Dass der Fremde lachte wähnte Lucy als ein gutes Zeichen. Hätte er ernste Absichten oder wäre er einer der ganz verschlagenen Sorte, dann hätte er sicher noch nicht einmal gewusst, wie man das Wort lachen buchstabierte. Aber so fühlte sich Lucy fast beruhigt. Vielleicht war er tatsächlich freundlich und Lucys Nerven einfach nur unnötig strapaziert. Da konnte es vorkommen, dass man falsche Schlüsse zog und sich dementsprechend verhielt. Ihr Misstrauen wischte sein Lachen dennoch nicht fort. Aber es ließ sie ein wenig entspannen.
Sie verharrte, ohne sich sicher zu sein, ob sie nun tatsächlich einfach verschwinden oder einfach weiter quatschen sollte. Sie konnte ihn schlecht für den Rest des Tages das Ohr abkauen, dafür war sie einfach zu mundfaul. Und Waltham schien auch nicht zu der gesprächigsten Gattung Mensch zu gehören. Er war recht höflich, ziemlich direkt- aber das war es dann auch. Mehr konnte sie über diese kurze Begegnung nicht sagen und sie wusste nicht, ob sie mehr herausfinden wollte. Wie hoch standen wohl die Chancen, dass er sie wiedererkannte? Ihr Plan war es vorerst, in den Wäldern Quartier zu beziehen. Und wenn er nicht allzu häufig auf solche verrückte Ideen kam, dann war die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie sich wirklich ein zweites Mal über den Weg liefen.
Lucy spitzte die Ohren. Meint er das etwa ernst? Sie sah ihn ein wenig ungläubig an. "Zurück in die Stadt?" hakte sie der Sicherheit halber nach. Nur kurz, ganz kurz, dachte sie darüber nach seinen Vorschlag anzunehmen. Aber was sollte sie schon wieder dort? Außer sich unnötiger Gefahr auszusetzen. Nein, für´s erste war sie bedient. "Nee, danke, nettes Angebot. Lass mal, reit du allein zurück", gab sie gedehnt Antwort. Und jetzt frag bloß nicht warum! Darauf geb ich dir sicher keine Antwort, es geht dich nämlich überhaupt nichts an! Wäre die Zeit eine andere und wäre sie sich sicher, nicht für Aufsehen zu sorgen, dann wäre sein Angebot eine Überlegung wert gewesen. Aber so? Nein.
"Aber kluge Entscheidung, hier draußen ist es ziemlich ungemütlich." Da musste sie ihm zustimmen und mittlerweile sehnte sie sich nach der halbwegs warmen Hütte zurück. "Ich muss dann auch mal", behauptete sie an und deutete undeutlich hinter ihre Schulter. Sollte er doch denken, dass sie zu einer der Farmen gehörte und im Wald herumstreunte.
Bei seinem Lachen schien sich der Bursche etwas zu lösen, zu entspannen. Ja, Lachen war und blieb eine gute Medizin, das stand fest. Dennoch lehnte der Bursche das Angebot ab, ihn mit in den Ort zu nehmen. Arthur konnte weiterhin nur mutmaßen, nahm aber an das er wohl noch zu tun hatte. Was auch immer es sein mochte was er hier draussen zu tun hatte. Wie auch immer, er hatte ja seine eigenen Sorgen und Pläne, denen er nachgehen konnte und auch würde. Als Pete dann so bedeutungsvoll mit dem Daumen hinter sich zeigte und andeutete das er ja nun auch wieder los müsse, nickte Arthur ihm zu.
"Verstehe." grüssend tippte er sich an die Hutkrempe und betrachtete Pete noch einen Moment. Ein wirklich seltsamer Bursche wie er fand, aber was sollte man machen. Die Einsamkeit des Westens liess viele Menschen ein wenig seltsam werden und diesen Kerl hier hatte es definitiv voll erwischt. Arthur liess das Pferd leicht seitlich laufen, bis Pete in einer, zum ziehen und schiessen ungünstigen Position stand, bevor er das Pferd herumzog und ihm sanft die Haken in die Flanken stob. Mit einem leichten Protestwiehern und eine kurzen Hopser, machte sich das Tier zwischen die Bäume. Hier brauchte Arthur nicht mehr fürchten das ihm der Kerl eine Kugel verpassen würde, zumindest nichtmehr so leicht. Entsprechend entspannt lenkte er das Pferd durch das Unterholz und um unwegsames Gestrüpp herum.
"Was tue ich hier eigentlich?" fragte er mehr sich selber und lenkte das Pferd wieder zurück in Richtung Ort. Vielleicht bekam er ja noch ein paar Reste des Reverenteinstiegsessens ab. Wenn nicht, nun, dann war er definitiv selber Schuld.
Lucy wich seinem letzten, prüfenden Blick aus. Sie konnte einfach nicht anders. Auch wenn sie sich normalerweise herzlich wenig um so etwas kümmerte und ihr Gesicht zu einer Maske verschließen konnte, aus der niemand auch nur den Hauch eines Gefühls zu entnehmen imstande war. Aber nun hatte sie beinah das lästige Gefühl, dass ihr die Antwort auf all seine ungestellten und unbeantworteten Fragen in den Augen stand. Hieß es nicht, dass die Augen der Spiegel der Seele waren? Wenn dieses schlechte Sprichwort stimmte, dann hätte Waltham, hätte er nur näher gestanden und Lucy direkt in die Augen geblickt einmal mehr gesehen, dass sie log und wie falsch sie war. Leid tat es ihr trotzdem nicht. Wie zum Trotz presste sie die Lippen zusammen und verschränkte die Arme, während sie seiner knappen Antwort noch ein Nicken schenkte. Gut, keine weiteren Nachfragen. Beinah war sie erleichtert. Für einen kurzen Augenblick hatte Lucy angenommen, er würde sie tatsächlich drängen oder zumindest nach einem "warum" fragen, so hartnäckig, wie sie ihn einschätzte. Aber nein, nein. Und vielleicht war es besser so, dann musste sie nicht noch einmal ein weiteres Mal lügen. Denn auch wenn es ihr bereits ins Fleisch und Blut übergegangen war, manchmal wurde sie doch dieser ständigen Anstrengung des neuen Ausdenkens und des keine-Miene-verziehens müde. Und im Augenblick war sie alles andere als in Höchstform.
Also sagte sie nichts weiter, sondern stand still und beobachtete ihn, wie er langsam sein Pferd in sichere Bahnen lenkte. Nicht auf den Kopf gefallen. So einer kann im Ernstfall gefährlich werden ging es ihr durch den Kopf, während sie dabei zusah, wie er zwischen den Bäumen verschwand. Lucy stand länger als unbedingt nötig und lauschte, wie das Geräusch der Hufe im Schnee langsam leiser wurde, bis es ganz verschwand. Sie blieb so lange still stehen, bis ihr der Puls in den Ohren nur noch ein Rauschen war und sie anfing zu frieren. Sie konnte nun sicher sein, dass er nicht mehr zurückkehrte. Und wenn doch? An und für sich war auch das nicht sonderlich schlimm. Außer er hatte eine Armada an Gesetzeshütern im Schlepptau.
Lucy grinste und schlug fröstelnd die Arme um sich, während sie sich auf den Rückweg zu ihrem Refugium machte. Dabei lauschte sie mit einem Ohr stets auf die Geräusche des Waldes, ob sie ein herannahendes Pferd oder Menschen verrieten. Aber es blieb still und Lucy fühlte sich erleichtert, als sie die Holzbaracke erreichte und in die Einsamkeit der Hütte eintrat. Während sie das Wasser abstellte bemühte sie sich, Walthams Gesicht in ihre Erinnerung einzubrennen. Egal ob er sie vergessen mochte oder nicht, es war immer nützlich wenn man wusste wie Freund und Feind aussah.