Angestrengt dachte er nach, während er weiter voranstapfte. Ben hatte sich diese, oder zumindest eine ähnliche, Gelegenheit wohl tausend Male in Gedanken ausgemalt: Er zeigte seinem Mädchen sein Haus, seine Werkstatt, sie war überwältigt, fiel ihm um den Hals, woraufhin er auf wundersame Weise die rechten Worte fand, um ihre Hand anzuhalten. Natürlich wußte sie nichts, was ihr lieber gewesen wäre, als sofort ja zu sagen. Gemeinsam traten sie in das Haus ein, und... nun, was dann geschah, hatte er sich noch nie so ganz genau ausgemalt, doch er wäre bereits der glücklichste Mann der Welt, wenn es bis zu diesem Punkt so verlaufen würde. Als er jetzt jedoch vor sich die vertrauten Umrisse der Hausfront vor sich auftauchen sah, Abby vor sich auf seinen Armen, nahm die Ahnung immer deutlichere Züge an, er müsse nun so langsam die Worte bereit haben, mit denen er sie ansprechen würde. Feierliche Worte, bei denen sie zu Tränen der Freude gerührt sein würde. Keine peinlichen Versprecher, kein Stottern, kein verlegenes Herumdrucksen. Es irritierte den riesenhaften Stellmacher nicht wenig, daß die glänzenden Einfälle auf sich warten ließen, während seine Werkstatt näher und näher kam. Er hatte das Gefühl, Miss Abby müsse das auch spüren, weshalb er zu ihr hinunter lächelte – in einer Weise, die sie beruhigen würde, wie er hoffte. Er wußte, es war an ihm als Mann, der feste, unerschütterliche Fels zu sein, der kühlen Blutes stets die rechten Entscheidungen zu treffen verstand. Trotzdem er einen so langsamen Kopf hatte: Er durfte ihr nicht zumuten, selbst Verantwortung übernehmen zu müssen, das wäre nicht recht gewesen, denn das war nicht Aufgabe einer Frau. Und er wollte seiner Abby doch keine Pflichten aufbürden, die gar nicht ihre waren, sondern ihr im Gegenteil nur das beste bieten! Ohne daß er es bemerkte, verlangsamten sich seine Schritte immer mehr, während er die kleine Frau in seinen Armen in kurzen Abständen verschämt angrinste.
Schließlich ragte die Hausfront direkt vor ihm auf, und es wollten ihm noch immer keine ernsten, ergreifenden Sätze einfallen, mit denen er sie vielleicht gar im Vorgriff auf die Eheschließung über die Schwelle hätte tragen können. Der Gedanke gefiel ihm, auch wenn er sich dunkel zu erinnern meinte, es könne Unglück bringen, wenn er sie hineintrug, bevor sie seine Braut war. Mit einem tiefen Durchatmen ließ er seinen Blick nach oben gleiten, bis zu der Stelle, an der er das große Schild anbringen wollte, das Schild, das verkündete, welchem Handwerk hier nachgegangen wurde. Dann schaute er zur Tür – und plötzlich kam ihm doch noch ein Gedanke. Es war zwar nicht ganz, was er sich vorgestellt hatte, aber immerhin fand er diese Idee auch gut. Er würde sie wirklich hineintragen, aber zugleich würde er ihr eine schöne Überraschung bereiten! Ein vergnügtes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Er sah Abby an und unterdrückte ein fröhliches Glucksen. "Mmmh... du, Miss Abby..? Du mußt mal deine Augen zumachen. Ganz fest, und nicht gucken, bevor ich’s sag, ja?" Er wirkte mit einem Mal wie ein kleiner Junge, der einen köstlichen Streich vorhatte. Ben strahlte geradezu die Vorfreude aus. Vor seinem inneren Auge sah er das sprachlose Gesicht seiner kleinen Miss, wenn sie die Räume sehen würde, vor allem die große Küche, und die Freude, wenn sie erfuhr, dies würde ihr künftiges Zuhause sein – alles für sie! Die Räume würden für sich sprechen, ohne daß er sich eine umständliche Rede ausdenken müßte. In seiner Begeisterung kam ihm gar nicht in den Sinn, wie begrenzt die Überraschung für jemanden bleiben mußte, der schließlich schon diverse Male an dem Haus vorübergegangen war und also ahnen mußte, wie die Räume im Inneren in etwa aussahen. Ben selbst hätte sich das nicht denken können, also ging er davon aus, auch Abby würde völlig ahnungslos sein. Ihm gefiel das kindliche Spiel dagegen immer mehr. Hätte er ein Tuch zur Hand gehabt, er hätte ihr am liebsten die Augen verbunden und sie an der Hand im Haus herumgeführt, bevor sie es hätte abnehmen dürfen, nur um den Spaß in die Länge zu ziehen.
Von Bens Gedanken ahnte Abigail nichts. Weder seine Sorgen, das er bei seinem Vorhaben mit peinlichen Stottereien oder Versprechern, sein Vorhaben kaputt machen könnte, noch von seinem eigentlichen Vorhaben. Die kleine Töpferin ahnte nichts von dem, was Ben plante, sah nicht hinter dessen Plan und Idee bei dem ganzen. Die kleinen Anspielungen entgingen ihr. Die grosse Küche, für sie, das Haus, das er für sie und die Familie baute und herrichtete. Abigail hatte nie sonderliche Aufmerksamkeit von Männern erfahren, zumindest keine die sie als angenehm empfunden hätte und so war es für sie einfach nicht real, das ein Mann sich ernsthaft um sie bemühte. Schon gar nicht ein Mann wie Ben. Unterbewusst nahm sie sein werben schon wahr, machte sich auch irgendwie Gedanken darüber, aber wie sie reagieren würde, wenn er sich traute das Thema auf den Punkt zu bringen, sie wusste es nicht. Das stand bei Ben ja aber auch nicht zu befürchten, zumindest glaubte Abigail das. Gut, sie hatten eine feste Freundschaft, die sogar die letzten zehn Jahre Trennung irgendwie zu überstanden im Stande gewesen war und Ben war ihr, obwohl sie eigentlich keine Verbindung hatten, tru geblieben. Hatte all diese Jahre auf sie gewartet und sein gesammtes Sein darauf ausgerichtet sie irgendwann ...ja was eigentlich?
Abigails Kopf und Herz fanden hier keinen gemeinsamen Rhytmus. Einerseits war sie entzückt von dem Gedanken einen Mann wie Ben zu haben, Ehrlich, hart arbeitend, treu wie ein Hund, aber es blieb dieser kleine Schatten der dieses mögliche Glück überlagerte. Etwas das sie einfach nicht so leicht weg diskutieren konnte und tief in ihrem inneren gab es zwei Gefühle die miteinander rangen. Einerseits freute sie sich auf den Moment, an dem Ben den Mut und die Kraft fand eine schwerwiegende Frage zu stellen, denn unterm strich war es immer noch um ein fielfaches besser einen Mann wie Ben zu haben, als gar keinen, aber andererseits war da auch die Angst vor diesem Moment. Der Moment an dem sie ihm, nach derzeitigem dafürhalten wohl würde wehtun müssen. Gerade bei Ben war das schwer, denn sie wollte dem gutmütigen und grundweg lieben Riesen nicht wehtun, ihm keinen Kummer bereiten. Allerdings war sie auch noch nicht soweit sich selber einzugestehen das Ben der Richtige war. Eine vertrackte Situation die siei hinter der lächelnden Fassade bewahrte. Sie fühlte das Ben alles für sie tun würde. Ihr notfalls die Sterne vom Himmel pflücken würde wenn sie ihn darum bat, aber war das nicht genau teil des Problems? Sie lenkte ihn, nicht anders herum. So wie es sich gehörte. Er war der Mann, er hatte die lenkende Rolle, nicht sie und dennoch, sie konnte ihn lenken. Emotionell ebenso wie mental. In einer Bindung zwischen ihnen beiden wäre sie die Person, die die Hosen anhatte.
Ben war zu sehr bemüht sie glücklich zu machen. Er war einfach kein Mann bei dem sie wiederworte erwarten musste, oder Leitung erfahren würde. Noch war das ja alles zum Glück nicht soweit und sie konnte ihre Zweifel und Bedenken hinter einem lieben Lächeln für Ben verbergen. Genaus wie sie sich sicher war, das sie sich unsicher war, was Ben anging, so sicher war sie sich auch, das es ihr immens gut gefiel was Ben tat. Die Aufmerksamkeit die er ihr schenkte war hinreissend und gab ihr ein warmes Gefühl von dem sie zwar wusste was es war, das sie aber so nicht kannte und das sie, wenn sie es sich eingestand, auch ein wenig ängstigte. Ehe. Das war ein einschneidender Schritt, eine Bindung fürs Leben und als solche musste sie da wirklich alles abwágen, bevor sie eine Entscheidung treffen würde. Treffen konnte. Ob Ben das verstehen konnte?
Vor dem Eingang angekommen besann sich der riesige Stellmacher und setzte seine kleine Angebetete endlich wieder ab. Behutsam stellte er sie auf die Füße und trat dann verlegen grinsend einen Schritt zurück. Der Grund für seine Verlegenheit war allerdings weniger die Tatsache, daß man sie womöglich gesehen hatte, während er sie die Hauptstraße des Ortes entlang getragen hatte. Darauf hatte Ben nicht einmal geachtet. Doch seltsamerweise kam gerade jetzt, da er sie nicht mehr so nahe und direkt bei sich hatte, wieder ein gewisses Schamgefühl bei hm auf. Der Umgang mit Mädchen unterlag vielen, sehr komplizierten Regeln, die er nie vollends verstanden hatte, weswegen er sich für gewöhnlich auf sein Gefühl verlassen mußte, ob etwas zu tun in Ordnung war oder nicht. Ausgerechnet Miss Abby machte ihn aber so nervös, daß es ihm wirklich sehr schwer fiel, sich auch nur auf sein Bauchgefühl zu konzentrieren. Er sandte daher ein stummes Stoßgebet zum Himmel, daß er sich gerade eben nicht zuviel herausgenommen hatte, während er nach dem Schlüssel zu dem klobigen Schloß an der Eingangstür kramte. Immerhin, er hatte einen Weg hinter sich, auf dem er sich gefühlt hatte, als ginge er auf Wolken! Und wenn er das Gesicht seiner kleinen Miss richtig deutete, dann war sie auch nicht böse auf ihn... Mit einem lauten Räuspern zog er schließlich den schweren Schlüsselbund hervor, an dem der Schlüssel zum Türschloß wie auch die zu seinen Werkzeugkisten mit den guten und teuren Werkzeugen hing.
Seine Hände waren ziemlich feucht, daher mußte er eine Weile mit dem großen Schlüssel in dem Schloß herumfuhrwerken, bis es knirschend nachgab. Rote Flecken zierten das Gesicht des Hünen, als er sich zu Abby umdrehte und mit einer Mischung aus Stolz und Nervosität an sie wandte. "Das is m-mein Haus, Miss Abby..." Natürlich wußte sie es, schließlich war es schon das Haus seines Pa gewesen, aber ihm fiel einfach nichts Besseres ein, das er hätte sagen können. "B-bitteschön..!" Er schob die Tür auf und wies unbeholfen auf die Öffnung, hinter der ein Halbdunkel herrschte, denn es brannten keine Lampen in dem Haus, in dem sich während seiner Abwesenheit ja niemand aufhielt. Lediglich im Herd, in der Küche, würden noch die Kohlen glühen und damit diesen Raum zum einzigen mit einigermaßen angenehmen Temperaturen werden lassen. Die Werkstatt dagegen war momentan kalt und dunkel. Doch Licht ließ sich ja rasch und einfach besorgen, und was die Kälte anbetraf, war der riesige Mann nicht sonderlich empfindlich. Solange er nicht mit bloßen Händen arbeitete, brauchte er selbst im dicksten Winter kaum eine Heizung in seiner Werkstatt. Er kam von allein ins Schwitzen, wenn er sich so richtig ins Zeug legte. Und er tendierte dazu, zu vergessen, daß andere Menschen in dieser Hinsicht weniger hart im Nehmen sein mochten. Im Moment jedenfalls drängte alles in ihm danach, der kleinen Töpferin sein Heim zu zeigen, das bald auch das ihre werden sollte, wenn alles nach seinen Wünschen verlief. Daher wartete er neben der Tür ab, die einladend offenstand.