangen. Dass sie die ganze Zeit über auf dem Sofa lag, mit einem Buch in der Hand, und ab und hämisch leise hatte lachen müssen, während er mit dem Herd hatte kämpfen müssen, hatte John ausgeblendet. Andernfalls hätten sie schon seit gut zehn Minuten einen Streit, der ihnen nur den Sonntagmorgen verdorben hätte. Es war besser für den Augenblick vernünftig die Situation anzugehen. Da er es gewesen war, der sich eine Veränderung gewünscht hatte, war es wohl nun auch an ihm diesen Wunsch umzusetzen. Von Cassidy konnte er im Moment wohl keine Vernunft verlangen. Er konnte nur ahnen was in ihr vor sich ging und das sollte wohl reichen, um Verständnis aufzubringen, wo früher wohl eher nur Wut und Verärgerung Platz gehabt hätte.
"Wenn du jetzt aufstehst und anfängst herüber zu humpeln," merkte John spitz aber durchaus mit Humor in der Stimme an. "Könntest du rechtzeitig bei Tisch sein, bis ich mit den Eiern fertig bin". Er grinste ein wenig, froh, dass es ihm noch möglich war nicht ganz so verbissen und boshaft auf Cassidy zu reagieren, wie es umgekehrt der Fall war. Er war froh, dass bei dem ganzen Chaos in seinem Leben, das im Moment herrschte, Eli nicht mehr hier wohnte. Natürlich hatte sich der Kleine geweigert zu seiner Mutter zurückzugehen und er wäre der letzte gewesen, der das nicht verstanden hätte. Aber er gehörte nun einmal zu Erin, und nicht zu ihm. Und diesem Bowman wollte er Eli nicht einfach überlassen. Also hatte er gegen seine Absicht ein wenig härter durchgreifen müssen, um den Jungen regelrecht aus dem Haus zu treiben. Es war die einzige Lösung gewesen, die ihm eingefallen war. Aber er würde die Spencer im Auge behalten. Eli sollte es gut gehen und Erin tat besser daran dem Jungen endlich das Leben zu ermöglichen, das er verdient hatte. Trotz den eigenen Sorgen, wollte er Eli nicht einfach als erledigt betrachten.
Doch heute hatte er erst einmal andere Pläne. Es galt den neuen Reverend anständig zu begrüßen und seinen Gottesdienst zu besuchen. Ihm war es die ganze Woche über nicht möglich gewesen, dem Reverend einen Anstandsbesuch abzustatten, hatte aber bereits von dessen Sohn gehört, der es in der Schule scheinbar faustdick hinter den Ohren hat. Und natürlich hatte er die Familie beim Schneeräumen am Pfarrhaus gesehen. Lustiger weise war er dem Reverend scheinbar schon am Montag über den Weg gelaufen. Es hatte zwar einen Moment gedauert, bis es ihm wieder eingefallen war woher er den Mann kannte, aber dann war ihm der Fuhrwagen wieder in den Sinn gekommen, der vor der Klinik am Montagmorgen gehalten hatte. Ein Mann und ein Junge waren darauf gesessen und der Fremde hatte sich erkundigt, ob etwas passiert sei oder er helfen könnte. Niemals hätte John in diesem Mann den neuen Reverend vermutet. Heute würde er sich in der Kirche ein Bild über ihn machen können und anschließend dem Anstand zu liebe dessen Einstandsfeier im Gästehaus besuchen. Cassidy wollte ohne hin dorthin, weil Sophie angeblich aushelfen würde und alleine konnte er Cassidy nicht laufen lassen. Er selbst hoffte dort auf ein paar ungestörte Momente mit Emily, die zwar frei hatte, aber wohl im Gästehaus aushalf. Er wollte, nein er musste, mit ihr dringend reden und er wollte ihr das Haus zeigen. Es gab so vieles was er mit Emily zu besprechen hatte, und er hoffte sie würde nicht wie in den letzten Tagen bei seinem Anblick erröten, den Blick senken und eine Arbeit vorschieben. Sie musste doch endlich begriffen und eingesehen haben, dass das was sie getan hatten, erst der Anfang war. Dass er Absichten hatten und sie darüber sprechen mussten. Der wundervolle Beischlaf wurde doch nicht durch totschweigen ungeschehen gemacht. Darauf mussten sie jetzt aufbauen und ihre Zukunft planen. Nicht eine Sekunde lang kam es John bei seinen Überlegungen in den Sinn, dass es Emily möglicherweise zwar gefallen hatte, er aber für sie niemals als Mann und Vater ihrer Kinder in Frage kommen könnte. Nein, dafür hatten sie beide am Montagabend zu viel Hunger verspürt und waren über sich hergefallen. Da war Leidenschaft im Spiel gewesen, viel zu viel, um sich jetzt noch einreden zu können, sie habe sich nur wegen dem Alkohol verführen lassen. Nein, John war sich seiner Sache in Bezug auf Emily sicher. Und jetzt, da Erin wieder in der Stadt war und sie sich unweigerlich wieder öfters über den Weg laufen würden, wäre es klug, wenn er mit Emily ernst machte. Umso schneller umso besser, denn die Verlockung und Versuchung war in all ihrer Schönheit und Anmut am Dienstag auf seiner Türschwelle gestanden...
Cassidy lag gelangweilt auf dem Sofa, lauschte dem Knistern der Holzscheiten im Kamin und verzog ab und an das Gesicht, wenn ein besonders schmerzhafter Stich durch ihren Fuß zog und sie daran erinnerte, dass zwei Zehen fehlten. Dr. Leigh hatte ihr erklärt, dass der Heilungsschmerz durchaus schlimmer sein könnte, als der Wundschmerz. Sie hatte nicht übertrieben. Das Buch in dem Cassidy blättert, interessierte sie nicht besonders. Zumindest gab sie dies vor, war das Buch doch ein Geschenk ihres Vaters gewesen, mit dem er in den vergangenen Tagen wie üblich ihre Zuneigung zu erkaufen versucht hatte. Es hatte sich nach ihrem Empfinden so gut wie nichts geändert. Er war noch immer derselbe geblieben, auch wenn er nicht mehr trank und wahllos wegen jede Kleinigkeit auf sie einschlug. Sie hatte eine Stunde damit verbracht ihrem Vater den letzten Nerv zu rauben, in dem sie sein Treiben in der Küche kommentiert hatte und dann diebische Freude an seinen Flüchen gehabt hatte. Kindisch, das war es ohne Frage, aber auch eine kleine Genugtuung. Er konnte froh sein, dass sie hier bei ihm lag und sich nicht wie die letzten Tage über in ihrem Zimmer verkroch. Sie lag sogar auf dem Sofa auf dem er und Emily... och, sie wollte nicht mal darüber nachdenken müssen, was die beiden hier getrieben hatten, alleine schon der Ansatz bereitete ihr Übelkeit. Eigentlich hatte sie ganz andere Sorgen, als ihren Vater oder Emily oder die beiden gemeinsam. Sophies Selbstmordversuch nagte noch immer an ihr und ließ wenig Platz für andere Dinge. Zwar wusste Cassidy, dass sie sich dringend mit ihrem Vater aussprechen sollte, vielleicht sogar mit Emily ein vernünftiges Gespräch wagen sollte, aber dafür hätte sie Raum und Zeit gebraucht, die alleine davon in Beschlag genommen wurden eine Antwort auf Sophies egoistische Tat zu finden. Erins Auftauchen, der Schulausfall, der Weggang von Hawkins und Elis Auszug waren an ihr vorbeigezogen und sie hatte keine Möglichkeit gefunden darauf entsprechend emotional zu reagieren. Es waren Ereignisse, die stattgefunden hatten, ganz so als würde sie am Rande des Geschehens stehen und zuschauen, anstatt direkt davon betroffen zu sein. Es würde sicher die Zeit kommen, wo sie realisieren würde, was es hieß auf einmal wieder Erin tagtäglich zu begegnen und daran erinnert zu werden, wie viel Vertrauen sie zu der ehemaligen Geliebten ihres Vaters gefunden hatte, aber im Moment war das nicht wichtig. Nein, sie musste erst herausfinden was Sophie bewegt hatte, was in ihr vor sich ging und wieso sie so bereitwillig all ihre gemachten Pläne über den Haufen geworfen hatte. Sie würde heute nach der Kirche zum Gästehaus gehen und Sophie die Waffe auf die Brust setzen und nicht eher von ihr lassen, bis sie ihr vernünftige Antworten gegeben hatte. Sie würde alles tun, um Sophie zum Reden zu bewegen, wenn es sein musste. Noch trug sie die Ringe bei sich, die Sophie schon an Weihnachten hätte sehen sollen und von dem einen Sophie am Montag hätte bekommen sollen. Cassidy hatte alles so schön geplant gehabt und dann war der ganze Tag so schief gegangen.... Cassidy mochte darüber gar nicht mehr nachdenken, aber das fiel schwer, wenn man mit zwei Zehen weniger auf dem Sofa lag, die Schmerzen zu ignorieren versuchte und immer wieder das viele Blut sah, das Sophie verloren hatte....
Sie seufzte leise und wurde Gott sei Dank vom Fluchen ihres Vaters erneut abgelenkt, was sie leise lachen ließ. Schadenfroh und ihrer Rolle als schlecht gelaunte Tochter gerecht werdend. Bei seiner Aufforderung zum Tisch zu kommen, verzog sie allerdings das Gesicht zu einem Grinsen und zu Johns Überraschung blieb eine bissige Bemerkung aus. "Ich versuch's zu schaffen, bevor die Eier kalt sind," gab sie ihm stattdessen selbst heiter zurück und stemmte sich mühselig in die Höhe, griff nach ihrer Achselstütze. Sie war ein Stück zu lang gewesen, aber John hatte sie ihr zurecht gesägt, so dass sie nun bequem darauf ihr Gewicht stützen konnte und auch einigermaßen gut voran kam. Langsam natürlich und die Fortbewegung damit war ungewohnt. Aber es half den verletzten Fuß zu schonen und sie hatte die ganze Woche über im Haus trainiert, so dass sie wegen dem Kirchgang guter Dinge war. Die Kirche zwar interessierte Cassidy weniger, aber danach würde sie endlich Sophie sehen können und das war die einzige Motivation gewesen, heute Morgen aufzustehen....
John ließ mit einem Kopfschütteln über Cassidys wechselhaften Launen den Kochlöffel in der Pfanne hin und her wandern, bis aus den Eiern anständiges Rührei geworden war. Er war sich überhaupt nicht mehr so sicher, ob Cassidys Stimmungsschwankungen alleine von der Tatsache herrührten, dass sie auf so unschöne Art und Weise herausgefunden hatte, wie ernst es ihrem Vater mit seiner Haushälterin war. Er vermutete, dass einfach mehr hinter Sophies Sturz in den Fluss stecken musste und Cassidy beschäftigte. Denn jedes Mal wenn er darauf zu sprechen kam, blockte Cassidy geschickt ab, und wenn ihr das nicht gelang, wurde sie gar barsch und verbat sich das Gespräch ganz. John hatte die bittere Erfahrung mit Cassidy gemacht, dass es wenig Sinn machte als Vater sein Recht auf Antworten mit Gewalt einzufordern. Sie zu zwingen brachte ihn gewöhnlich keinen Schritt vorwärts, sondern eher zwei Schritte rückwärts. Lily wäre wohl sicher stolz auf ihn, hätte sie ihn in den letzten Tag in seinen Versuchen ein besserer Vater zu werden, gesehen. Doch die erste bessere Witterung hatte Lily am Mittwoch genutzt, um mit ihren Töchtern die Heimreise anzutreten. Wie weit sie dabei kommen würden, war ungewiss gewesen, aber die Telegramme ihres Mannes, der sie bedrängte endlich nach Hause zu kommen, hatten sie zu dem Entschluss bewogen. Der Abschied war ihnen allen nicht leicht gefallen und obwohl besonders die letzten beiden Monate nicht leicht gewesen waren, hatte John die Abreise bedauert. Er hatte großen Wert darauf gelegt, dass Lily sofern es ihr möglich sein würde, die nächsten SOmmerferien der Töchter noch einmal für eine Reise nach Wyoming nutzen würde. Letztendlich war es nur wichtig gewesen, dass sie sich im Guten getrennt hatten.
Bis John die Pfanne vom Herd nahm hatte es Cassidy natürlich inzwischen zum Esstisch geschafft und nahm gerade mühselig auf einem der Stühle Platz. Ihren verletzten Fuss legte sie sachte auf die Bank auf und verzog ein wenig das Gesicht. "Wenn's zu sehr weh tut, bleibst du heute zu Hause," stellte John mit einer Tonlage in den Raum, die keinen WIderspruch duldete. Auch wenn er wusste, dass dies Cassidy nicht abhalten würde, wenn sie widersprechen wollte. Zu seiner Überraschung seufzte sie nur schwer und nickte: "Es wäre wohl klüger," sagte Cassidy nachdenklich und sah dabei zu wie John die Eier verteilte und sich dann setzte. "Aber ich muss Sophie sehen.", fügte sie mit einem Ton hinzu, der ihrerseits keinen Widerspruch dulden würde. In diesem Fall wusste John zu gut, dass es besser war nicht zu diskutieren. Cassidy bekam meist immer das, was sie sich in den KOpf gesetzt hatte, ob er dem zustimmte oder nicht. Und heute Morgen wollte er am Frühstückstisch weder einen handfesten Streit erleben, noch sich wegen so einer Sache die gute Laune verderben lassen. Zudem glaubte er seit Montagabend Cassidy einiges schuldig zu sein und hatte den Drang es wieder gut zu machen. Und wegen ihren Zehen hatte er sowieso mehr Sorgen und ein schlechtes Gewissen als gut gewesen wäre, denn er war ständig bemüht es ihr so angenehm wie mögich zu machen und befürchtete bereits jetzt schon nach der überwundenen überstrengen Erziehung eine viel zu weiche Seite an den Tag zu legen, die ebenso falsch und ungesund war, wie die Zeit während ihrer FLucht vor Thunder. Es fiel ihm allerdings schwer einen Mittelweg zu finden und fühlte sich damit schlicht überfordert. Zwischen all seinen guten Vorsätzen und der Umsetzung dieser stand sein Mangel an Geduld und seine Reizbarkeit. Heute Zucker morgen wieder die Peitsche und obwohl er den Fehler im System längst selbst erkannt hatte, konnte er nicht über den eigenen Schatten springen. Da hatte ihm weder Lily noch Erin einst helfen können. Aber es war doch ein netter Anfang, dass sie ein Frühstück scheinbar friedlich miteinander verbringen konnten. Cassidy hatte gute Laune, weil sie endlich einmal aus dem Haus kam und er schwebte auf einer ganz anderen Wolke wegen der Aussicht Emily später zu sehen. Er wusste allerdings dass es schwierig werden würde sie zu einem Spaziergang zu überreden. Aber er würde einfach nicht locker lassen, bis sie aufgab un einwilligte. Es war ja nicht viel dafür nötig, wie John inzwischen wusste. Er musste nur einen recht bestimmenden Tonfall anschlagen, schon folgte Emily. Nicht dass er dies oft ausnutzte, aber es war hilfreich.
"Es wäre sicherlich klüger, ja," stimmte John Cassidy zu und schenkte Tee aus. "Nur befürchte ich, dass du dich eher von mir zur Kirche tragen lässt, als auf mich zu hören," ein Grinsen erschien auf Johns Gesicht und er griff nach der Gabel. "Wäre es anders, wärst du wohl nicht meine Tochter." Es tat gut, dass Cassidy auf seine Worte zurückgrinsen konnte und mit einem guten Gefühl fing John zu essen an. Unwissend, dass Cassidy ihre eigene Pläne für heute hatte, die seinen nicht unähnlich waren, schob er die gute Laune seiner Tochter auf die gute Genesung und auf das GLück, dass sie nur eine starke Erkältung auszusitzen hatte, statt eine Lungenentzündung entwickelt zu haben. Vielleicht auch darauf, dass sie ihre Freundin besuchen konnte und das Laufen besser lief, als die ersten Gehversuche vermuten hatten lassen. Einerlei an was es lag, John genoß seit langem ein friedliches Frühstück mit Cassidy. Im Grunde basierte dies nur auf einen Umstand - das Totschweigen der Vorfälle am Montag. Aber darüber nachdenken wollte John nicht...
Nach dem Essen hatte sich John alleine darum gekümmert, dass wieder Ordnung in die Küche kam. Womöglich erschien es ihm ordentlich, aber wie er Emily kannte, würde sie morgen früh sicherlich erneut einige Male schwer seufzen und lautstark die Pfannen und Töpfe an ihren Platz rücken. Zu Beginn, als ihr Arbeitsverhältnis begonnen hatte, hatte John sich daran ein wenig gestossen. Immerhin war es noch immer seine Wohnung und sein Haushalt. Mit der Zeit hatte er mit Emilys Schrullen zu leben und vor allem zu lieben begonnen. Er erwartet tatsächlich morgen genau jenes Verhalten, anstatt es wie früher zu fürchten. Cassidy hatte keinen Versuch unternommen zurück auf das Sofa zu gelangen. Sie wusste, dass sie bald aufbrechen mussten und versuchte daher ihr Bein zu schonen. Ein schlechtes Gewissen, dass ihr Zustand ihren Vater dazu verdonnerte die Hausfrauenpflichten zu übernehmen hatte Cassidy dabei nicht eine Sekunde lang. Dafür saßen die alten Wunden noch immer tief und ließen sie mit einer gewissen Genugtuung seine Handschläge in der Küche verfolgen. Jeder Griff war ihr eine Entschädigung für die geraubte Kindheit, in der sie hatte über Nacht lernen müssen, wie man Wäsche wusch und kochte. Wie man Fenster putzte und auf wunden Knien den Boden schrubbte. Und ganz nebenbei sich auch noch um einen betrunkenen Vater zu kümmern hatte. Er war an der Reihe und sie genoss das durchaus.
Lange dauerte Johns Werken jedoch nicht. Zu zweit gab es kaum Geschirr und mit dem Ausfegen der Küche hielt sich John erst gar nicht auf. Hauptsache der Esstisch war wieder manierlich und das Geschirr im Schrank. Alles sonstige Spuren würde Emily sowieso am Montag beseitigen.
Das Läuten der Kirchenglocke zerriss die Stille in der Wohung und ließ Cassidy einen Blick auf die Uhr auf dem Kaminsims werfen. Obwohl sie wusste, dass es noch gut eine halbe Stunde war, vielleicht auch zwanzig Minuten, musste sie sich vergewissern, ob der neue Reverend von dem Emily und auch ihr Vater bereits gesprochen hatten, sich an die Zeit hielt. Auf jeden Fall war ihr das dumpfe Schlagen durch den Ort ein deutlicher Aufruf und sie griff nach ihrer Krücke, um sich daran in die Höhe zu ziehen. Sie versteifte sich kurz, als ihr Vater an ihre Seite eilte und mit einem "Lass mich dir doch helfen", wieder zurück auf den Stuhl zwang. Sie wehrte ihn nicht ab. Dafür hatte sie in den letzten Tagen zu häufig mit Schmerzen im Fuß dafür bezahlt, dass sie versuchte alles alleine zu machen. John ließ sich von der gespürten Ablehnung auch nicht weiter irritieren. Inzwischen war er nichts anderes von Cassidy gewohnt. Er schritt an die Gaderobe und holte ihren Mantel und den Stiefel. Ohne nachzufragen oder zu zögern ging er vor Cassidy in die Knie und half ihr in den Schuh hinein und prüfte dann den Sitz des Holzkonstruktes, das ihren verletzten Fuß umfasste und sie vor dem kalten Schnee bewahren sollte. Wieder in die Höhe zu kommen bereitete John allerdings ein wenig Schmerzen in den Knien. Er hatte schon im Herbst öfters sein Alter gespürt und jetzt im Winter half die Kälter überall nicht sonderlich die müden Knochen zu schonen. Aber auch die Prellungen am eigenen Körper die er noch vom Montag ziemlich deutlich spürte, waren daran Schuld. Als er wieder stand reichte er Cassidy eine Hand und half ihr auf das gesunde Bein. Er reichte ihr die Krücke und hielt den Mantel für sie bereit, in den Cassidy auf einen Bein balancierend hineinschlüpfte. Schal und Handschuhe folgten, wobei sie wie üblich auf eine wärmende Haube verzichtete und John Zeit fand selbst in seinen Mantel zu schlüpfen. Schwarze Lederhandschuhe und ein grauer Schal sollten ihn vor der Kälte schützen. Mit einem letzten Blick auf den polierten Stern am Mantelaufschlag, griff er nach seinem Hut, suchte nach dem Wohnungsschlüssel in seiner Tasche und öffente dann für Cassidy die Tür. Es dauerte einen Moment bis sie an ihm vorbei im Flur war und er folgen konnte. Sorgfälltig wurde die Tür verschlossen und etwas beschwingt von dem entspannten Frühstück bot John Cassidy seinen Arm als zusätzlich Stütze an. Doch damit ging er wohl hoffnungsvoll einen Schritt zu weit. Sie lehnte ab und humpelte auf die Krücke gestützt hinaus in die Kälte. Mit einem leisen Seufzen folgte John.
Die kleine Haushälterin wäre für jeden in Claytons Wohnung zu hören gewesen, sobald sich die Tür derselben öffnete. Emily beeilte sich, vor John in die Wohnung zu kommen und ihm gleich als erstes den Korb abzunehmen, den er ihr getragen hatte, und diesen eilig in die Küche zu bringen. Denn natürlich war es eine unausgesprochene Regel, daß ein Gentleman dergleichen in der Öffentlichkeit für eine Frau tat, um sie zu ehren und seine guten Manieren zu beweisen. Doch hier, wieder im Warmen angelangt, in dem Nest, das er sozusagen gebaut und das sie mit viel Liebe hergerichtet hatte, hier herrschten selbstredend andere Regeln. Im Haus war die Arbeits- und Wirkungsstelle der Frau, an der sie ihren Mann bediente und ihm die Strapazen seines Lebens vergessen half. Das war für die junge Britin völlig klar. Sie kam daher gar nicht auf den Gedanken, erst seine Anweisungen abzuwarten. Nein, draußen, auf dem Weg von dem neuen Haus hierher hatte er ihr den Korb getragen, er hatte ihr die Ehre angetan, sie am Arm zu führen, als sie sich bei ihm untergehakt hatte, er hatte sie so zuvorkommend behandelt, wie sie es sich in ihren schönsten Träumen nur wünschen konnte. Hier drinnen würde sie nun ihre Pflicht tun, ihm ihre Liebe und Ergebenheit beweisen! Wie ein kleiner Wirbelwind fegte sie durch die Räume. Geschäftig eilte sie umher, mit kleinen hektischen Trippelschrittchen, die Röcke mit einer Hand gerafft, derart schwungvoll, daß auch alles Übrige an ihr in Bewegung zu geraten schien: Ihre kleinen rundlichen und so kräftigen Finger huschten umher, um Haube und Schultertuch abzulegen und auch Clayton seinen Mantel abzunehmen, während ihre widerspenstigen nußbraunen Locken sich, von der Haube befreit, um ihr rundliches Gesicht ringelten, ihre strammen weiblichen Rundungen Emilys Röcke bauschten und energisch unter ihrer Bluse wogten und – nun, da sie glücklich, ja, geradezu selig war – ihr Mundwerk einmal mehr in emsiger Tätigkeit war.
Emilys Wangen glühten noch immer, wie sie es seit Johns letzten Worten im neuen Haus taten. Die zukünftige Mrs. Clayton hatte er sie genannt! Ganz das korrekte britische Dienstmädchen, hatte sie sich auf dem Weg zusammengenommen, obwohl ihr Stolz und Freude beinahe die Brust gesprengt hatten. In Claytons Heim, ihrer beider Heim, ihrer Zuflucht angelangt, hatte sie jedoch nicht mehr an sich halten können. Unentwegt plappernd und wie ein kleiner munterer Vogel zwitschernd fegte sie um ihn herum, kaum daß er dazu gekommen war, Feuer im Kamin zu machen, räumte ihm kleinste Hindernisse aus dem Weg, schnippte mütterlich-fürsorglich unsichtbare Stäubchen von seiner Kleidung. "Bitte setz dich doch, Lieber! Ich koche dir rasch noch einen Tee, ja? Dafür muß schließlich Zeit sein!" Kurz nur hielt sie an, um auf einem ihrer vielen Wege hin und her durch die Wohnung – für einen Mann wie John wohl völlig undurchschaubar und chaotisch erscheinend – eine ihrer blütenweißen, tadellos gestärkten Schürzen zu nehmen. "Möchtest du vielleicht noch einen Bissen aus dem Korb? Es ist so viel übrig geblieben, und du mußt schließlich bei Kräften bleiben." Indem sie ihm ein liebevolles Lächeln schenkte, rauschte sie auch schon zum besagten Korb und band sich auf dem Weg die Schürze um, wie üblich schnell und routiniert, doch zugleich mit einer peinlich genauen Schleife, die Bänder exakt gleich lang hinter ihrem Rücken hinabhängend, wie sie es Cassidy bislang erfolglos beizubringen versucht hatte. Im Gehen begriffen plapperte sie schon wieder weiter, entwarf Pläne, welche der Damen des Ortes sie wobei um Hilfe für den großen Tag bitten würde, wie der Schmuck aussehen würde, mit dem man dekorierte, welche Leckereien aufzutischen waren und dergleichen mehr.
Man konnte ihr regelrecht anmerken, wie sie vor Glück buchstäblich fast platzte. Und wie es immer war, äußerte sich Emilys Freude in einer manisch wirkenden Geschäftigkeit. Man hätte meinen können, die rundliche kleine Frau sei aus Quecksilber. Nein, sie wäre wirklich für niemanden in der Wohnung zu überhören gewesen. Emily war am Wirken, als seien zehn fleißige Hausfrauen beschäftigt. Sie klapperte hier mit Küchenwerkzeug, verbreitete dort das hektische Rascheln langer Röcke, rauschte mit resolutem Hüftschwung um jene Ecke, um gleich darauf hinter dieser Tür zu rumoren. Interessanterweise schaffte sie es jedoch, bei all diesem Tohuwabohu tatsächlich häusliche Arbeit zu verrichten. Nicht gerade Arbeiten, die dringend erledigt werden mußten – die blieben bei Miss Hunter niemals lange unerledigt liegen. Doch alles, was noch in irgendeiner Weise von dem perfekten Zustand entfernt war, den eine britische Angestellte als Ideal einer Haushaltsführung verinnerlichte, war nun dazu verurteilt, ihre überschüssige Energie abzubekommen. Und jedesmal, wenn sie unter lautem Rascheln an John vorbeitrippelt, hatte sie einen verliebten Blick und einen besorgten Rat oder eine Frage für ihn part. "Soll ich dir noch ein Kissen holen, mein Lieber?" – "Bin gleich fertig mit dem Tee – Zucker wie gewohnt?" – "Ach, ich hab da noch ein Muster für eine Stickerei, die würde sich allerliebst auf einer Bluse machen... vielleicht für Cassidy? Das Kind soll ja seinem Vater alle Ehre machen am großen Tag, nicht wahr?" Sie schien willens, für jegliche Unterhaltung und Aktivität im Hause Clayton für eine Weile allein verantwortlich zu zeichnen. Wie so oft war sie in kürzester Zeit von tiefer Betrübnis zu himmelhoch jauchzender Freude gewechselt.
Den kurzen Rückweg über die Camden-Straße in die Mainstreet hatte John für einen aufmerksamen Rundumblick verwendet. Einmal Gesetzeshüter, immer Gesetzeshüter. Doch es war angenehm ruhig in der Stadt und bis auf ein paar Passanten gab es nichts weiteres zu entdecken. Wie es aussah würde es ein ruhiger Nachmittag werden, den er vielleicht sogar mit Emily bei einer Tasse Tee verbringen konnte.
Zuhause angekommen musste er erst einmal enttäuscht feststellen, dass Cassidy nicht da war. Noch gab es ein Anzeichen dafür, dass sie zwischenzeitlich hier gewesen wäre. Wo auch immer sie sich gerade herumtrieb... John nahm sich felsenfest vor sie damit nicht einfach so durchkommen zu lassen. Immerhin hatte er ihretwegen sein kleines Stelldichein mit Emily unterbrochen. Diese allerdings schien sich bei weitem weniger um Cassidy zu kümmern oder sich über ihren Verbleib zu wundern, denn statt sich darüber zu unterhalten, fing sie an sich in geschäftiges Treiben zu stürzen. Doch fürs erste schob er den Gedanken zur Seite und genoss Emilys Fürsorge mit der sie ihm den Mantel abnahm, ehe er sich um das Feuer im Kamin kümmerte. Die Wohnung war stark ausgekühlt und entsprechend eisig war es. Es dauerte nicht lange, da züngelten die kleinen Flammen an den größeren Holzscheiten empor und wohlige Wärme breitete sich aus. Emily derweil lief geschäftig umher und John hatte mühe ihr bei ihrem Werken zu folgen. Was auch immer sie gerade tat, sie war höchst konzentriert. Als sie den Tee erwähnte, trat er zu ihr in die Küche, nahm aber keinen Platz ein. "Tee klingt gut. Aber ich will erst noch einmal im Office nach dem rechten sehen. Danach gehöre ich ganz dir," er nickte allerdings auf die Frage nach dem Zucker und fing an sich über Emilys Umtrieb zu amüsieren. Sie plapperte in einem Fort, sprang vom Tee, zu den Speisen auf der Hochzeitsfeier und fuhr mit Stickereien fort. Er erfuhr Einzelheiten, denen er weder folgen konnte, noch wollte. Fast bedauerte er es schon wieder, ihr diesen Antrag gemacht zu haben. Er hätte sie wohl besser überrumpelt und auf der Stelle vor den Altar schleppen müssen, um all diesen Dingen zu entgehen. Trotzdem gefiel es ihm, wie Emily unter all der Freude und dem Glück aufzublühen begann und aus sich herauskam. So lange sie ihn nicht groß behelligte, sollte sie ruhig all diese Freude ausleben, planen und vorbereiten dürfen. Nur als sie Cassidy ins Gespräch brachte, lachte er amüsiert auf. "Nun mach aber mal langsam, Emily. Vielleicht lassen wir Cassidy erst einmal verdauen was wir zwei planen, ehe du sie mit Stickereien überfällst," er trat bei seinen Worten an die Hintertür, die in den kleinen Hof führte und ließ den bellenden und winselnden Abe hinein, den sie nach dem Frühstück ausgesperrt hatten. Fröhlich und dankbar stieg er an Johns Bein auf und wedelte aufgebracht mit seinem Schwanz. John fuhr ihm ein wenig durch das feuchte Fell und ließ ihn dann zum Freßnapf laufen, der jedoch leer war. "Wie wär's damit - ich seh rasch nach dem Rechten und such nach Cassidy, während du uns einen deiner wundervollen Napfkuchen backst? Der würde wundervoll zum Tee passen?"
Emily hatte eine recht füllige Figur, und bald schon begann sie leicht zu schwitzen, zumal der Kamin zunehmend Wärme in den Räumen der Wohnung verbreitete. Das hielt sie aber nicht davon ab, weiter geschäftig hin und her zu eilen. Sie war schon immer der Meinung gewesen, daß ehrliche Arbeit noch niemandem geschadet hatte. Und da sie ohnehin dazu neigte, ihre Gefühle durch Bewegung abzureagieren, fegte sie mit Elan um Clayton herum. Im Moment war davon nämlich mehr als genug vorhanden, genug beinahe, ihre Brust zu sprengen! Sie hätte am liebsten die ganze Welt umarmt. So bekam auch Abe großzügige Streicheleinheiten, seinen Napf gefüllt und sogar einen kleinen Extrahappen außer der Regel ab, was der kleine Hund mit heftigem Schwanzwedeln quittierte. Er schien zu spüren, daß die junge Britin heute besonders guter Laune war, ganz besonders, wenn man ihre düstere Stimmung in der letzten Zeit damit verglich. Noch nicht einmal wegen der feuchten Tapsen, die er auf dem wie üblich sauber gewischten Boden hinterließ, erhielt er heute eine Strafpredigt von ihr. Sie schien mit anderem beschäftigt. Und tatsächlich, er hatte seine Schnauze noch nicht ganz zu dem leckeren Freßchen gesenkt, als Emily bereits wieder davon rauschte, um sich dem Tee zu widmen.
Einen kurzen Moment lang war sie enttäuscht, daß John – männertypisch vernünftig, aber so furchtbar unempfänglich gegenüber einer Chance für ein wenig mehr romantische Zweisamkeit – erst einmal seine Pflichten erfüllen wollte, statt sich hier von ihr verwöhnen zu lassen. Doch da seinen Worten zu entnehmen war, daß er sich bald wieder zu ihr zurück begeben würde, war sie gleich darauf wieder versöhnt. "Ein Kuchen? Aber sicher doch, Lieber, alles was du möchtest!" Eilig raffte sie die Röcke und setzte sich in Bewegung, um in die Küche zu laufen. Wenn er sich einen Kuchen wünschte, sollte er einen bekommen! Sie brauchte nicht erst zu überlegen, welche Kuchen ihm am besten schmeckten und für welche davon sie ausreichende Mengen der richtigen Zutaten in den Vorratsschränken hatte. Als ausgebildete Haushälterin besaß sie ein eigenes System, die Vorräte zu ordnen, und behielt jederzeit den Überblick über den Haushalt. Schon bald war aus der Küche heftiges Klappern von Schüsseln und Löffeln zu hören, begleitet von ihrer glockenhellen Stimme, die ein Lied trällerte, wie es die Londoner Hausfrauen bei der Arbeit sangen. Die kleine Frau hatte rosige Wangen bekommen, und ihre Stirn glänzte vor Feuchtigkeit, doch sie hielt nicht einen Moment inne, sondern begann bereits die Gewürze für den Teig zu mischen, Mehl darüber zu sieben und die Backform vorzubereiten. Dabei glitten ihre Blicke liebevoll über die Küchenwerkzeuge, den Ofen, die Einrichtung. Dies alles hier würde nicht mehr lang ihr Arbeitsbereich als Bedienstete Claytons sein. Es würde ihr Reich sein, das Reich, das sie als seine Frau mit Leben und Wärme füllen wollte...
Emily ließ sich offensichtlich nicht durch Johns Worte aus der Ruhe bringen, denn obwohl er vom Aufbruch sprach, werkelte sie munter weiter und er musste ihre Aufmerksamkeit nun mit Abe teilen, der großzügig gefüttert wurde, anstatt wie üblich für sein wildes Herumgehüpfe und den ganzen Schmutz, den er gewöhnlich mit in die Wohnung brachte, ausgeschimpft zu werden. Wo sie bei all der Geschäftigkeit die Zeit für einen Kuchen aufbringen wollte, wusste John gerade nicht, aber scheinbar hielt es Emily für eine gute Idee. Er lächelte allerdings ein wenig gequält, als Emily es nicht versäumte, zu erwähnen, dass sie den Kuchen backen würde, weil er es so mochte. Natürlich freute es ihn auf der einen Seite, dass sie bereit war ihm sichtlich jeden Wunsch zu erfüllen, auf der anderen Seite war er sich nicht so ganz sicher, ob er das so im Raum stehen lassen sollte. Zumindest wollte er Emily doch verständlich machen, dass sie nicht mehr seine Angestellte war und ihm darum ruhig sagen durfte, wenn etwas ungelegen kam. Oder einfach zu viel wurde. Sie musste ihm sicherlich nichts beweisen. Zwar war eine gesunde Portion Respekt ihm gegenüber und auch eine ebensolche in Bezug auf ihren Gehorsam angebracht, aber bestimmt nicht mehr. Doch ehe er einen passenden Ansatz hätte finden können, war sie schon in ihre Arbeit vertieft und offensichtlich wild dazu entschlossen diesen Kuchen bis gegen später tatsächlich fertig zu haben. Gegen das Klappern kam er nicht an, noch versuchte er es erst.
Stattdessen beugte er sich steif zu Abe herab, kraulte ihn kurz hinter den Ohren und schritt dann kurz entschlossen zur Tür, um wieder nach Mantel und Hut zugreifen. Beides war noch unangenehm feucht, aber er hatte ja nicht vor ewig fortzubleiben. Und der Weg war auch nicht weit. Den Waffengurt trug er noch und das sollte reichen. Das Gewehr ließ er daher stehen und ging noch einmal zurück zur Küche, trat hinter Emily und ließ es sich nicht nehmen ihr von hinten die Arme um die Hüfte zu schlingen. Er drückte sie einmal fest und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Sie waren verlobt... Ab sofort durfte er diese Dinge tun, wann immer er wollte, ohne sich sündig zu verhalten oder Emily zu nahe zu treten. Und das fühlte sich verdammt gut an. Noch immer Emily im Arm haltend sagte er: "Ich bin bald wieder da, versprochen," während er sich wieder von ihr löste, und dabei zur Tür schritt, kam er nicht umhin sie noch einmal breit grinsend anzusehen: "Und du lässt inzwischen keine fremden Männer herein." Nicht das er befürchtete, dass Emily noch einmal ein solcher Fehler wie mit Walton passierte, aber er erwähnte es gerne noch einmal, um etwas beruhigter aufzubrechen, ehe er die Wohnungstür öffnete und schlussendlich aufbrach.
Nachdem Clayton die Wohnung verlassen hatte, entwickelte Emily eine Energie, wie sie sie seit langem nicht mehr gezeigt hatte. Fröhlich ging die kleine Haushälterin daran, einen Kuchen für ihn zu backen. Sie entschied sich für einen Honigkuchen mit Trockenfrüchten. Nicht gerade die leichteste Kost, doch süß und fruchtig, und ein großer Mann wie John, fand die fürsorgliche Britin, musste schließlich ordentlich essen, damit er bei Kräften blieb! Es dauerte nicht lange, bis ein zarter Duft nach Honig die Küche durchzog. Mit der ihr eigenen resoluten Art hatte Emily die Zutaten vermengt, die Ärmel ihrer Bluse hochgerollt und dann mit beiden Händen tüchtig den Teig geknetet, bis sie endlich mit dessen Konsistenz zufrieden war. Die Früchte waren ebenfalls unter die klebrige Masse gemischt worden, und nachdem sie ihre Hände gründlich gesäubert hatte, beeilte sie sich, den Teig in eine gefettete Form zu streichen. Eine dicke, süße Glasur, ganz nach britischem Geschmack, würde den fertigen Kuchen dann vollenden. Zunächst jedoch umwickelte sie eine Hand mit dem Zipfel ihrer Schürze, trug die Backform zum vorgeheizten Ofen, schob sie hinein und stemmte dann zufrieden die Hände in die Hüften. John würde bei seiner Rückkehr vorfinden, was sie ihm versprochen hatte: Einen heißen, starken Kaffee und einen herrlich frisch duftenden Kuchen! Vergnügt sah sich die kleine Frau um, während die Intensität des Honiggeruchs zunahm. Es konnte durchaus noch einige Zeit dauern, bis Clayton zurück wäre, also beschloss sie, tatkräftig wie eh und je, die Wartezeit zu nutzen.
Geschäftig begann sie durch die Wohnung zu eilen. Der Tisch war rasch für Kaffee und Kuchen gedeckt, ein selbst gehäkeltes Deckchen liebevoll drapiert, um ein wenig mehr Wärme in den Raum zu bringen. Als nächstes mussten die Schränke und Schränkchen einmal mehr Bekanntschaft mit Emilys Staubtuch machen, als die kleine rundliche Britin leise singend um die Möbelstücke herumrauschte und jedes einzelne polierte, als sei ein hoher Staatsbesuch zu erwarten. Zwischendurch sah sie gelegentlich nach dem Kuchen, der sich jedoch zu ihrer Zufriedenheit entwickelte und immer mehr die gewünschte, zarte Bräune annahm. Danach ging sie dazu über, das Bettzeug Claytons und seiner Tochter tüchtig aufzuschütteln und die Betten frisch zu beziehen. Da sie jedoch schließlich auch damit fertig war und ihr so langsam die Ideen ausgingen, wie sich eine arbeitswütige Hausfrau noch in der mittlerweile penibel gesäuberten, aufgeräumten und hergerichteten Wohnung betätigen könnte, griff sie sich kurz entschlossen die Kissen von beiden Betten, um sie zum Lüften hinaus zu bringen. Es war kalt im Freien, doch Emilys Erziehung zur Reinlichkeit kannte keine Gnade mit bequemlichen Regungen: Mit gerafften Röcken, die Kissen unter dem Arm, marschierte sie ins Freie. Zuvor öffnete sie das Küchenfenster leicht, um die feuchte Hitze ein wenig zu bekämpfen, die vom Ofen ausging. Nachdem sie aus der Tür getreten war, die sie angelehnt ließ, ging Emily um die Ecke des Hauses und begann ihre Arbeit. Kleine Dampfwölkchen stiegen dabei von ihrem Mund auf. Das Singen verkniff sie sich, die Luft im Freien war doch ein wenig zu eisig. Da war die Bewegung beim Arbeiten doch weitaus besser.
Timothy versteckt hinter dem Holzstapel, dann in der Küche Emily (vorübergehend im Freien)
Timothys Magen knurrte vernehmlich, wie er da vor Kälte zitternd hinter der Hauswand stand und mit der Nase zu erschnüffeln versuchte aus welcher Richtung der Kuchenduft letztendlich kam. Die getrockneten Beeren und die paar Nüsse dieser Indianerfrau hatten nur vordergründig seinen Hunger gestillt. Bei diesem leckeren Duft stellten sich sofort wieder die quälenden Hungerbeschwerden ein, die man nun einmal bekam, wenn man seit drei Tagen nichts zu essen gehabt hatte. Gereizt, weil ihm nicht so recht einfallen wollte wohin er sich schleichen musste, kratzte er sich die beißende Kopfhaut, scharrte den juckenden Rücken an der Hauswand hoch und runter und rieb sich den von Flohbissen ganz übersäten Nacken. Das war schon erheblich besser. Aber wie üblich löste das Kratzen und Scharren einen noch viel größeren Juckreiz aus, so dass Timothy fast wahnsinnig wurde und sich immer gereizter kratzen und scharren musste.
Um dem ein Ende zu setzen, schob sich Timothy kurz entschlossen weiter nach vorne nur um sich einer hohen Steinmauer gegenüber zu befinden, die zu seiner Linken und Rechten verlief und wohl einen Hinterhof, der zu einem Backsteingebäude gehörte einschloss. Hier war der Duft von frischem Kuchen um einiges intensiver und Timmy wähnte sich am Ziel. Nur mit seinen kurzen Ärmchen konnte er den Mauerrand nicht erreichen, auch nicht wenn er sich auf Zehenspitzen stellte oder in die Höhe sprang. Er lief ein Stück der Mauer entlang, aber fand nirgends herausgebrochenes Mauerwerk über das er hätte klettern können. Es gab auch kein Loch in der Mauer, nicht einmal einen Übersteig, wie es viele Steinmauern auf dem Land hatten, die das Vieh auf den Weiden hielt. Zu seinem Glück stieß er jedoch auf der Stirnseite der Mauer auf ein paar alte Holzkisten, die hier wohl jemand entsorgt hatte. Sie waren recht wacklig und morsch, aber mit Geduld fand er einige brauchbare Kisten, die er aufstapeln konnte. Es waren nur zwei von Nöten, um den Rand der Mauer zu erreichen. Mit viel Stöhnen, Fluchen und Keuchen schaffte es der ausgehungerte Junge ein Bein über die Mauer zu schwingen und sich hochzuziehen. Kurz saß er rittlings auf dem Sims, ehe er sich rasch in den Garten gleiten ließ. Er nutzte dort das Gebüsch als Deckung und versuchte sich kurz zu orientieren. In seiner unmittelbaren Nähe befand sich das Toilettenhäuschen, davon ein Stück entfernt ein Brunnen. Der Schnee bedeckte natürlich die Fläche zwischen Haus und Toilettenhäuschen, so dass Timmy nicht sagen konnte was sich sonst noch alles im Garten befand, aber er sah aufgewühlten Schnee, der auf regen betrieb auch im Winter schließen ließ.
Vorsichtig schob sich Timothy weiter auf das Haus zu und es dauerte nicht lange, als der Kuchenduft ein feines Honigaroma entwickelte. Er war hier goldrichtig! Das Wasser lief Timothy im wahrsten Sinne des Wortes im Mund zusammen und die Vorstellung den Kuchen zu mopsen ließ ihn selig lächeln. Weder stellte sich bei dem Jungen ein schlechtes Gewissen ein, noch verschwendete er einen Gedanken an die Menschen, die sich genauso sehr auf den Kuchen freuten, wie er selbst. Seine Tat rechtfertigte der Junge fiel mehr damit, dass es den Leuten doch gerade recht geschehe, wenn er sich den Kuchen vom Fenstersims 'auslieh'. Man stellte einfach so etwas kostbares nicht zum Auskühlen raus...
Wie groß war die Enttäuschung bei dem Kleinen, als er sich mutig dem Haus genähert hatte und auf den beiden erreichbaren Fenstersimsen kein Kuchen stand. Der Duft drang durch ein geöffnetes Fenster und hatte den Jungen völlig unnötig angelockt. Voller Enttäuschung liefen Timothy ein paar stumme Tränen über die Wangen. Er hatte doch solchen Hunger! Aber durch das Fenster einzudringen wagte sich Timothy nicht. Er war zu oft dabei erwischt worden und hatte viel zu schlechte Erfahrungen damit gemacht, als sich noch einmal auf solch eine Dummheit einzulassen. Dabei lag das letzte Mal sehr weit zurück. Es war noch aus den Tagen, an denen er auf den Straßen von New York zu Hause gewesen war, als die großen Jungs der Straßenbanden ihn durch den Kamin in die Häuser hatten klettern lassen, damit er ihnen die Türen von innen aufriegelte. Damals waren die Polizisten alles andere als zimperlich mit kleinen Dieben umgegangen. Ganz gleich welchen Alters hatte man sie in die überfüllten Zellen gesteckt, um sie ein paar Tage später mit einer Reihe anderer jugendlicher Krimineller tüchtig mit einer Reißigrute durchzubläuen, um sie dann wieder auf freien Fuß zu setzen. Genutzt hatte es wenig, denn auf der Straße war man auf den Schutz der Banden angewiesen gewesen und man hatte natürlich getan was die Älteren von einem verlangten. Doch jetzt auf sich alleine gestellt, wollte Timothy nicht unbedingt herausfinden, was mit einem geschah, wenn er sich beim Einbruch erwischen ließ. Gerade als er sich die Tränen der Enttäuschung mit dem schmutzigen Ärmel abwischen wollte, öffnete sich die Hintertür des Hauses und zwang Timothy rasch hinter einen ordentlich aufgeschichteten Holzstapel. Mit rasendem Herzen saß er dort niedergekauert und lauschte den Schritten im Schnee. Mit viel Mut ließ sich Timothy auf die Knie fallen und krabbelte so an das Ende des Stapels um dahinter hervor zu spähen. Er sah gerade noch eine recht kleine, rundliche Frau von Hinten die um die Hausecke bog, verfolgt von einem wild kläffenden Hund, der offensichtlich Freude an dem Ausgang hatte. Bei genauerem Hinsehen konnte Timothy sehen, dass die Hintertür nicht richtig geschlossen worden war. Ob dies ein Versehen sein mochte oder offenbarte, dass die Frau nicht lange wegbleiben würde, stellte sich als Frage nicht zwingend dem Jungen, der nur eine Möglichkeit sah, an den Kuchen zu kommen.
Denn eine offene Tür.. also das war doch schon quasi eine Einladung? Da war man doch selbst schuld, wenn einem der Kuchen entwendet wurde. Man war kein Einbrecher... Mit diesen Gedanken sprach sich Timothy genug Mut zu, um sich wieder zu erheben und vorsichtig auf das Haus zu zugehen. Er konnte den Hund immer noch kläffen hören, aber das Gebell kam nicht näher. Offenbar war die Frau doch ein wenig beschäftigt und das ließ Timothy die wenigen Schritte, die noch blieben eilig zurücklegen. An der Tür angekommen, schob er sich vorsichtig mit dem Fuß ein stück auf und spähte ins Innere. Er sah die recht einfache Küche, vernahm mit der Nase den herrlichen Duft intensiver und lauschte auf Geräusche. Doch drinnen wirkte alles still. So stieß Timothy die Tür gleich ein Stück weiter auf, schob sich mutig, aber mit klopfendem Herzen ins Innere, wobei der Schnee vom Knien hinter dem Stapel von seiner Hose und den Stiefeln abfiel, und der Junge schmutzige Abdrücke hinterließ. Davon nahm er selbstverständlich keine Notiz, denn seine Augen ruhten glänzend vor Freude auf dem Kuchen. Er war zum Greifen nahe... Und doch nahm er sich die Zeit noch ein Stück weiter in die Wohnung zu laufen, um nachzusehen, ob er wirklich alleine war. Niemand war da. Erleichtert, atmete Timothy auf und genoss dabei die himmlische Ofenwärme, die ihn sofort aufzuwärmen begann. Er sah den schön gedeckten Tisch, roch Kaffee und zögerte tatsächlich einen Moment. Die Leute hier wollten den Kuchen... er aber auch. Er sah hier nichts, das darauf hinwies, dass die Bewohner der Wohnung Hunger zu leiden hätten. Er tat dies jedoch. Nein, er musste kein schlechtes Gewissen haben.... er konnte sogar herausfinden was sich hinter all diesen Schränken verbarg. Er brauchte immerhin neue Vorräte. Alles was er besessen hatte, war in St. Johns zurückgeblieben. Rasch durchsuchte der Junge die Schubladen und Schränkchen um sich Feuerhölzer, ein Stück Speck, Zwieback, Brot und einen kleinen Jutesack "zu borgen", wie er es gerne nannte, um all diese Dinge darin zu verstauen. Zur guter Letzt blieb noch der Kuchen. Obwohl Timothy wusste, dass er schon viel zu lange in diesem Haus weilte, war die Ungeduld auf den Kuchen so groß, dass er kurzerhand ein großes Stück mit seinem schmutzigen Händchen herausbrach und sich gierig in den Mund stopfte. Zwar war der Kuchen noch immer richtig warm, aber zum Glück nicht mehr zu heiße, um sich daran zu verbrennen. Oh war das eine Wohltat... Timothy gluckste vor Glückseligkeit, als sich der wohltuende Geschmack von Honig in seinem Mund ausbreitete und die Wärme des Kuchens gleich dafür sorgte, dass ihm von innen heraus warm wurde. Dem musste der Junge gelich noch ein Stück mehr hinzufügen.. nur noch eines, dann würde er den Kuchen in den Sack stecken und sich rasch vom Acker machen....
Die Bewegung beim kräftigen Ausschütteln und Lüften machte die Eiseskälte etwas erträglicher, aber dennoch war die kleine Haushälterin froh, wieder ins Warme zurückkehren zu können, als ihr Reinlichkeitsdrang und ihre Ordnungsliebe endlich befriedigt waren. Abe war kläffend um sie herumgesprungen und hatte sich im Schnee gewälzt – brrr, sie fröstelte allein beim Zusehen – während sie gearbeitet hatte. Sie nahm die Kissen wieder unter den Arm und raffte ihre Röcke, um durch den Schnee zurück ins Haus zu gehen. Dann bückte sie sich in Abes Richtung. "Komm, mein Kleiner..! Ins Haus, na los..!" Sie versuchte den kleinen Hund mit sanfter Stimme zu locken, doch der schien derart begeistert von dem kurzen Ausflug ins Freie, dass er nicht hörte. Grummelnd und kopfschüttelnd machte sich die junge Frau daher allein auf den Weg. Dann würde er eben nachher an der Tür kratzen müssen, damit sie ihn einließ. Wer nicht hören wollte, musste fühlen..! Etwas unbeholfen stakste sie durch den Schnee, um nicht am Ende einen ihrer Schuhe in dem zähen tiefen Weiß zu verlieren. An der Tür angelangt trat sie diese erst einmal ab, ging hinein und legte die frisch gelüfteten Kissen beiseite. Sie wollte sich gerade daran machen, die Tür zu schließen, als ihr Blick auf den Boden fiel, wo sie schmutzige, nasse Schuhspuren sah. Auf ihrem frisch gewischten Boden – unmöglich..! Mit offenem Mund starrte sie die dreckigen Stapfen an, die sie in ihrer Hausfrauenehre zu verspotten schienen. Wie konnte das nur..? Emilys Blick wanderte weiter, und die kleine Frau erlitt beinahe einen Herzschlag. Vor ihren Augen führte die Spur kreuz und quer durch die Küche, und direkt vor dem Kuchen entdeckte sie einen kleinen, ihr völlig unbekannten Burschen in abgerissenen Kleidern, der gerade vollauf damit beschäftigt war, sich mit seinen beiden kleinen ungewaschenen Händen so viel von ihrem herrlich duftenden Kuchen in den Mund zu stecken, wie er nur konnte!
Emily war eine Frau, die man als überaus kinderlieb bezeichnen konnte. Sie liebte die kleinen Menschlein, ja, sie hatte sogar eine ganz besondere Schwäche für sie. Doch sie war auch eine sehr sittenstreng erzogene Britin, eine Haushälterin mit Leib und Seele. Ein Tochter armer, aber ehrlicher Eltern, der die Werte von Ehrlichkeit, harter Arbeit, Fleiß und Tugend über alles gingen. Was sie hier sah, war nichts mehr und nicht weniger als ein Dieb mitten bei seinem gotteslästerlichen Werk! Sie, die dem Kleinen vermutlich aus purem Mitleid und zu Tränen gerührt ein ordentliches Stück des Kuchens geschenkt hätte, hätte er an ihre Tür geklopft, fühlte Empörung in sich aufsteigen. So ein kleiner Halunke..! Oh, der konnte etwas erleben! Vorsichtig, sehr, sehr langsam, fasste sie ihre große Schürze an den beiden Zipfeln, bemüht, sich durch kein lautes Rascheln zu verraten, und spannte sie vor sich auf. Dann schlich sie sich auf Zehenspitzen auf den Eindringling zu. Der stopfte sich gierig Brocken des Kuchens in den Mund und schien sie noch nicht zu bemerken. Emilys Herz blutete, als sie sah, dass der kleine Schmutzfink tatsächlich mit bloßen Händen Stücke aus dem noch heißen Teig herausgerissen hatte. Und sie hatte mit so viel Liebe eines ihrer Lieblingsrezepte ausgesucht und sorgfältig gebacken, für John..! Sie trippelte auf den Jungen zu, bis sie kaum noch drei Schritte hinter ihm war. Dann überwand sie das letzte Stück mit einigen großen schnellen Schritten – ein vernehmliches Rascheln steifer Stofflagen, er schien etwas zu hören und schreckte auf, doch da hatte sie ihn schon erreicht. "Hab ich dich, du kleiner Dieb..!" Damit trat sie direkt hinter ihn, schlang die feste Leinenschürze von beiden Seiten um seinen Leib und drückte ihn kurzerhand kräftig an sich, damit er nicht um sich schlagen oder sie kratzen konnte, denn sie erwartete heftige Gegenwehr. "Na warte..! Dich werde ich lehren, hier zu stehlen..!" Die mollige kleine Britin war außer sich vor Empörung, und dabei hatte sie von Timothys weiterem "Ausleihen" noch gar nichts bemerkt.
Hmm.... so einen köstlichen Kuchen hatte Timothy schon lange nicht mehr kosten können. Wenn er es sich genauer überlegte, hatte er noch NIE solchen herrlichen Kuchen gegessen. Seit er umherzog, um seinen Bruder zu finden, hatte es eigentlich meist nur gegeben, was sich im Wald finden ließ, und ein paar Dinge, die man sich eben so "zusammensuchte". Und die Jahre davor waren noch viel armseliger gewesen, als die Zeit auf der Straße. Zumindest wähnte sich Timothy bei jedem Biss, den er mehr nahm, im Himmel und lauschte völlig versonnen nur noch mit einem halben Ohr auf das Kläffen des Hundes und vergaß sogar mitunter, dass er auch auf Fußtritt im Schnee achten musste. Eigentlich wollte er ja nur kosten und dann mit dem Kuchen und all den praktischen Sachen im Sack stiften gehen, bevor die Frau wieder zurückkehrte. Doch Timothy hatte die Macht seines Hungers schlicht unterschätzt, die ihm bei jedem Bissen einflüsterte, dass er doch noch einen Happen nehmen sollte und dann noch einen und noch einen und nur noch diesen letzten, und dann aber.... Umso mehr Timothy darauf hörte, umso wärmer wurde es ihm, umso schneller hörte der Schmerz im Bauch auf und er fühlte sich glücklich. Er wähnte sich auch völlig in Sicherheit, so lange das Kläffen des Hundes aus weiter Ferne zu hören war. Er wusste ja, sobald sich dies ändern würde, würde er von hier verschwinden müssen. Etwas besorgt blickte Timothy dennoch den Kuchen an, denn er hatte gut die Hälfte bereits hinuntergeschlungen und haderte nun sehr mit sich selbst. Denn locker hätte er auch die andere Hälfte noch verputzen können, aber wenn er morgen auch noch etwas davon haben wollte, sollte er jetzt wohl aufhören, ihn einstecken und türmen gehen.
Gerade als er seinen eigenen Plan für gut befand und in die Tat umsetzten wollte, hörte er hinter sich ein kurzes Rascheln, das den Jungen zwar alarmierte, ihn aber nicht mehr rechtzeitig reagieren ließ. Denn während er noch vor Erstaunen und einer ersten Welle der Panik mit vollem Mund versuchte, sich herumzudrehen, fühlte er sich von hinten gepackt. Ehe es sich Timothy versah befand er sich in Gefangenschaft. In seiner Überraschung blieb dem Jungen nichts anderes übrig, als das Stück Kuchen wieder auszuspucken, damit sein verärgertes Knurren auch ja Beachtung fand. Anhand der weiblichen Stimme fiel es Timothy nicht schwer zu erraten, dass die Frau zurückgekehrt war und er dummerweise in seiner Verzückung unachtsam geworden war. Doch Timothy befand sich nicht zum ersten Mal in solch einer Situation. Er hatte sich schon in der Vergangenheit mehr als nur einmal überrumpeln lassen. Eine gewisse Übung darin sich wieder zu befreien hatte er durchaus, nur war dieses Üben nicht immer mit Erfolg gekrönt. Die Aussicht auf einen Besuch beim Sheriff oder einen Kontakt mit dessen Riemen war ihm also gewiss. Etwas, dass der Junge tunlichst gerne vermeiden würde. Auch die Aussicht auf eine vermeintlich gut meinende Witwe, die ihn baden, schrubben und in kratzige Kleider stecken würde, damit der 'arme' Junge den Winter überlebte, war keine, die Timothy erstrebenswert hielt. Und es gab noch so viele Erfahrungen mehr, die er in solchen Situationen gemacht hatte, und die er nicht unbedingt ein zweites Mal machen wollte. Entsprechend fing er auch sofort an, sich in der Umarmung von hinten zu wenden und zu drehen, erreichte aber erst einmal nichts. Außer dass er einen roten Kopf vor Anstrengung bekam. Keuchend nahm er sich kurz die Zeit seine Situation zu analysieren, während die Frau ihn erst als Dieb beschimpfte, und ihm dann wie üblich in solch einer Lage, mit noch nicht ausgesprochenen Konsequenzen drohte. So aufgeregt und aufgebracht die Frau klang, konnte sich Timothy nur zu lebhaft ausmalen, was ihn erwarten würde. Er war definitiv nicht an jemanden geraten, der mit einem Kind, das aus Hunger stehlen musste, Mitleid hatte, sondern an jemanden für den ein Dieb eben ein Dieb war, ganz gleich wie alt dieser auch sein mochte.
Er musste demnach schleunigst von hier weg. Doch die Sondierung seiner Lage hatte nur niederschmetternd die Erkenntnis mit sich gebracht, dass er mit einer weißen Schürze gefangen gehalten wurde, deren Besitzerin kräftige Arme besaß. Er fühlte sich ein wenig wie die Beute einer Spinne, die sich in deren Netz verfangen hatte und umso mehr diese sich zu befreien versuchte, feststeckte. Doch dies entmutigte Timothy nicht. Noch hatte er nicht alles versucht.
Er ließ zunächst den Sack fallen, den er noch in der einen Hand hielt und versuchte erneut sich aus den Armen zu winden. Chancenlos. Wieder mit einem wilden Knurren begleitet, versuchte er die Frau zu treten. Erst gegen die Schienbeine, dann auf die Füße. Gleichzeitig wandte er den Kopf und biss mit aller Kraft in den linken Oberarm.....