Elisa und Cassidy, Ecke Mainstreet / Lake Street Richtung Stadtmitte
"Hey, mehr Respekt vor dem Mann, der sich für die Einwohner grün und blau prügeln lässt " Elisa schaute schmunzelnd in das Gesicht der Freundin, auf dem sich gespielte Entrüstung abzeichnete. Sie hatte ja Recht. Der Mann war ja nun nichtmehr ganz taufrisch und dafür machte er einen recht brauchbaren und sehr gefährlichen Job. Sie selbst hätte das vermutlich nicht ausgehalten, die ständige, tägliche Angst das er nicht zurück kam von der Arbeit. Das Thema wechselt recht schnell wieder zu Dr Leigh und Elisa lauschte, als Cassidy die Vermutung anstellte, das die ärztin weg wahr, weil sie einsam gewesen war. Elisa selbst hatte wenig Kontakt zur Ärztin gehabt aber wenn sie genau darauf herumdachte, ausser beim Behandeln von Mitbürgern hatte sie Dr Leigh nie gesehen. Nie ausserhalb der Klinik, ausser mit der charakteristischen Tasche dabei. Auf dem Weg zu oder von einem Patienten. Keinerlei Gesellschaftliches in deren Leben an das sich Elisa erinnern konnte. "Stimmt wohl, aber daheim sitzen und warten das wer kommt ist wohl kaum die Lösung. Einsamkeit kann von zwei Seiten bekämpft werden. Wie auch immer, schade ist es allemal.
Nachdem der Sheriff wieder weg war, vorging zum Gästehaus, dachten die beiden Mädchen auf Elisas Vorschlag herum, Cassidy in Wolle zu wickeln und in ein Fass zu stecken. Elias schüttelte den Kopf als Cassidy meinte, es würde sie eventuel von Schwierigkeiten fern halten so eingepackt zu sein. "Ich glaub nicht. Wir zwei ziehen sowas ja förmlich an. Wo es Beulen zu holen gibt stecken wir die Köpfe um die Ecke. Seltsam oder? Aber auch irgendwie spannender." lachte Elisa. Es tat gut mal wieder so ausgelassen reden zu können, das hatte sie wirklich vermisst. Das Gespräch kreiste zurück zum Vater und dessen Veränderungen. Wenn Elisa genauer darüber nachdachte, der Sheriff war in sich fröhlicher, gelöster, höflicher auch. Weniger beängstigend als noch im Sommer. Wie lange Cassidys Mutter schon fort war wusste die Schwarze nicht, nichtmal ob diese einfach weggelaufen war, wie Mrs Spencer, oder ob sie gestorben war, wenn ja wie. Das musste für den Vater hart gewesen sein, ohne Frau plötzlich mit einer heranwachsenden Tochter da zu stehen, seinen Job zu machen und zeitgleich Cassidy zu versorgen. Eingewöhnungsphase vielleicht? Ihre Ma hatte auch einige Zeit gebraucht bevor sie ihre Kinder und ihre Arbeit halbwegs in den Griff bekommen hatte.
"Alleine erziehen braucht immer eine Eingewöhnung. Ging meiner Ma nicht anders. Eine Mutter ist natürlich ein anderer Ansatz als ein Vater aber im Grunde.... Stell ich mir hart vor, für euch beide. Freut mich wenn es sich nun langsam einränkt und ihr die Kurve schafft." Elisa zwinkerte Cassidy zu. Viel über deren Vergangenheit wusste sie nun wirklich nicht, ebenso wie umgekehrt, aber das war auch nicht wirklich wichtig. Was immer in der Vergangenheit passiert war, es war Teil dessen was Cassidy zu dem gemacht hatte was sie jetzt war, wer sie jetzt war und das war ein Mensch den Elisa mochte. "Ja kalr, glaubts Du ich lass dich hier auf der Strasse einfach stehen? Üben können wir trotzdem nochmal wieder, wird ja Zeit. Nicht das du schon wieder alles vergessen hast." scherzte sie mit leichtem Kichern. "Schule ist vielleicht wirklich noch etwas früh. Die kurze Zeit in der Kirche war ja schon hart für dich, aber freuen würd es mich schon. "
Cassidy hatte nur kurz zu den Worten von Elisa über Dr. Leigh genickt. Sie hatte mit ihnen vollkommen recht. Nun war Dr. Leigh jedoch fort und sie konnten in diese Richtung nichts mehr für die Ärztin unternehmen. Dabei wäre Cassidy eine Menge Junggesellen eingefallen, die sicher Schlange gestanden wäre, wenn sie sich als Liebesvermittlerin betätigt hätte. Bei der Gedanken musste sie unweigerlich grinsen. Das Grinsen wurde ein wenig breiter, als Elisa ihr in Bezug auf ihre Hoffnung, sich in Watte gepackt von Ärger fernhalten zu können, die Illusion raubte. "Ach, na ja, hoffen darf man ja. Ist ja nicht so, dass ich etwas gegen Spannendes habe," allerdings hatte sie sehr wohl etwas gegen die Konsequenzen, die sie meist daraus ziehen musste. Ihr oftmals "nachsichtiger" Vater verstand in vielen Dingen überhaupt keinen Spaß und das galt auch für Zeiten, in denen er sein Alkoholproblem im Griff hatte. Ob Elisa in dieser Hinsicht die gleichen Erfahrungen machte? Sie kannte Mrs. Freeman nur als stille, höfliche, ewig lächelnde Frau, die sehr zurückhaltend in der Öffentlichkeit auftrat. Daran gemessen musste Elisa einen Engel zur Mutter haben.
Nun zumindest wusste Elisa aus Erfahrung zu berichten, dass es mit alleinerziehenden Eltern nicht immer leicht zu sein schien. Sie hatte davon schließlich auch ein Exemplar zu Hause. Allerdings zuckte Cassidy versucht gleichgültig mit den Schultern. Mit Elisa über ihren Vater zu reden verhielt sich nicht anders, als mit Sophie - Cassidy gab sich lieber zugeknöpft und spielte die Gleichgültige. "Ja, kann schon sein. Fünf Jahre Eingewöhnung sollten doch eigentlich reichen," fügte sie bissig hinzu und grinste schwach. "Aber wird schon. Ich meine, wir sind auf einem guten Weg," gestand sie schließlich nicht nur Elisa ein. Zum Glück hatten sie das Gästehaus erreicht und das nahm Cassidy die Pflicht weiter über das eher unangenehme Thema "John" reden zu müssen. MIt Erleichterung vernahm sie, dass Elisa sie tatsächlich noch mit hinein begleiten würde. Sie wäre zwar sicher irgendwie zurecht gekommen, aber mit der Hilfe der Freundin würde es gewiss angenehmer werden.
"Na, ich weiß ja nicht, was du heute noch so wichtiges vor hast," sie glaubte zwar nicht, dass Elisa große Pläne hattte, immerhin war Cassidy ihre einzige Freundin, aber sie wollte Elisas Zeit trotzdem nicht so schamlos ausnutzen. "Also dann, hopp, hopp," lachte Cassidy und zeigte zur Treppe und zur Tür. "Ein Kartoffelsack bin ich zwar nicht, aber leicht wird es nicht werden mich da hochzubekommen. Ich würde mich aber über das Üben freuen. Dazu muss ich ja nicht sonderlich viel herumlaufen. Wie in der Schule im Übrigen auch nicht," stellte Cassidy mit einem Seitenhieb auf Elisas Meinung über einen verfrühten Schulbesuch fest. Auch wenn sie natürlich Recht hatte. Aber das zu zugeben fiel Cassidy nicht ein.
Eric, Sarah und Selina Richtung Mainstreet (Gästehaus)
Vielleicht hätte sie einfach den Mund halten sollen, denn nun hatte Tucker das Gefühl, die bis eben doch sehr schöne Situation in eine gewissermaßen angespannte Lage verwandelt zu haben. Sie war nicht direkt traurig oder überrascht, als Mr. Malone sanft ihre Hand von seinem Arm löste. Nein, das verübelte sie ihm nicht. Allerdings bereute sie ihre Worte, denn nun machte Mr. Malone den Eindruck, dass er sich schuldig an dieser an für sich so netten Geste fühlte. Das war wirklich nicht ihre Absicht gewesen. Sie hatte ihre Anmerkung auch nicht ihretwegen eingeworfen, denn mittlerweile hatte sie gelernt, über dem Geschwätz und dem dummen Gerede mancher Menschen zu stehen. Sie wusste nur nicht, wie es bei Eric und besonders seiner Nichte aussah und das einzige, was die Schmiedin gewollt hatte, war, die beiden vor unschönen Momenten zu beschützen. In einer Großstadt wie der City of Kansas dachten die Menschen sicher weitaus weniger kleinkariert, als es eben in Camden der Fall war. „Sie müssen sich nicht entschuldigen. Wirklich nicht.“, entgegnete Selina dann mit sachtem Lächeln, um Mr. Malone zu zeigen, dass es in Ordnung war. So liefen sie ein Stück schweigend die Straße entlang, bis Mr. Malone noch einmal das Wort ergriff und genau das aussprach, was die Schmiedin befürchtet hatte. Schlimm genug, dass er sich für etwas entschuldigte, was gar keiner Entschuldigung bedurfte. Aber dann sah er das Ganze auch noch als Fehler an? Sagte er das jetzt nur, weil es gesellschaftlich betrachtet vielleicht in der Tat ein wenig zu gewagt war, oder weil er wirklich so dachte?
Einen Moment ruhte Selinas Blick auf dem Journalisten, doch als sie merkte, wie sich nachdenkliche Falten auf ihrer Stirn bildeten, fokussierte dann aber wieder den Weg vor sich. Ähnlich wie Sarah gerade ihre Schuhe anstarrte, konzentrierte Selina sich nun auf den Schnee, der einige Meter vor ihnen lag. Es war normalerweise nicht ihre Art, zu schweigen, erst Recht nicht in so einer Situation. Aber jetzt war sie in ihrer Wortwahl vorsichtig geworden. Sie wollte nicht, dass Mr. Malone noch einmal dachte, ihr mit seinem Verhalten zu nahe gekommen zu sein, ohne dass sie es wollte. Allerdings stellte die Schmiedin auch ziemlich schnell fest, dass ihr Schweigen wohl auch eher abweisend wirkte, wenn es noch länger anhielt. Also beschloss sie, letztendlich eben doch das zu tun, was sie am Besten konnte: einfach das zu sagen, was ihr wirklich im Kopf herumschwirrte. „Denken Sie wirklich so?“, fragte sie Eric, ohne dabei vorwurfsvoll zu klingen. Sie suchte seinen Blick, jedoch nur für einen Moment, ehe sie an ihm vorbei zu Sarah sah, die die ganze Zeit still geblieben war.
Abgesehen davon, dass Selina sehr gut ihre Gedanken ohne Umschweife äußern konnte, war sie auch stets darum bemüht, Situationen zu entschärfen. Einen Versuch war es hier auf jeden Fall auch wert. „Was meinst du, Sarah? Hat dein Onkel irgendetwas falsch gemacht?“ Ihre Worte waren von einem Lächeln begleitet und ihre Stimme klang neutral. Sie wollte dem Mädchen sicher keine Antwort in den Mund legen, das war nicht Sinn der Sache. Aber sie wollte Sarah wieder mehr in das Gespräch einbeziehen, zumal es sie doch ebenfalls betraf, wenn auch eher indirekt. Ihr Blick wanderte dann wieder zurück zu Eric, um irgendeine Reaktion aus seinen Zügen lesen zu können. Hoffentlich erkannte er, dass sie ihm wirklich nichts von dem übel nahm, was er heute getan hatte, ganz im Gegenteil. Und dass sie nicht weiter auf dem Thema herumritt, weil sie sich beleidigt fühlte oder verärgert war. Nein, sie wollte die Sache nur klären. So ein Missverständnis musste es kein zweites Mal geben. Zumal es gar nicht erst dazu gekommen wäre, wenn es bloß um sie drei gegangen wäre. Das Schlimme war, dass es überhaupt erst zum Missverständnis geworden war, weil die meisten Menschen in Camden so… kleingeistig dachten und man im Endeffekt nur Rücksicht auf ihre Engstirnigkeit nehmen wollte. War es das wert?
"Naja, Aarons Vater ist nun schon sehr lange tod, aber so ganz ist meine Ma immer noch nicht darüber hinweg."sinnierte Elisa leise vor sich hin. Ja, sie konnte Grace manchmal immer noch weinen hören, dann wenn diese sich alleine und unbeobachtet fühlte denn vor den Kindern würde sie niemals weinen. Aber Elisa hörte die Tränen der Mutter und auch wenn Aarons Vater nicht der ihre war, sie hatte den Mann wie den eigenen Vater geliebt. Auch für sie tat es manchmal immer noch weh und viele der traurigen Stücke spielte sie für ihn. Genausoviele fröhliche, im Grunde jedes Stück das sie spielte, war es doch seine Gitarre. Das Instrument das er eigenhändig für Elisa gebaut hatte. Über sieben Jahre. Elisa fragte sich ob man jemals über eine verlorene Liebe hinwegkam, also so eine wie Mann und Frau sie hatten, oder ob es ein Leben lang schmerzen würde. Das Thema schien Cassidy aber irgendwie unangenehm, was Elisa daran merkte das die Freundin sich wieder zuknöpfte. Bildlich gesprochen. "Lass uns lieber das Thema wechseln."
Sie waren vor dem Twin Falls angekommen. "Also dann, hopp, hopp," lachte Cassidy und zeigte zur Treppe und zur Tür. "Ein Kartoffelsack bin ich zwar nicht, aber leicht wird es nicht werden mich da hochzubekommen. " Elisa musste ebenfalls lachen und machte dicke Backen als sie abwechselnd zwischen Cassidy und den Stufen hin und her schaute. Sie nutzte die kleine Ablenkung, als Cassidy nochmal auf das úben zu sprechen kam und nickte. Den kleinen Seitenhieb, über verfrühtes in die Schule kommen, den die Sheriffstochter gewohnt schlagfertig mit den Worten schloss "Wie in der Schule im Übrigen auch nicht," und das auf das herumlaufen bezog, schaute Elisa sie mit leichtem Vorwurf an. "In der Kirche auch nicht." erinnerte sie die Freundin, eher gut gemeint. Sie würde sich gewiss freuen Cassidy wieder in der Schule zu haben, besonders mit der veränderten Situation mit den O'Neills, aber das sie sich deswegen quälte war unsinnig.
"Ok, kannst du da an den Pfosten und dich an mit festhalten, statt den Gehhilfen?" fragte sie und ging Cassidy zur Hand. Sie nahm die Freundin dann schliesslich Huckepack, was in Röcken nicht unbedingt die leichteste Übung war und trug sie dann die drei Stufen zur Veranda des Twin Falls hinauf und stellte Cassidy vorsichtig neben dem Posten wieder ab. Sie diente Cassidy als Stütze, bis diese die Krücken wieder richtig hatte und halbwegs sicher stand. "Das ging ja fast einwandfrei." griente Elisa und ging vor zur Tür des Hotels. "Wenn Sophie da ist, sag ich schnell guten Tag und seh wie es ihr geht, ok?"
"Das habe ich auch überhaupt nicht gemeint," wandte Cassidy sofort sanft ein und musste nur daran denken, wie abwesend ihr Vater wurde, wenn ihre Gespräche nur im Entferntesten auf ihre Mutter und Henry zu sprechen kamen. Zumindest verbat er sich die Gespräche nicht mehr wie am Anfang, aber das machte es nicht leichter mit ihm darüber zu reden. Nein, es war ihr in ihrem wohl etwas unsensiblen Scherz nicht darum gegangen, wie lang ein Mensch brauchte, den Verlust eines anderen zu verschmerzen. "Ich finde.. na ja, es wird wohl bei jedem anders sein, nicht?", wie erklärte man der Freundin, dass es der eigenen Meinung nach durchaus möglich war rechtzeitig die Kurve zu bekommen, um sich um sein Kind zu kümmern, anstatt es mit seinen Ängsten, mit seiner Trauer alleine zu lassen und in den nachfolgenden Jahren ohne Erklärungen über die Umstände Gehorsam erwartete und diesen einem einbleute, ob er Sinn gemacht hatte oder nicht. Sie sprach darüber weder mit ihrem Vater, noch gelang es ihr immer mit Sophie darüber zu reden und Elisa, die nur die Eisspitze mitbekommen hatte, war in ihren Augen gerade nicht der beste Ansprechpartner. Somit hielt sie eine nähere Erklärung bei sich und einen Themenwechsel für sinnvoll. Da das Gästehaus nun als kleine Hürde vor ihnen lag, war das auch gleich geschehen und sie konnten wieder etwas unbefangener miteinander umgehen. Sie lachten gemeinsam, aber sichtlich war noch keine Lösung in Sicht, wie sie die Stufen nach oben gelangen sollte. Cassidy lachte dennoch weiter, auch als Elisa gekonnt Cassidys Seitenhieb mit der Erwähnung der Kirche abwehrte. "Touché," gab sie ohne Probleme zu und damit war das Thema erst einmal beendet. Sie würde trotzdem in die Schule kommen...
Nun standen sie an der ersten Stufe und es führte kein Weg mehr daran vorbei, dass sie dort hinauf gelangen mussten. Elisa machte einen brauchbaren Vorschlag, den Cassidy erst einmal in Augenschein nahm. Ja so würde es wohl gehen... zur einer Seite der Verandapfosten und auf der anderen Seite Elisa. Doch die Freundin überraschte sie vollkommen, als sie ihr die Gehhilfen abnahm und bedeutete sich bei ihr auf den Rücken nehmen zu lassen. Bequemer ging es wohl kaum, aber die Vorstellung, welches Bild sie den anderen Gästen abgeben mussten, brachte Cassidy so zum Lachen, dass sie sich kaum an Elisa festhalten konnte und heilfroh war, als sie oben wieder festen Boden unter den Füßen spürte und sich auf ihre Krücken abstützen konnte. Noch immer etwas lachend schüttelte Cassidy den Kopf über die Situation, nickte dann aber. "Ja, das ging einwandfrei und mir tut jetzt der Bauch noch vom Lachen weh," sie humpelte an Elisa vorbei, als diese ihr die Tür öffnete, immer noch ein wenig kichernd und sah gerade aus an der Theke Sophies roten Haarschopf, im Gespräch mit einem recht groß gewachsenen Mann, der in Poncho, Reiterstiefel und Hut mit einer qualmenden Zigarillo bei ihr stand. Nur wenige Schritte von ihm entfernt hielt sich eine Wilde mit ihrem Sohn auf. Passend zu Elisas Vorschlag.... "Okay, ja... du kannst mitkommen, ich habe nämlich Sophie entdeckt."
Sie bogen dann irgendwie, wenn auch irgendwie alles recht langsam und zögernd, in die Mainstreet ab ... trafen auf einige Bürger, man nickte sich zu und dennoch war Eric sehr bei Selina und Sarah ... trotz Hundegebell und Kinderschreien, irgendwie waren sie gerade dran vorbei. Und bogen schliesslich auf die Mainstreet in Richtung Gästehaus ab.
Martha kommt mit Zeitsprung in die Lake Street (Ava in der Nähe)
Martha war so zügig wie nur möglich zurück ins Gästehaus geeilt, hatte aber unter all den noch anwesenden Gästen des Reverends ihre Eltern nicht finden können. Auch Matt war scheinbar von seinem Spaziergang nicht zurück und Rebeccah entsprechend auch nicht zu finden. Mr. Leery war nicht mehr da, selbst den Reverend konnte sie nicht finden und auch sonst war kein bekanntes Gesicht mehr da, das sie hätte fragen können. Dies ließ nur den Schluss zu, dass ihre Eltern einfach nach Hause gegangen waren. Wahrscheinlich war ihr unentschuldigtes Gehen als Ungezogenheit bewertet worden, anders konnte sie sich den Aufbruch der Eltern ohne sie nicht erklären. Als sie draußen an der Garderobe ihren Mantel nicht finden konnte, musste sie einsehen, dass sie sich neuen Ärger eingehandelt hatte. Man hatte ihr Gehen bemerkt, man hatte beschlossen ohne sie aufzubrechen und dazu auch noch ihre Sachen mitzunehmen. Man würde ihr niemals glauben, dass sie sich nur kurz am Stillen Örtchen verweilt hatte. Das war gar nicht gut. Gar nicht gut. Panik war in ihr aufgestiegen, die sie eilige nach Hause getrieben hatte, obwohl es ohne den Mantel ungemütlich kalt gewesen war. Nicht eine Sekunde lang dachte sie auf dem Weg darüber nach wegzulaufen, sich zu verstecken. Es war so oder so einerlei, was sie tat, die Strafe für ihr Vergehen würde sie ereilen. Da nutzte auch das Weglaufen nichts. Sie nahm daher lieber eine erneute Züchtigung für den scheinbaren Ungehorsam in Kauf, als auch noch eine fürs Weglaufen und jede andere, die Pa sicher einfiel. Es war so leicht gegen so viele Gesetze im Haus zu verstoßen, dass es Martha einfacher erschien sich für das Wegstehlen zu stellen, als sich noch anderer Vergehen schuldig zu machen. Doch um so näher sie der Lake Street gekommen war, um so langsamer war sie geworden. Jeder Mut verließ sie, bei dem Gedanken, dass sie nur noch wenige Schritte von der Konfrontation trennten. Mit kleinen Schritten bog sie schließlich in die Lake Street ein und passierte das Haus des Reverends. Ihr Blick lag dabei starr auf dem Elternhaus, aus dessen Kamin Rauch aufstieg und sie konnte hinter einigen Fenstern eine Lampe brennen sehen. Es war noch lange bis zum Einbruch der Dunkelheit, aber trotzdem war das Licht im Winter einfach ein anderes und manche Zimmer im Haus lagen so ungünstig, dass sie den ganzen Tag über recht dunkel waren. Letztendlich bedeutete dies, dass ihre Eltern zu Hause waren. Tatsächlich zu Hause. Marthas Herz machte in ihrer Brust einen Sprung und sie fühlte sich auf einmal furchtbar elendig. Ihr tat doch noch alles so schrecklich weh. Sie würde keine weitere Züchtigung ertragen, aber Pa würde kein Pardon kennen und nachdem Theater das sie bei Ma vollführt hatte, würde diese bestimmt darauf bestehen, dass ihr Pa die Sache in die Hand nahm. Martha kam nicht dagegen an, dass ihr bei der Vorstellung wie schmerzhaft Pas Züchtigungen stets gewesen waren, die Tränen in die Augen stiegen. Er würde nach der ganzen Enttäuschung nicht ein winziges Stückchen Nachsicht an den Tag legen. Es schüttelte sie heftig, als sie versuchte sich dem Haus weiter zu nähern. Sie konnte einfach nicht. Wie erstarrt blieb sie am Zaunende der Stevensons stehen und blickte zum Haus hinauf. Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung auf der anderen Straßenseite wahr, aber sie konnte nicht danach sehen. Sie glaubte, dass ein unachtsamer Moment sie direkt an Vater oder Mutter ausliefern würde. Einer der beiden müsste nur aus dem Fenster blicken.... Sie schluchzte leise, als ihr die ausweglose Situation immer mehr zu dämmern begann...
Ava vor dem Haus Lake Street Nr. 3 dann mit Martha auf der Lake Street kurz vor der Mündung zur Main Street
In Gedanken verloren verließ Ava das Haus ihrer Dienstherrin. Sie schloss die Tür hinter sich und trat hinaus auf die Veranda. Nach der angenehmen Wärme des Hauses empfing sie die bittere Kälte hier draußen beinahe wie ein Vorbote auf das, was noch kommen mochte. Eng schlang die junge Frau den wollenen Überwurf um sich und nachdem sie noch mal tief durchgeatmet hatte, schritt sie gemächlich die Stufe vor der Eingangstür hinab und wandte sich in Richtung der Main Street. Zuerst schenkte das Dienstmädchen ihrer Umgebung kaum Beachtung, so sehr war sie auf ihren eigenen Weg fixiert - oder viel mehr auf das Ziel. Doch als sie bereits einige Meter in Richtung der Hauptstraße gegangen war, bemerkte sie noch jemand anderen auf der Lake Street. Es war Martha! Sie drückte sich am Zaun der Nachbarn ihres Elternhauses herum und schien beinahe in einer tranceartigen Starre verfallen. Unablässig beobachtete sie ihr zu Hause und hatte Avas Herankommen scheinbar noch gar nicht wahrgenommen. Die junge Dienstmagd beschleunigte ihre Schritte und als sie näher kam fiel ihr auf, dass Martha nicht einmal einen Mantel trug. Und das bei dem Wetter! Ava fragte sich, was hier vor sich gehen mochte und da fiel ihr Blick auf die bandagierten Hände des Mädchens. Sie erinnerte sich an den Kirchgang am Vormittag bei dem ihr dies an der Jüngeren bereits aufgefallen war. Martha hatte so elend ausgesehen und war so in sich versunken gewesen, dass sie ihren Gruß nach dem Gottesdienst gar nicht bemerkt hatte. Und nun schien es ihr kaum besser zu gehen. Was wohl geschehen war? Ava hatte zwar nicht allzu viel Zeit um sich der Kleinen anzunehmen, aber sie musste sich zumindest erkundigen ob alles in Ordnung war. Zielstrebig ging sie auf Martha zu und als sie sie erreicht hatte, musste sie das Mädchen dennoch auf sich aufmerksam machen.
Einen guten Meter entfernt blieb Ava neben der Jüngeren stehen und musterte sie einen kurzen Moment lang, bevor sie sich ein wenig nach vorn lehnte, das Mädchen sachte am Oberarm berührte und vorsichtig: "Martha?", sagte. Nun von Nahem machte die Kleine den Eindruck, als würde sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen. Avas Besorgnis nahm durch den Anblick der jüngeren Braunhaarigen nur noch zu. Mitfühlend blickte die Dienstmagd das Mädchen an und erkundigte sich besorgt: "Ist alles in Ordnung?" Bevor sie fortfuhr blickte Ava sich nochmals kurz um, um sicher zu gehen, dass auch tatsächlich niemand in der Nähe war und Martha hier mutterseelenallein herumstand: "Warum stehst du hier denn so einsam und verlassen draußen herum? Und du hast ja nicht mal etwas an...! Warst du mit deiner Familie noch beim Empfang des Reverends?" Betroffen blickte das Dienstmädchen die Jüngere an und war sich, nachdem einige Sekunden verstrichen waren, nicht sicher ob sie von der Kleinen eine Antwort bekommen würde, ja, ob Martha überhaupt im Stande war ihr zu antworten. Um es dem Mädchen etwas einfacher zu machen, und ein Stück weit auch aus eigener Unsicherheit, versuchte Ava die Konversation zu lenken und ein Thema anzusprechen, welches Martha leichter fiel zu beantworten. Erneut fiel ihr Blick auf die bandagierten Hände und sie kam nicht umhin sich zu erkundigen: "Deine Hände... Ich, ich habe es vorhin in der Kirche schon bemerkt. Was ist mit deinen Händen passiert? Hast du dich verbrannt?" Fragend und mit ernsthafter Besorgnis in ihrem Blick sah Ava die Jüngere an. Das Dienstmädchen hoffte etwas aus der Jüngeren heraus zu bekommen. Wenn sie sich verletzt hatte, wusste die junge Frau vielleicht das Ein oder Andere, was der Kleinen Linderung verschaffen konnte...
Ava vor dem Haus Lake Street Nr. 3 dann mit Martha auf der Lake Street kurz vor der Mündung zur Main Street
Immer noch innerlich hin- und hergerissen was sie nun tun sollte, hörte Martha zwar die knirschenden Schritt im Schnee, die zielstrebig auf sie zukamen, aber da sie die Haustür noch immer verschlossen sah, wusste sie, dass es niemand aus der Familie sein konnte. Sein durfte. Vater hätte sie bestimmt schon längst ärgerlich beim Namen gerufen und ein übermütiger Ben bestimmt auch. So hob sie eher unbewusst und nicht sonderlich interessiert den Kopf. Als sie dabei Ava erblickte, die vor ihr stand, mit etwas Abstand, sah sie zwar überrascht, aber auch sehr erleichtert aus. Nur der musternder Blick von Ava machte Martha etwas unruhig, denn sie konnte sich gut vorstellen welchen Anblick sie bieten musste. Bei diesem Wetter ohne Mantel, nur mit dem Schultertuch unterwegs, die bandagierten Hände, das verweinte Gesicht, das dazu sicherlich auch noch furchtbar fahl wirken musste, schlicht ihr ganzer miserabler Zustand musste Ava Anlass zu Fragen sein. Fragen die Martha bestimmt unangenehm sein würden oder peinlich. So sehr sich Martha auch gerade über den Anblick von Ava gefreut hatte, so sehr sie meist gerne ihre Gesellschaft genoss, so sehr wünschte sich Martha nun, sie wäre noch alleine. Dann würden ihr Fragen sicherlich erspart bleiben. Doch Avas Hier sein bedeutete auch einen guten Grund zu haben, sich erst einmal nicht für den nächsten Schritt entscheiden zu müssen und damit die drohende Züchtigung noch eine Weile vor sich herzuschieben. Sie schluckte, als Ava sie ansprach, blinzelte ein paar Mal und bemerkte erst, als Ava sie sachte am Oberarm berührte, dass sie mehr oder weniger durch die Erwachsene hindurch geblickt hatte. "Ja?", fragte sie mehr aus einem Reflex heraus zurück und lächelte verlegen. Für Ava und sie hatten sich seit dem letzten Herbst nur wenige Gelegenheiten ergeben miteinander ein paar Worte zu wechseln. Doch jedes Mal hatte es Martha sehr gefallen, die mit der Zeit angefangen hatte Ava im Stillen als die einzige Freundin zu bezeichnen, die sie hatte. Laut hätte sie sich das niemals zu sagen gewagt. Ihre Eltern hätten ihr sofort den Umgang mit einer einfachen Dienstmagd verboten und Ava könnte sie über diesen Gedanken hinweg vielleicht auslachen, weil sie in Martha nur eine Bekanntschaft sah, die nur aus der Not heraus geboren worden war. Trotzdem fand Martha, dass die Geschichte in der Hintergasse mit Jake Callahan und ihren Eiern zusammengeschweißt hatte. Irgendwie. Sie war sich sicher, dass Ava ähnlich empfinden musste. Hätte sie sie sonst angesprochen? Doch dann kamen schon die Fragen, die Martha befürchtet hatte und sie kämpfte mit ihrer Beherrschung, um sie nicht völlig zu verlieren. "Ja, ja alles in Ordnung, Ava," flüsterte Martha und hatte ihre Arme schützend um sich geschlungen, weil es ihr langsam verdammt kalt wurde. Sie zog ihr Schultertuch noch etwas enger und versuchte sich an einem zuversichtlichen Lächeln. "Wirklich." Doch scheinbar nutzte ihr Versuch abzulenken nicht viel, denn Ava fragte einfach weiter und brachte Martha damit in Erklärungsnot. Natürlich wollte die Erwachsene wissen, wieso ein Mädchen mutterseelen alleine mit nichts zum Schutz gegen die Kälte vor dem Elternhaus stand, völlig aufgelöst und sich nicht hineintraute. Sie konnte Ava doch kaum die Wahrheit erzählen? Sie hatte in den letzten Monaten bei ihren Gesprächen nie über ihre Eltern geklagt, noch sich über die Züchtigungen schlecht geäußert, die Vater und Mutter zum Wohl ihrer Kinder als notwendige Erziehung regelmäßig austeilten. Ava würde ihr doch kein Wort glauben, wenn sie ihr jetzt erzählte, dass sie Angst vor Prügel hatte und deswegen nicht nach Hause konnte. Sicherlich hielt Ava die McKays für die netten Menschen, als die sie überall im Ort bekannt waren. Und meist waren sie das ja auch sogar, zumindest wenn sie nicht schon wieder enttäuscht von ihren Kindern zur Rute griffen. Es widerstrebte Martha auch ein solch wüstes Bild von ihren Eltern zu erzeugen, wenn sie Ava berichten musste, was in ihrem Haus heute alles vorgefallen war. Aber wenn sie es nicht tat, würde Ava doch bestimmt darauf bestehen Martha nach Hause zu bringen. Das ging überhaupt nicht. Zumal das heutige Geschehen aber auch nicht der Alltag war und damit für Martha nichts war, was man an die große Glocke hängen sollte. So sah sie nur verlegen auf den Boden und schwieg zu nächst. Das brachte ihr jedoch eine noch viel unangenehmere Frage ein - ihre Hände. Oh je, sie konnte Ava doch nicht anlügen. Lügen war ein schlechter Charakterzug, den ihre Eltern mit sehr viel Erfolg ihren Kindern ausgetrieben hatten. "Ich... ich hab meine Eltern verpasst. Sie sind wohl schon ohne mich nach Hause gegangen und...," tja und hatten einfach ihren Mantel mitgenommen... Wie klang das denn? Als wären sie Rabeneltern, die mit Absicht .. nein niemals. Sicher hatte Mutter angenommen, dass ihre sonst folgsame Tochter schon einmal nach Hause gegangen war, um vielleicht dort nach Ben zu suchen oder gar um sich auszuruhen. Sie wollte ihren Eltern wie so oft die besten Absichten unterstellen, obwohl sie ahnte, dass selbst wenn es so gewesen war, die Züchtigung am Ende trotzdem auf sie warten würde. "Und... und nein ich hab' sie mir nicht verbrannt," flüsterte sie weiter, schluchzte leise und hob ihre Brust und ihre Schultern, als sie tief durchatmete. Lügen konnte sie nicht. Es ging einfach nicht. "Ich hab' gestohlen und Mutter und Vater sind dahinter gekommen," mit Tränen in den Augen sah sie zum ersten Mal auf und blickte Ava direkt an. Mehr konnte sie im Augenblick nicht über die Lippen bringen. Wahrscheinlich hielt Ava sie nun genauso wie Vater für ein sündhaftes, liederliches Wesen, das man besser mied. Aber das hatte sie ja nicht anders verdient....
Ava mit Martha auf der Lake Street kurz vor der Mündung zur Main Street
Martha behauptete zwar, dass mit ihr alles in Ordnung sei, dennoch hatte es diesen Anschein ganz und gar nicht. Aber Ava kannte dieses Verhalten recht gut von sich selbst. Nicht, dass es oft Leute gegeben hätte, die sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigt hatten... aber wenn dem mal so war und es ihr tatsächlich aber alles andere als gut ging, hatte sie dennoch steif und fest behauptet, dem sei trotzdem so. Die Dienstmagd würde nicht behaupten das Mädchen vor ihr allzu gut zu kennen und dennoch fühlte sie, seit den Geschehnissen ihres Kennenlernens, ein gewisses Band mit der Kleinen. Ja, Ava war Martha sehr zugetan. Beinahe hegte die junge Frau geradezu schwesterliche Gefühle für das Mädchen, auch wenn sie das so niemals zugeben würde. Martha war fast so etwas wie eine kleine Freundin für Ava, vermutlich die Einzige hier in Camden Village, auch wenn sie an sich noch nicht furchtbar viel oder oft Umgang miteinander gehabt hatten. Vielleicht war es einfach nur die Tatsache, dass Ava ihre Geschwister vermisste, vielleicht aber auch die Gemeinsamkeiten der beiden, weswegen das Dienstmädchen sich der Kleinen so verbunden fühlte? Aber es spielte auch keine Rolle! Fakt war, dass sie Martha unheimlich gut leiden mochte und dass sie ihr gerne helfen, ja, sie geradezu beschützen wollte. Und anders als so mancher vor dem Mädchen, wies Martha sie nicht zurück und verwies die junge Frau auf ihren Rang und ihren Platz innerhalb der Gesellschaft. Nein, in gewisser Weise schien Martha ihr tatsächlich zu vertrauen. Vielleicht, und Ava wagte kaum dies zu hoffen, brachte Martha ihr sogar wirklich aufrichtige Sympathie entgegen!?
Jedenfalls standen sie hier nun die beiden, in der Kälte auf der Lake Street und es herrschte eine gewisse Befangenheit zwischen ihnen. Und noch bevor Martha ihr antworten konnte, bereute Ava ihre Frage bezüglich deren Händen auch schon. Hätte sie es im ersten Moment auch nur für möglich gehalten, dass die Bandagen an Marthas Händen eine andere Ursache haben mochten, so hätte sie diese Frage gar nicht gestellt um dem armen Mädchen diese Verlegenheit zu ersparen. Nun war es aber nun mal heraus und Martha war sichtlich unwohl bei der Beantwortung. Sie schien in ihrem Innersten mit sich zu ringen was und wie sie es am besten sagen sollte. Eine böse Ahnung keimte in der Dienstmagd auf, doch sie mochte es nicht recht wahr haben. Gerade als Ava ihre Frage schon wieder zurückziehen wollte, antwortete Martha ihr schließlich doch. Stockend, aber offenbar ehrlich und Avas Befürchtung bestätigte sich. Hatte sie vorher schon konsterniert gewirkt, so hingen Marthas Schultern nach diesem Geständnis nun noch tiefer als zuvor und Ava tat es unendlich leid das Mädchen überhaupt danach gefragt zu haben. Aus eigener Erfahrung wusste sie, dass man selbstredend nicht gerne darüber sprach, wenn man eine Verfehlung begangen hatte und von den Eltern davon zur Rechenschaft gezogen wurde. Ava war dies oft passiert, auch wegen Kleinigkeiten und dennoch zu Recht. Immerhin oblag es einzig und allein ihrem Vater zu entscheiden wann und wofür sie bestraft gehörte. So war es wohl bei allen Eltern. Aber wie sie Martha so ansah, konnte sie sich einfach nicht vorstellen, dass die Kleine einem überhaupt Anlass geben konnte sie bestrafen zu müssen. Ava war geradezu schockiert ob des offensichtlichen Ausmaßes von Marthas Bestrafung und konnte dies in ihrem Gesicht auch kaum verbergen. Martha sagte sie hätte gestohlen... aber was konnte das unschuldige Ding schon schlimmes gestohlen haben? Ava musste an die Situationen denken, wenn sie sich beim Zubereiten des Essens gelegentlich hier und da mal einen winzigen Bissen abgezwackt hatte, weil ihr Hunger einfach unerträglich war. Und wenn eine ihrer Schwestern sie dabei erwischt und es dem Vater erzählt hatte. Das hatte auch so gut wie jedes Mal Konsequenzen für Ava gehabt - mal mehr, mal weniger schlimme. Doch Bandagen hatte sie danach in der Regel nicht benötigt...
Fassungslos sah Ava das Mädchen vor ihr an und ein unangenehmes Schweigen machte sich breit. Es tat ihr furchtbar leid Martha in Erklärungsnot gebracht zu haben und nun überlegte sie, ob es irgendeine Möglichkeit gab dies wieder gut zu machen oder zumindest die peinliche Situation für Martha etwas abzumildern. Dass diese sie dabei auch noch mit tränengefüllten Augen ansah machte es nicht gerade besser. Um die Stille zu durchbrechen sagte sie schließlich: "Oh, ich... das tut mir leid, ich wollte nicht aufdringlich, ich meine neugierig... es geht mich ja auch eigentlich gar nichts an. Bitte entschuldige Martha!" Bedauernd sah die junge Dienstmagd von Martha zu Boden und wieder zu Martha und ihre Aufrichtigkeit wurde recht deutlich. Dennoch konnte sie es nun nicht mehr ungeschehen machen. Am liebsten hätte sie das Mädchen in den Arm genommen und getröstet, aber das wagte sie von sich aus nicht, konnte sie sich schließlich nicht sicher sein, ob Martha dies auch recht wäre. Erneut fiel Avas Blick auf die bandagierten Hände sie fragte sich voll Entsetzen welcher Anblick darunter verborgen sein mochte. Andererseits... wollte sie das wirklich wissen? Aber dann fiel ihr ein, dass sie Martha möglicher Weise doch helfen konnte. In all den Jahren außerhalb hatte sie gelernt sich um die Wehwehchen ihrer Geschwister und sowohl deren, als auch ihre eigenen Verletzungen zu sorgen. Daher kannte die junge Frau durchaus das ein oder andere Mittel um mit Hilfe von Pflanzen und anderen Hausmitteln beispielsweise Schmerzen ein wenig zu lindern. Zumindest das konnte sie für Martha tun, wenn diese es denn zulassen würde. Nach einer weiteren kurzen Pause, in der sie darüber nachgedacht hatte, fragte sie das Mädchen schließlich: "Also wenn..., wenn du möchtest kann ich mir das später mal ansehen. Ich... ich meine, ich kenne da eine Mischung für eine Paste, die den Schmerz lindert und mögliche Entzündungen verhindert." Ein wenig verschämt wendete sie den Blick ab. "Aber nur, wenn du willst... es muss nicht sein." Verlegen fügte sie noch hinzu: "Allerdings könnte ich das erst machen, wenn ich wieder zurück bin! Ich..., ich muss nämlich aus der Stadt und meinen Vater treffen. Ich muss ihm meinen Lohn von dieser Woche übergeben." Ava lächelte leicht gequält, denn allein der Gedanke daran ließ ihr Herz schon schneller schlagen, schnürte ihr die Kehle zu und trieb ihr den Angstschweiß auf die Stirn, konnte sie doch damit rechnen, dass ihr Vater erneut unzufrieden sein würde.
Ava mit Martha auf der Lake Street kurz vor der Mündung zur Main Street
So nun war es raus. Aber besser fühlte sich Martha nicht. Auch nicht bei dem Gedanken sich heute zumindest nicht auch noch des Lügens strafbar gemacht zu haben. Sie rechnete fest damit, dass Ava sie nun unweigerlich nach Hause schicken würde, denn wer wollte schon mit einer Diebin gesehen werden? Ihre Eltern hatten auf dem Empfang schließlich keine Gelegenheit verpasst ihre Bekanntschaft auf Marthas Verfehlen hinzuweisen, wobei sie sich mit ihrer konsequenten Erziehung gebrüstet hatten. Jeder im Ort wusste doch inzwischen, das Martha längst nicht das brave Mädchen war, das man gerne in ihr gesehen hätte. Ängstlich hob Martha ein wenig den Blick und erkannte zu ihrem Erstaunen einen schockierten Ausdruck auf Avas Antlitz. Hatte sie es doch gewusst... laut schluchzend senkte sie wieder ihren Blick. Wieso sagte Ava jetzt nichts? Wieso das Schweigen? Das war unangenehm und ließ Raum für die merkwürdigsten Gedanken, die sich darum drehten, wie Ava sie gleich verstoßen würde. Wieso auch nicht? Wenn nicht einmal ihre eigenen Eltern dazu bereit waren über ihr Vergehen hinwegzusehen?
Verwundert blinzelte Martha ein paar Tränen aus den Wimpern, als sie schließlich Avas Worte vernahm und überrascht wieder aufsah. Ava entschuldigte sich? Wegen ihrer Frage? Wo waren denn die Vorwürfe, der Tadel, die Vorhaltungen, der Bruch der Freundschaft? Hatte Ava sie überhaupt richtig verstanden? Sie bot ihr, einer Diebin, sogar medizinische Hilfe an. Das überforderte Martha nun doch ein wenig, denn Avas Reaktion war nicht unbedingt die gewohnte und erwartete. Sie hätte auf Schimpfe besser reagieren können, einfach weil sie nichts anderes gewohnt war. Mit Anteilnahme und Verständnis war das etwas ganz anderes. Verständnis oh je, Verständnis bedeutete Begreifen... Sofort schlug Martha wieder den Blick nieder, als ihr ganz schlecht bei dem Gedanken wurde, dass Ava besser verstanden hatte, was die Bandagen bedeuteten, als Martha mit ihrer Andeutung zu hoffen gewagt hatte. Sie wusste also, dass man sie für den Diebstahl gezüchtigt hatte. Sie wusste, wie schlimm es sein musste. Schamesröte zierte Marthas Wangen, als sie um Worte rang, denn eine Antwort war sie Ava schuldigt.
"Das... das ist wirklich nett von dir," sagte sie erst einmal auf das Angebot hin. Sie hätte es sicher sehr gerne angenommen, alleine schon damit das Brennen und Ziehen endlich ein Ende fand, denn Mas Salbe hatte nur kurzfriste geholfen und nach mehr zu fragen wagte sie sich nicht. Doch wie sie es anstellen sollte Avas Hilfe in Anspruch zu nehmen wusste sie nicht. "Ich, nur.. ich denke das werden Mutter und Vater nicht erlauben. Leider. Und Ma hat ja selbst eine Salbe," fügte sie hastig hinzu, weil sie das Bedürfnis hatte ihre Eltern ein wenig wieder besser dastehen zu lassen. Man sorgte sich ja um sie, auch wenn man sie schlug und meist missachtete. "Aber leid muss dir dein Fragen nicht tun," ein kleines Lächeln erschien auf Marthas traurigen Zügen, das schon eher wieder an das Mädchen erinnerte, das Ava kannte. "Die halbe Stadt weiß doch sowieso, was ich getan haben und das Pa.. nun ja, er hat nur getan, was seine Pflicht war," seufzte sie leise mit Blick auf die Bandagen. "Und mit so etwas halten meine Eltern nie hinter dem Berg," wieder seufzte sie und das Lächeln verschwand von ihren Zügen. Gerade da erwähnte Ava ihren eigenen Vater und lenkte Martha überraschend schnell vom Selbstmitleid ab. Ava hatte bislang noch nie viel von ihrer Familie erzählt, nur hin und wieder ein paar Bruchstücke. Ein genaues Bild hatte Martha darum über diese nicht gewinnen können. Umso erstaunter war sie nun über diese ungewohnte Information, die eigentlich nichts besonderes war, sah man einmal davon ab, dass Ava davon sprach ihr eigen verdientes Geld ihrem Vater abgeben zu müssen. Etwas ungewöhnliches sah Martha dabei allerdings nicht. Ihre Eltern vertraten schließlich auch die Auffassung, dass alle zum Gemeinwohl beitrugen. Allerdings hatten ihre Brüder nur so lange einen Teil ihres Lohnes abgetreten, als sie noch zu Hause gewohnt hatten. Nicht als sie ausgezogen waren.
Ava hatte sich bestimmt nur versprochen als sie von ihrem Lohn als Ganzes sprach und nicht nur von einem Teil. Was jedoch das ganze interessant machte, war die Art wie es Ava gesagt hatte. Mit einem leichten Unwillen in ihrer Stimme und einem gequälten Gesichtsausdruck. Martha legte den Kopf leicht schief und beobachte Ava genauer. Es war ihr jedoch schwer zu sagen, was genau es war, dass ihr bei Ava leicht vertraut vorkam.
"Du... du musst deinen Lohn abgeben," oh ja, wirklich sehr schlaue Frage und überhaupt nicht neugierig. Martha hätte sich selbst dafür ohrfeigen können, doch etwas besseres war ihr nicht eingefallen. Sie hatte nur das Gefühl, dass etwas bei der Sache nicht stimmte und sie gerne herausgefunden hätte, was es genau war. Da half nur diplomatisches Vorgehen und in Diplomatie war sie dank dem komplizierten Elternhaus eine Expertin...
Ava mit Martha auf der Lake Street kurz vor der Mündung zur Main Street
Es war kaum übersehen, dass Martha sich in ihrer Haut sichtlich unwohl fühlte und dass die Tatsache darauf angesprochen zu werden es eher schlimmer machte als besser. Als Ava dann sogar einen feuchten Glanz in den Augen des Mädchens erkannte bereute sie ihre unerhörte Direktheit umso mehr. Die Dienstmagd fragte sich, wie es überhaupt hatte passieren können, dass sie mit der Braunhaarigen in solchen einen vertrauten Umgang verfiel. Martha war zwar in der Tat um einiges jünger als sie selbst, aber trotzdem mit Sicherheit immer noch von einem höheren sozialen Rang! Insofern geziemte es sich für Ava eigentlich ganz und gar nicht das Mädchen überhaupt auf einer derart persönlichen Ebene anzusprechen. Da Martha sie dafür jedoch nicht rügte und sogar nicht einmal die Antwort darauf verweigerte musste die Magd annehmen, dass es ihr nicht allzu viel ausmachte oder aber, dass sie den Unterschied zwischen sich und der Mienenarbeitertochter als nicht ganz so gravierend empfand. Leicht errötet, ob es nun von der Kälte kam oder durch die Worte der jungen Frau, erwiderte Martha dass sie Avas Angebot wohl leider ausschlagen müsse und das Dienstmädchen war nur wenig überrascht von dieser Reaktion. Gerne hätte sie der Jüngeren beigestanden, aber die Angst der Kleinen vor den eigenen Eltern, bzw. deren Maßregelungen schien Martha so sehr einzuschüchtern, dass sie sich nicht getraute auf Avas Vorschlag einzugehen. Kein Wunder, wenn man bedachte wie vehement und mit welchem Nachdruck sie versucht hatten dem Mädchen das Stehlen auszutreiben...! Ava lächelte leicht ertappt, als Martha meinte ihr müsse die Frage nicht leidtun. Das erleichterte die junge Frau ungemein. Dennoch nahm sie sich vor etwas so Persönliches erst einmal nicht mehr anzusprechen.
Was Martha jedoch im Folgenden von sich gab, bestürzte und erschütterte die Dienstmagd geradezu ein wenig. Dem konnte doch gewiss nicht so sein! Andererseits, wenn sie da an ihren eigenen Vater dachte... der berichtete anderen auch gerne von Avas Verfehlungen und brüstete sich vor allem damit, wie und mit welchen Mitteln er sie für diese bestrafte. Ava warf der Jüngeren einen mitleidenden und verständnisvollen Blick zu. Sie konnte sich beim allerbesten Willen nicht vorstellen, dass Martha überhaupt jemand war, der etwas stahl. Und wenn, dann sicherlich nichts Wertvolles! Was konnte bloß so gravierend gewesen sein, dass das Mädchen dafür derart hart gezüchtigt wurde? Ava kannte die McKays so gut wie gar nicht, hatte sie nur im Laden oder zu diesem oder jenem Anlass schon mal gesehen. Sie machten zwar einen freundlichen Eindruck, aber die junge Frau konnte sich durchaus vorstellen, dass sie recht streng sein konnten. Widerwillig drängten sich ihr Gedanken an ihr Leben vor Lady Craven auf. An Vaters Riemen oder seinen Stock... Mit einem fröstelnden Schütteln versuchte sie diese Erinnerungen los zu werden und nicht darüber nachzudenken, was sie möglicher Weise in kurzer Zeit selbst erwartete, wenn ihr Erzeuger mit der Summe erneut unzufrieden war. Martha riss sie ebenfalls aus dieser Gedankenstarre, als sie die Ältere völlig perplex fragte, ob sie das mit dem Lohn recht verstanden hatte. Nun war es Ava selbst, die ein wenig verlegen lächelte, auch wenn sie eigentlich nichts Ungewöhnliches dabei fand. Was sollte sie mit dem Geld wohl auch sonst machen? Bevor sie dem Mädchen beinahe ein wenig stutzig darauf antwortete, versuchte die junge Frau sich daran zu erinnern, wie viel die Kleine eigentlich überhaupt von ihr wusste: "Gewiss. Wir sind eine große Familie und das Einkommen meines Vater aus der Simones Miene reicht zumeist nicht aus um uns alle zu durchzubringen..., besonders nicht im Winter."
Wehmütig dachte Ava an ihre Geschwister und fragte sich, wie es ihnen in den vergangenen Monaten ohne sie ergangen sein mochte. Wie es ihnen jetzt wohl ging und was sie wohl gerade machten? Hoffentlich kam ihre Unterstützung überhaupt bei ihnen an und Vater gab das Geld nicht nur für seine eigenen Annehmlichkeiten aus...! Der bloße Gedanke an all dies versetzte Ava einen schmerzhaften Stich und bevor ihr aufgrund dessen die Tränen in die Augen schießen konnten, fügte sie schnell ausflüchtig lächelnd und ablenkend hinzu: "Ich bin ja bei Lady Craven im Haus mit untergebracht, seitdem ich für sie arbeite. Dort habe ich ein Dach über dem Kopf, einen Schlafplatz, Anzuziehen und ausreichend verpflegt werde ich von ihr auch." Avas Blick schweifte wieder kurz in die Ferne, bevor sie voller Überzeugung fortfuhr: "Ich brauche also gar kein eigenes Geld. Um ehrlich zu sein..., ich wüsste gar nicht, was ich damit anfangen sollte!" Und das entsprach sogar der Wahrheit. Milde lächelte das Dienstmädchen die Jüngere an und wünschte sich, sie könnte Gedanken lesen. Was Martha von alledem wohl halten mochte? Für Ava jedenfalls war es so ziemlich das Normalste auf der Welt. Sie kannte es nun mal eben nicht anders. Je länger sie jedoch hier stand und sich mit der Kleinen unterhielt, desto mehr Zeit verstrich und desto später würde sie zu dem Treffen mit ihrem Vater erscheinen. Das löste eine gewisse Hektik in der jungen Frau aus und verursachte ein Zwicken in ihren Füßen. Dennoch wollte sie noch einmal kurz auf Marthas Misere zu sprechen kommen: "Du kannst trotzdem jederzeit zu mir kommen, wenn deine Hände nicht rasch besser werden und du es dir doch noch mal anders überlegst! Sie..., sie müssen es ja nicht erfahren, deine Eltern...!" Die Dienstmagd warf dem braunhaarigen Mädchen abermals einen verschwörerischen Blick zu, bevor sie schließlich meinte: "Vergib mir, ich würde wirklich gerne noch bleiben aber ich fürchte ich muss mich sputen... die Zeit drängt ein wenig!" Mitfühlend sah sie die jüngere an und schlussfolgerte eindringlich: "Und du? Möchtest du nicht auch lieber endlich hinein gehen? Hier draußen ist es doch viel zu kalt so ganz ohne Mantel." Verständnisvoll legte Ava Martha abermals zaghaft die Hand auf die Schulter: "Hab keine Angst! So schlimm wird es schon nicht noch mal werden. Sie werden so erleichtert über deine Rückkehr sein und darüber, dass sie sich nicht mehr sorgen müssen, dass sie dir bestimmt kaum mehr böse sind!" Es gab nichts, worauf diese Hoffnung aufbaute, aber Ava wollte der Kleinen Mut machen und sie dazu bewegen in die warme Stube zu gehen. Hier draußen würde sie sich schließlich nur den Tod holen, wenn sie noch länger so bewegungslos herumstand...! Und Ava musste wirklich zusehen, dass sie sich eilte! Wenn sie auch noch zu spät am vereinbarten Treffpunkt erschien würde das die Laune ihres Vaters sicherlich nicht gerade bessern...
Ava mit Martha auf der Lake Street kurz vor der Mündung zur Main Street
Martha bemerkte durchaus, dass sie mit ihrer Frage wohl eher etwas unangenehmes angesprochen hatte, denn das verlegene Lächeln der jungen Frau sprach für sich. Doch die Erleichterung darüber, endlich von sich, dem Diebstahl und ihren Verletzungen ablenken zu können, war so groß, dass Martha nur sehr bedingt ein schlechtes Gewissen darüber empfand. Dennoch verzog sie ein klein bisschen das Gesicht ganz so, also wollte sie Ava wissen lassen, dass ihr die Frage leid tat. Obwohl Ava ohne zu zögern Marthas Frage beantwortete, blieb das unangenehme Gefühl. Wissend nickte Martha jedoch gleich darauf wieder sehr erleichtert, da Avas Erklärung eine ganz simple war, nicht unähnlich wie es ihre Eltern mit den größeren Brüdern gehalten hatten oder wie es in anderen Familien am Ort geschah. Sie half schließlich auch mit, wenn nicht finanziell, dann doch mit ihrer Arbeitskraft und entlastete Mutter im Haushalt und Vater im Laden. Als Mädchen oder junge Frau jedoch auszuziehen, um arbeiten zu gehen, für Geld, konnte sich Martha nicht im geringsten vorstellen. Das war in ihrer Welt schon sehr viel Eigenverantwortung, die Ava da übernehmen musste, mehr als in ihrer Familie einem Mädchen anvertraut wurde. In Avas Alter hatte man in der bürgerlichen Welt gefälligst verheiratet zu sein und vielleicht sogar schon den ersten Nachwuchs bekommen. Entsprechend schlich sich ein wenig Bewunderung in ihren Ton hinein, ohne die Sache etwas objektiver und kritischer zu betrachten.
"Da sind sie bestimmt alle stolz auf dich," sagte Martha anerkennend. "Immerhin sorgst du für sie mit." Martha sah daran nichts schlechtes, noch kam ihr der Gedanke Ava könnte ihre Familie vermissen. Sie sah viel mehr die Freiheiten dahinter, die die ältere Freundin genießen mochte, Freiheiten, die Martha nie kennenlernen würde. Zwar musste Ava für diese Lady Craven aus der Nachbarschaft der McKays sorgen, putzen und kochen, aber sie war fern vom Einfluss der Familie. Sie konnte sich jederzeit im Laden von Marthas Eltern schöne Dinge kaufen, die für Martha unerreichbar blieben. Aus vielen Gründen. Das eine machte dick, das andere vertrug sich nicht mit der Diät und alles andere war unnötiger Luxus, für den man besser kein Geld ausgab. Geschweige denn, dass sie überhaupt finanziell belohnt werden würde. Ihre Mithilfe war etwas selbstverständliches. Umso überraschte sah Martha die Älter an, als diese gestand, überhaupt kein Geld zu gebrauchen und anscheinend nicht einmal wusste, für was sie es ausgeben sollte. Martha dagegen wusste es genau. Wenn sie selbst Geld hätte... sie wäre längst frei. "Wirklich", entrutschte es ihr daher auch ziemlich überrascht. "Also wenn ich Geld hätte, ich wüsste, was ich damit tun würde. Ich würde alles was übrig bliebe sparen, bis ich genug Geld für ein Zugticket hätte und dann würde ich von hier weggehen. Irgendwohin, egal wohin, Hauptsache ganz weit weg und mein eigenes Leben führen. Nur für mich alleine." Sie lachte leise, verlegen und ganz so, als wüsste sie wie dumm ihr Wunsch war, da die Gesellschaft für junge Frauen ganz andere Dinge vorsah, als sie sich erträumte. Deswegen fügte sie auch rasch hinzu. "Ich weiß ja, dass das nicht geht. Aber ich würde es trotzdem versuchen."
Von Ava auf einmal wieder auf ihre Hände angesprochen, wurde Martha jedoch gleich wieder ernst und schob die verbundenen Hände vorsichtig unter ihre Achseln. Da waren sie erst einmal aus dem Blick und ihr wurde es etwas wärmer. "Ich... vielleicht... mal sehen," druckste sie auf das erneuerte Angebot herum, lächelte jedoch dankend und nickte. "Auf jeden Fall ist es ein sehr nettes Angebot, Ava. Nur.. ich wüsste nicht wie meine Eltern es nicht erfahren sollten," überrascht von ihrer Ehrlichkeit stutzte Martha einen Moment, grinste dann halb verlegen und zuckte leicht mit den Schultern. So schlimm war es gar nicht über das alles zu reden, wie sie immer gedacht hatte. Eigentlich tat es sogar ganz gut, darüber einmal reden zu können, ohne gleich Angst haben zu müssen, der Zuhörer würde zu ihren Eltern laufen und alles verpetzen. Darum fasste Martha ein wenig Mut und Zutrauen, während sie fortfuhr Ava ihre Worte näher zu erklären. "Ich darf ja nicht mal ohne Erlaubnis vor die Tür. Ich müsste lügen. Aber das kann ich nicht. Und .. und würde mir auch schlecht bekommen." Der gefundene Mut sackte je ab, als Ava davon sprach dass sie es eilig habe und nun gehen musste. Martha wollte nicht alleine sein. Schon gar nicht wollte sie nach Hause. Was sie dort erwarten würde, würde den Vormittag um einiges übertreffen. Entsprechend skeptisch sah sie Ava auch an. Nur zu gerne hätte sie ihren Worten Glauben geschenkt, doch ihre Eltern waren nun einmal niemand die eine Schuld ungesühnt vergaben. Das ließ sie vor dem was sie erwartete innerlich noch mehr frösteln und sie schüttelte fast automatisch mit dem Kopf, zog den Wollumhang enger um die Schultern und sagte ein wenig ungewohnt trotzig: "Ach, du hast keine Ahnung, Ava. Erleichtert werden sie schon sein.... Aber ich bin schon viel zu spät dran, um nicht ... ach, kann ich nicht einfach mit dir mitkommen? Ein bisschen Bewegung wärmt mich bestimmt auf und ich müsste nicht gleich nachhause...," es war trügerisch anzunehmen, dass längeres Fernbleiben von Zuhause irgendetwas an einer Bestrafung ändern würde. Im Gegenteil. Umso später sie keimkehrte, umso ärgerlicher würden Vater und Mutter sein. Das würde sicherlich und unweigerlich zu einer erneuten, schweren Züchtigung führen, bei der Martha schon alleine beim Gedanken daran ganz übel wurde. Nein, sie hoffte weniger auf Strafmilderung, als viel mehr daran, diesen Moment so lange wie möglich vor sich herzuschieben und da kam ihr ein kleiner Ausflug mit Ava gerade recht. Sie verhielt sich sowieso schon widerspenstig und ungezogen, da kam es nicht mehr darauf an ob sie ein oder zwei vielleicht drei Stunden zu spät kam. Nicht einmal die Aussicht das Abendessen zu verpassen oder gar am Tisch stehen zu müssen, zusehen wie die anderen aßen und hungrig schlafen gehen zu müssen, erschreckte sie gerade.
Ava mit Martha auf der Lake Street kurz vor der Mündung zur Main Street
Als Martha geradezu bewundernd vermutete, dass aufgrund ihrer Arbeit und ihres Hinzuverdienens hier bei Lady Craven in Camden Village sicherlich alle stolz auf sie sein, fühlte Ava plötzlich einen Stich in ihrer Brust und in ihrem Magen. Das war sicherlich nicht die Absicht des Mädchens gewesen, ganz im Gegenteil! Aber Martha konnte natürlich nicht wissen wie es sich tatsächlich verhielt. Die junge Frau versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie getroffen sie von der Bemerkung war und wie nahe ihr dies ging. Dennoch konnte sie einen leicht wehmütigen Ausdruck auf ihrem Gesicht kaum verbergen. Ava hatte nicht die geringste Ahnung, was sie darauf antworten sollte, daher stammelte sie nur ein verlegenes "Nun...", und war heilfroh, als Martha bereits wieder auf etwas anderes einging. Geradezu beschwingt plauderte die Jüngere drauflos, dass sie genau wisse, was sie mit Geld anfangen würde, wenn sie welches hätte. Die Dienstmagd war ein wenig überrascht zu erfahren, dass es offenbar Marthas größter Wunsch war Camden Village den Rücken zu kehren. Wobei es weniger die Tatsache an sich sein mochte, als die Vehemenz mit welcher ihre kleine Freundin dies zum Ausdruck brachte. Nun war es wiederum Ava, die das Mädchen bewunderte. Selbst wenn Martha dann noch einlenkte und etwas kleinlaut hinzufügte wie unwahrscheinlich die Erfüllung dieses Wunsches war empfand Ava geradezu Respekt vor der Zielstrebigkeit des Mädchens und bewunderte die Tatsache, dass sie trotz allem dennoch Träume hatte und zumindest nicht vollends ausschloss, dass diese sich eventuell eines Tages auch erfüllen könnten. Sie selbst hatte kein solches Ziel und hatte es auch nie gehabt. Ihr einziges Ziel im Leben war den Vater möglichst zufrieden zu stellen, dafür zu sorgen dass es den Geschwistern gut ging und seit kurzem auch es der Lady Craven recht zu machen. Ein eigenes, persönliches Ziel, so musste die junge Frau sich bitter eingestehen, hatte sie nicht. Sicher, da gab es hin und wieder mal Gedanken vom Fortlaufen oder manchmal sogar den Traum von einem Mann und Kindern... aber ersteres war ein Ding der Unmöglichkeit für Ava, da sie es niemals übers Herz brächte ihre Geschwister im Stich zu lassen und letzteres waren sowieso nur unreife Wunschträume, die sich laut ihres Vaters ohnehin niemals für sie erfüllen würden, da sie dumm war, faul und ungeschickt und auch äußerlich nichts her machte - alles Eigenschaften, die sie für Männer nicht gerade sonderlich anziehend machte. Allein die Tatsache, dass sie dennoch nun mal eine Frau war schien für Manche ausreichend zu sein, um ihr zumindest unter die Röcke zu wollen... Mit Schaudern kamen bei dem Dienstmädchen Erinnerungen an die beiden Vorfälle hoch, in denen es Fremden beinahe gelungen wäre ihr das Einzige zu rauben was sie besaß. Ironisch, dass es in einer der beiden Situationen ausgerechnet ihr Vater gewesen war, der sie vor dem Schlimmsten bewahrt hatte und wie geradezu höhnisch, dass es diese Tatsache war, der sie es verdankte überhaupt hier zu sein...!
Avas abschweifende Gedanken wurden wieder zurück ins Hier und Jetzt geholt als Martha erneut auf das Angebot der Dienstmagd zu sprechen kam sich ihrer geschundenen Hände anzunehmen. Wärmend hatte die Kleine sie unter ihre Achseln geschoben und sich nochmals bedankt. Ava war erstaunt über das, was sie dann erfuhr, bzw. vielmehr über die Ehrlichkeit mit der Martha es ihr entgegenbrachte. Diese Dinge waren etwas, worüber die Dienstmagd in ihrem eigenen Leben noch niemals mit jemandem gesprochen hatte. Umso besser tat es, sich mit jemandem auszutauschen, dem es offenbar nicht unähnlich ging. Ava wusste genau, wie Martha zumute sein musste und schenkte der Jüngeren einen mitfühlenden Blick. Das Vertrauen, welches das Mädchen ihr entgegenbrachte aufgrund der Tatsache dass sie ihr solcherlei Dinge überhaupt preisgab, ehrte die junge Frau in gewisser Weise und bestätigte sie darin, dass Martha nicht einfach nur irgendeine flüchtige Bekanntschaft war hier in Camden Village, sondern dass es zwischen den beiden sehr wohl ein gewisses Band gab, dass sie verband. Ava erkannte in der Kleinen gewisse Dinge von sich selbst wieder. Sie wusste nur zu gut wie das war mit dem Ungehorsam und dessen Folgen. Erst in diesem Augenblick wurde dem Dienstmädchen so richtig bewusst, was für eine Gnade es für sie war hier zu sein! Seit sie zurück in Camden Village war und bei Lady Craven arbeitete - also seit Monaten schon - hatte sie keine einzige körperliche Züchtigung mehr erfahren. Sicher, die wöchentlichen Treffen mit ihrem Vater waren unangenehm und er hatte sie dieses oder jenes Mal hart angefasst oder auch mal geohrfeigt, aber richtig verhauen hatte er sie seit der schlimmen Tracht Prügel aufgrund des Vorfalls damals nicht mehr. Und Lady Craven war sehr gut zu ihr und meistens auch weitestgehend zufrieden mit ihrer Arbeit, so dass es sogar kaum Anlass gab die Dienstmagd mit Worten zu schelten. Erst jetzt wurde Ava bewusst, wie gut sie es eigentlich hatte! Umso mehr wuchs ihr Mitleid mit Martha.
Als Ava das Mädchen dann aber auf deren Heimkehr und die Eltern ansprach, schaute die Kleine plötzlich drein wie ein geschlagener Hund. Deswegen, und aufgrund ihrer vorherigen Erkenntnis, tat es Ava sofort leid was sie gesagt hatte. Sie konnte sich in etwa vorstellen wie das ablaufen würde also was um alles in der Welt hatte sie denken lassen, sie könne Martha mit ihren Worten Mut zusprechen? Skeptisch schüttelte das Mädchen den Kopf und zog, beinahe wie zum Schutz vor dem Ärger, der sie erwarten mochte, den Wollumhang enger um sich. Die Reaktion der kleinen Freundin klang beinahe trotzig und Ava hatte mehr als Verständnis dafür, daher sah sie Martha dies nach. Auf das, was dann kam, war das Dienstmädchen jedoch ganz und gar nicht vorbereitet. Martha bat sie mitkommen zu dürfen! Die junge Frau war so überrumpelt und perplex, dass sie erst einmal gar nicht wusste, was sie sagen sollte. Einerseits konnte sie den Gedankengang der Kleinen nachvollziehen die Heimkehr am liebsten so lange wie möglich hinauszuzögern. Andererseits musste Martha aber auch klar sein, dass das die Situation für sie keinesfalls besser machen würde, eher verschlimmern. Aber was sollte Ava darauf erwidern? Sie kannte die Bange vor der Heimkehr nur zu gut, hatte sie sie doch selbst unzählige Male am eigenen Leibe erfahren. Wenn Martha auch nur geahnt hätte, dass das, was sie kurz vor Camden Village erwarten mochte, nicht unbedingt besser sein würde als die Rückkehr ins Elternhaus, so hätte sie die Dienstmagd bestimmt nicht darum gebeten mitgehen zu dürfen. Aber Martha konnte davon ja nichts wissen und trotz der Ehrlichkeit und Zutraulichkeit der Jüngeren fühlte Ava sich immer noch nicht vollends bereit so offen mit den eigenen Umständen umzugehen. Mehr als zwanzig Jahre lebte sie dieses Leben schon und noch niemals hatte sie es mit irgendjemandem geteilt. Die Gewohnheit des Fürsichbehaltens war einfach zu groß um sie so rasch durchbrechen zu können, auch wenn ihr das um Marthas Willen aufrichtig leid tat. Aber was nun? Wie sollte Ava auf die verzweifelte Bitte des Mädchens reagieren? Einerseits wollte sie nichts lieber als der Kleinen einen Gefallen tun! Andererseits wusste sie, dass es für Martha kein Gefallen sein würde, da es alles bloß verschlimmern würde. Außerdem... konnte sie es wirklich verantworten die Jüngere mitzunehmen zu ihrem Vater, dem Mann, der ihr seit ihrer Geburt das Leben schwer machte? Aber wie sollte sie Martha das auf die Schnelle erklären? Andererseits... vielleicht gereichte es für sie selbst gerade zum Vorteil wenn Martha mitkam? Gegen Mädchen, die nicht sie selbst waren, hatte Vater ja nichts. Ihre restlichen Schwestern waren seine Prinzessinnen, seine Schätze. Möglicher Weise würde Marthas Anwesenheit den Erzeuger gerade milder stimmen!? Oder war das nur ein Trugschluss? Dennoch musste die Dienstmagd sich eingestehen, dass Marthas Mitkommen ihr selber gegebenenfalls mehr nützen würde als dem Mädchen selbst... Konnte sie das wirklich gutheißen und verantworten und dem zustimmen?
Ava fühlte sich von einer leichten Panik getrieben, da die Zeit ihr im Nacken saß. Was sollte sie tun? Martha sah sie geradezu flehentlich an. Es wäre nicht rechtens die Kleine mitzunehmen um durch deren Anwesenheit ihren Vater zu besänftigen. Außerdem gab es darüber hinaus keine Garantie, dass das überhaupt funktionieren würde! Eventuell würde der Vater sie sogar durchschauen? Schließlich hatte er letzte Woche bereits angekündigt, dass er dieses Mal einen höheren Lohn erwartete...! "Willst du das wirklich?", fragte sie zweifelnd an das Mädchen gewandt. "Ich..., ich weiß nicht ob...", das so eine gute Idee ist, hatte sie sagen wollen. Aber Marthas Hundeblick ging ihr zu sehr ans Herz. Die junge Frau kämpfte arg mit ihrem Gewissen. Da kam ihr ein Einfall, wie sie sich gegebenenfalls bei Martha revangieren könnte. Sie kannte die McKays zu wenig um einschätzen zu können, ob es funktionieren und Martha damit vor erneuter Strafe bewahren würde, aber einen Versuch wäre es allemal wert! "Also..., wenn du unbedingt willst... Aber dann erlaube mir dich danach heim zu begleiten. Wir... wir können deinen Eltern sagen, dass du auf dem Nachhauseweg mir und Lady Craven begegnet bist und dass du mir geholfen hast, weil es ihr sehr schlecht ging!" Ein wenig beschämt gab Ava zu: "Das..., das ist nicht mal ganz gelogen. Die Lady kann sich dazu nicht äußern, da sie sich gewiss nicht erinnert und von mir werden deine Eltern die Wahrheit nicht erfahren!" In Avas Augen war das ein durchaus fairer Deal. So konnte sie Martha entgegen kommen und musste sich deswegen nicht mit einem allzu schlechten Gewissen quälen, sofern sie sich in diesem Sinne für die indirekte Hilfe des Mädchens revangieren konnte. Ja, im Grunde war es nahezu unverfroren der Kleinen hier ganz offen heraus vorzuschlagen ihre Eltern zu belügen, besonders wo sie eben noch gemeint hatte, dass sie das nicht könne. Aber die junge Frau konnte es nicht mit sich vereinbaren ihre liebe, kleine Freundin durch die Erlaubnis mitzugehen noch mehr in die Bredouille zu bringen. Und wenn dies der einzige Weg war zumindest zu versuchen es für Martha etwas besser zu machen, dann wären ihre Hemmungen deren Eltern anzuflunkern ungleich geringer. Verteidigend fügte sie daher noch hinzu: "Es..., es wäre ja nur eine kleine Notlüge... sozusagen!" Eindringlich sah die Dienstmagd ihr jüngeres Gegenüber an und fragte schließlich: "Einverstanden?" Dann setzte sie noch schnell in einem fürsorglichen Tonfall hinterher: "Und du lässt mich eben noch mal schnell zurück laufen und eine Decke aus dem Haus der Lady holen, die du dir zusätzlich umlegen kannst. So wie du jetzt dastehst ist es viel zu kalt für dich hier draußen!"
Ava mit Martha auf der Lake Street kurz vor der Mündung zur Main Street
Martha bekam nicht mit, dass Ava flüchtig zeigte wie unangenehm tief Marthas Worte sie getroffen hatten, denn dafür war Martha im Moment viel zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, die ihr arg zusetzen. Was sie jedoch mitbekam, war das kurze Schweigen, gefolgt von einem Stammeln, das Martha bemüht überging. Denn in diesem Moment war ihr sehr wohl bewusst, dass sie unbewusst ein Thema angeschnitten hatte, das Ava entweder völlig anders sah oder Martha womöglich missverstanden hatte. Da Ava aber nicht versuchte sie zu berichtigen, nahm Martha an, sie habe sich womöglich getäuscht und die Sache falsch interpretiert. Letztendlich ging es Martha im Augenblick sowieso mehr um ihr eigenes Wohl, als das sie sich wie gewöhnlich feinfühlig auf ihr Gegenüber einstellen konnte. Das war insofern für das Mädchen ungewöhnlich, weil sie es überhaupt nicht kannte eigene Bedürfnisse über die von anderen zu stellen. Deswegen hatte sie sich auch bei Ava aufs Betteln verlegt, etwas, das sie genauso wenig gewohnt war. Peinlich war ihr das im Augenblick überhaupt nicht, denn die Angst vor Vaters Züchtigungen war ungemein größer, als der eigene Stolz.
Erwartungsvoll und mit Anspannung erwartete sie eine Antwort von Ava, sah dieser aber leider ganz deutlich an, dass ihre Bitte ungelegen kam und sie die junge Frau damit auch ziemlich überrumpelt hatte. Betreten kaute Martha auf der Unterlippe herum, senkte den Blick und trippelte vorsichtig hin und her, um die Kälte loszuwerden, die sie eben noch verleugnet hatte. Vorsichtig, weil ihre Kehrseite natürlich nach wie vor bei unbedachten Bewegungen aufheulte und protestierte.
Sie wusste, dass sie absolut nichts dagegen machen konnte, wenn Ava nein sagte. Sie konnte sich ihr kaum aufdrängen. Dazu war sie nicht erzogen. Alleine schon wie weit sie sich in diesem Gespräch vorgewagt hatte, überstieg ihre Erziehung und ließ Martha nun doch ein wenig zurückrudern. Nun, wenn sie nein sagen würde, würde sie eben zusehen müssen, wie sie sich vor dem Nachhause gehen drücken konnte. Viele Optionen hatte sie nicht. Da war nur Ava und.. ja und sonst niemand. Vielleicht könnte sie bei Reverend Stevenson an die Tür klopfen? Er erschien ihr doch recht.. gemäßigt. So ganz anders als Reverend Hawkins. Er würde sicher helfen oder verstehen. Aber der wohnte ja nur ein Haus weiter und man würde sie bestimmt sofort finden.. ach das war ein Dilemma. Marthas Augen füllten sich mit Tränen der Verzweiflung. Ihr blieb wohl wirklich nur das eigene Heim, wenn sie nicht hier draußen erfrieren wollte.
Bei Avas vorsichtiger Frage hob sie wieder den Kopf, blinzelte die Tränen beiseite und nickte. "Ja, ja wirklich," beeilte sie sich zu sagen und überhörte absichtlich den Teil, bei dem Ava ihre Bedenken einräumte. "Ich.. ich bin bestimmt auch keine Last für dich. Ich will nur ein bisschen mitgehen," fügte sie rasch hinzu und konnte nicht verhindern, dass ihr Ton wieder etwas Flehendes angenommen hatte. Und dann endlich.. die Erleichterung. Ava lenkte ein. Martha konnte ein kleines, erleichtertes Lächeln nicht unterdrücken und nicht zu allem. Ja, unbedingt wollte sie das und natürlich konnte Ava sie später nach Hause begleiten. Wieso auch nicht. Und.. was? Martha riss die Augen weit auf, als sie Avas Plan vernahm und diesen verinnerlichte. Sie sollte mit Avas Hilfe ihre Eltern anlügen? Das... das ging nicht. Das war unmöglich. Wieder sammelten sich Tränen in ihren Augen, die Martha vorsichtig mit einem der verbundenen Handrücken zur Seite wischte und mit recht zittriger Stimme hervorstieß: "Eine Lüge bleibt ein Lüge Ava. So etwas nehmen meine Eltern sehr genau. Und weil ich heute schon einmal gelogen habe... das würden sie mir niemals verzeihen. Ich soll doch meine Lektionen lernen, die Mutter und Vater austeilen," sie schüttelte etwas trotzig mit dem Kopf.
"Das geht wirklich nicht. Ich.. ich kann es nicht. Selbst wenn du es ihnen sagst, würden sie es mir ansehen. Sie würden nachfragen ob das stimmt, und ich würde nur stottern und rot anlaufen... Sie würden mich dafür viel härter bestrafen, als wenn ich nur einfach zu spät komme. Du.. darüber musst du dir wirklich keine Sorgen machen," Martha fühlte sich schlecht. Ava unterbreitete ihr ihre Ideen, bot ihr sogar eine Decke als Schutz gegen die Kälte an und sie dankte es ihr mit diesem ganzen Gejammer. "Lass das Später meine Sorge sein, okay? Ansonsten bin ich einverstanden," sie lächelte schüchtern, als sie versuchte einen kleinen Scherz zu machen: "Mitgehen, warme Decke... klingt doch gut?"