Gabriel konnte sich Dakota einfach nicht vom Leib halten. Sie kontrollierte ihn stets mit diesem wissenden Blick, bei dem er glaubte sie könne bis in sein tiefstes Inneres schauen. Sagte man dies nicht den Rothäuten nach? Vielleicht hatte sie ihn auch bereits mit einem Fluch belegt, damit er ihr ausgeliefert war. Während diverse Farben vor seinen Augen flimmerten nutzte sie seine Hilflosigkeit aus und trat wieder nahe an ihn heran. Ehe er sich versah hatte sie ihre Hand um seine Taille gelegt und stützte ihn. Gabriel wollte es nicht zugeben, aber es war sogleich um einiges leichter und diese Erkenntnis ließ ihn beinah platzen vor Wut. Erst recht als sie sich in Bewegung setzte, nachdem sie das Wiehern des Pferdes geortet hatte und ihm befahl sich richtig auf sie zu stützen. Da er zu keinem Wort außer Beschimpfungen fähig gewesen wäre, biss er die Zähne noch fester zusammen und ließ seine Hand auf ihrer Schulter ruhen, um so sein verletztes Bein beim gehen entlasten zu können. Jeder Schritt war dennoch wie eine Ewigkeit und der Schmerz raubte Gabriel allmählich den Verstand. Hätte er sonst die Nähe einer Frau auszunutzen gewusst, so war dies hier rein gar nicht der Fall. Umbringen könnte er sie! Jetzt und auf der Stelle! Sie war an allem Schuld! Unbewusst verstärkte sich sein Griff auf ihrer Schulter, der von seinem stummen Kampf in seinem Inneren zeugte.
Als dann schließlich sein Gaul in Sicht kam, der hilflos mit den Zügeln in einem umgestürzten Baum hängen geblieben war, hatte Gabriel ein zweites Ziel für seinen Zorn gefunden. Auch dieses unnütze Tier war Schuld an seiner Verwundung und wenn er nicht bald seinem Ärger richtig Luft machen könne, dann war es aus und vorbei. Für alle Beteiligten! Gabriel schnaufte angestrengt und wusste, dass er ohne Dakotas Hilfe längst bewusstlos im Schnee liegen würde. Wissen lassen würde er sie das jedoch niemals. Ihre Hilfe war das mindestens, das er von ihr erwartete. Als sie schließlich Pferd und Baum erreicht hatten, ließ sie ihn vorsichtig los und er schenkte ihr einen entnervten Blick, der ihr sagen sollte, dass sie nicht so dicht neben ihm stehen sollte. Das er diesen Umstand bis vor wenigen Sekunden gerade noch zu schätzen gewusst hatte, war plötzlich wieder völlig belanglos. Gabriel kämpfte mit den widersprüchlichen Empfindungen und Emotionen, die in ihm aufbrandeten und mit denen er nicht umzugehen wusste. Er beugte sich über den Baumstamm und stützte sich mit einer Hand im eiskalten Schnee darauf auf, während er mit der anderen und einem groben Ruck die Zügel befreite. Der Schimmel riss erschrocken den Kopf herum und war dabei schon wieder verängstigt vor seinem Herrn zurückzuweichen. Gabriel ließ die Zügel durch seine Hand gleiten. Während die eine die Zügel kurz unter dem Pferdemaul festhielt, schlug er deren Ende mit einem unartikulierten Laut von grenzenloser Wut auf den Hals des Pferdes. Mit einem hörbaren Knallen trafen die Zügelenden ihr Ziel und der kurze Schmerz ließ den Schimmel scharf die Luft einziehen. „Dir werd’ ich deine Spielchen auch noch austreiben.“ Das zweite Mal traf das verunsicherte Tier beinah im Gesicht. Doch als wüsste sein Pferd, dass seine Angst die Wut seines Herrn nur noch mehr reizte wich es kaum zurück und blieb bei Gabriel. Die Augen jedoch weit aufgerissen, die ihn völlig verängstigt anblickten. Dieser hatte jedoch keinen Sinn für das anstrengende Gebaren seines Tieres, sondern versuchte stattdessen weiter auf den Beinen zu bleiben und eines war schon jetzt klar: er musste auf den Rücken seines Pferdes kommen. „Komm’ her.“ fauchte er und im ersten Moment hätte man nicht sagen können, wem dieser Befehl galt: Pferd oder Indianerin. „Du musst zusehen, dass du mich jetzt auf den verdammten Gaul bringst, sonst kannst du mich gleich hier und jetzt beerdigen.“ Er würde nicht den Satz laut aussprechen, dass seine Kraft nun endgültig aufgebraucht war. Er war definitiv an seinen Grenzen angekommen und würde nicht mehr den Weg zurück bis zu Dakotas gefundenem Versteck schaffen. Und wenn Gabriel einmal im Schnee lag, würde er nie wieder aufstehen, das war ihm schlagartig bewusst geworden. Er hörte ihre leisen Schritte im Schnee hinter sich. Allmählich gewöhnte er sich daran, dass sie sich ständig von hinten anschlich. Wohl eine der dämlichen Indianergewohnheiten. Er hielt ihr die Zügel hin. „Halt ihn fest. Er muss hier direkt neben dem Baumstamm stehen bleiben. Ich versuche jetzt in den Sattel zu kommen. Komme was wolle.“ murmelte er die letzten Worte und sammelte bereits geistig Kraft für den Schmerz, der definitiv mit diesem Unterfangen verbunden war. Das Aufsitzen würde ihm sicherlich den Rest geben. Er ließ das Pferd los, als ihre Hände die seinen ablösten und nahm schnaufend ersteinmal auf dem Baumstamm Platz. Er musste sich bei Gott – falls es diesen Versager überhaupt gab – wirklich sammeln. Langsam zog er das gesunde Bein heran, winkelte es an und stellte es auf den Baumstamm ab. Das verletzte Bein konnte und wollte er so wenige wie möglich bewegen. Noch einmal tief Luft geholt und dann begann er sich auf dem schneebedeckten Baumstamm aufzurichten, einzig und allein das gesunde Bein belastend. Ein wahrer Kraftakt, den Gabriel sich eigentlich nicht mehr hätte antun sollen, doch es war nötig. Langsam richtete er sich auf, während das verletzte Bein dabei an seinem Körper hing als gehöre es nicht mehr dazu. Als er dann schließlich stand setzte er es vorsichtig neben dem gesunden Bein auf dem Baumstamm auf. Kaum zu glauben, dass ihm das gleich beim ersten Versuch gelungen war. Doch Kraft für viele Fehltritte würde er nicht mehr haben. Es musste sofort funktionieren. Der Sattel war nun in Reichweite und Gabriel sah auf den Pferderücken hinab, der unruhig hin und her schwankte. „Halt ihn ruhig.“ knurrte Gabriel, der Dakota warnend ansah. Der Gaul musste still da stehen, sonst würde er abrutschen. Sie dirigierte das Pferd näher an ihn heran und Gabriel beugte sich nach vorn. Schon glaubte er den Sattel berühren zu können und mit einem Stoßgebet beugte er sich nach vorne und stütze sich mit den Händen darauf ab. Doch dem Schimmel war die neue Aufsteigmethode seines Herrn nicht geheuer. Abermals tänzelte und schnaubte er und Gabriel spürte wie er dabei war den Halt zu verlieren. Und plötzlich scherte das Pferd zur Seite aus. Gabriel belastete sein verletztes Bein reflexartig mit dem vollen Gewicht und stieß sich ab, um auf dem Baumstamm in aufrechter Haltung zu bleiben, während der Schimmel scheute und sich samt Dakota entfernte. „Ich hab gesagt halt ihn ruhig, verdammt nochmal!“ brüllte er wutenbrannt, während weiße Blitze vor seinen Augen tanzten. Der Schweiß stand ihm von der Anstrengung auf der Stirn und er hielt sich mit letzter Willenskraft auf dem Baumstamm, kurz davor einfach an Ort und Stelle in den Schnee zu sacken. „Sag mal bist du überhaupt zu irgendetwas nützlich.“ fuhr er sie an, als sie das Pferd wieder seitlich zu ihm dirigierte. Dieser verfehlte Versuch war unnötig gewesen. Es musste nun beim nächsten Mal definitiv klappen, doch wie sollte ihm das Gelingen, wenn diese dämliche Indianerin nicht mit seinem Pferd umgehen konnte. Gab es das überhaupt? Pferde und Indianer waren doch quasi Seelenverwandte. Zumindest lobpreisten sie doch immer die großen Hunde, die es bei ihnen so viel besser hatten als in der Welt der Weißen. Als der weiße Teufel wieder einigermaßen ruhig vor ihm stand, setzte Gabriel alles auf eine Karte und ließ sich nach vorne fallen. Mit einem Ächzen landete er bäuchlings liegend im Sattel und kniff die Augen zusammen, als sein schmerzendes Bein gegen den Pferdekörper prallte. Wieder tänzelte der Weiße unter ihm nervös und Gabriels Hand schloss sich fest um den Sattelknauf, während er sich zu drehen begann. Dabei schwang er das gesunde Bein in quälend langsamer Bewegung über den Pferdrücken und schob es mit einer Hand nachhelfen in den Steigbügel. Über den Pferdehals gebeugt, eine Hand am Sattelknauf, die andere sein schmerzendes Bein haltend, schnaubte er nach Luft, während das Blut in seinen Ohren rauschte und der Schmerz ihn zu übermannen drohte. Zu keinem weiteren Wort mehr fähig vergrub er sein Gesicht in der vom Schnee nass gewordenen Mähne des Pferdes. Die Erschöpfung griff mit eisigen Fingern nach ihm und er glitt in einen seltsamen Bewusstseinzustand. Beinah fühlte es sich an als wäre er im Trance. Ächzend drehte er den Kopf und sah an seinem Bein vorbei zur Kehrseite seines Pferdes. Waren die Satteltaschen überhaupt noch da? Er hatte es nicht überprüfen können. Als sich das Pferd in Bewegung setzte war jede Erschütterung eine Qual, die ihn beinah um den Verstand brachte. Er hatte ihr noch auf sein Pferd helfen wollen, damit sie alle ihr Ziel schneller erreichten, aber dazu war er nicht mehr in der Lage. Vielleicht ging es auch bereits zu Ende mit ihm. Eigentlich hatte er immer gehofft, dass er durch eine Kugel einen schnellen Tod finden würde. Doch das Leben schrieb meist seine eigene Geschichte.
Auch wenn er es nicht zugab, sie merkte durchaus, dass sie ihn nicht einen Moment zu spät zu stützen begann. Nur das ihn der Fakt scheinbar rasend vor Wut machte. Normalerweise Grund genug für sie, um schnellstmöglich ordentlich Abstand zwischen sich und einen Mann zu bringen, aber in diesem Fall leider keine Option. Allein der Fakt, dass seine Wut nicht aus ihm heraus brach, bestätigte ihr, dass er sie wirklich als Stütze brauchte und dass ihm das genauso wenig schmeckte wie ihr. Was der langsam schmerzhaft feste Griff an ihrer Schulter auch nicht besser machte. Doch wenn er sich seine ohne Zweifel weit größeren Schmerzen nicht anmerken ließ, würde sie ganz sicher auch keinen Laut von sich geben. Selbst dann nicht, wenn sie Gefahr lief heftige Verspannungen oder blaue Male zu riskieren. Hauptsache sie kamen weiter voran. Denn das hieß, dass sie dem Zeitpunkt näher kamen, an dem sie sich von diesem übellaunigen, undankbaren, misstrauischen Weißen endlich verabschieden konnte.
Doch vorerst musste sie sein Pferd befreien. Etwas, wovon sie herzlich wenig Ahnung hatte. Pferde und sie vertrugen sich einfach nicht. Trotzdem wünschte sie, sie hätte es einfach versucht, anstatt den wutschnaubenden Weißen an das arme Tier heran treten zu lassen. Zuerst beobachtete sie sein Tun ja noch besorgt, wie er sich auf den Baumstamm stützte und die Zügel befreite, was das nervöse Pferd schon wieder tänzeln ließ. Doch in dem Moment, wo er mit dem Zügel ausholte, bereute sie ihre Feigheit. Ohne es verhindern zu können, zuckte sie zusammen, zog zischend die Luft ein, als der Schlag das panische Tier traf. Sie konnte den Schmerz fast körperlich spüren. Einfach weil sie ihn kannte. Ebenso wie das vor Aggressivität triefende Brüllen. Blass und zitternd verfolgte sie wie gelähmt, wie er noch einmal ausholte und wich im Moment des Treffers panisch leicht zurück. Er war vollkommen von Sinnen! Was war das nur mit den Weißen und ihrer Wut? Um ihre Fassung kämpfend lehnte sie sich gegen einen eisig kalten Baumstamm und atmete bemüht durch. Doch es half nicht. Es war, als wären durch den Schlag alle Narben an ihrem Körper zu Leben erwacht, um ihre Geschichte vor ihrem inneren Augen neu zu erzählen.
Sie war so in den Mahlstrom ihrer Erinnerungen gefangen, dass sie einen Moment brauchte, um umzusetzen, dass er sie mit dem gereizten Fauchen meinte. Dementsprechend dauerte es einen Moment, bevor sie sich zögernd aufrichtete und zu ihm trat. Nicht zuletzt, weil sie Angst hatte, dass es sonst das arme Tier ausbaden müsste. Seine harschen Worte ließen sie im ersten Moment erneut zusammen fahren, doch schon im nächsten straffte sie sich. Sie hatte sich doch vorgenommen, nie wieder vor einem Mann zurück zu weichen, sich nie wieder wie ein Mensch zweiter Klasse behandeln zu lassen. Vielleicht sollte sie dem Vorsatz auch treu bleiben. Das war nun wahrlich ein guter Augenblick, um es in jedem Fall zu versuchen, als sie zu Mann und Pferd trat.
Obwohl ihre Finger bebten, legte sie jene wie sie hoffte beruhigend an den Hals des Pferdes, wobei sie Gabriel gleichzeitig einen trotz ihrer ungewohnten Blässe verächtlichen Blick zuwarf. Vielleicht sollte sie das. Ihn im Schnee landen lassen und unter diesem begraben. Für das Pferd und sie wäre es kein Verlust. Einzig das Wissen, dass sie sich damit nur noch mehr Probleme auflud, lenkten ihre Schritte doch an seine Seite. Nach außen hin ruhig nahm sie ihm die Zügel ab, unterließ es aber, ihn darauf hinzuweisen, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie ein Pferd lenken konnte. Das würde er schon noch merken. Sanft redete sie in der Sprache ihrer Mutter auf das Tier ein, strich diesem sacht über die Stirn und hoffte einfach, dass es ruhig stehen bleiben würde, wo es war. Was es natürlich nicht tat. Sie konnte es ihm nicht verübeln. So wie Gabriel auf dem Baumstamm balancierte, hatte er auch etwas von einem Raubtier auf dem Sprung. Das musste das Pferd ja in Alarmbereitschaft versetzen. Nun und wenn es nicht allein das wäre, dann sicher sein Knurren. Gereizt funkelte sie den Verletzten an und versuchte dann, das panisch werdende Tier wieder etwas zu beruhigen.
Vergebens. Sowie Gabriel etwas Gewicht auf den Sattel brachte, tänzelte das nervöse Tier zur Seite. Besorgt zog Dakota etwas am Zügel, probierte das Pferd so wieder in Position zu bringen. Sie hätte es auch sein lassen können. Bereits im nächsten Moment wich das Tier aus, so dass Gabriel darum kämpfen musste, auf dem Stamm stehen zu bleiben, ebenso wie sie selber um ihre Position kämpfen musste, als das viel stärkere Pferd sie einfach wegzuschleifen drohte. Sie hatte sich gerade wieder einen sicheren Stand erkämpft, als Gabriel in ihre Richtung brüllte und das Tier erneut scheute. Wutentbrannte fuhr sie zu ihm herum. „Halt die Klappe!“, zischte sie ihn aufgebracht an, atmete durch und machte sich dann daran, dass nicht wirklich grundlos so aufgebrachte Pferd wieder in die richtige Position zu lotsen. Wobei sie seine Worte mit einem grimmigen Blick quittierte. „Fragt der Richtige.“, grummelte sie leise, strich dabei aber dem Tier sanft über die Nüstern, um ihm zu zeigen, dass sie nicht auf es wütend war, sondern auf seinen Reiter.
Wenigstens schaffte es dieser bei seinem nächsten Versuch in den Sattel. Auch wenn das alles andere als elegant aussah, was er da fabrizierte. Entscheidend war aber, dass er endlich auf seinem Pferd saß. So mehr oder weniger. Mit besorgt gekrauster Stirn verfolgte sie, wie er sich halbwegs zurecht rückte, es aber trotzdem nicht schaffte, sich aufrecht hinzusetzen. Na wunderbar. Lautlos vor sich hinfluchend band Dakota die Zügel an einem stabilen Ast fest und kramte in ihrer Tasche. Kurze Zeit später trat sie neben Gabriel. Ohne ihn zu fragen, löste sie das Lasso von seiner Satteltasche und warf es doppelt über ihn, bevor sie das zweifache Ende in ihrer Hand an seinen Sattelknauf band. Ruhig lief sie um das Pferd herum und befestigte dann auch die Seilschlaufe auf der anderen Seite am Sattelknauf. So rutschte er ihr hoffentlich nicht herunter. Erst dann warf sie die dicht gewebte Decke über ihn, die sie aus ihrer Tasche gezogen hatte. Noch einmal wechselte sie die Seiten und steckte auf beiden Seiten die Decke am Sattel fest, so dass sie enger anlag und die Wärme vom Tier an ihn weiter leiten sollte.
Zufrieden betrachtete sie ihr Werk, nickte und löste dann die Zügel vom Ast. Vorsichtig ruckte sie an diesen und lächelte leicht, als das Pferd ihr erstaunlich friedfertig folgte. Vielleicht war es ja beruhigt, von dem nebulösen Zustand seines Reiters. So konnte er ihm wahrlich nicht weh tun. Den Weg bis zur Hütte legte sie schweigend zurück. Nur hin und wieder warf sie einen Blick zu Gabriel, um zu kontrollieren, ob er noch bei Sinnen war, ansonsten konzentrierte sie sich allein darauf den Weg nicht aus den Augen zu verlieren. Wie lange sie brauchten, bis sie endlich die windschiefe Hütte erreicht hatten, wusste sie nicht. Nur dass sie verdammt froh war, das baufällige Haus zu sehen. Wieder bannt sie erst die Zügel sorgsam fest, bevor sie an die Seite des Pferdes trat und die Decke löste. Forschend blickte sie in Gabriels Gesicht, streckte die Hand aus und legte sie prüfend auf seine Stirn. Ihre Finger waren eisig gegen seine schweißnasse Haut. Wahrscheinlich sollte sie schnellstmöglich fiebersenkenden Tee aufsetzen. Doch erst einmal musste sie ihn von dem Pferd und in die Hütte kriegen. Und dann das Tier in den Schuppen bringen. Eines nach dem anderen eben. „Wie fühlt sich das Bein an?“, fragte sie ihn mit scharfem Blick. „Eine ehrliche Antwort, keine tapfere.“, forderte sie vorsorglich mahnend, eine Augenbraue ganz leicht angehoben.
Die Strecke bis zu Dakotas gefundenen Unterschlupf war die reinste Qual für Gabriel. Er war in eine Art Dämmerzustand verfallen. Nicht wirklich wach, jedoch auch nicht bewusstlos. So saß er über den Pferdehals gebeugt im Sattel und kämpfte gegen den Schmerz und die Entkräftung seines Körpers an. Farben flimmerten vor seinen Augen und die Ohren rauschten vor Anstrengung. Er spürte mehr was Dakota tat, als das er es wirklich realisierte. Die wärmende Decke war in jedem Fall angenehm, denn kaum hatte die Anstrengung ihn übermannt, begann er zu frieren und zu zittern. Das Seil, das er auf seinem Rücken spürte war seiner Meinung nach unnötig. Dennoch konnte er sich dagegen nicht wehren. Er hoffte nur, dass sie es bald geschafft hatten und er sich ausruhen konnte. Die Bewegungen des Pferdes, das von den Schritten der Hufe sowie von Dakotas Füssen begleitet wurden, waren Gabriels Rettungsanker auf die er sich konzentrierte, um wach zu bleiben. Er zählte die Schritte im Stillen und krallte seine Hände in die Mähne des Pferdes, während sich der Sattelknauf in seinen Magen grub.
Es war eine gefühlte Ewigkeit für Gabriel bis das Pferd endlich stoppte und die anstrengenden Erschütterungen ein Ende fanden. Mittlerweile bebte er am ganzen Körper und fror jämmerlich. Was war bloss mit ihm los? Da fiel er einmal vom Pferd, verletzte sich und sein Körper machte sofort schlapp? Hatte er etwa so viel Blut verloren? Lag es an der Kälte? So wirklich konnte er sich seine Schwäche nicht erklären. Er war noch nie ernsthaft krank gewesen und wollte es auch nie sein. Auf jemanden anderen angewiesen sein zu müssen war ein Grauen für ihn. Wobei das so nicht stimmte. Ein einziges Mal in seinem Leben ging es ihm tatsächlich schlecht. Damals als sein Stiefvater seine Bluthunde auf ihn gehetzt hatte und ihn diese nach tagelanger Jagd schließlich eine Kugel verpasst hatten. Wobei diese Kugel nur dem Gaul unter ihm das Leben genommen hatte, er selbst jedoch mehr durch den Sturz verletzt wurde. Man hatte ihm am Abhang im Dreck liegen lassen und angenommen er hätte sich das Genick gebrochen. Doch Gabriel hatte überlebt. Er konnte sich jedoch nicht erinnern, dass er sich so schlecht gefühlt hatte wie heute mit dieser jämmerlichen Fleischwunde. Warum also setzte ihm dann jetzt diese Verletzung so zu? Gabriel zuckte zusammen als sich Dakotas Hand auf seine Stirn legte. Nur für einen Moment hatte er die Augen geschlossen, die er nun öffnete und sie ansah. Ihre Finger fühlten sich angenehm kühl auf seiner schwitzigen Haut an. Beinah eine Wohltat. Als sie ihn fragte wie sich sein Bein anfühlte, lag ihm erst ein Spruch auf den Lippen was sie das überhaupt interessierte. Aber es war wohl an der Zeit einzulenken und Hilfe anzunehmen. Zumindest ein Wenig davon bis er wieder Herr über seiner selbst war. Sie ermahnte ihn ehrlich zu antworten und momentan stand ihm sogar der Sinn danach diesem Befehl folge zu leisten: „Scheisse!“ ächzte er angestrengt und das eine Wort beschrieb seinen gesamten Zustand vortrefflich. Der warme Pferdekörper unter ihm war Fluch und Segen zugleich. Das Tier war zwar ruhiger geworden, was sich Gabriel ebenfall nicht erklären konnte, denn normalerweise konnte der Gaul keine Sekunde ruhig auf der Stelle stehen bleiben. Andererseits tat die Körperwärme des Tieres gut, denn Gabriel fror und schwitzte gleichzeitig. Mühevoll versuchte er seine Umgebung zu begutachten, die Kraft sich im Sattel aufzurichten meinte er aber nicht mehr zu haben. Er erblickte eine verfallene Hütte, die zumindest etwas Schutz bieten würde. Nur wie sollte er dorthin gelangen? Er würde von diesem verdammten Gaul aus eigener Kraft nicht mehr herunter kommen, geschweige denn zur Hütte laufen können. Und noch während er darüber nachdachte schlossen sich seine Augen wieder.
Sie hatte ein Problem. Sie hatte es ja schon befürchtet, als er während des ganzen Weges friedfertig ruhig geblieben und dabei auch immer wieder weg gedämmert war. Doch nun, wo sie vor der Hütte angekommen waren, schienen ihm die Sinne tatsächlich ganz zu schwinden. Alarmiert trat Dakota näher, als ihm die Augen zufielen, nachdem er wenigstens ehrlich ihre Vermutung bestätigt hatte. Mochte er auch ein Weißer sein, sie konnte es nicht leiden, wenn Andere Schmerzen hatten. Und das er welche hatte, das konnte sie sehen. Sanft strich sie ihm über die Stirn, strich eine schweißnasse Strähne aus dieser und runzelte besorgt die Stirn. Was sollte sie machen? Irgendwie musste sie ihn vom Pferd und in die Hütte kriegen. Nur alleine würde sie das wohl kaum schaffen. Sinnend sah sie zu der baufälligen Hütte, kontrollierte noch einmal Gabriels Atmung und trat dann doch von ihm weg zum Eingang ihres Unterschlupfs. Erst einmal musste sie ein Lager für ihn vorbereiten. Danach konnte sie immer noch sehen, wie sie ihn zu diesem geschleppt kriegte. Eines nach dem anderen. Wie immer.
In den nächsten Minuten kontrollierte Dakota erst einmal den Kamin, doch dieser schien erstaunlicherweise sogar frei und nutzbar zu sein. Jedenfalls konnte sie durch diesen raus schauen. Kurz entschlossen versuchte sie ein halbwegs bequemes Lager für Gabriel neben diesem zu schaffen, indem sie alles, was halbwegs ungezieferfrei und weich aussah, übereinander stapelte. Wenn sie da jetzt noch ihre Decke nutzte, um Gabriel in dieser einzupacken und seine Satteltaschen als Kissen, dann sollte das gehen. Hoffte sie. Etwas anderes hatte sie eh nicht zur Verfügung, also musste das wohl so gesehen ausreichen. Außerdem hieß das ohnehin, dass es für sie verdammt kalt werden würde. Sie hatte nur die eine Decke und die vom Pferd sollte sie diesem wohl auch lieber lassen. Sie würde eben in der Nähe vom Kamin bleiben müssen. Doch das war ein Problem, dem sie sich später immer noch stellen konnte. Erst einmal musste sie ihren Begleiter hinein bringen. Sorgsam räumte sie noch den Weg zu Kamin und Lager frei und trat dann wieder hinaus, um sich dem Problem zu stellen, dass sie Gabriel hinein bewegt kriegen musste.
Vorsichtig löste sie die Decke, zog diese von ihm herunter und brachte auch diese erst einmal hinein, um sie so auf das Lager zu legen, dass sie die eine Hälfte über Gabriel würde legen können, er aber auch auf dieser lag. Dann kehrte sie zu ihm zurück und löste sein Lasso, ebenso wie sie seinen Fuß aus dem Steigbügel zog, bevor sie auf die andere, hausnähere Seite des Pferdes trat und ihn auch dort losband und vom Steigbügel befreite. Dann musterte sie sein Gesicht. Sie musste ihn halbwegs wach kriegen. Alleine würde sie ihn niemals herunter bekommen. Geschweige denn in die Hütte geschleift. Auch wenn sie es hasste, holte sie doch leicht aus und schlug ihm auf die Wange. „Gabriel!“, sprach sie ihn dabei energisch, aber dabei noch warm an. „Du musst vom Pferd herunter rutschen. Ich brauch dabei deine Hilfe. Hast du mich verstanden?“ Sie sprach langsam, etwas lauter und sehr deutlich. Denn er sah nicht aus, als wenn er wirklich verstand, was sie sagte. Weswegen sie noch verdeutlichend an seinem Arm zog und auf den Boden deutete, bereit ihn aufzufangen, wenn er wie gefordert begann herunter zu rutschen.
Gabriel bekam von Dakotas Aktivitäten kaum etwas mit. Er fühlte sich wie in Watte gepackt. Der Schmerz war irgendwie lahm gelegt worden und drang nicht mehr bewusst zu ihm durch, ebenso wie Geräusche. In dieser kleinen, heilen Welt dämmerte er vor sich hin und wäre gerne dort geblieben. Er wollte nichts mehr spüren oder sich anstrengen müssen. Fühlte es sich so an, wenn man starb?
Dann jedoch war die Wärme in seinem Rücken mit einem Mal fort und es wurde ungemütlich. Die Kälte griff wieder erbarmungslos mit eisigen Fingern nach ihm. Gabriel meinte nun doch zu vernehmen, dass sich jemand an ihm zu schaffen machte. Er spürte Berührungen und hörte Schritte, die immer mehr zu ihm durchdrangen, doch zuordnen konnte er nichts davon. Und mit einem Mal war er hellwach. Seine blauen Augen öffneten sich ruckartig und starrten die Frau an, die vor ihm stand und seinen Namen rief. Doch in den ersten Sekunden lag kein Erkennen darin. Seine Wange brannte für einen kurzen Moment, während wieder Leben in ihn kam „Was ist passiert?“ fragte er irritiert und mit schwacher Stimme, doch die Erscheinung mit den geflochtenen Zöpfen erläuterte ihm bereits ihr Anliegen. Allmählich kehrte auch die Erinnerung zurück – und der Schmerz. Sein Körper fühlte sich steif an und weigerte sich ihm zu gehorchen. Ihr sanfter aber bestimmender Zug an seinem Arm ließ ihn vollends in das hier und jetzt zurückkehren. Er musste vom Pferd und in die Hütte. Er war verletzt. Dakota wollte helfen. Doch wie sollte er von dem verdammten Gaul kommen? Er war sich sicher, dass seine Beine ihn nicht mehr trugen. „Ja…“ schnaufte er nur kurz, damit sie wusste, dass er verstanden hatte und ihn nicht weiter malträtierte. Dennoch waren seine Sinne benebelt und es war schwierig eine Lösung zu finden. Er schob eine Hand unter seinen Körper und tastete nach dem Sattelknauf. Dakota zog derweil weiterhin an seinem Arm und er spürte, dass er dadurch bereits aus dem Sattel rutschte. Er lehnte sich in ihre Richtung und beschleunigte den Vorgang, da ihm nichts Besseres einfiel. Die Hand, die Halt suchend nach dem Sattelknauf greifen wollte, glitt hilflos darüber hinweg, während er Dakota immer näher kam. Und mit einem letzten Ruck glitt er vollends aus dem Sattel. Hilfe suchend packte er etwas grob nach ihre Schulter oder Arm, als er versuchte mit dem gesunden Bein halbwegs gut aufzukommen. Trotz allem strauchelte er unbeholfen und riss dabei die Frau an seiner Seite fast mit sich. Mit Mühe und Not hielt sie ihn mit ihrem Körper auf den Beinen und vor allen Dingen aufrecht. Heftig schnaufend und leicht vorn übergebeugt stand Gabriel da, sein Oberarm ruhte nun in ihrem Nacken und seine Hand wurde von ihrer festgehalten. Gabriel ächzte angestrengt während er sich mittlerweile fast komplett auf sie stützte. Er hätte sie normalerweise von sich gestoßen, ihr alle möglichen Beschimpfungen an den Kopf geworfen und sie zum Teufel gejagt, doch die Kraft war nicht mal für ein einziges Wort da. Trotz allem musste er ihr etwas sagen. Es war wichtig – für ihn. Also stemmte er sich dagegen sich mit ihr in Bewegung zu setzen, ihren irritierten Blick ignorierte er. „Satteltaschen….“ schnaufte er nur und begann sich etwas zu drehen, um zurück zu seinem Pferd zu blicken. Er streckte eine Hand hilflos nach dem Pferd aus, das er trotz der wenigen Meter zwischen ihnen nicht erreichen konnte. Wieso hatte er dem Tier nicht beigebracht auf Pfeifen zu ihm zu kommen? Wobei, nicht einmal das würde er jetzt noch Zustande bringen. Sie durften die Satteltaschen nicht hier lassen. Wenn das Pferd davon lief, dann wäre er mittellos. Dakota durfte aber auch auf keinen Fall hinein sehen, denn dann war er mit Sicherheit ein toter Mann. Geld machte gierig und veränderte die Menschen. Und er war sich immer noch nicht über Dakotas Absichten im Klaren. Was versprach sie sich von ihm, wenn sie ihm half? Hatte sie längst einen Blick in die Taschen geworfen? Vielleicht wollte sie ihm in der Hütte auch nur den Rest geben, um ihn dann dort verrotten zu lassen, während sie sich auf das Pferd schwang. Ja, so war es wahrscheinlich und er konnte kaum etwas dagegen tun.
Sein Blick gefiel Dakota gar nicht. Denn in diesem lag keinerlei Erkennen. Noch nicht einmal Feindseligkeit oder wenigstens etwas Gereiztheit, weil sie ihn geschlagen hatte. In den blauen Augen stand einfach... nichts. Sie hätte echt nie im Leben gedacht, dass sie sich einmal nach Hass im Blick eines Weißen sehnen würde, aber in diesem Moment wäre ihr wirklich alles lieber gewesen, als dieser allenfalls unverständige Ausdruck in Gabriels Augen. Trotzdem zwang sie sich dazu, sich nichts von ihrer Sorge oder der leise aufkeimenden Panik ansehen zu lassen und erklärte ihm lieber sorgsam, was sie vorhatte, wobei sie seine Hilfe brauchte. Es schien sogar, als wenn er sie verstanden hatte. Auch wenn er nicht danach aussah, als wenn er wüsste, wie er ihr bei ihrem Plan helfen sollte. Aufmerksam verfolgte sie, wie er nach dem Sattelknauf griff. Wohl um sich an diesem festzuhalten. Nur dass ihm dies nicht so recht gelang. Dafür war er bereits zu sehr im rutschen. Woran sie nicht ganz unschuldig war. Denn sie zog ihn durchaus sanft, aber energisch von seinem Pferd.
Tatsächlich rutschte er im nächsten Moment reichlich unelegant und leider damit auch ziemlich unkoordiniert aus dem Sattel und direkt auf sie zu. Doch damit hatte sie gerechnet. So schwankte sie zwar mit einem leisen Keuchen, als sein Gewicht sie traf, aber sie blieb stehen. Gemeinsam mit ihm. Noch einmal strauchelten sie kurz, dann standen sie neben seinem nervös zur Seite tänzelnden Pferd. Zufrieden lächelte sie Gabriel an und griff stützend nach seiner freien Hand, während sie sich seinen ohnehin aufgestützten Arm etwas weiter um ihre Schulter zog. Anschließend legte sich ihr Arm fest um seine Hüfte, als sie sich langsam, aber zielsicher mit ihm in Bewegung setzte. Dabei war das fast mehr ein Schleifen, so sehr wie er sein Gewicht auf ihre Schulter und Hand verlagerte. Dakota biss die Zähne zusammen, als ihr Körper gegen das viel zu große Gewicht protestierte. Sie würde ihn jetzt nicht in den Schnee fallen lassen! Das war keine Option! Also zog sie ihn entschlossen weiter.
Auch dann noch, als er sich auf einmal weigerte, weiter zu gehen. Verwundert, aber auch eine Spur gereizt sah sie zu ihm auf, während sie ihn zeitgleich energisch weiter trieb. „Ja, doch.“, brummelte sie langsam ernsthaft verstimmt, als er schon wieder mit seinen verdammten Satteltaschen anfing. „Dein Pferd ist fest angebunden, das rennt nicht weg und du musst erst einmal hinein und dich hinlegen.“, erklärte sie ihm knapp und mit einem Blick, der durchaus deutlich machte, dass sie darüber nicht mit sich verhandeln ließ. Er würde erst in die Hütte und auf das Lager müssen, bevor sie auch nur darüber nachdenken würde, ihm seine heißgeliebten Satteltaschen zu holen. Und da er ohnehin nicht mehr in der Lage war, sich sonderlich zu sträuben, setzte sie sich da auch durch. Außerdem zitterten ihr langsam die Muskeln. Es wurde also wirklich Zeit, dass sie bei ihrem Ziel ankamen.
Als sie dann endlich soweit waren, dass sie Gabriel vorsichtig auf die Decke gleiten lassen und diese dann ebenso vorsichtig über ihn ziehen konnte, schnaufte Dakota ebenso sehr wie er. Sanft nahm sie ihm den Hut ab und legte ihn neben seinen Kopf, bevor sie ihm mit ihren kühlen Fingern die schweißnassen Strähnen aus der Stirn strich. „Bleib hier liegen. Ich bin gleich wieder da.“ Sie wartete seine eventuelle Antwort gar nicht erst ab, sondern eilte hinaus, um die Satteltaschen zu lösen und mit diesen wieder in die Hütte zu treten. „So, hier.“ So gereizt wie die Worte auch klangen, als sie ihn leicht anhob und ihm die Taschen als Kissen unter Nacken und Kopf schob, waren ihre Berührungen noch immer erstaunlich sanft. „Geht das so?“ Fragend sah sie ihn an, wartete seine Antwort ab und wandte sich dann dem Feuer zu, um dieses geübt mithilfe eines Streichholzes aus ihrem Beutel anzuzünden. Zwar qualmte das leicht feuchte Holz protestierend, aber der Rauch zog weitestgehend durch den Schornstein ab. Und was viel wichtiger war, die Scheite gingen nicht gleich wieder aus.
Zufrieden lächelte sie kurz und blickte dann zu Gabriel. „Ich stell nur eben dein Pferd unter.“, informierte sie ihn knapp, bevor sie leise die Hütte verließ, um genau das zu tun. Als sie sein Pferd in den niedrigen, baufälligen, alten Stall gebracht und es dort angebunden sowie vom Sattel, aber nicht der Satteldecke befreit hatte, kehrte sie zu ihrem Patienten zurück, um sich neben ihm hinzuknien. Erst da legte sie ihre eigene Tasche und ihren feuchten Mantel ab, welche sie beide über die schmiedeeisernen Überreste eines Bettgestells nicht unweit vom Feuer hängte. „Ich schau mir jetzt deine Wunde an.“, warnte sie Gabriel vor, bevor sie die Decke sacht zur Seite zog, um sein Bein frei zu legen und sich den Zustand von diesem anzusehen.
Sie schleifte ihn einfach weiter und er bemerkte, dass er rein gar nichts dagegen tun konnte. Die Frau an seiner Seite schien allmählich auch einen gereizten Ton an den Tag zu legen, was Gabriel bewies, dass sie rein gar nichts verstand. Er sollte sich erst einmal hinlegen und sie würde die Satteltaschen dann holen. Gabriel schnaubte missbilligend, denn zu mehr war er vorerst nicht im Stande. Indianerweiber waren wohl genauso störrisch wie die weißen Frauenzimmer. Alles in allem konnte man sie wohl gleichermaßen in der Pfeife rauchen. Doch der Gedanke und die Wut, die in ihm aufloderte verebbten zusehends, denn das Laufen kostete ihn Kraft und jeden Gedanken, um aufrecht zu bleiben. Er spürte, dass auch Dakota unter seinem Gewicht an ihre Grenzen kam. Ihr Körper zitterte angestrengt, doch darauf konnte er keine Rücksicht nehmen. Zwischendurch verschwamm alles vor seinen Augen und er konzentrierte sich nur noch darauf einen Fuß vor den anderen zu setzen, während er schnaufte und nach Luft rang.
In der Hütte Als sie stoppten registrierte er nur mit Mühe, dass sie sich bereits in der Hütte befanden und sah die ausgebreitete Decke vor sich. Nein, er wollte sich nicht hier auf den Boden legen wie ein armer Schlucker. Doch als Dakota sich von ihm löste und ihre stützende Hilfe damit verschwand, musste er feststellen, dass seine Beine ihn kaum mehr allein trugen. Sie knickten beinah wie von selbst ein und ehe er sich versah, lag er auf dieser verdammten Decke und atmete nur noch stossweise. Sie sprach mit ihm und sie war abermals in seiner Nähe sehr geschäftig, aber Gabriels Sinne konnten ihren schnellen Bewegungen nicht folgen. Es ergab alles keinen Sinn. Nur wenn sie ihn berührte und direkt vor ihm kniete konnte er ihren Worten folgen. Lag da etwa Sorge in ihrem Blick? Unmöglich. Und dennoch hatte sich ihr Ton geändert. Eine gewisse Sanftheit schwang darin mit. Sie sprach ihn immer wieder direkt an, kümmerte sich um ihn und war ernsthaft an seinem Wohlergehen interessiert. Wie war so etwas möglich? Gabriel kannte diese Art der Fürsorge nicht. Und wieso sollte ihm diese ausgerechnet von einer Indianerin zuteil werden? Dass ihm die Augen zwischenzeitlich wieder zugefallen waren bemerkte er erst, als sie seinen Kopf vorsichtig anhob, um die Satteltaschen darunter zu schieben. Nun ruhte er auf Bündeln von Geldscheinen und er roch das Leder vermischt dem Schweiss des Pferdes. Er brummelte nur genervt, als sie ihn fragte, ob es so recht war. Was kümmerte es sie überhaupt, ob er es bequem hatte? Sie sollte einfach kurzen Prozess mit ihm machen und das armselige Spiel seines Dahinscheidens nicht noch demütigend hinaus zögern.
Wieder verstrich die Zeit ohne das Gabriel dies bewusst aufnahm. Erst als sie wieder redete und irgendetwas von seinem Pferd sagte, öffnete er die Augen und bemerkte das Feuer, das sie hinterlassen hatte. Die Flammen züngelten in dem alten Holz und wuchsen allmählich zu einem Feuer heran, das tatsächlich Wärme spendete, die Gabriel gut tat. Gabriel sinnierte vor sich hin, während er in die Flammen starrte und versuchte seine letzten Kräfte anzuspornen. Wenn sie zurückkam würde sie sicherlich zur Tat schreiten wollen und er würde sie mit allen ihm noch zur Verfügung stehende Kraft daran hindern.
Als sie sich wenig später tatsächlich neben ihn kniete und die Decke von seinem frierenden Körper entfernte, war der Kampfgeist für einen kurzen Moment in ihn zurückgekehrt. „Lass das!“ knurrte er, „Du fasst mich gefälligst nicht an!“ seine Stimme klang geradezu jämmerlich schwach in seinen eigenen Ohren, doch enthielt sie dennoch die nötige Schärfe, die ihr Warnung genug sein sollte. „Verschwinde endlich und lass mich in Ruhe.“ Diesen Satz meinte er heute bereits zum hundersten Male zu ihr zu sagen. Und er fruchtete abermals nicht. „Ich lass mich von keiner Indianerin anlangen.“ Von einer plötzlichen Wut gepackt schnellte seine Hand auf sie zu und fing ihren Arm mit grobem Griff ein. Dabei schaffte er es sogar seinen eigenen unter den Oberkörper zu schieben und sich etwas aufzurichten. Seine glasigen Augen funkelten vor Hass und Abscheu, während er den Druck seiner Finger verstärkte. „Ich hab gesagt du sollst verschwinden, Weib!“ sein Blick durchbohrte sie und er spürte ihre zierlichen Knochen unter seinen Fingern. Sein Griff war bewusst eine Spur zu fest und mit einem kräftigen Ruck stieß er sie von sich, in der Hoffnung sie damit zusätzlich einzuschüchtern und möglicherweise aus der Balance zu bringen. Doch diese Aktion hatte auch Gabriel die letzten Kraftreserven gekostet und er brach keuchend wieder auf seiner Decke zusammen. Die ruckartige Bewegung hatte sein Bein erbeben lassen, das sich nun mit höllischen Schmerzen rächte. Gabriel kniff die Augen zusammen und biss die Zähne so fest aufeinander, dass ihm der Schmerzenschrei, der ihm auf der Zunge lange, nur in einer Art Knurren entfuhr, während er dabei schwitzte und geräuschvoll durch die Nase atmete. Er tastete mit einer Hand nach seinem Bein und berührte wie zuvor von Blut durchtränkten Stoff. Die Wunde blutete also weiterhin und das nicht gerade wenig, wenn sie es bereits auch durch den provisorischen Verband geschafft hatte. Wie hatte ihm das alles nur passieren können. Es war einfach nicht zu fassen! Er fiel allmählich in sich zusammen. Seine ausgestreckte Hand konnte er plötzlich nicht mehr halten und ließ sie auf seinem Bein ruhen, während Farben vor seinen Augen tanzten. War sie überhaupt noch da oder endlich abgehauen wie er es ihr geraten hatten? Gabriel wusste es nicht. Er spürte nur, wie das Bewusstsein ihm zu entgleiten drohte. Regungslos lag er da, den Blick in die Flammen gerichtet, während er darum kämpfte wach zu bleiben. Er musste sich nur einen Moment ausruhen, dann würde er sich selbst um sein Bein kümmern. Nur einen Moment wollte er ruhig liegen bleiben, bis der schlimmste Schmerz vorbei war. Doch insgeheim wusste er, dass er nicht mehr fähig war auch nur irgendetwas zu tun. Gabriel Lannsiter, verreckt in einer einsamen Hütte vor den Augen einer Indianerin. Welch jämmerlich Abgang.
Sie bemerkte durchaus, auch ohne sein eindeutig missgestimmtes Schnauben, dass es ihm nicht recht war, dass sie nicht sofort umdrehten, um seine Satteltaschen zu holen. Aber da er gleichzeitig auch bei weitem nicht mehr genug Kraft hatte, um sich gegen ihren Plan zu wehren, ignorierte sie das erste Mal in ihrem Leben bewusst den Wunsch eines Mannes. Es war ein... befreiendes Gefühl. Gerade, wo sie wusste, dass sie richtig gehandelt hatte, als er, kaum dass sie ihm als Stütze abhanden kam, regelrecht zu Boden sank. Sie hätten es nie und nimmer mit dem Schwenk über sein Pferd hinein geschafft. Aber er würde wohl eher sterben, als das zuzugeben. So typisch Weißer! Genauso wie sein wenig dankbares Brummeln, als sie ihm endlich seine ach so wertvollen Satteltaschen gebracht hatte. Wieso musste sie auch ein Gewissen haben? Wieso konnte sie ihn nicht einfach allein lassen? Ja, sie war für das Scheuen seines Pferdes verantwortlich gewesen, aber musste sie sich deswegen wirklich das hier antun? Nur weil sie nicht noch einen toten Weißen hinterlassen wollte? Wäre das denn so ein Verlust?
Wobei sie sich wirklich langsam ernsthafte Sorgen machte, dass er ihr doch noch an Wundbrand oder Blutverlust wegsterben könnte. Seine Atmung war viel zu angestrengt, sein Körper glühte, obwohl sie sehen konnte, dass er trotz des inzwischen fröhlich knisternden Feuers neben sich fror und zu allem Überfluss sickerte noch immer Blut durch den Verband. Auch wenn das alles war, was sie bei einem kurzen Blick auf sein verletztes Bein erkennen konnte. Denn da lenkte er sie mit seinem Ausbruch ab. Entnervt sah sie ihn an, als er sie regelrecht anknurrte. Wenn er sich diese Kraft mal dafür aufsparen würde am Leben zu bleiben, anstatt sie so sinnlos zu vergeuden. Ergeben wartete Dakota schweigend neben ihm kniend ab bis er sich wieder beruhigt hatte. Sie würde ihn anfassen und sie würde ihn sicher nicht in Ruhe lassen. Nicht, weil sie das wirklich wollte, sondern weil sie etwas dazu trieb. Was er ohnehin nicht verstehen würde. Sie verstand es ja selber nicht so recht.
Gegen ihren Willen zuckte sie dann aber doch erschrocken zusammen, als er ohne jede Vorwarnung nach ihrem Arm griff. Erstaunlich fest nach diesem griff. Den Schmerz, der von seinem Griff durch ihren Arm schoss, ignorierend, streckte sie die freie Hand aus, als der leichtsinnige Mann sich auch noch aufrichtete. Sollte er jetzt zur Seite kippen, wäre sie bereit ihn aufzufangen und wieder zurück auf sein Lager zu drücken. Auch wenn er das wirklich nicht verdient hatte. Nicht bei diesem hasserfülltem Blick, der den ihren im ersten Augenblick verletzt aufblitzen ließ. Bevor sie sich straffte, ihr Kinn hob und seinem Blick trotzig begegnete. „Ich habe dich gehört, Kerl!“, fauchte sie ihn aufgebracht an, bevor sie wütend grollte, als er sie regelrecht von sich stieß. Zornbebend rieb sie sich den schmerzenden Arm, wobei sie durchaus etwas schadenfroh beobachtete, wie er nun doch zusammen brach. „Schwachsinniger Weißer.“, murmelte sie abschätzig, schob ihn dabei aber gleichzeitig wieder so auf seine Satteltaschen, dass seine Lage nicht mehr so unbequem aussah.
Obwohl sie es wahrlich nicht wollte, zogen sich ihre Augenbrauen doch mitfühlend zusammen, als er nach seinem Bein griff und die Schmerzen nicht nur sichtbar, sondern auch hörbar wurden. Noch einmal blickte sie hinab, erfasste das frische Blut und stand dann mit einem leisen Seufzen auf. Sie brauchte Wasser zum Reinigen und für den fiebersenkenden Tee und sie sollte wohl eine Klinge ins Feuer legen. Wenn die Wunde nicht bald von alleine aufhörte zu bluten, würde sie nicht darum herum kommen, sie auszubrennen, damit er nicht noch mehr Blut verlor. Wobei... erst musste sie es schaffen, einen sauberen Blick auf die Wunde zu kriegen. Vielleicht bliebe ihr das ja auch erspart. Jetzt eilte sie erst einmal suchend durch den Raum. Eine Schüssel, einen Topf... sie brauchte irgendetwas, worin sie Schnee sammeln konnte. Alles, was sie fand, war eine reichlich ramponierte Schüssel, deren Rand bereits halb abgesprungen war. Sie würde es tun müssen.
Eilig huschte sie hinaus und rieb diese erst einmal mit Schnee halbwegs sauber, bevor sie diese mit den weißen Kristallen füllte und wieder hinein ging. Bedacht stellte sie die Schüssel vor das Feuer, welches sofort begann, den Schnee einzuschmelzen. Dann griff sie nach ihrer Tasche und beförderte ein weiteres Stück sauberes Leinen in den schmelzenden Schnee. Dabei glitt ihr Blick besorgt hinauf zu seinem Gesicht. Er war kaum noch bei Bewusstsein. „Gabriel!“, sprach sie ihn direkt an und beugte sich leicht über ihn, eine kühle Hand an seiner Wange, um ihn dazu zu zwingen, sie anzusehen. „Ich muss deine Wunde frei legen, damit ich sie besser verarzten kann.“, erklärte sie, was als nächstes anstand. „Ich werde deine Hose etwas aufschneiden müssen. Ich werde dir nichts tun, so lange du ruhig liegen bleibst. Versuch bei Bewusstsein zu bleiben!“ Eindringlich sah sie ihn an. „Hast du mich verstanden?“ Wenigstens ein Blinzeln abwartend, musterte sie ihn forschend. Hoffentlich hielt er durch.
Schließlich ließ sie ihn aber los und kniete sich wieder neben seine verletzte Seite. Danach handelte sie still, effizient und noch immer bemüht sanft. Sie entfernte den provisorischen, ohnehin nur noch nutzlosen Verband und schnitt mit ihrem eigenen kleinen Messer vorsichtig in seine Hose, durchtrennte den Stoff so, dass sie ihn von der Wunde ziehen und zur Seite klappen konnte. Den erneut einsetzenden Blutfluss ignorierend, griff sie über ihn hinweg nach dem Stoff in der Wasserschüssel und machte sich daran, das alte, bereits verkrustete Blut abzuwischen und sich eine etwas bessere Sicht auf seine eigentliche Verletzung zu schaffen.
Dakota rief seinen Namen. Wie aus weiter Ferne und nur sehr leise drang ihre Stimme zu ihm durch. Ihre hektischen Bewegungen verschwammen mit den züngelnden Flammen des Feuers vor seinen Augen und ergaben keinen Sinn. Wie gebannt starrte er in das Feuer, während sein Blick glasig wurde. Als sich ihre angenehm kühle Hand auf seine Wange legte, sah er sie an. Sie kniete weiterhin vor ihm und beugte sich besorgt über sein Gesicht. Ihr Mund bewegte sich ständig, aber die Worte drangen nicht alle zu ihm durch. Sollte sie doch machen was sie wollte, das tat sie wohl sowieso immer. Irgendetwas wollte sie aufschneiden, würde ihn jedoch nicht verletzen und dennoch sollte er wach bleiben. Wenn sie nur etwas unternahm, das diese unerträglichen Schmerz in seinem Bein enden ließ, egal in welcher Form, dann wäre er schon zufrieden. Ihr letzter Satz, ob er sie verstanden hatte, war so durchdringend und laut gesprochen, dass Gabriel tatsächlich dessen Sinn begriff. Doch die Worte waren versiegt wie ein schwaches Rinnsal im trockenen Sand. Er schloss langsam die Augen und öffnete sie wieder, um ihr seine Zustimmung zu signalisieren. Somit gab er ihr endgültig freie Hand. Was auch immer sie tun würde, was auch immer sie aufschneiden wollte, er hoffte sie würde es schnell tun, denn seine Kräfte schwanden. Als sie schließlich mit ihrem Tun begann, spürte Gabriel jede noch so kleine Berührung, jede Bewegung des blutverkrusteten Verbandes und diese ließen die Schmerzen ins unermessliche anwachsen. Warmes Blut lief ihm über die Haut, als sie den Stoff entfernt hatte. Er musste sich bei dem Sturz vom Pferd schlimmer verletzt haben, als er es selbst angenommen hatte. Er sah angestrengt an sich herunter und meinte sie ratlos zu sehen. „Klinge…“ würgte er das Wort hervor und als sie aufsah versuchte er mit seinem Blick ihren in Richtung des Feuers zu lenken. „Heiße Klinge….“ versuchte er sich zu erklären. Sie sollte die Wunde ausbrennen oder ihm das Messer ins Herz rammen. Hauptsache sie tat endlich etwas! Doch sollte sie sich entscheiden ihm helfen zu wollen, musste sie endlich die Blutung stoppen. Gabriel war sich nicht sicher, ob er es überhaupt schaffen würde auch diesen Schmerz auszuhalten. Möglicherweise gab ihm der Schock auch den Rest, doch selbst dann waren sie einen Schritt weiter, denn so konnte es nicht bleiben. „Dakota….“ knurrte er ihren Namen, „tu es!“
Er war immer weniger bei Sinnen. Obwohl sie es wirklich nicht wollte, verfiel sie langsam in Panik. Sein Blick war ihr viel zu glasig, viel zu sehr ins Leere gerichtet. Sie war sich noch nicht einmal sicher, ob er bemerkte, dass sie mit ihm sprach. Erst als sie betont langsam und deutlich sprach meinte sie in seinem Blick erkennen zu können, dass er sie nicht nur gehört, sondern auch verstanden hatte. Es schien sogar so, dass er ihr mit seinem langsamen Blinzeln etwas Signalisieren wollte. Sie hoffte, dass dies seine Zustimmung war. Wobei ihr selbst diese einen Knoten im Magen verursachte. Denn das hieß, nun musste sie sich seiner Wunde zuwenden und sie war sich nicht wirklich sicher, ob sie dieser gewachsen war.
Letztendlich ignorierte sie jeden Zweifel, setzte das Messer an und tat genau das, was sie angekündigt hatte. Scharf atmete sie ein, als sie mit einiger Mühe den blutdurchtränkten Stoff von der Wunde zog und diese prompt wieder zu bluten anfing. Immer wieder glitt ihr Blick kurz zu seinem Gesicht hoch. Der Schmerz, den sie dort sah, setzte ihr zu. Sie gab sich Mühe, versuchte jeden Druck zu vermeiden und jede Berührung so sacht wie nur möglich zu halten und doch schienen die Schmerzen immer schlimmer zu werden. Bis sie sich fast gewaltsam zwang, seine Gefühle außen vor zu lassen und dafür die Wunde so schnell wie möglich zu säubern. Bereits nach dem ersten Blick auf die saubere Wunde, deren zornig entzündete Ränder ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigten, musste sie gegen ein Würgen angehen. Ergeben schloss sie für einen tiefen Atemzug die Augen, drängte jedes Gefühl in den Hintergrund und lehnte sich dann über Gabriel, um die Klinge ihres Messers ins Feuer zu legen. Gerade als er ihr genau das zu vermitteln versuchte.
„Schhhh...“, beruhigte sie ihn und strich erneut sanft über seine Stirn. Sie sah, wie er ihr mit seinem Blick erneut zu signalisieren versuchte, was sie tun sollte und tat ihm den Gefallen, seinem Blick zu folgen. Auch um zu prüfen, ob die Klinge schon heiß genug war. Als er noch einmal seine Kraft für Worte sammelte, legte sie ihm einen Finger auf den Mund. „Ich weiß, Gabriel.“, wisperte sie mit Tränen in den Augen. Denn sie war sich in dem Moment wirklich nicht sicher, ob er das Ausbrennen überleben würde. Und er wusste das. Sie sah es in seinem Blick. Da passierte etwas, womit sie nie gerechnet hätte. Er nannte sie beim Namen. Wenn er ihn auch mehr knurrte als alles andere, aber das war ihr egal. Schniefend straffte sie sich und nickte. Sie würde es tun. Still wartete sie bis die Klinge hauchzart glühte, dann ging sie ans Werk. Sorgsam brannte sie die Wunde aus, erhitzte die Klinge erneut und wiederholte die Prozedur sicherheitshalber. Bis die Hütte nur so nach verbranntem Fleisch stank und sie froh war, dass diese so zügig war. So würde der Geruch schnell wieder verflogen sein.
Als sie die Klinge ins Wasser fallen ließ, atmete sie tief durch, doch es half nichts. Ihr gesamter Körper begann heftig zu zittern. Eilig stemmte sie sich hoch, wankte zur Tür und schaffte es noch gerade rechtzeitig hinaus, bevor sich ihr Mageninhalt reichlich unelegant verabschiedete. Erschöpft lehnte sie sich an den Türrahmen, strich sich über die Haare, atmete noch einige Male tief durch, bevor sie zurück an Gabriels Seite taumelte. Ihre bebenden Hände ignorierend machte sie sich daran die Wunde sauber zu verbinden, bevor sie Gabriel sorgsam wieder zudeckte, Holz nachlegte und dann die Spuren ihres Tuns beseitigte. Erst da wagte sie einen Blick zu Gabriels Gesicht...
Sie hatte Tränen in den Augen. Gabriel konnte sich nicht erklären weshalb. Es konnte unmöglich seinetwegen sein und dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass es ihr Leid tat im Schmerzen zuzufügen. War es nicht genau das auf was sie die ganze Zeit aus gewesen war? Jede ihrer Berührungen war die Hölle für Gabriel. Sie durchzuckten sein Bein wie tausende Nadelstiche, die sich in sekundenschnelle schockartig in seinem Körper ausbreiteten. Sein Kopf schien davon völlig benommen zu sein und die Sinne wollten letztendlich wirklich entschwinden. Doch Gabriel kämpfte mit aller Macht dagegen an. Dakota wusste nicht was sie tun sollte und das irritierte Gabriel sichtlich. Wenn sie ihn nicht umbringen wollte, wieso fiel es ihr dann so schwer ihm zu helfen? Mitgefühl war für Gabriel ein Fremdwort und ihm kam es überhaupt nicht in den Sinn, dass sie tatsächlich mit ihm litt. Die einzige menschliche Reaktion, die man in seiner Gegenwart empfand war Hass, Abneigung oder Angst. Und bisher hatte er nie irgendjemand Leid getan. Weder als er angeschossen in einer Schlucht liegen gelassen wurde oder vom Vater als Jugendlicher halb tot geprügelt worden war. Nie hatte sich jemand für ihn eingesetzt, nie war sein Leben irgendwem wichtig gewesen. Gabriel hatte gelernt damit zu leben. Er hielt es ebenso, denn er brauchte keinen und so behandelte er auch seine Mitmenschen.
Doch heute war es zum ersten Mal anders. Er brauchte Hilfe und diese konnte ihr in diesem Moment nur Dakota geben. Oder auch nicht. Es war ihre Entscheidung. Schließlich schien sie sich entschlossen zu haben zu handeln. Er vernahm angestrengt wie sie die Klinge aus dem Feuer holte. Sie entschwand schließlich seinem Blickfeld und er wartete auf den Schmerz, um sich darauf vorzubereiten. Doch wie konnte man sich auf etwas vorbereiten, das man vorher noch nie gespürt hatte. Schon die erste Berührung brachte Gabriel beinah um den Verstand. Er biss die Zähne so fest aufeinander, dass er sie selbst knirschen hörte, während ihm ein unartikuliertes Brüllen dennoch entwischte. Das Feuer der Klinge schien direkt in seinen Körper übergegangen zu sein. In den ersten Sekunden der Berührung hatte er zwar das Gefühl Dakota hätte Schnee oder Eis auf die Wunde getan. Doch binnen eines Augenblicks wandelte sich die Kälte in unerträglich glühende Hitze. Dem Höllenfeuer gleich fraß es sich durch seinen Körper, füllte jeden Winkel aus und raubte ihm die Kraft zu atmen, zu denken, sich zu bewegen. Er schien komplett zu erstarren und konnte dabei nicht einmal mehr unterscheiden wann Dakota die Klinge nicht mehr die Wunde berühren ließ. Es war nur noch ein einziger durchgehender Schmerz und schließlich tanzten vor seinen Augen Farben und Schatten. Sie weiteten sich aus und nahmen ihm die Sicht. Seine Ohren rauschten so laut, dass er nichts anderes mehr hörte. Während sein Kopf den gefühlten Schmerz nicht mehr aufnehmen konnte. Es drohte ihn zu zerreissen. Und mit einem Mal war es dunkel und still.
Wie lange er ohnmächtig war konnte er selbst nicht sagen. Aber es war eine Erlösung gewesen. Als er wieder zu sich kam hörte er Dakota in der Hütte umher laufen. Sie schien immer noch beschäftigt zu sein. Er wollte die Augen öffnen, doch sie waren schwer wie Blei und so beließ er es dabei ihren Schritten zuzuhören. Irgendwann jedoch kehrte Stille in der Hütte ein. Dafür spürte er Erschütterungen an seinem Bein, das sich völlig taub anfühlte. Er öffnete mühsam die Auen und beobachtete sie, wie sie sein Bein frisch verband. Sie schien immer noch besorgt zu sein und war eine Spur blasser als vorher. Er betrachtete ihr Gesicht. Die hohen Wangenknochen, die großen wohlgeformten Augen, die vollen Lippen. Ja man konnte durchaus sagen, dass sie hübsch war. Unter anderen Umständen wäre ihm vielleicht egal gewesen, dass sie wohl ein Halbblut war und irgendwie hätte er sie schon in sein Bett gebracht. Doch seine momentane Verfassung und die Art ihres aufeinander Treffens erschwerte die Umsetzung diesen in ihm aufzuckenden Gedankens. Als sie zufrieden ihr Werk beendete glitt ihr Blick vorsichtig zu seinem. Er schenkte ihr ein mattes Lächeln. „Gut …gemacht…“ hauchte er entkräftet die beiden Worte, bevor ihm die Augen zufielen und er erschöpft eingeschlafen war.
Sein mattes Lächeln traf sie unvorbereitet. Unwillkürlich hoben sich ihre Mundwinkel zu einem zittrigen, dankbaren Lächeln, bei dem ihre Augen erneut verdächtig feucht wurden. Zögernd nickte sie ihm zu, doch das sah er wahrscheinlich schon nicht mehr, schlossen sich seine Lider bereits im selben Moment, als er die beiden Worte ausgesprochen hatte, bereits wieder. Eine Weile beobachtete sie ihn im Schlaf. Er wirkte so entspannt, viel jünger und fast friedlich. Sie hoffte, dass er lange schlief. Das sein Körper sich die Ruhe holte, die jener nach den Strapazen sicher brauchte.
Noch immer hallte sein schmerzerfülltes Brüllen, ebenso wie das Knirschen seiner Zähne in den Ohren, peinigte sie das Bild seiner schmerzverzerrten Miene. Sie hatte noch nie einem anderen Menschen solche Schmerzen zugefügt und sie betete zu allen Ahnen und Göttern, dass sie das auch nie wieder musste. Allein bei der Erinnerung an das Geräusch, als die heiße Klinge auf das entzündete Fleisch getroffen war, gepaart mit dem beißenden Geruch nach verbranntem Fleisch rebellierte ihr Magen erneut. Sie hatte hilflos mit ansehen müssen, wie sich der jetzt so entspannte Körper bis zum letzten Muskel hin angespannt hatte in dem Versuch die Schmerzen zu ertragen. Dakota bezweifelte, dass sie diese Momente je aus ihrem Gedächtnis verbannt kriegen würde. Aber sie konnte versuchen sie zu überdecken. Mit dem Bild wie er nun erschöpft und fiebernd, aber scheinbar schmerzfrei schlief.
Doch sie konnte nicht ewig dasitzen und über seinen Schlaf wachen. Sie musste das Tageslicht nutzen und sie musste Vorkehrungen treffen. Also erhob sie sich, wenn auch mit noch immer recht unsicheren Knien und machte sich nach einer kurzen Denkpause ans Werk. Sorgsam durchkämmte sie den Raum. Sammelte alles, was brennbar war, in einer Ecke und suchte sich aus den wenigen anderen Verbliebenheiten die Sachen, die sie gebrauchen konnte, bevor sie alle anderen in der am weitesten entfernten Ecke sauber stapelte. Bis es nahezu ordentlich, wenn auch noch für die Unterbringung eines Verletzten eigentlich viel zu verstaubt in der Hütte aussah. Trotzdem war Dakota zufrieden mit ihrer Arbeit und Ausbeute. Einem alten Krug mit einem nicht allzu tiefen Sprung und fehlendem Henkel sowie eines reichlich zerbeulten und geschwärzten, altmodischen Kessels, ebenso wie eine halbwegs stabile ehemalige Gemüsekiste und einer demolierten Kelle, dessen Henkel nicht mehr wirklich gerade war.
Vorsichtig stellte sie die Kiste umgedreht in der Nähe des Kamins hin, stellte den Krug auf und ihre Tasche neben diese, dann nahm sie sich den Kessel und ging mit diesem hinaus, um ihn mit Schnee zu füllen. Drinnen angekommen stellte sie den Kessel halb ins Feuer, bevor sie sich daran machte in ihrer Tasche nach der Weidenrinde und etwas Dörrfleisch zu suchen. Sie würde erst etwas fiebersenkenden Tee für Gabriel zubereiten, den sie in den Krug füllen und am Feuer warm halten konnte, und dann versuchen aus dem Dörrfleisch etwas Brühe für sie beide zu gewinnen. Auch wenn sie dazu mithilfe der zuvor verwendeten Schüssel mehrmals neuen Schnee zum Einschmelzen holen musste. Aber so war sie wenigstens beschäftigt. Zwischendurch wusch sie Gabriel vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, das Gesicht und sorgte anschließend dafür, dass er immer einen kühlenden, feuchten Umschlag, zu welchem sie ein altes rotes Halstuch von ihr umfunktioniert hatte, auf der Stirn liegen hatte.
Sie wusste nicht wieviel Zeit vergangen war, doch schließlich hatte sie es geschafft. Der Tee war bereit und hoffentlich stark genug, um Gabriel auch einen Großteil seiner Schmerzen zu nehmen. Wenn das wohl auch hieß, dass er reichlich bitter sein dürfte, aber da musste ihr Patient eben durch. In jedem Fall dampfte der Krug, der auf einem flachen Stein, den sie draußen gefunden hatte, am Rand des Feuers stand. Etwas weiter in den Flammen selber stand der Kessel in dem die dünne Rindfleischbrühe, in die sie noch ein paar getrocknete Kräuter getan hatte, die sie in den Tiefen ihrer Tasche gefunden hatte, vor sich hin köchelte. Die Schüssel, in der sie ihr Tuch regelmäßig tunkte, mit welchem sie seine Stirn kühlte, stand hingegen auf der Kiste eine Armlänge von Dakota entfernt. Sie selbst hatte sich gegen die wärmenden Steine des Kamins gelehnt, die Beine angezogen und verschränkt, so dass sie Gabriels Arm oder Bein nur dann streifte, wenn sie sich zur Seite lehnte, um den Lappen ins Wasser zu tauchen und auszuwringen. Denn ihr Patient lag, noch immer in die einzige Decke gehüllt, quer vor dem eigentlich recht heimelig knisternden Feuer.
Der Schlaf tiefer Erschöpfung war wohltuend für Gabriels Körper. Doch das Fieber stieg ständig und bald schon stellten sich verwirrende Träume ein. Ein Gemisch aus Erinnerungen und der eigenen Fantasie: Fieberträume. Sie waren lästig und völlig unnötig und quälten den geschwächten Körper zusätzlich, gerade dann, wenn er Kraft tanken sollte. Verzerrte Fratzen, die höhnisch lachten umschwirrten Gabriel und ließen ihn unruhig auf seinem Lager werden. Er hörte die verhasste Stimme seines Vaters, während im Hintergrund seine Lieblingspeitsche knallte mit der er Gabriel regelmäßig das Fell gegerbt hatte. Schüsse fielen dazwischen und Gabriel zuckte stöhnend auf, als er spürte wie sich die Kugeln in seinem Körper versenkten. Stimmen hallten von hier und dort zu ihm herüber. Manche kamen im bekannt vor, andere waren ihm völlig fremd. Man unterhielt sich mit abfälligen Worten über den unnützen Jungen, bei dem nicht einmal die harte Erziehung seines Vaters fruchtete. Er hörte Drohungen und Beschimpfungen, die ihn verfolgten, während er ihnen machtlos ausgeliefert war. Er wollte das alles nicht hören. Oder besser: nicht noch einmal hören. Es waren Worte, die er vor langer Zeit gehört hatte. Entweder weil sie ihm direkt ins Gesicht gesagt worden waren oder er hatte sie ihm vorüber gehen aufgeschnappt oder gar beim lauschen. Doch er hatte sie verdrängt, da sie ihm nichts bedeuteten. Auch jagten sie ihm keine Angst ein. Stattdessen schürten sie den Hass auf seine Mitmenschen, denen es offenbar so unglaublich schwer fiel ihn zu akzeptieren. Und jetzt, da er geschwächt mit Fieber niedergestreckt lag, keimten diese unliebsamen Erinnerungen wieder wie Unkraut in ihm auf und quälten ihn im Schlaf. Wütend schlug er eine Hand beiseite, ob im Traum oder in Wirklichkeit wusste er nicht, und wälzte sich auf seinem Lager auf die andere Seite, während die Stimmen immer lauter wurden. Bald prabbelten sie alle durcheinander und er spürte sie mit körperlichem Schmerz. Da waren Peitschenhiebe, die seinen Rücken malträtierten, er spürte die Schusswunden, die er damals auf der Flucht erlitten hatte, erneut aufbrechen und bluten, während ihn irgendjemand festhielt…
Mit einem Keuchen erwachte Gabriel aus seinem Traum und schob sofort einen Arm unter den Oberkörper um sich aufzurichten, bereit sich zu verteidigen. Doch als er das verletzte Bein bewegte durchfuhr ihn ein Schmerz, der ihn wieder zur Besinnung brachte und verharren ließ. Er war verletzt und all diese Menschen und Stimmen waren gar nicht hier. Dennoch spürte er noch ihren blutrünstigen Atem im Genick. Gabriel sah das feuchte Tuch, das vor ihm auf dem Boden lag und blickte zu Dakota auf. Sie hatte über seinen Schlaf gewacht und anscheinend versucht sein Fieber zu bekämpfen. Nun saß sie dort an die Wand gelehnt neben dem Feuer und blickte ihn mit ihren geheimnisvollen Augen an. Gabriel versuchte seinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen, der noch unregelmäßig ging und dessen Laute die Stille der Hütte erfüllten. Die Decke, die wärmend auf seinem Körper gelegen hatte, war durch sein aufrichten herabgerutscht und augenblicklich begann er zu frieren. Die Kleidung klebte ihm wie eine zweite Haut am Körper. Trotz des Feuers war es in Hütte kalt und die junge Frau, die dabei war ihm das Leben zu retten hatte nichts, um sich vor den eisigen Temperaturen zu schützen. Der Blickkontakt hielt nun schon eine ganze Weile an. Gabriel konnte sich irgendwie von ihrem Anblick nicht losreissen. Es musste das Fieber sein, das ihm alle Sinne vernebelte. Sein Arm, auf den er sich immer noch stützte begann zu zittern und erinnerte ihn daran, dass seine Kraft im Moment ebenfalls nicht die war, die er gewohnt war. Sein Körper fühlte sich an wie Blei. Schwer und ungelenk. Auch sein Zeitgefühl war völlig durcheinander. Er hatte das Gefühl ständig zu erwachen und wieder einzuschlafen oder ohnmächtig zu sein. War es noch Tag? Wie viele Stunden war er dieses Mal fort gewesen? Doch durch die Fenster der alten Hütte drang noch Tageslicht, er hatte also nicht all zu lange geschlafen. Als er sie weiterhin betrachtete fiel ihm auch wieder ihr unsicheres Lächeln ein, das auf seine Worte hin auf ihrem Gesicht erschienen war, bevor er eingeschlafen war. Es hatte ihm gefallen sie lächeln zu sehen, etwas, das sie bisher in seiner Gegenwart noch nicht getan hatte. Doch wie auch. Er war alles andere als rücksichtsvoll mit ihr umgegangen. Sie hatte es verdient gehabt, denn nur ihretwegen saßen sie nun hier in dieser Hütte und starrten einander an. Doch vielleicht war es nicht ganz so einfach. Wenn er sich nicht verirrt hätte, und möglicherweise nicht ganz so unbedacht im Wald unterwegs gewesen wäre, vielleicht hätte er sie noch rechtzeitig kommen sehen. Hätte das Pferd zum stehen gebracht oder es vielleicht zumindest rechtzeitig beruhigen können. Vielleicht. Doch für Reue oder Entschuldigungen war es seiner Meinung nach bereits zu spät. Sie hatte versucht ihren Fehler wieder gut zu machen. Auch wenn das Ausbrennen mit der heißen Klingen Gabriel beinah um den Verstand gebracht hatte, so hatte sie dies jedoch zufrieden stellend erledigt. Dakota sah mitgenommen und mittlerweile auch selbst erschöpft aus. Ein zweites Lager hatte sie nicht errichtet. Womöglich gab es auch nichts mehr mit dem sie ein provisorisches Bett herrichten konnte. Und Gabriel war für so einen Fall ebenfalls nicht gerüstet. „Willst du…“ er wusste nicht recht wie er sich ausdrücken sollte. Unsicher lüftete er die Decke und bot somit den Platz direkt neben sich an. Doch dann entsann er sich, dass dies wohl keine annehmbare Lösung für Dakota war. Er kannte sie ja kaum, aber irgendwie war er sich sicher, dass sie ehr sterben würde, als mit ihm das Lager zu teilen. Er hätte sagen können, dass er in seiner momentanen Verfassung für sie sowieso völlig ungefährlich war, doch dabei wäre er sich dämlich vorgekommen. Nächstenliebe und Rücksicht waren ein rotes Tuch für ihn, genau deshalb brach er sich hier wohl gerade einen ab. Stattdessen zog er die Decke von seinem Körper und verlagerte unbeholfen sein Gewicht, um diese von ihm zu befreien und ihr entgegen zu halten. „Nimm die Decke. Sonst holst du dir noch den Tod.“ murmelte er. „Ich hab’ das Feuer.“ log er ungewohnt selbstlos. Sie schien von seiner Idee nicht begeistert zu sein, zumindest deutete Gabriel so ihr Nichtreagieren. „Reicht wenn einer ….“ Er suchte nach dem richtigen Wort ohne, dass es dabei gleich wieder wie eine seiner typischen Anklagen klang, „…krank ist.“ Drückte er sich stattdessen aus und hielt ihr weiterhin die Decke hin. „Nun nimm sie schon endlich!“ Er wusste nicht wie er sich sonst erkenntlich zeigen sollte, zumal es ihm sowieso völlig schleierhaft war, was er da gerade tat.
Dakota merkte schnell, wann sein Fieber zu hoch wurde. Denn in dem Moment wurde auch sein eigentlich heilsamer Schlaf unruhiger. Sie weckte ihn dennoch nicht. Selbst unruhiger Schlaf mit fiebrigen Träumen war besser als sich wach den Schmerzen zu stellen, befand sie. Also versuchte sie auch weiterhin nur ihm etwas Kühlung zu schenken und hinderte ihn daran sich allzu heftig zu bewegen. Auch wenn sie ihn dafür einige Male etwas fester zurück auf sein notdürftiges Lager drücken musste, als er sich herum werfen wollte. Was ihn auch für Geister quälen mochten, sie hoffte inständig, dass diese bald von ihm ablassen würden. Bevor seine Wunder erneut aufbrach. Denn sie war sich keinesfalls sicher, dass sie jene noch einmal ausbrennen würde können. Dazu hatte sich ihr Magen noch nicht weit genug vom ersten Mal erholt.
Sie hatte sich gerade vor seiner ziellos ausholenden Hand in Sicherheit gebracht und sich wieder auf ihrem Platz nieder gelassen, als er mit einem Keuchen hoch fuhr. Richtig hoch fuhr, stemmte er sich doch sogar leichtsinnig hoch. Das dies ein Fehler war, musste sie ihm allerdings nicht sagen. Das merkte er selber, als er in der Bewegung sein verletztes Bein anspannte und prompt verharrte. Ruhig musterte sie ihn forschend. Er sah erschöpft und vom Fieber gezeichnet aus... aber sein Lebenswille war wieder da. Hinter all den dunklen Schatten seiner Fieberfantasien erblickte sie den Willen nicht aufzugeben und das beruhigte sie. Erleichtert lehnte sie sich an den warmen Stein hinter sich, während sie beobachtete, wie Gabriel langsam wieder seine Umgebung wahrnahm.
Bis sein Blick den ihren traf. Es war das erste Mal, dass er sie ohne Hass oder Wut ansah. Etwas was sie zeitgleich freute wie... verunsicherte. Weiße sahen Menschen ihrer Hautfarbe nie so an. Nicht ihren Erfahrungen zufolge. Und doch tat er es genau in diesem Moment. Scheinbar hatte ihm das Fieber doch mehr als gedacht zugesetzt. Trotz dieser Sorge rührte sie sich nicht. Seine angestrengte Atmung hallte in dem so gut wie leeren Raum und erinnerte sie daran, dass er liegen sollte und nicht aufgestützt sitzen. Doch auch das merkte er schnell selber. Sie konnte förmlich sehen, wann ihn sein Körper darauf aufmerksam machte, dass die wärmende Decke fehlte, ebenso wie sie das Beben seines Armes bemerkte. Er jedoch behielt stur seine Position bei und sah sie noch immer einfach nur an. Ebenso wie sie nichts tat, um ihn wieder dazu zu bewegen, sich hinzulegen, sondern genau wie er diesen eigenartigen Blickkontakt stumm aufrecht erhielt. Als hätte sie Angst, was passieren würde, sollte dieser abbrechen.
Schließlich war er es, der die Stille zwischen ihnen brach. Wollte sie... was? Verwirrt zog sie ihre Augenbrauen einen Hauch weit zusammen, bevor sie blinzelte und zu der irgendwie unbeholfen gelüfteten Decke sah. Abwägend sah sie ihm in die Augen. Sollte dies wirklich die erste nette Geste seinerseits sein? Das... konnte nicht sein. Oder doch? Unsicher runzelte sie leicht die Stirn und presste die Lippen zusammen. Sie wollte nicht seine zornige Kälte zurück rufen, nicht bewusst und doch rührte sie sich nicht. Denn bisher hatten weiße Männer nur aus einem Grund eine Decke angehoben. Allerdings bezweifelte sie, dass er zu diesen... Taten bereit war. Was nicht hieß, dass sie eine rein gutgemeinte Geste nicht ebenso entschieden anzweifelte. Auch wenn diese Zweifel ins Wanken gerieten, als er doch wirklich die Decke unter sich hervor zog und sie ihr hinhielt.
Noch immer schweigend sah sie auf die Decke, neigte dann den Kopf leicht auf die Seite, als würde sie auf etwas lauschen, und hob dann ihren Blick erneut forschend zu seinem an. Genau als er fast ein bisschen verlegen murmelnd seine Geste mit Worten unterstrich und sie dann sogar anlog. Denn es musste eine Lüge sein, dass das Feuer ihm ausreichte. Es reichte ihr kaum aus und sie hatte nicht mit Fieber und Schmerzen zu kämpfen. Scheinbar hatte sie über ihr Sinnieren zu lange nicht auf seine Worte reagiert, denn da redete er schon weiter. Wurde sogar richtig energisch. Es waren genau diese energischen, schroffen Worte, die sie unwillkürlich kurz lächeln ließen, bevor sie sich endlich bewegte.
In einer ruhigen, geschmeidigen Bewegung stand sie auf, nahm ihm die Decke ab und hockte sich neben ihn. „Du hast das Feuer in dir, aber das allein wird nicht reichen, um deinen Körper gesunden zu lassen.“, stellte sie sanft fest und drückte ihn entschlossen zurück auf sein Lager. „Mach meine Bemühungen nicht zunichte.“ Ihr Gesicht, ebenso wie ihre Stimme waren bei diesen Worten absolut emotionslos, doch in ihren Augen blitzte es warm auf, als sie die Decke wieder über ihn legte. „Mir ist nicht kalt.“, beruhigte sie ihn und strich ihm die schweißnassen Strähnen aus der Stirn, so dass er spüren konnte, dass ihre Finger zwar gegen seine Haut kühl, aber bei weitem nicht eisig waren. Einen Moment lang musterte sie ihn schweigend, dann nahm sie das Tuch vom Boden auf, erhob sich und ließ es in die Schüssel mit Wasser fallen.
„Du musst etwas trinken. Du hast viel geschwitzt.“ Schon während sie sprach nahm sie die Kelle auf und tauchte sie in den bereit stehenden Tee, um sich dann neben ihn zu knien und ihm diese vorsichtig an die Lippen zu halten. „Das wird dir nicht schmecken, aber es wird das Fieber senken, also trink.“ Auffordernd legte sie seine Hände um die Kelle und lehnte sich dann wieder etwas zurück. „Danke für dein Angebot.“, ging sie nach einem Augenblick des Schweigens doch noch auf sein unbeholfenes Verhalten ein. „Vielleicht komme ich da noch später drauf zurück.“ Nun lächelte sie doch offen, funkelten ihre Augen vergnügt. „Du bist sicher heißer als das Feuer.“, neckte sie ihn sogar frech, bevor sie ihm die leere Kelle abnahm und ihn noch einmal musterte. Wenn sein Blick so blieb, dann hatte sie das erste Mal Hoffnung, dass er es schaffen würde. Zufrieden legte sie die Kelle zur Seite und griff nach dem Tuch in der Schüssel, um es auszuwringen und ihm wieder auf die Stirn zu legen. Unsicher verharrte sie einen Moment, die Hand noch an seiner Stirn, dann zog sie diese langsam zurück, lehnte sich ebenso langsam zurück, bis sie wieder ihre Position am Kamin einnahm. Sagen tat sie jedoch nichts. Einfach, weil sie nicht wusste, was sie zu ihm sagen sollte. Also schwieg sie. Doch war es ein entspanntes Schweigen.
Er sah wie sich ihre Augenbrauen zusammen zogen und ihr Blick skeptisch wurde. Etwas veränderte sich in ihrem Gesicht und beinah glaubt er, dass sein erstes Angebot, nämlich die Decke zu teilen, sie angewidert hatte. Doch er war zu geschwächt um sich darüber weiter Gedanken zu machen oder gar wieder die übliche Wut auf sie zu verspüren. Es dauerte trotzdem eine halbe Ewigkeit, während er ihr die Decke hinhielt und sie dennoch nicht reagierte. Was hatte er nun wieder falsch gemacht? Sie sah ihn einfach nur an, als müsste sie die Situation abwägen und weiter überdenken. Gabriel unterdrückte das Zittern, das sich nun auch in diesem Arm ausbreiten wollte. Vielleicht war es auch genau das was sie wollte. Ihn zappeln lassen. Nun doch etwas angefressen von ihrer lahmen Reaktion biss er die Lippen zusammen, so dass sie nur noch als zwei schmale Striche zu sehen waren. Doch sämtlichen bösen Worte, die sich bereits wieder wütend seinen Rachen heraufarbeiteten, erstarben an Ort und Stelle, als er sie abermals Lächeln sah. Es war so ein entwaffnendes und engelsgleiches Lächeln, das Gabriel abermals sofort in seinen Bann schlug. Alles schien sich zu verändern, durch diese kleine Regung auf ihrem Gesicht. Fasziniert betrachtete er sie als sie sich aufrichtete und ihm näher kam. Hatte sie sich schon immer so grazil bewegt? Und ihre Haut. Hatte sie schon die ganze Zeit im Licht des Feuers goldähnlich geleuchtet? Oh je, das Fieber musste ihn ordentlich im Griff haben, dennoch konnte er sich nicht von ihrem Anblick losreissen. Zufrieden registrierte er aber, dass sie die Decke annahm und neben ihm Platz genommen hatte. Er spürte augenblicklich die Wärme ihres Körpers. Es fühlte sich gut an sie so nah bei sich zu spüren. Er hatte das Feuer in sich…. Ihre Worte schwappten ohne Sinn an ihm vorbei. Seine Sinne waren teilweise einfach noch nicht klar genug und wurden von ihrem faszinierenden Anblick völlig überlagert. Und ehe Gabriel reagieren konnte, warf sie wieder die Decke über ihn, während sie ihn dabei beinah anschnauzte es so zu belassen. Doch ihre Augen straften die hart gesprochenen Worte Lügen. Warm schimmerte es dort in den dunklen Tiefen und Gabriel meinte so etwas wie Sympathie in ihnen zu sehen. Er holte gerade Luft, um die Diskussion um die Decke nochmals aufzunehmen als sie ihm versicherte ihr wäre nicht kalt. Nun, da der Stoff wärmend auf seinem zitternden Körper lag, musste er zugeben, dass es weitaus angenehmer für ihn war mit Decke vor dem Feuer zu liegen als ohne. Erschöpft zog er sie bis zum Kinn höher. Wenn sie sie nicht wollte, er hatte sie zumindest angeboten. Ihre Hand näherte sich seinem Gesicht und strich ihm eine Haarsträhne von der feuchten Haut. Gabriel sah Dakota gebannt an. Sie musste diese Geste schon öfter gemacht haben, denn er erinnerte sich an die beinah schon vertraute Berührung ihrer Finger auf seinem Gesicht. Vielleicht als er geschlafen hatte. Die zarte Berührung ihrer warmen Finger fühlten sich gut an. Sehr gut sogar. Es war eine für Gabriel völlig neue Erfahrung auf solch eine Art und Weise berührt zu werden. Fürsorglich und möglicherweise doch mit einer Spur Zuneigung oder Besorgnis. Bisher hatte er immer nur Schmerzen erfahren, wenn man ihn angefasst hatte oder es waren erkaufte Berührungen von Huren, denen er Geld dafür gab, dass sie es taten. Doch nichts von all diesen Erfahrungen ließ sich mit Dakotas sanfter Geste vergleichen. Und sogleich war auch wieder dieser Moment da, in dem sie sich anblickten und zu keinem Wort fähig waren. Doch diese waren auch nicht nötig. Gabriel genoss abermals den Anblick ihres wunderschönen Gesichts. Wieso war ihm vorher nicht aufgefallen wie hübsch sie war? Sie war anders als die Frauen, die er bisher getroffen hatte. Beinah exotisch mit der richtigen Spur geheimnisvoll zu sein. Und er meinte eine Kraft in ihr zu spüren, die es mit allem im Leben aufnehmen konnte. Dakota beendete den Blickkontakt und nahm das Tuch, um es im Eimer mit Wasser zu versenken. Gabriel sah ihr blinzelnd nach. Was machte sie bloss mit ihm? Sie nahm etwas in einer ziemlich brüchig aussehende Kelle auf und hob es ihm an die Lippen. Tee so nannte sie es. Es roch aber wie faules Wasser. Gabriel rümpfte die Nase, doch sie setzte die Kelle unnachgiebig an seine Lippen an und so öffnete er diese gehorsam und nahm einige Schlucke des Gebräus. Sie griff nach seinen Händen und führte diese zur Kelle, damit er sie selbständig halten konnte. Er würgte den Tee hinunter, dessen bitterer Geschmack seinen Mund unangenehm erfüllte. Als er ihre Stimme vernahm sah er zu ihr. Sie hatte ihren Platz am Kamin wieder eingenommen, nah bei ihm, und dennoch mit dem nötigen Respektabstand. So hatte sie auch dagesessen als er aufgewacht war. Wieder erstrahlte dieses zarte Lächeln auf ihren Zügen und sie dankte ihm für sein Angebot. Ihre Worte klangen ehrlich und beinah neckend, als sie meinte auf sein Angebot vielleicht zurückzukommen. Vielleicht. Überrascht sah er sie an. Einmal mehr sprachlos. Also war es doch nicht völlig daneben gewesen. Und sie verglich ihn mit dem Feuer, während nun wahre Belustigung in ihren Augen stand. Und der Funke sprang zu Gabriel über, dessen Mundwinkel sich amüsiert anhoben und ein lausbubenhaftes Grinsen erscheinen ließen. „Du ahnst ja nicht was du verpasst.“ ging er leichtfertig auf ihren Scherz ein und nahm den letzten Schluck aus der Kelle, während in seinen Augen der Schalk stand. Sie beugte sich zu ihm herüber und nahm ihm die leere Kelle aus der Hand. Er beobachtete sie ganz genau dabei und noch immer war das belustigende Flackern in ihren Augen zu sehen. Er lehnte sich wieder vorsichtig zurück und bettete seinen geschundenen Körper auf den harten Boden, um auch endlich seinen Arm zu entlasten. Dakota legte ihm das gekühlte Tuch auf die Stirn. Eine Wohltat wie Gabriel feststellen musste. Er hatte das Gefühl körperlich zu verbrennen, während er fror und gleichzeitig doch wieder schwitzte. Ihre Hand lag noch immer auf dem Tuch auf seiner Stirn, während sie ihn kritisch musterte und sich dann vorsichtig zurückzog. „Ich schaff das schon, keine Angst.“ lächelte er ihr ermutigend zu, immer noch selbst amüsiert über ihren kleinen Witz, der ihm durchaus gefallen hatte. Dann glitt sein Blick wieder in das Feuer. Er beobachtete die Flammen eine Weile wie sie züngelten und gierig das Holz zerfraßen, während es knisterte. Er dachte eine Weile über die Situation in der sie nun zusammen steckten nach. Irgendwie seltsam wie alles gekommen war. Auch war es irgendwie befremdlich nun hier zu sein, verletzt in einer verlassenen Hütte und einer indianischen Frau an seiner Seite. Niemals hätte er sich träumen lassen, dass er einmal in solch einer misslichen Lage stecken würde. Nun gut, er war schon in so einigen misslichen Lagen gewesen, doch bisher immer weitgehend noch selbstständig und unabhängig von jeder Hilfe, die ihm sowieso nie angeboten worden war. Selbst als sein Vater den korrupten Sheriff und seine Bluthunde hinter ihm hergeschickt hatte, war er noch glimpflicher aus der Situation heraus gekommen. Er war einen Abhang hinabgestürzt und hatte mehrere Verletzungen gehabt und dennoch war es ihm besser ergangen als mit dieser einen Fleischwunde am Bein. Ein lächerlicher Sturz vom Pferd, ein unglücklich Zufall und gleich änderte sich das Leben und die damit verbundenen Pläne. Gabriels Blick ging wieder zurück zu Dakota. Sie hatte offensichtlich vor hier zu bleiben. Bei ihm. Immernoch eine sehr verwunderte Erkenntnis für den jungen Mann. „Wieso hilfst du mir Dakota?“ sprach er diesen Gedanken direkt aus.