Postkutschen-Inneres rechte Seite: Helen mit Sohn Calvin und Mutter Laura linke Seite: Tamina, zwei unbekannte Herren
Blenden weiß zog die dichte Schneedecke des Hinterlandes an den Fenstern vorbei, während der Fahrtwind um die Postkutsche heulte. Schnell kam dabei die Concord nicht vom Fleck, denn teilweise waren die Wege sehr hoch zugeschneit und man hatte ihnen bereits in St. Johns die Vorwarnung ausgesprochen, dass die Kutsche niemals auf 12.00 Uhr in Camden Village ankommen würde. Doch Helen hatte es nicht eilig. Sie wollte vor Abend in Camden Village sein, mehr auch nicht. Anders sah es mit ihrem siebenjährigen Jungen aus, der schon mehrfach darüber gejammert hatte, er habe großen Hunger. Sie hatten früh gefrühstückt und nichts für die kurze Reise eingepackt. Helen hatte für Calvin nur ein paar Karamellbonbons hervorzaubern können. Natürlich zum großen Missfallen ihrer eigenen Mutter, die in ihrem warmen, grauen Wollmantel und dem ebenso grauen Muff in ihrer Ecke der Postkutsche saß, aufrecht wie immer und die Meinung vertrat, es würde Zeit werden, dass sie Calvin endlich zu etwas mehr Härte erzog. Helen hatte nur still gelächelt, innerlich die Augen verdreht und Calvin daraufhin demonstrativ die ganze Packung Bonbons in die Hände gedrückt. Soweit kam es noch...
Sie reisten in Gesellschaft und deswegen zog es Laura Alcott vor, lieber daraufhin zu schweigen. Was Helen gelegen kam. So konnte sie doch ein wenig mehr in Ruhe die schöne Landschaft genießen. Sie wusste was sie erwartete. Immerhin kannte sie das Land. Sie war zwar um St. Johns groß geworden, aber die saftigen Weiden von Camden Village waren ihr genauso bekannt. Bis hier her hatte sie ihr eigenes Land ausgedehnt und war auf Widerstand gestossen. Warren Simones ließ sich scheinbar nicht gerne die Krone stehlen. Doch endlich hatte sie Fuß gefasst. Es hatte sie eine Stange Geld gekostet, aber das war es wohl wert gewesen. Ihr gehört das beste Stück Land, das Simones sich noch nicht unter den Nagel gerissen hatte und darüber würde er sich grün und blau ärgern. Alleine der Gedanke ließ Helen still vor sich hinlächeln.
Calvin wurde unruhig und fragte zum wiederholten Male wann sie endlich da sein würden. Helen blieb geduldig und erklärte ihm erneut, dass sie es bald geschafft hatten und er dann erst einmal etwas Gescheites zum Mittagessen bekam. Zum Glück hatten sie es nicht sonderlich weit. Anders als die Mitreisenden. Die beiden Herren waren in Deadwood eingestiegen und in Cheyenne umgestiegen. Die dunkelhaarige Frau ihr gegenüber dagegen hatte sich sehr schweigsam gehalten und war ihren Fragen bisher ausgewichen. Sie wirkte anders als die Menschen, die Helen kannte. So dunkelhaarige wie Helen selbst, wies sie doch ein paar Merkmale auf, die Helen annehmen ließen sie sei nicht aus Amerika oder zumindest keine, die ihre Wurzeln auf den Unabhängigkeitskrieg zurückführen könnte. Sie wirkte fremdländisch mit ihren hohen Wangen, der schmalen Nase und der etwas arroganten Haltung, als fühlte sie sich nicht wirklich sicher und wohl unter der Reisegesellschaft. Nun, das war nicht weiter verwunderlich, da einer der Herren eine unanständige Anspielung nach der anderen machte und sichtbar durchblicken ließ, dass ihm seine Sitznachbarin gefiel. Entweder besaß diese das große Talent Ignoranz oder aber sie verstand den Mann nicht wirklich.
Irgendwann wurde es Helens Mutter zu bunt. Sie zog ihre Rechte aus dem Muff, in der sie ein Reisebibel hielt und schlug dem Mann recht kräftig auf das Knie. "Ich glaube sie sollten in einer Postkutsche voller Damen anfangen sich wie ein Gentleman zu benehmen." Der Begleiter des Mannes fing schallend an zu lachen und sein Freund murmelte eine Entschuldigung. Helen schmunzelte breit und musste zugeben, auch wenn ihre Mutter eine Nervensäge sein konnte, mutig war sie schon immer gewesen. Kurz kehrte RUhe ein und Helen versucht sich wieder zu entspannen, als plötzlich ein harter Ruck durch die Kutsche lief und sie gehörig durcheinander wirbelte. Helen bekam das Kunststück fertig Calvin einen Arm um die Schultern zu legen, um ihn festzuhalten, während sie auf Laura rutschte, einer der Männer fiel nach vorne auf Helen und Calvin und sie hatte alle Hände voll damit zu tun, selbst nicht den Halt zu verlieren. Was mit den beiden anderen war, entzog sich Helens Sicht. Dafür fielen gerade Gepäckstücke über sie und im selben MOment kippte die stark geneigte Postkutsche einfach zur Seite....
Da saß sie nun. Vollkommen alleine. Tamina starrte wie gelähmt aus dem Fenster der Kutsche. War sie auf dem richtigen Weg? Nicht einmal das konnte sie sich selbst bestätigen. Zwar hatte sie den Kutscher gefragt ob er zum Hafen fuhr. Doch so ganz sicher war sich die Prinzessin nun nicht mehr. Tränen wollten sich ihren Weg an die Oberfläche kämpfen, doch die ließ Tamina nicht zu. In ihrer dunklen Robe fror sie erbärmlich. Was hatten sich ihre Begleiter nur gedacht? Sie hätte etwas wärmeres benötigt. So schöne warme Klamotten wie die beiden Damen hatten die ihr gegenüber saßen. Naja, wenigstens war Tamina so geistesgegenwärtig gewesen und befahl noch ein Tuch dazu zu kaufen, dass sie sich über die Schultern legen konnte. Auch das trug die Farbe der Nacht, denn die Prinzessin war nicht in der Stimmung für Farbe. Sie war hier in einem fremden Land und sollte einen einfachen Mann heiraten. Oh, wieso tat ihr Vater ihr das nur an? Aber Tamina kannte die Antwort. Sie hatte ihn zu oft vor den Kopf gestoßen. Hätte sie sich doch nur für einen der Prinzen entschieden.
Doch nun war es zu spät. sollte man meinen. Tamina aber gab nicht auf! Noch nicht. Sie war fest entschlossen mit einem Schiff zurück in ihre Heimat zu fahren und dann ihren Vater um Vergebung zu bitten. Wie sie das anstellen wollte? Nun, sie hatte für die Fahrt mit dieser Kutsche schon ihren goldenen Armreif verkaufen müssen. Für die Überfahrt würde sie wohl auch ihre Kette verkaufen müssen. Fast gedankenverloren glitten ihre Finger über die Stelle an ihrem Hals an dem sie das Schmuckstück wusste. Zum Glück wurde die Kostbarkeit von dem Tuch überdeckt. Selbst Tamina wusste, dass sie hier in einem gefährlichen Land war und sie sich schützen musste. Der Mann neben ihr sprach fast ununterbochen und die Prinzessin hatte das Gefühl er sprach sie an. Aber mal davon abgesehen, dass sie nicht mit einfachen Männern sprach, verstand sie auch nicht was er sagte. Nur wenige Worte und die ergaben für Tamina einfach keinen Sinn.
Nur einmal sah die Prinzessin zur Seite. Durch den dunklen Schleier hindurch, der an zwei Spangen in ihrem Haar gehalten wurde, betrachtete sie sich den Mann. Nein, er war es eigentlich nicht einmal würdig neben ihr zu sitzen. Es war ohnehin schon erniedrigend in einer Kutsche mit so vielen Leuten sitzen zu müssen. Doch Tamina war tapfer. Sie hielt sich mit Äußerungen zurück. Es hätte sie ohnehin niemand verstanden. Und so versuchte sie sich weiterhin auf die Landschaft zu konzentrieren. Schnee nannte man das, was dort draußen lag. Tamina hatte in ihrem Leben noch nie Schnee gesehen und hier schien es so viel zu geben. Und es war so kalt. Die Prinzessin fühlte sich absolut nicht wohl. Wie sehr wünschte sie sich wieder in den Palast zurück. Dann plötzlich schrack sie zusammen, als die ältere Frau ihr gegenüber den Mann schlug. Mit großen Augen blickte die Prinzessin auf. Wie konnte sie das nur wagen? In ihrer Heimat wäre sie nun ausgepeitscht worden für diese Tat. Eine Frau hatte sich niemals gegen einen Mann aufzulehnen. Aber hatte sie das nicht selber getan? Traurig seufzte Tamina lautlos. Sie hatte sich gegen den Willen ihres Vaters gestellt und das hatte sie in diese Gegend gebracht.
Weiter kam die junge Prinzessin gar nicht, denn plötzlich wurde sie von ihrem Sitz gerissen und fiel auf den Boden der Kutsche. Ekel konnte nicht aufkommen, denn da traf sie eines der Gepäckstücke im Rücken und einer der Männer fiel auf sie. So gut es ging versuchte sich Tamina wieder aufzuraffen. Doch sie konnte sich gar nicht richtig bewegen. Die Stelle an der sie der Koffe getroffen hatte schmerzte. Verwundert sah sie sich um. Dann fiel ihr Blick auf die Frau mit dem Jungen. Sie war für Tamina noch am vertrauenswürdigsten. "Was passiert?" Wollte sie dann wissen.
Kutsche im Freienfall Helen mit Calvin und Laura, Tamina und zwei weitere Reisende
Helen reagierte instinktiv in dem sie ihren Körper wie ein Schild über Calvin beugte und so die Treffer des Handgepäcks abbekam. Eine Tasche in den Rücken, eine andere an den Kopf. Sie hörte ihre Mutter entsetzt aufschreien und hob den Blick. Ehe sie etwas erkennen konnte kippte im selben Moment die Kutsche vollständig zur Seite und das letzte was Helen in diesem Moment wahrnahm, war der fragende Blick der sonderbaren Frau von gegenüber, die inzwischen wie sie selbst zu Boden gegangen war und recht einfach gehalten nach dem Grund dieser misslichen Lage fragte. Im gleichen Augenblick stieß sich Helen den Kopf heftig an und alles um sie herum wurde dunkel. Nur mit Mühe konnte sie gegen die Dunkelheit und Übelkeit ankämpfen, nach wie vor versucht Calvin vor dem schlimmsten Schaden zu bewahren. Noch einmal ging ein heftiger Ruck durch den Wagenrumpf, noch ein letztes Mal wurden die Insassen hin und hergeschleudert, dann kehrte Ruhe ein. Sah man von einem aufgebrachten Wiehren der Pferde ab und den Rufen des Kutschers und sein Begleiter, dicht gefolgt von zwei, drei Schüssen. Helen schüttelte benommen den Kopf, tastete nach der Stelle, an der sie sich gestossen hatte und spürte Blut an ihren FIngern. Etwas kaltes unter ihren Händen ließ sie erschrocken zusammenfahren, bis ihr bewusst wurde, dass die Fensterscheiben zerbrochen waren und sie im Schnee knieten. Die Kutsche war umgestürzt? Schüsse? Ein Überfall? Sie hatte damit gerechnet, aber natürlich gehofft, dass sie unbehelligt nach Camden Village gelangen würden. Die Überfälle der letzten Monate waren noch nicht vergessen und auch wenn es in der Zeitung gehießen hatte, dass der Sheriff des Countys mit seinen Deputies die Bande hatte hochgehen lassen, wollte Helen nicht darauf vertrauen, dass die Gegend wieder sicher war. Neben ihr brummt einer der Männer und kam in den Schneidersitzt. Er blutete an der Schläfe und wirkte sichtlich blaß. Ihre Mutter war bereits dabei sich über die Armlehne der äußeren Sitze nach oben zu ziehen. Calvin fing wohl im Schock das Weinen an, aber zu fehlen schien dem KLeinen nichts. Erleichtert drückte Helen den Jungen an ihre Brust und hielt ihn fest. "Shht.. alles gut, Cal, hörst du? WIr hatten wohl einen Unfall," die Worte richtete sie auch an die anderen im Wagen.
Über ihnen wurde die Tür auf der Seite des Wagens aufgerissen, die nach oben lag und ein Schatten beugte sich darüber. Helen wollte das Herz für eine Sekunde aussetzen, denn die Furcht vor einem Überfall war weit größer als sie zu lassen wollte. Man würde sie ihres Geldes und Goldes berauben, den Schmuck abnehmen und die Frauen womöglich ... nein daran war im Moment am besten nicht zu denken.
"Alles klar da drinnen?", die vertraute Stimme des Kutschers ließ Helen erleichtert auflachen und mit einem "Ja, geht so," antworten. Rasch wurde ihrer Mutter eine Hand gereicht mit deren Hilfe Laura aus der Kutsche klettern konnte. "Wölfe," erklärte der Kutscher dabei knapp. "Der lange Winter macht sie unvorsichtig. Haben die Pferde wild gemacht. Wir haben sie mit ein paar Schüssen vertrieben. Wer ist der nächste?"
"Gehen sie ruhig," Helen wies der Unbekannten mit einer Handbewegung an, dass sie ruhig vor konnte. Sie musste erst Calvin beruhigen, damit der Junge überhaupt in der Lage war, sie loszulassen...
Es war wirklich alles andere als angenehm am dreckigen Boden der Kutsche zu liegen, halb erdrückt von einem der anderen Mitreisenden. So erniedrigt war Tamina noch nie geworden. Der Prinzessin war zum Heulen zumute. Doch sie war stark! Sie würde diesen unkultivierten Menschen nicht zeigen wie schlecht es ihr ging! Eine Prinzessin hatte stets Würde zu bewahren. Und das tat Tamina auch jetzt. Sie versuchte sich unter dem Mann heraus zu winden, der seinerseits auch versuchte aufzustehen. Die Frau mit dem Kind erklärte ihr, dass sie einen Unfall hatten. Das sie damit eigentlich das Kind beruhigen wollte, das sah Tamina nicht. Schließlich hatte die Prinzessin etwas gefragt und die Frau hatte zu antworten. Unfall! Dieses Wort war in jeder Sprache schrecklich. Aber vor allem bedeutete es, dass sie nicht mehr rechtzeitig zum Hafen kamen. Und dabei war Zeit doch genau das was Tamina nicht hatte. Sie wusste nicht wann ein Schiff abfuhr und wollte deswegen so schnell wiemöglich wieder dort sein.
Wut stieg in der orientalischen Schönheit auf. Diese Menschen hier wussten nicht einmal wie man Kutsche fuhr! Ihre Sänftenträger hatten mehr Feingefühl. Mit einem Ruck sog Tamina ihre Beine unter dem Mann hervor und brachte sich dann halbwegs in eine knieende Position. Am liebsten würde sie den Verantwortlichen auspeitschen lassen, doch sie musste schnellstmöglich eine andere Lösung finden. Als sich die Türe über ihnen öffnete, hob Tamina in einer elleganten Bewegung den Kopf. Sie dachte gar nicht an die Ängste, der Frau mit dem Kind. Warum auch? Wusste die orientalische Prinzessin doch nicht von den Gefahren die es hier gab. Der Mann reichte seine Hand ins Innere der Kutsche und Tamina hatte diese schon ergriffen, noch bevor ihr die Frau mit dem Kind so selbstlos den Vortritt lies. Es war selbstverständlich, dass sich Tamina als erste aus dieser Kutsche und der Miesere befreite. Frierend kämpfte sie sich an der Seite der Kutsche weiter nach vorne und sprang schließlich auf den schneebedeckten Boden. Es fühlte sich komisch an unter den Schuhen. Und Obwohl Tamina eine neugierige Natur hatte, interessierte sie im Moment nur eines. "Wann weiterfahren?" Wollte sie in bestimmenden Ton von dem Mann wissen, der sie gerade aus der Kutsche gezogen hatte. Und er gab ihr jetzt nicht die richtige Antwort.
Laura mit Tamina außerhalb der Kutsche Helen und Calvin folgen
Helen strich Cal immer wieder beruhigend über den Rücken, bis sein Weinen nur noch ein leises Wimmern war und sie sich sicher sein konnte, dass er den ersten Schock überwunden hatte. Ob die Fremde sie überhaupt verstanden hatte wusste Helen allerdings nicht zu sagen. Immerhin hatte sie sich mit der Anwort zufrieden gezeigt und nicht mehr weiter gefragt. Womöglich war die Information über die Wölfe auch für die fremde Frau ausreichend gewesen. Zumindest nahm sie ohne ein Wort des Dankes den ihr gelassenen Vortritt an. Helen hatte sogar den Eindruck, dass sich die Fremde dieses Vorrecht nur wenige Sekunden zuvor einfach genommen hatte. Aber mit Sicherheit konnte sie es nicht sagen. Einer der Männer bot sich an ihr mit dem Jungen zu helfen, aber Helen lehnte höflich das Angebot ab. Sie war schließlich ihr halbes Leben ohne die Hilfe eines Mannes ausgekommen. Und sie hatte in weit aus schlimmeren Situationen gesteckt, als in der aktuellen. "Na komm Cal, das schaffst du schon," mit diesen aufmunternden Worten stand Helen auf, kaum dass die Fremde nach ihrer Mutter die Kutsche verlassen hatte und hob Calvin hoch, damit er nach der Hand des Kutschers greifen konnte. Er klammerte sich noch einen Moment an ihr fest, sah dann aber ein, dass es das beste wäre einfach zu folgen, um der Kutsche zu entkommen. Danach half man Helen nach oben und sie atmete erleichtert durch, als ihr die Schneeflocken ins Gesicht fielen, der kühle Wind ihre Haut streifte und sie mit Erleichterung feststellen konnte, dass die Pferde nicht alle durchgegangen waren.
Sie sah ihre Mutter bereits am Boden, tief in ihren Mantel gekuschelt und in unmittelbarer Nähe die Fremde, die so gar nicht hier in diese Gegend zu passen schien. Ihr schien es offensichtlich verdammt kalt zu sein, was Helen vermuten ließ, dass sie nicht von hier war und das lag nicht nur an ihrer Bekleidung. Der zweite Kutscher nahm ihr vom Boden aus Calvin ab, der sofort hinüber zu seiner Großmutter sprang und sich in ihre Arme flüchtete. Die Fremde forderte im selben Augenblick recht bestimmend eine Information über die Weiterfahrt vom Kutscher ein, der entsprechend entgeistert die Frau anblickte, auf seinem Kautabak herumkaute und dann eine große Ladung zu Boden spuckte. "Ja, nee Lady.. nach was'n sieht das hier denn aus?," er deutete mit dem Daumen auf die übrig gebliebenen drei Pferden, von fünf, weiter zur gebrochenen Vorderachse und kratzte sich dann das struppige Kinn. "Weiterfahren," er lachte schließlich und half Helen mit Hilfe seines Partners von der Kutsche herunter. "MIt der Kutsche? Nich' ohne Hilfe. Wir brauchen Material und ein paar starke Arme," die Kutsche musste schließlich wieder aufgerichtet werden. "Und vor allem Pferde. Wenn sie jetzt loslaufen, schaffen sie's noch vor Nachmittag nach Camden Village," er zeigte auf die zugeschneite Straße vor ihnen, die sich nur als Schneise zwischen den Bäumen erahnen ließ.
Helen konnte einen frustrierten Seufzer nicht unterdrücken und besah sich die Schäden, die sie daran hindern sollten rechtzeitig in der Stadt anzukommen. Hatte sie vor wenigen Minuten noch geglaubt, sie hätte es heute nicht eilig, so musste sie sich jetzt doch eingestehen, dass sie mit so etwas unverhofftem nicht gerechnet hatte und schon gar nicht mit solch großer Verspätung. Loslaufen war natürlich eine ziemlich dumme Idee. Zumindest alleine. Es gab Wölfe, Indianer, Banditen.. Camden Village war im Moment mit negativen Schlagzeilen in der Presse gewesen und Helen wollte nichts wagen. Zumindest nicht mit Calvin. "Großartig," stöhnte sie und verdrehte die Augen. Sie spielte kurz mit dem Gedanken den Kutschern die Pferde abzukaufen. Sie würden ihnen reichen, aber sie konnte es schwer mit ihrem Gewissen vereinbaren die anderen Reisenden hier schutzlos zurück zu lassen. "Vielleicht machen wir erst einmal ein Feuer," stellte sie fragend in die Runde, als auch die beiden Männer aus der Kutsche waren und bis auf Schürfwunden niemand etwas größeres zu haben schien. Ihr selbst tat es zwar in der Seite ziemlich weh, doch sie maß dem keine besondere Achtung bei. Es würde schon vergehen. Wshrscheinlich war sie ungeschickt gestürzt. "Sammeln wir in der Nähe Holz?", der Vorschlag stammte von einem der Männer und Helen hielt ihn für sehr vernünftig. Die Bewegung würde sie alle warm halten und die Aufgabe von der Situation ablenken. Calvin befahl sie ausdrücklich bei Großmutter zu bleiben und damit er sich nicht überflüssig vorkam bat sie ihn auf die Kutscher aufzupassen und ihnen zu helfen, wenn er konnte. Damit konnte sie sich ziemlich sicher sein, dass der Junge blieb wo er war und angespannt die beiden Männer im Auge hielt, darauf gespannt, ob sie nicht eine kleien Aufgabe für ihn hatten. Sie strich ihm sanft über die noch feuchten Wangen und versprach auf sich aufzupassen. Immerhin wollten sie ja auf Sichtkontakt bleiben. "Kommen sie mit mir?", fragte sie die Frau, die sie lieber in ihre Nähe wusste, als in der der beiden anderen Fahrgäste, von denen einer ein ziemlich starkes Interesse an der Frau bezeugt hatte. Und man konnte nie vorsichtig genug sein.
Viel verstand Tamina nicht von dem was der Mann ihr sagte. Diese Sprache war einfach unmöglich. Und es gab hier anscheinend Leute, vorzüglich Männer, die es nicht einmal für nötig hielten, beim Sprechen den Mund zu öffnen. So wie der Mann ihr gegenüber, der bisher eigentlich dafür verantwortlich war die Kutsche zu lenken. Mit nicht all zu großem Erfolg, wie man nun sah. Trotzdem folgte Tamins Blick der ausgestreckten Hand und erst jetzt überblickte sie das ganze Ausmaß des Unfalls. Das Rad der Kutshe war gebrochen und selbst eine Prinzessin wusste was das bedeutete. Man musste das Gefährt reparieren und das würde in diesem Land, in dem es scheinbar kaum Leute gab, nicht so schnell möglich sein. Das Lachen des Mannes machte die Prinzessin dann nur noch wütender. Sie ballte die Hände zu Fäusten und presste die Lippen sofest aufeinander, dass sie nur noch zwei blutleere Striche waren. Wie viel man davon unter ihrem Schleier sehen konnte, das war der orientalischen Schönheit im Moment egal. Sie war ganz kurz davor ihre Beherrschung zu verlieren. Am liebsten würde sie den Kutscher eigenhändig auspeitschen! Es war in diesem Land offenbar niemand da, der vernünftig denken und handeln konnte. Nein, dieses Land war dem Untergang geweiht. Und hier sollte sie leben?
Ihr Vater würde den Fehler einsehen, wenn sie ihm von diesem Umständen berichtete. Er würde sie sicherlich wieder im Palast aufnehmen. Oh, wie sehr sie ihren Vater vermisste. Er hatte sie doch immer so lieb gehabt. Und nur weil sie ein paar Männer abgewiesen hatte, verbannte er sie hier ans Ende der Welt? Tamara verlor sich für ein paar Augenblicke in den Erinnerungen an bessere Zeiten. Dann aber drehte sie sich um als der Mann, der nicht mal gut sprechen konnte, in eine bestimmte Richtung deutete. Er sagte etwas von Mittag und nannte den Namen einer Stadt. Zumindest nahm Tamina das an, denn was hieß sonst Camden Village? Ob das eine Stadt am Hafen wr? Aber hier war weit und breit kein Meer zu sehen oder gar zu riechen. Nein hier roch man nur den Dreck der Männer, die um sie herum standen. Einen Moment noch lag Taminas Blick auf der älteren Frau, die den Jungen herzte. Sie hatte nie eine Mutter gehabt, die sie so in den Arm genommen hatte. Dafür eine Dienerin, die bald diesen Teil übernommen hatte. Nicht einmal die hatte Tamina mit auf ihre Reise nehmen dürfen. Tränen wollten sich schon wieder an die Oberfläche kämpfen, doch die Prinzessin wischte sie mit einer energischen Handbewegung beiseite. Weinen war ein Zeichen von Schwäche.
Und wenn dieser Mann behauptete sie würde gegen Mittag in dieser Stadt sein, dann würde sie das auch. Tamina ging ein paar Schritte los. Schon nach den ersten Metern fühlten sich ihre Schuhe nass an und daraufhin auch ihre Füße eiskalt. Die feinen Schuhe waren nicht dafür gemacht, mit ihnen durch einen knöcheltiefen Schnee zu waten. Frierend zog Tamina das Tuch über ihren Schultern enger zusammen. Es würde ein beschwerlicher Weg werden. Doch sie wollte nicht aufgeben. Hinter sich hörte sie, wie die Frau aus der Kutsche vorschlug Holz zu holen. Da blieb Tamina doch tatsächlich fassungslos stehen. Sie wollte hier bleiben? Wie kam die Frau nur auf so eine Idee? Wölfe! Was waren das schon für Tiere? Die konnten gar nicht so gefährlich sein. In ihrer Heimat da gab es Giftschlangen und Skorpione. Nein, gefährlicher als diese Todbringer konnte ein Wolf doch gar nicht sein. Und deswegen wollte die Frau hierbleiben? Tamina hob das Kinn und sah die dunkelhaarige Frau neben sich fast verächtlich an. Ihre dunklen Augen betrachteten die Amerikanerin durch den Schleier, dann schüttelte die orientalische Schönheit entschieden den Kopf. "Ich mir nicht machen Hände schmutzig. Ich gehen Camden Village." Und mit diesen Worten drehte sich die Prinzessin um, um weiter mühseelig durch den Schnee zu stapfen.
Während ihren Überlegungen, was als nächstes zu tun war, um hier draußen die Warterei in der Kälte zu überleben, hatte Helen zwar die Bewegungen der Fremden wahrgenommen, wäre aber niemals auf die Idee gekommen, dass sie statt hinüber zu Laura zu gehen, losmarschieren hatte wollen. So hatte sie auch überhaupt keinen Versuch unternommen, die junge Frau aufzuhalten. Erst als sie ihren Vorschlag mit dem Feuerholz laut ausgesprochen hatte, fiel ihr der längere Blick auf, mit dem sie von der Fremden bedacht wurde. Er war allerdings schwer deutbar, wegen des Schleiers, aber Helen bekam das ungute Gefühl nicht los, dass die Frau ihren Vorschlag für alles andere hielt, nur nicht für gut. Na ja, wenn sie sich die Fremde betrachtete, musste sie zugeben, dass diese nicht gerade für die Wildnis gekleidet war. Sie war zu elegant und damit schlicht unpraktisch angezogen. Sollte sie mit in den Wald kommen, würde man wohl den Rock am Saum links und rechts mit dem Messer ein wenig aufschlitzen müssen, damit sie mehr Bewegungsfreiheiten besaß.
Helen hatte mit Ablehnung fast schon gerechnet, so dass das Kopfschütteln nicht überraschend kam. Dagegen aber waren die Worte der Fremden um so überraschender. Sie wollte nach Camden Village gehen? Zu Fuß? Den ganzen Weg. In diesem Aufzug? Nun war es an Helen die Frau fast genauso verächtlich zu mustern, wenn auch mehr Belustigung in ihrem Blick lag. Das war ja nun wirklich einmal ein "hervorragender" Vorschlag. Aber an dem gebrochenen Englich, das dazu auch noch sehr undeutlich ausgesprochen wurde, bekam Helen den endgültigen Beweis geliefert, dass die Frau nicht von hier war. Schon gar nicht eine echte Amerikanerin war.
Helens Mutter hatte die Unterhaltung natürlich mitbekommen und wie üblich, wenn sie der Ansicht war, man hatte ihrem Kind, das weitaus alt genug war für sich selbst zu sprechen, unrecht getan, trat der Frau in den Weg und Helen reagierte leider zu spät. Ehe sie nämlich die Sache selbst hätte regeln können, hob sich aufgebracht die Brust ihrer Mutter, als sie Luft zu einer berüchtigten Strafpredigt ansetzte. "So, jetzt hören sie mir mal gut zu, Miss... sie mögen nicht von hier sein," Laura sprach zwar deutlich aufgebracht, aber ihre Gesichtszüge blieben streng und ihre Gestiken beschränkten sich auf ein Armeverschränken vor der Brust. Sie sprach auffällig langsam und betont, als befürchte sie die Fremde könnte sie nicht verstehen. Was sie womöglich auch nur bruchteilhaft tat. Aber Laura war zu aufgeregt um nachzudenken und formulierte daher viel zu lange und komplizierte Sätze. Aber sie musste sich eingestehen, dass ihr das etwas doch seltsame Verhalten der Fremde sauer aufstieß. "Also nehmen sie den Rat gut an. Hier," Laura nickte hinter sich auf den kaum zu erkennenden Weg Richtung Stadt. "Ist nichts, außer Wölfe und Banditen. Und Indianer. Sie bleiben hier bei uns. Wir haben Waffen, Feuer und Pferde.Vor allem wissen wir, was zu tun ist um uns am Leben zu erhalten. Haben sie das verstanden?" Helen hoffte inständig die Antwort lautete ja. Zur Sicherheit trat sie hinter der Fremden an die Seite von Laura und versuchte mit einem beschwichtigenden Lächeln dem strengen Ton ihrer Mutter entgegenzusteuern. "Der Weg," sie deutete lieber auf den Weg noch einmal, um keine Sprachbarrieren schuld am Tod einer unbedarften Frau werden zu lassen. "Ist ... gefährlich? Das haben sie verstanden, oder? Sie... bleiben hier. Hier ist es sicher."
Als sich nun auch noch die ältere Frau in die Unterhaltung einmischte, musste Tamina tief durchatmen. Sie war eine Prinzessin! Niemand hatte in diesem Ton mit ihr zu reden und schon gar nicht machte man ihr Vorschriften. Wenn sie für sich etwas beschlossen hatte, dann war das Gesetz! Und nun wollte nicht nur die Frau mit dem kleinen Jungen sondern auch noch die andere Frau, die in irgend einer Verbindung mit den Beiden stand, sich einmischen. Langsam drehte Tamina ihren Kopf. Arrogant und abweisend, sah sie die ältere Frau an was man durch den Schleier nur nicht so genau erkennen konnte. Wie einen Käfer, den es zu zertreten galt. Am liebsten hätte Tamina das jetzt wohl auch getan, wenn sie eine Fligenklatsche zur Hand gehabt hätte, die groß genug war. Es kostete die arabische Schönheit alles an Selbstdisziplin um hier nicht gleich einen Mord anweisen zu lassen. Die Männer dort hinten würden das sicherlich für sie erledigen. Männer waren scheinbar in jedem Land gleich. Tamina wurde nicht umsonst die Schöne genannt. Auch wenn sie nicht verstanden hatte, was der Mann in der Kutsche neben ihr alles sagte, so waren seine Blicke eindeutig. Sie müsste ihm sicherlich nur eines ihrer kostbaren Lächeln schenken und diese aufmüpfige alte Frau brauchte sich nie mehr Sorgen zu machen.
Und weil die Prinzessin ihrem Ärger nun endlich Luft machen musste, hob sie in einer herrsichen Geste die Hand und hielt sie der älteren Frau abweisend vors Gesicht. "Ruhe!" Herrschte sie die Frau an. Das war ja die Höhe! Wollte die ihr etwas vorschreiben. Zum wievielten Male wünscht sich Tamina nun schon, sie hätte einen ihrer Sklaven dabei, der diese Frau auspeitschte? Es war vergeblich. Aber die Prinzessin wahrte weiter ihr Gesicht und reckte statt dessen das Kinn etwas in die Höhe, damit der Frau klar wurde, mit wem sie hier sprach. Das war in Tamina Heimat der allerletzte Hinweise darauf, dass der Prinzessin etwas missfiel. Da wurde selbst dem dümmsten Sklaven klar, dass er nun das Weite suchen sollte oder schnell etwas an der Situation verändern musste.
In der jetzigen Situation tat das dann die Frau mit dem Jungen. Sie stellte sich hinter die aufmüpfige Alte und versuchte eindeutig zu besänftigen. Tamina bemerkte das sehr wohl und gab der Frau gedanklich ein paar Punkte für gutes Benehmen. Eine Prinzessin sollte man besser nicht reizen. Gefährlich! Pah! Diesen Punkt hatte sie schon vor ein paar Minuten abgehakt. Was konnte es hier schon für Gefahren geben? Aber scheinbar waren alle der gleichen Meinung und da Tamina nicht dumm war musste sie sich eingestehen den Eingeborenen doch etwas zuzuschreiben. Sie kannten sich hier besser aus als sie und wenn nun alle behaupteten, dass es gefährlich war, dann musste sie sich dem beugen. So wenig ihr das auch gefiel. Noch einmal blickte Tamina in die entsprechende Richtung und wägte ab. Die Alte hatte wieder von diesen Wölfen gesprochen. Was Banditen sind, dass wusste die Prinzessin. Ihr Vater hatte diesen Verbrechern stets die rechte Hand abhacken lassen und das öffentlich auf dem Marktplatz. Tamina hatte dies von ihrem Zimmerfenster im Palast sehr gut verfolgen können. Sie bezweifelte, dass man hier diese sehr wirksamen Methoden auch anwendete. Denn dann würde es hier sicherlich nicht mehr so viele Banditen geben. In ihrer Heimat waren es meist nur äußerst verzweifelte Bauern, die dieses Risiko eingingen.
Immer noch mit erhobenem Haupt, trat Tamina dann an den beiden Frauen vorbei und setzt sich auf einen Baumstamm, der traurig und alleine am Straßenrand lag. Sinnlos und vergessen, genauso wie sie sich auch gerade vorkam. Doch statt dass sie der aufkommen Trauer den Vorrang ließ, begnügte sich Tamina damit den Frauen weiterhin ihre Aufmerksamkeit zu schenken, obwohl es keine von ihnen verdient hatte. "Was seien Wölfe?" Wollte sie dann bestimmend wissen. Wenn hier schon jeder von diesen Wölfen redete, dann wollte die Prinzessin endlich wissen warum jeder hier Angst davor hatte. Sittsam hatte sie die Hände auf dem Schoß ineinander gefaltet und die Beine eng zusammen gestellt. Mit durchgedrücktem Rücken sah es alles andere als bequem aus, dafür wieder mal hoheitlich und überlegen. Den Kopf hoch gehalten und den Blick durch den Schleier auf die beiden Frauen gerichtet verlangte Tamina eine Antwort auf ihre Frage. Achja und dieses Feuerholz konnte auch jemand anderes holen.
Stevie ließ Whisky langsam durch die tief verschneite Landschaft traben. Sie spürte die Erleichterung, die sich mit jedem Schritt, den sie zwischen sich und die Ranch von Mr. Simones brachte, vergrößerte. Anfangs war sie noch glücklich und voller Vorfreude auf der Ranch angekommen. Hatte Pläne geschmiedet und bereits voreilig ein paar Tagträumereien nachgehangen. Doch diese waren mit einem Mal zersplittert, kaum, dass sie auf den herrschsüchtigen Rancher getroffen war. Sie konnte froh sein, dass er nicht näheres Interesse an ihr gezeigt hatte, sondern ihr stattdessen von der ersten Sekunde an sein wahres Gesicht gezeigt hatte. Und dennoch wurde Stevie das Gefühl nicht los, dass selbst dies nur ein kleines Puzzleteilchen von einem Mann war, der wusste was er wollte und dies auch mit jedem ihm zu Verfügung stehendem Mittel durchsetzte. Oh ja, Mr. Simones ging sicherlich über Leichen, wenn er etwas wollte. Da war sich Stevie mittlerweile sicher. Und von solchen Menschen hielt sie sich besser fern. Deswegen war sie zum ersten Mal nicht enttäuscht, dass auch dieser Versuch Arbeit zu bekommen, fehlgeschlagen war.
Eine Bewegung vor ihr lenkte sie von ihren Gedanken ab und ließ sie konzentriert die Augen zusammen kneifen. Irgendetwas bewegte sich dort. Als ein Schnauben an ihr Ohr drang, und dies eindeutig nicht von Whisky gekommen war, war Stevie neugierig. Sie zügelte den goldfarbenen Hengst und näherte sich zwei Pferden, die verlassen dicht beieinander am Wegesrand standen. „Wo kommt ihr denn her?“ murmelte Stevie und brachte Whisky zum stehen, um vorsichtig abzusteigen. Die zwei fremden Pferde sahen gestresst aus, weswegen sich Stevie nur langsam und vorsichtig bewegte, um sie nicht aufzuscheuchen. Beim näher kommen sah sie das durchgerissene Zaumzeug der Tiere, die offenbar bis vor kurzem noch eine Kutsche gezogen hatten. Mit leise murmelnden Worten näherte sie sich ihnen, um sich damit Vertrauen zu schaffen, während sie die Tiere umrundete. Das Fell der Pferde war von Schweissflecken feucht und sie stellten beunruhigt die Ohren auf, als Stevie ihnen immer näher kam. Ihre Flanken zitterten. Als Stevie die Köpfe der beiden erreichte und nach deren Zügel greifen wollte, riss eines der Tiere schnaubend den Kopf hoch und trat mehrere Schritte zurück. Davon ließ sich auch das andere Pferd anstecken, das nun ebenfalls scheu zurückwich. Stevie hob beruhigend die Hände und folgte ihnen langsam bis sie sie wieder erreichte. „Ganz ruhig ihr beiden. Euch passiert nichts. Es ist alles gut.“ murmelte sie weiter und schaffte es schließlich die beiden am Zaumzeug zu nehmen. Vorsichtig löste sie die Zügel aus der Halterung, damit sie diese gut in der Hand halten und später neben Whisky herführen konnte. Mit sanften Zug und weiterhin samtweicher Stimme brachte sie die beiden dazu näher an Whisky heranzutreten. Als sie schließlich wieder auf ihrem Hengst saß und diesen in einen langsamen Schritt antrieb, war sie froh als die fremden Tiere dem Zug der Zügel weiterhin bereitwillig folgten. Stevie entdeckten die Spuren im Schnee, die die Pferde auf ihrer Flucht hinterlassen hatten. Irgendwo musste auch die Kutsche dazu sein und dort gab es vielleicht auch Verletzte.
Bei der Postkutsche
Es dauerte auch nicht lange bis eine Postkutsche, die schwer beschädigt auf der Seite im Schnee lag, in Sicht kam. Stevie hielt den Atem an. Es sah nach einem schweren Unfall aus. Sie näherte sich mit den beiden eingefangenen Tieren und konnte auch einige Menschen ausmachen, denen es offenbar allen gut ging. Anscheinend war eine Postkutsche samt Fahrgästen auf dem Weg nach Camden Village verunglückt. Der Kutscher unter ihnen war schnell ausgemacht. Ein drahtiger älterer Herr in einem nicht ganz so sauberen Mantel und der typischen Statur eines Kutschers. „Ich habe hier etwas, das offensichtlich ihnen gehört.“ rief ihm Stevie zu und zügelte Whisky und die beiden Kutschpferde an ihrer Seite. „Gibt es Verletzte?“ fragte sie in die Runde und sah sich dabei bereits prüfend um. Es würde wohl noch eine Weile dauern bis sie nach Camden Village kam. Zuerst musste sie diesen Leuten helfen. Die Frage war nur wie, denn die Kutsche war fahruntauglich.
Helen mit Laura und Calvin bei Tamina, Stevie stösst dazu (umgestürzte Kutsche, zwei Kutscher und zwei männliche Reisende im Hintergrund)
Während die Männer praktisch vorzugehen versuchten, in dem sie längere Debatten darüber hielten wie man die Kutsche am Besten wieder aufrichtete, nahm die Situation hier am Waldrand eine etwas merkwürdige Wende. Helen hatte in ihrem Leben schon sehr viel erlebt und war nur noch selten zu verblüffen. Schon gar nicht hatte es ihr seit geraumer Zeit die Sprache verschlagen. Auch ihre Mutter konnte das sehr gut von sich behaupten. Doch in dem Moment als ein sehr herrschsüchtiges "Ruhe" aus dem Mund der Fremden kam, sahen sich die beiden Alcott-Frauen an und waren schlicht sprachlos. Und das kam so selten vor, dass Clavin seine kleinen Schock überwand und zu kichern anfing. Helen blinzelte kurz verwirrt, nicht sicher, ob sie das eben tatsächlich erlebt hatte, warf dann aber Cal einen warnenden Blick zu. Das änderte nichts daran, dass die Furcht des Jungen urplötzlich in Albernheit umschlug. Die Anspannung schien von ihm abzufallen und dagegen war auch eine stumme Warnung machtlos. Cal kicherte weiter. Die Fremde störte sich derweil nicht weiter an den überraschten Frauen und ging ein Stück weiter, um sich auf einen Baumstamm niederzulassen. Ob das so eine kluge Entscheidung bei diesen Temperaturen war? Der Stamm musste eisig kalt sein und ... nein Helen wollte sich keinen weiteren Kopf darüber mehr machen, was für die Fremde gut war oder nicht. Scheinbar wollte sie ja keinen Rat annehmen, auch wenn sie ganz offensichtlich nicht aus der Gegend, nicht einmal aus diesem Land zu stammen schien. Sollte sie sich eine Blasenentzündung einfangen. Sie würde schon noch merken, welch Spaß das war. Kopfschüttelnd sah Helen zu ihrer Mutter, gerade im Begriff sie darum zu bitten, die Sache auf sich beruhen zu lassen, als die Fremde eine noch sonderbarere Frage an sie richtete. Sie schien offensichtlich keine Ahnung von Wölfen zu haben, aber hatte immerhin so viel Verstand nicht weiter zu Fuß nach Camden Village zu wollen. Die Frage jedoch verleitete Calvin nun endgültig dazu in heiteres Lachen auszubrechen. Bei aller Liebe zu dem Jungen und in aller Verständnis ging das nun auch für Helens Geschmack zu weit. Ein gutes Benehmen in der Öffentlichkeit war ihr genauso wichtig, wie ein möglichst freies Aufwachsen des Jungen in ihrem Umfeld. Ohne sofort auf die Frage der Fremden einzugehen, ergriff sie ihren Sohn mit ernster Miene und festem Griff am Nacken und sorgte so erst einmal dafür, dass der Junge erschrocken die Luft anhielt. Dann zwang sie ihn sich Richtug Baumstamm zu wenden und schob ihn mit dem selben Griff vor sich her auf die Fremde zu. Diese mochte eine so offensichtlich dumme frage in den Augen ihres Sohnes gestellt haben, aber verdiente deswegen nicht ausgelacht zu werden. "Mein Sohn schuldet ihnen eine Entschuldigung," sagte sie knapp und bei weitem kühler, während sie nach unten auf Cal blickte, der mit einem stummen Flehen ihm Blick ihrem begegnete. Sie schüttelte kaum merklich mit dem Kopf. Aus dieser Nummer würde Calvin so schnell nicht herauskommen. "Und dann mein Soh, wirst du der Lady erklären, was Wölfe sind!"
Calvin seufzte leise und fand es ungemein unfair von seiner Ma, ihn zu etwas zu zwingen, was er ganz offensichtlich gar nicht wollte. Es war doch nicht seine Schuld, dass er so hatte lachen müssen. Es war einfach über ihn gekommen. Aber er wusste genauso gut, dass es kein Entkommen gab. Ma war zwar nicht so schnell zu reizen wie Grandma, die einen viel kürzeren Geduldsfaden als Ma besaß und vor allem im Umgang mit ihm, aber man tat doch besser, zu was man aufgefordert wurde. Seine Grandma redete ihm dazu viel zu oft von gutem Benehmen und das man ihm das auch gefälligst beibringen musste. Und das tat sie auch rigeros, am liebsten aber wenn Ma nicht anwesend war. Er hatte gelernt den Kopf einzuziehen, wenn er mit Grandma alleine war und auf jedes Wort zu achten und vor allem zu folgen. Wäre sie anstelle seiner Ma jetzt gewesen, hätte er bestimmt sein blaues Wunder erlebt. Aber so war er es seine Ma fast schon direkt schuldig, sich rasch wieder von seiner guten Seite zu zeigen, einfach weil sie großzügig über so vieles hinwegsah. Trotzdem druckste er einen MOment herum, trat etwas verlegen von einem Bein auf das andere und murmelte dann ein "Tut mir leid, Ma'am, ich wollt' nicht sie auslachen," unsicher ob die fremde Frau ihn überhaupt verstanden hatte, hatte er versucht ein wenig deutlicher zu sprechen, war sich aber nicht sicher ob ihm das gelungen war. Jetzt auch noch erklären zu müssen was Wölfe sind kam ihm grausam vor. Er war doch schon bloß gestellt worden... mit einer leichten Röte seiner Wangen sah er die Fremde an und versuchte hinter ihrem Schleier ihre Augen, ihre Züge auszumachen. Das war nicht einfach, wenn nicht sogar fast unmöglich. "Wölfe sind Tiere," sagte er schließlich und kam sich ziemlich dämlich vor etwas so allgemein bekanntes einer erwachsenen Frau wie einem Kind erklären zu müssen. Aber das war wohl Teil seiner Strafe. "Böse Tiere. Hier im Wald. Im Winter haben die manchmal nichts zu fressen und jagen dann alles. Auch große Tiere, wie Pferde, oder HÜhner. Sogar in die Stadt kommen sie manchmal. Und sie können auch Menschen anfallen. Und töten... gut?" Bei seinem letzten Wort, sah er wieder zu seiner Ma auf, die nickte und ihn aus ihrem Griff entließ. Ehe Helen die Fremde fragen konnte, ob sie das nun verstanden hatte, hörten sie deutlich Pferde näher kommen. Die beiden Kutscher hielten ihre Gewehre sofort im Anschlag in die entsprechende Richtung. Auch einer der Reisenden zog einen Revolver hervor und Helen zog Calvin schützend hinter sich. Sie selbst fühlte schmerzhaft die Anspannung und stieß doch erleichtert die Luft gleich wieder aus, als eine Reiterin mit den beiden vermissten Pferden der Kutsche um die Kurve bog.
Die Kutscher ließen die Waffen jedoch noch im Anschlag, auch wenn sie den Lauf etwas senkten. Hier draußen war man es gewohnt, dass man nur mit gebotener Vorsicht überlebte. Einer der beiden Männer trat vor, senkte das Gewehr dann aber doch und grinste, während er Kautabak zur Seite spuckte. "Da sagt noch einer, wir hätten heute nur Pech," mit dem gesenkten Gewehr in der einen Hand ging er auf die Frau zu und nahm ihr die Pferde ab. "Das iss sehr umsichtig von ihnen, Lady," merkte er an und sah dann etwas betreten in die Runde. Sie hatten die Wölfe verjagt, danach den Leuten aus der Kutsche geholfen und sich dann darüber gestritten, wie man am schnellsten Hilfe bekam. Aber nach Verletzungen hatten sie sich nicht erkundigt.
"Dass iss ne verdammt gute Frage, Lady... war noch keine Zeit nachzufragen. Iss eben erst passiert. Verdammte Wölfe," er spuckte Tabak erneut aus und verzog das Gesicht. "Hamm die ganze Kutsche zum Stürzen gebracht und die Pferde aufgeregt," er drehte sich zu den anderen herum und rief laut: "Iss jemand verletzt?"
Der Mitreisende, der sich scheinbar den Kopf so gestossen hatte, dass Helen vorhin das Blut hatte laufen sehen, hob die Hand und nahm dabei das Taschentuch von der Schläfe. "Ich, geht aber schon wieder. Blutet nicht mehr," gab er heldenhaft zu und ließ das Taschentuch in der Hosentasche verschwinden. Helen selbst hatte an ihre Kopfverletzung nicht mehr gedacht, seit sie darum bemüht gewesen war Calvin und die beiden anderen Frauen aus der Kutsche zu lassen, um dann nach zu kommen. Erst jetzt fiel ihr wieder ein, dass sie selbst Blut gespürt hatte, tat es aber als Kratzer ab und sah erst gar nicht mehr danach. Das sie fast das Bewußtsein bei dem Stoß verloren hätte, hatte sie bereits wieder verdrängt, genauso wie das Blut, das sie noch an den Fingern hatte. Hauptsache Calvin ging es gut....
(Bei Helen & Sohn & den restlichen Kutschinsassen / Stevie)
Da saß die arabische Prinzessin nun und fror fürchterlich. Wieso es keine gute Idee war sich auf den kalten Baumstamm zu setzen konnte Tamina nicht ahnen. In ihrer Heimat war es so warm, da holte man sich eher Verbrennungen ein, wenn man nicht aufpasste. Aber keine Erkältung oder gar schlimmeres. Sie war vollkommen alleine. Irgendwie wurde ihr das in diesem Moment erst so richtig bewusst. So weit weg von Zuhause und vollkommen alleine. Nun auch noch irgendwo im nirgendwo ohne Aussicht bald weiter zu kommen um endlich ein Schiff zu erreichen, welches sie zurück in ihre Heimat bringen sollte. Und da lachte der kleine Balg sie auch noch aus. Die dunklen Augen der Prinzessin trafen den Jungen und hätten ihn getötet, wenn Blick dazu in der Lage wären. Ungezogen und laut! Das hätte es im Palast ihres Vaters niemals gegeben! Da wäre dem frechen Jungen ganz schnell das Lachen vergangen. Niemand lachte eine Prinzessin aus. Am liebsten wäre Tamina nun aufgestanden und hätte dem Balg eine schallende Ohrfeige gegeben. Doch ihr war nicht entgangen, dass in diesem Land andere Regeln und Gesetze galten. Alleine das Gesicht der Alten, als sie ihr das Reden verbot, würde Tamina so schnell nicht mehr vergessen. Dabei hatte sie sich das selbst zuzuschreiben. Man verbesserte eine Prinzessin nicht und schon gar nicht in diesem Ton.
So wollte Tamina einfach darauf übergehen den Jungen und seine Angehörigen zu ignorieren, als die Mutter durchgriff. Scheinbar hatte diese so etwas wie die hohe Schule des Benimms besucht, denn zumindest ansatzweise konnte Tamina darin etwas erkennen. Sie schob das Balg vor sie und die Augen der arabischen Schönheit hafteten an dem Jungen. Ihr Mund war spitz geformt und sie tippte mit ihren langen, schlanken Fingern auf ihrem Schoß. Wollte der missratene Sohn nun endlich sprechen? Ob das nun eine gute Tat war oder er sich dafür entschuldigen sollte, das glitt an Tamina einfach ab. Sie hatte eine Frage gestellt und diese sollte nun beantwortet werden. Deswegen schenkte sie der so heldenhaften Tat des Jungen keine Beachtung. Sie folgte nur seinen Worten und versuchte zu verstehen. Wölfe waren also Tiere. Na das mussten ja wahnsinnig große Tiere sein. Vielleicht wie ein Tiger? Die konnten sehr wohl gefährlich werden. Nie hatte Tamina in den Büchern ihres Vaters etwas über Wölfe gelesen. Aber das mochte daran liegen, dass er kaum Literatur über die Tierwelt der neuen Welt besaß.
Wortlos entließ Tamina den Jungen dann und drehte den Kopf. Sie blickte in die Richtung, in welche sie eben noch gehen wollte. Sie hatte einen Dolch bei sich, den sie eigentlich zur Abwehr all zu aufdringlicher Männer immer bei sich trug. Doch der würde sicherlich auch gegen diese Wölfe helfen. Nein, sie wollte sich nicht aufhalten lassen. Aufgeben gab es für eine Prinzessin nicht. Gerade als Tamina aufstehen wollte, hörte man Stimmen und ein Reiter schien sich zu nähern. Ob das die ersehnte Rettung war? Die Prinzessin beobachtete durch ihren Schleier wie die Männer sich mit der Frau! unterhielten. Wo war sie hier nur gelandet? Wie ordinär saß die Frau denn bitteschön auf dem Pferd? Tamina konnte kaum hinsehen. Sie ritt wie ein Mann. Und scheinbar schien das niemanden zu stören. Was musste sie nur noch alles ertragen? "Jetzt weiter?" Fragte sie dann immer noch ziemlich selbstsicher, wenn nicht sogar bestimmend die Mutter des unmöglichen Kindes. Hätte sie die Frage des Kutschers verstanden, dann hätte Tamina sich gemeldet. Ihr tat der Rücken weh, was ihr den Weg noch zusätlich erschwärt hätte. Doch Schwäche zeigen war für eine Prinzessin unmöglich. Deswegen hätte sie diesen Umstand auch verschwiegen, wenn sie dieser barbarischen Sprache besser habhaft gewesen wäre.
Stevie beim Kutscher und Gehilfen im Hintergrund die Fahrgäste
Natürlich waren die Leute misstrauisch. Stevie hatte sehr wohl die geladenen Gewehre gesehen, die bei ihrem Eintreffen unmissverständlich für sie bereit gemacht worden waren. Doch sie war darüber hinweg gegangen, als sei dies nichts Ungewöhnliches, was es letztendlich auch nicht war. Dennoch war sie es natürlich nicht gewohnt, das man sie mit geladenen Waffen empfing. Doch es war gut, wenn man vorsichtig hier draussen war. Stevie hatte dafür vollstes Verständnis und vielleicht hätte sie selbst nicht anders reagiert. Man wusste nie wem man begegnete und eine geladene Waffe hatte schon bei so manchem Aufeinandertreffen von Anfang an für klare Verhältnisse gesorgt. Deshalb sprach Stevie so unbeeindruckt wie möglich und registrierte zufrieden, dass keiner in ihr eine Gefahr zu sehen glaubte und der Revolver und die Gewehre allmählich wieder verschwanden. Immerhin hatte sie auch die entlaufenen Tiere dabei, was ihre Hilfsbereitschaft auch dem Begriffsstutzigsten unter ihnen signalisieren sollte. Die Fahrgäste standen etwas abseits und auch dort war man in Habachtstellung gegangen. Stevie sah eine Frau, die ihren Sohn hinter sich in Sicherheit geschoben hatte. Waren sie sogar überfallen worden? Der Kutscher sprach sie schließlich direkt an und Stevie musste auf seine Worte hin lächeln. Diese Art war ihr doch am liebsten: hart aber herzlich traf es bei diesem Gesellen irgendwie genau auf den Punkt. Sie mochte es, wenn ausgesprochen wurde was man dachte, auch wenn der Ton etwas rauer war. Der eine ließ sich davon ehr abschrecken, aber bei Stevie sammelte man auf diese Weise Pluspunkte. Die gefährlichen waren die, die ihre Botschaften zwischen den Zeilen versteckten. So wie Mr. Simones. Stevie schüttelte die Erinnerungen an diese unliebsame Begegnung schnellstens wieder ab. Der Kutscher hingegen schien sich sichtlich darüber zu freuen, dass die zwei vermissten Pferde wieder da waren. Stevie reichte ihm die Zügel, die er erleichtert annahm. Auf ihre Frage hin, ob es Verletzte gab, reagierte der Kutscher beinah mit Unbehagen. Das Unglück schien tatsächlich eben erst passiert zu sein und noch hatte er sich wohl danach nicht erkundigen können. Mit rauer und durchdringender Stimme brüllte er in die Runde und bat Verletzte vorzutreten. Dabei hörte Stevie auch seinen Fluch. Wölfe hatten demnach das Durcheinander hier angerichtet. Es meldete sich einer der Reisenden, der aber im gleichen Atemzug abwinkte und meinte, dass es soweit wieder ginge. Er hielt sich ein mit Blut verschmiertes Tuch an den Kopf, das er in der nächsten Sekunde schnell in der Hosentasche entschwinden ließ. Sonst meldete sich niemand, was schon mal gut war. Stevie nahm die einzelnen Personen genauer unter die Lupe. Neben der Frau mit dem Sohn waren noch weitere Damen unter den Fahrgästen. Eine etwas ältere rüstige Dame in guter Kleidung und auch eine, die allein durch ihre Aufmachung besonders ins Auge stach. Ihre Kleidung war irgendwie befremdlich und sie saß in einer Haltung auf dem verschneiten Baumstamm, die Stevie als ziemlich steif und ungemütlich empfinden würde. Der Schleier vor ihrem Gesicht erschwerte es zusätzlich die Person besser einschätzen zu können. Ein paar Männer, die bereits unruhig umherstapften, waren ebenfalls wohl Fahrgäste gewesen. Aber so wie es aussah hatten alle das Unglück überstanden. „Gut.“ murmelte Stevie mehr zu sich selbst und stieg aus dem Sattel, um dieses Mal auf Augenhöhe dem Kutscher begegnen zu können. „So wie es aussieht brauchen wir zumindest keinen Doktor.“ gab sie ihr Urteil ab und sah den stämmigen Mann freundlich an. „Am besten sagen sie mir wie ich Ihnen am besten helfen kann?“
Helen, Laura & Calvin bei Tamina, Stevie beim Kutscher und Gehilfen im Hintergrund die Fahrgäste
Der Kutscher zeigte sich selbst sehr erleichtert darüber, dass seine Fahrgäste alle unversehrt waren und man sich mit Verletzten nicht auch noch herumplagen musste. Als die Frau aus dem Sattel glitt und ihre Hilfe anbot, schob der Kutscher seinen Hut in den Nacken und fuhr sich mit einer Hand in den selbigen. "Tja, Miss, dass iss ne verdammt gute Frage. Aber sie hamm da n'hübsches Pferd. Mit dem könnten sie in der Stadt Hilfe holen. Wir alleine bekommen die Kutsche eh nich' wieder hoch. Und die Ladies sollten auch nich' so lang im Kalten rumstehen und aufs Weiterfahren waren müssen," er sah kurz zu den Pferden und fragte sich ob er diese für einen Ritt in die Stadt entbehren könnte. Wenn man sie zurückbrachte oder gar frische Pferde von der Postkutschen-Station holte, würde es wohl gehen. Doch ehe er seinen Gedanken mit seinem Begleiter hätte absprechen können, geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Die attraktive fremdländische Frau fragte sehr bestimmend "Jetzt weiter?", während die ältere Dame laut seufzend daraufhin auf sie zutrat und ziemlich angespannt wirkte.
"Ich wäre ihnen sehr dankbar Miss, wenn sie uns mitnehmen könnten. Meine Tochter hat wichtige Termine wahrzunehmen und ehrlich gesagt ist mir die Gesellschaft," sie nickte unauffällig zu der jungen, fremdländischen Frau hinüber. "Zu anstrengend."
Helen dagegen hatte nur die Augen verdreht, aber mit dem Rücken zu der Fremden, damit diese es nicht hatte sehen können. Jetzt wandte sie sich mit einem überraschend zuckersüßen Lächeln wieder an die Frau, wogegen es in ihren Augen gefährlich glitzerte. "Nein, jetzt nicht weiter," sagte sie jedoch geduldig. "Wir... warten."
(Bei Helen & Sohn & den restlichen Kutschinsassen / Stevie)
Langsam aber sicher verlor Tamina die Geduld. Es reichte nicht, dass ihr Vater sie in dieses Land geschickt hatte. Nein man behandelte sie auch noch wie eine gewöhnliche Reisende. Tamina war sich sicher, wenn ihr Vater das alles gewusst hätte, er würde seine Entscheidung bereuen. Er konnte doch nicht wirklich wollen, dass man mit seiner Lieblingstochter so umging! Sie saß hier in der Kälte und alle um sie herum behandelten sie wie Nichts. Ja, die Alte wurde sogar langsam richtig aufmüpfig. Taminas Lippen bebten gefährlich. So eine Behandlung hatte sie nicht verdient. Sie war eine Prinzessin und niemand hier wollte das respektieren. Die Alte machte sich dann sogar gegenüber der neu hinzugekommen Frau wichtig. Termine! Wie wichtig konnten Termine schon sein, wenn man eine Prinzessin zum Hafen bringen musste! Zudem traf Tamina die Aussage, dass die Gesellschaft, ihre Gesellschaft, zu anstrengend sei mehr als die Prinzessin zuzugeben bereit war. Sehr wohl hatte die arabische Schönheit das Kopfnicken bemerkt. Im Verbergen war die Alte nicht gut.
Taminas Frage wurde dann mit einem Nein beantwortet. Es würde nicht weitergehen und sie sollten weiterhin warten. Tamina sprang regelrecht von ihrem kalten Platz auf. Die Wut trieb ihr die Tränen in die Augen! Sie konnte diesen Barbaren nicht verständlich machen wie unmöglich sie sich alle benahmen. Obwohl Tamina Luft holte, ließ sie die Worte unausgesprochen und betitelte die Alte nur mit einer weniger schönen Bezeichnung in ihrer Muttersprache. Auch die Mutter die eben noch Pluspunkte für gutes Benehmen verbuchen konnte, war bei Tamina nun unten durch. Dieser Blick! Frustriert und wütend drehte sich die arabische Schönheit dann um und drehte der kleinen Gesellschat den Rücken zu. Das war ihre Art sie zu bestrafen. Tat eine Prinzessin dies, dann wusste man in ihrer Heimat, dass dies absolut kein gutes Zeichen war. Hier würde es niemanden interessieren, dessen war sich die Prinzessin sicher. Niemand kümmerte sich um sie und sie war hier draußen verloren. Tränen liefen ihr über den dunklen Teint, sie wollte nicht dass dies jemand sah und wischte sie mit den Fingern schnell beseite. Tamina wollte nichts mehr mit diesen Leuten zu tun haben. Nicht, bis diese es geschafft hatten die Kutsche zu reparieren, damit sie endlich weiterkamen. Schließlich hatte die Mutter ihr gerade mitgeteilt, dass man warten sollte. Und das tat Tamina nun auch. Sie wartete frierend darauf, dass irgend jemand kam und sie aus diesem Elend befreite.