Dakota wurde aus ihm nicht schlau. Einen Moment lang war wieder dieser vertraute grimmige Ausdruck auf seinem Gesicht erschienen. Sie hatte sich sogar schon auf eine weitere bissige Tirade eingestellt, so zornig wirkte er in diesem Augenblick, wo sie ihm die angebotene Decke nicht abnahm. Dann wich dieser Ausdruck jedoch so plötzlich, dass sie nicht so recht wusste, was diesen Wechsel überhaupt ausgelöst hatte. Wobei sie sich nicht lange mit dem Warum beschäftigte. Dazu verunsicherte sie sein intensiver Blick viel zu sehr. Denn nun sah er sie an. Nicht als Indianerin oder als unbedeutende Frau. Nein... es wirkte fast, als würde er wirklich sie sehen. Und als würde ihm gefallen, was er sah. Obwohl Dakota wusste, dass sie nicht schlecht aussah und auch weiße Männer das durchaus erkannten, wusste sie nicht wie sie den neuen Ausdruck in seinen Augen deuten sollte. Oder wie sie mit seinem auf einmal so gänzlich veränderten Verhalten umgehen sollte.
Also rettete sie sich in ihre Rolle als seine Pflegerin. Das war bekanntes Terrain. Sicher und verlässlich. Dabei ignorierte sie eisern, dass er auf ihre Annäherung vollkommen gegensätzlich im Vergleich zu früher reagierte, und deckte ihn entschlossen wieder zu. Etwas, womit er offensichtlich nicht gerechnet hatte. Irgendwie beruhigte es sie, dass sie ihn scheinbar ebenso überraschen konnte wie er sie. Schnell versuchte sie ihn zu beruhigen, dass es in Ordnung war, wenn er die Decke behielt, und tatsächlich zog er sich ohne jede Wiederworte die Decke bis ans Kinn. Sehr gut. Zufrieden nickte Dakota und lächelte ihm ohne es zu merken erneut kurz zu. Vielleicht würden sie ja doch noch einen Weg finden, normal miteinander umzugehen.
Sie musste sich nur noch daran erinnern, dass dazu nicht gehörte, dass sie ihn eigenständig berührte. Das entsprach auch eigentlich so gar nicht ihrer Art. Wieso also strich sie ihm zu wiederholten Mal eine nasse Strähne aus der Stirn? Eine Geste, die sie fast schon automatisch ausführte und die ihn mindestens genauso wie sie selber verwunderte. Obwohl sein Blick ihr regelrecht unangenehm wurde. Viel zu fasziniert und... intim. Also zog sie sich schnell wieder auf ihren Platz zurück. Doch es half nichts. Sie sahen sich an und sie meinte förmlich hören zu können wie die Mauer aus Vorurteilen zwischen ihnen bröckelte. Es war eine vollkommen neue Erfahrung für sie. Nicht nur, dass ein Weißer sie auf einmal freundlich, wenn nicht gar zugetan ansah, sondern auch, dass sie sich dabei erwischte, diesem gegenüber ebenso... zugänglicher zu werden.
Wahrscheinlich ließ genau diese Erkenntnis sie handeln und somit den Blickkontakt abbrechen. Wieder rettete sie sich in die vertrauten Abläufe seiner Pflege. Sein Naserümpfen, als sie ihm die Kelle mit dem Weidenrindentee an die Lippen setzte, ließ ihre Augen kurz belustigt aufblitzen. Sie wusste, dass der Tee nicht nur wenig einladend roch, sondern auch genau so schmeckte. Aber da er half, musste ihr Patient da jetzt durch. Erstaunlicherweise trank Gabriel diesen jedoch ohne jeden ätzenden Kommentar. Eigentlich gefiel ihr sein Verhalten nach dem Fieberschub immer mehr. Er wirkte jetzt eindeutig... sie wusste nicht so recht, wie sie es nennen sollte. Dazu war ihr noch nie ein Weißer begegnet, der sich ihr gegenüber so verhalten hatte. Aber es war eindeutig ein angenehmes Gefühl hier und jetzt bei ihm zu sitzen.
Es verleitete sie sogar dazu, ihn sacht zu necken. Sie hätte nie im Leben damit gerechnet, dass er darauf so reagieren würde. Seine Überraschung hatte sie erwartet. Seine Sprachlosigkeit auch noch. Womit sie nicht gerechnet hatte, war sein spitzbübisches Grinsen. Es veränderte seine eigentlich recht strengen Züge grundlegend. Einen Moment lang betrachtete sie ihn fasziniert, dann lachte sie allerdings leise bei seiner scherzenden Antwort auf. „Du ja auch nicht.“, schlüpfte es ihr erheitert über die Lippen, bevor sie über sich selbst den Kopf schüttelte. Hätte ihr jemand diese Situation voraus gesagt... sie hätte denjenigen für komplett geistesgestört erklärt. Und doch saß sie hier, neben einem durch sie verletzten Weißen, und scherzte entspannt mit diesem.
Das leichte Lächeln umspielte noch immer ganz sacht ihre Mundwinkel, als sie ihm die leere Kelle wieder abnahm, um sie zurück in die Kanne gleiten zu lassen. Dieses Mal verunsicherte sie sein noch immer auf ihr ruhender Blick auch nicht. Zwar war sie sich seiner erneuten andauernden Aufmerksamkeit bewusst, aber sie wusste auch, dass in seinen Augen noch immer ein Lachen stand, als er sich endlich zurück auf sein Lager gleiten ließ. Weswegen sie sich ihm auch noch immer entspannt erneut näherte. Nicht, um seine Nähe zu suchen. Das wäre nur töricht gewesen, sondern um ihm ein weiteres Mal das feuchte Tuch auf die heiße Stirn zu legen. Diese kleine Geste schien ihm gut zu tun. Als er sie jedoch bei ihrem forschenden Blick erwischte und sie ermutigend anlächelte, blinzelte sie einerseits verlegen, andererseits überrascht. Da sie nicht wusste, was sie auf seine beruhigenden Worte erwidern sollte, nickte sie ihm nur kurz zu. Doch in ihren Augen stand dabei noch immer ein warmer Schimmer, ebenso wie das Lächeln noch nicht vollständig von ihren Lippen gewichen war.
Eine Weile schwiegen sie, hing jeder seinen Gedanken nach. Wobei Dakota sich dabei ertappte, dass sie ihn beobachtete wie er ins leise knisternde Feuer sah. Genau genommen beobachtete sie ihn nicht nur. Sie dachte über ihn nach. Nicht allein darüber, wie sie ihn weiter behandeln sollte, sondern auch darüber, woher sein plötzlicher Wandel kam oder was ihn wohl zu seinem harten Verhalten verleitet hatte. Etwas sagte ihr, dass auch er nicht von Natur aus so hart und verschlossen war. Dass auch er erst durch seinen Lebensweg so geworden war. Ähnlich wie sie. Manchmal fragte sie sich schon, wie sie heute wäre, wäre das Verhältnis ihrer Eltern anders gewesen. Wäre das Verhalten ihres Mannes ihr gegenüber anders gewesen. Unwillkürlich trat das letzte Bild ihres Mannes vor ihr inneres Auge und ließ sie schaudern. Lautlos seufzend zog sie die Knie an die Brust und umschlang sie mit ihren Armen, den Blick nun nachdenklich nach innen gerichtet.
Seine Stimme ließ sie blinzelnd zurück finden. Verwirrt von seiner Frage und der Tatsache, dass er ihren Namen ausgesprochen hatte, runzelte sie die Stirn. „Weil du Hilfe brauchst.“, antwortete sie dabei jedoch ohne zu zögern, bevor eine zarte Röte in ihre Wangen kroch und sich ihre Mundwinkel zu einem schiefen, leicht scheuen, wenn nicht gar entschuldigenden Lächeln hoben. „Und weil ich daran nicht gänzlich unschuldig bin.“ Verlegen zuckte sie mit den Schultern und legte den Kopf an die Wand hinter sich, wobei ihr Blick von ihm weg in zur Tür glitt. Einen Moment zögerte sie, dann atmete sie tief durch, leckte sich über die Lippen und sah ihn vorsichtig an. Sie wollte mit ihren nächsten Worten die Stimmung nicht wieder kippen. „Außerdem wäre es wohl nicht gut, wenn man hier einen toten Weißen findet, wenn dann kurz darauf ein Halbblut in der selben Gegend auftaucht.“, ergänzte sie sacht spottend. Nur in ihren Augen stand, wie sehr sie diese Aussicht verängstigte. Immerhin ging schon ein Weißer auf ihr Konto... und sie hatte nicht abgewartet bis der Richterspruch fiel, bevor sie abgehauen war.
In dem Versuch sich von diesen düsteren Bildern abzulenken, zog sie die Knie unbewusst Schutz suchend enger an den Körper und musterte Gabriel. „Warum verunsichert dich das so?“, fragte sie leise mit sinnend forschendem Blick nach. Denn ihr war keinesfalls entgangen, dass es ihn genauso verunsicherte, wenn sie nett zu ihm war, wie es sie verunsicherte, wenn er nett zu ihr war. Was eigentlich schon fast wieder... sie wusste nicht so recht, was es war. Nur dass diese Feststellung so etwas wie eine Verbindung zwischen ihnen schuf. Waren sie sich etwa so ähnlich? Eigentlich unmöglich. Was sollte Gabriel so an seinen Mitmenschen zweifeln lassen wie sie? Ihr Blick wurde erneut nachdenklich. Sie wusste, dass die Weißen und gerade jene, die sich so stolz als Christen bezeichneten, grausam sein konnten. Wieso war sie nie auf den Gedanken gekommen, dass sie das auch gegenüber anderen Weißen sein könnten? So langsam begann ihr Kopf von all diesen wirren Gedanken zu schmerzen. Also zwang sie ihre Konzentration zu dem Mann neben sich zurück und begegnete seinem Blick fast ein bisschen erstaunt.
OOC: Tut mir leid, dass es doch länger dauerte. Sie hatten mir gleich am ersten WE Dienst aufgedrückt. Danke für deine Geduld!
Sie schien von seiner Frage überrascht zu sein. Nicht weil er sie gestellt hatte, sondern vielmehr warum ihm so wunderte, dass er Hilfe bekam. Er konnte ihr Erstaunen in ihren Augen leuchten sehen, ganz so als hätte er gerade etwas besonders dämliches gefragt. Ihre schlichte Antwort darauf entmachtete ihn in jeglicher Hinsicht. Sie half ihm weil er Hilfe brauchte. So einfach war das für sie. Gabriels Blick wurde ernst. Wieso tat ausgerechnet sie das, wo es doch jahrelang niemand gekümmert hatte, ob er Hilfe gebraucht hatte oder nicht? Wieso half ihm diese fremde Frau? Nur weil er sie in diesem Moment brauchte? Was kümmerte sie das? Ein Funken des üblichen Misstrauens keimte in Gabriel wieder auf. Man half seiner Meinung nach nicht einfach nur so. Dahinter musste mehr stecken. Als ihre Wangen eine zartrote Färbung erhielten sah Gabriel sie irritiert an. Sie half ihm auch weil sie an seiner jetzigen Verfassung nicht unschuldig war gab sie noch erklärend hinzu. Nun, das entsprach in jedem Fall der Wahrheit. Doch ihr entschuldigender Blick und das beschämende Lächeln entwaffneten Gabriel abermals gewohnt wütend zu reagieren. Sie überlegte eine Weile und wich seinem Blick aus. Gabriel beobachtete sie aufmerksam und bewunderte einmal mehr ihre schönen Gesichtszüge. Doch mit einem Mal stahl sich Härte in ihre Augen und die Worte die darauf folgten waren die, die wohl der Wahrheit an nähsten kamen und die Gabriel am besten akzeptieren konnte. Natürlich dachte sie letztendlich auch an sich und sein Tod konnte ihr Probleme bereiten. Nun gut, sie hatte es zugegeben. Mehr wollte er auch nicht. Mit dieser Aussage konnte er leben, denn letzten Endes sah doch jeder immer auf sein eigenes Wohl. Ihre Frage ließ dann ihn überrascht dreinblicken. Verunsichern? Ihn? Pah! Zugegeben hätte er das nie. Umso ärgerlicher, dass sie den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Er wusste nicht Recht was er darauf antworten sollte und starrte wieder ins Feuer. „Normalerweise hilft man mir nicht.“ grummelte er undeutlich in seinen nicht vorhandenen Bart und zog die Decke noch en Stückchen höher. Es fröstelte ihn weiterhin, obwohl der Schweiss auf der Stirn glänzte. „Du bist die Erste.“ gab er noch hinzu, obwohl dies schon wieder zu viel der Wahrheit war. Das sich das Gespräch nun um ihn, statt um sie drehte, war Gabriel unangenehm. Als nächstes wollte sie noch wissen wo er herkam und ob er Familie hatte. Er musste den Spieß wieder umdrehen. „Was hast du hier draussen allein im Wald gemacht?“ fragte er sie und sah sie wieder direkt an. Er erinnerte sich, dass sie wie aus dem nichts plötzlich vor ihm und seinem Pferd gestanden hatte. Ganz so als wäre sie durch den Wald gerannt. Das würde zumindest erklären warum sie ihn nicht hatte kommen sehen. Hätte sie sich langsam und vorsichtig bewegt, wäre ihr sicherlich aufgefallen, dass sich jemand nähert. Aber so war sie beinah in ihn hineingerannt. Den Rest der Geschichte kannten beide. „Warst du allein da draußen? Oder ist jemand hinter dir her?“ das ihm dieser Gedankengang erst jetzt kam, ärgerte ihn sogleich. Wenn sie Ärger am Hals hatte, womöglich die Sternenträger hinter ihr her waren oder noch schlimmer ein ganzer Stamm wild gewordener Roter, dann würde er am Ende noch als ihr Verbündeter mit in die Sache hinein gezogen. Wo war eigentlich sein Revolver abgeblieben? Suchenden Blickes durchschweifte er die nähere Umgebung. Teilweise fehlten ihm die Erinnerungen an die letzten Stunden. Farben tanzten weiterhin vor seinen Augen und sein angestrengter Herzschlag wummerte in seinen Ohren. Noch hatte Dakotas Zaubertee wohl nicht gewirkt. „Wo hast du meine Waffe hin!“ kam es sogleich gereizt über seine Lippen, so dass er nicht einmal ihre Antwort auf seine eigentliche Frage abgewartet hatte. Für Gabriel war es einfacher immer das Schlechte im Menschen zu sehen. Die guten Seiten waren ihm ein Rätsel und verunsicherten ihn in der Tat. Sich in die gewohnte Wut und Verachtung zu flüchten war für ihn um ein vieles leichter. Dass er jedoch mit seinen Stimmungsschwankungen durchaus ebenfalls seine Mitmenschen irritieren konnte, war ihm nicht bewusst. Ihre Antwort liess auch schon wieder viel zu lange auf sich warten. Wütend schob er wieder einen Arm unter den Oberkörper und stemmte sich hoch, um sie besser sehen zu können. „Wo ist er!“ brüllte er beinah. Das hatte sie als Ziel die ganze Zeit über verfolgt. Hatte ihn entwaffnet und vielleicht sogar ihre Bande gerufen. Jetzt konnten sie ihn abschlachten wie ein wehrloses Vieh und sich über sein Geld hermachen. In seinen Augen flammte der übliche Zorn wie ein gefräßiges Feuer auf und erfüllte ihn mit neuer Kraft. Er würde hier nicht verrecken! Und sollte dies doch der Fall sein, dann würde er Dakota mitnehmen. Warum sollte sie leben, wenn sie ihm den Tod gebracht hatte.
Doch sein Körper hatte die Spielchen allmählich satt. Gabriels Unvernunft kostet seinen Gliedern auch noch das letzte bisschen Kraft. Ein unkontrollierbares Zittern überkam ihn, dass er zu ignorieren versuchte während er sie mit seinem Blick drohend ansah. Ohne das er etwas hätte dagegen tun können, brach der Arm unter seinem gestützten Oberkörper jedoch weg und er fiel mit einem Unmutslaut zurück auf die kratzige Decke, in die er gehüllt war. Doch das Zittern hörte nicht auf. Sein Körper bebte von den Fusspitzen bis zum Kopf. Gabriels Blick war starr geradeaus gerichtet. Vielleicht hatte sie ihn auch vergiftet. Ja so musste es sein! In Wirklichkeit jedoch entzog er seinem Körper die letzten Kräfte und das Fieber war gestiegen. Der Tee hatte noch nicht wirken können. Gabriels Gesicht war schweiss gebadet und er bemerkte nicht mehr, ob sie auf seine Frage antwortete oder nicht. Zitternd zog er die Decke enger um sich, während er zu prusten begann. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Er brachte sich nicht mehr unter Kontrolle. Die Schmerzen waren mit einen Mal kaum noch zu ertragen. Seine Augen wurden schwer und müde, doch er wollte jetzt nicht schlafen. Es war wichtig, dass er wach blieb. Überlebenswichtig! Er hörte nur noch sein eigenes Herz in seinen Ohren wummern. Alle anderen Geräusche waren davon überlagert. Was passierte da mit ihm? Und plötzlich hörte er das Klingen bekannter Sporen hinter sich. „Du…hast….ihn her-….geholt.“ kam es abgehackt über seine Lippen, während er im Fieberwahn nicht mehr Realität und Traum unterscheiden konnte. Ein Frösteln, das dieses Mal nichts mit dem erneuten Fieberschub zu tun hatte, überkam ihn. Er wusste genau wer da plötzlich hinter ihm stand. „Er…wird…uns...beide..umbringen, du Närrin.“ flüsterte er entkräftet während seine glasigen Augen ins Leere gerichtet waren. Ein hässliches Lachen erklang in seinen Ohren. Oh, er verabscheute ihn so sehr. Wieso war Gabriel nicht gleich der Gedanken gekommen, dass Dakota mit seinem Vater unter einer Decke steckte. „Sieh’ dich nur an, Junge. Du liegst im Dreck und verreckst vor den Augen einer Rothaut.“ hörte er die amüsierte Stimme seines Vaters hinter sich. „Weit hast du es ja nicht gebracht.“ Gabriel biss wütend die Zähne zusammen. „Lass…mich…in Ruhe.“ knurrte er erbost. Wieder hörte er das ekelhafte Lachen. Wieso stand der feige Hund in seinem Rücken, anstatt sich ihm offen zu zeigen? „Wieso sollte ich? Glaubst du ich würde mir diesen Spass entgehen lassen? Ich habe lange genug nach dir gesucht und es ist eine wahre Freude dich so zu finden.“ Er hörte wie sein Vater abfällig ausspuckte. „Natürlich bin ich nur mit einer Frau an dich herangekommen. Diese Idee hätte mir schon früher kommen müssen. Aber ich will so gnädig sein und dir helfen.“ Gabriel hörte wie er seinen Revolver lud. „Dann haben wir es beide endlich hinter uns und ich bin dich ein für alle Mal los.“ Gabriels Wut stieg ins unermesslich. "Du darfst sogar wählen wie du sterben willst. Durch das Messer oder den Revolver." Das letzte was Gabriel wollte war, dass er durch die Hand seines Vaters starb. Elender Köter! Doch das allerletzte Wort war hier noch nicht gesprochen. Er unterschätzte seinen Sohn. Wie immer!
Einen Augenblick lang fürchtete Dakota fast, dass er erneut aufbrausen würde. Doch erstaunlicherweise blieb er ruhig. Fast als hätte sie ihm mit ihren Worten den Wind aus den Segeln genommen. Einmal mehr fragte sie sich, warum es ihm so unmöglich schien, dass sich jemand einfach um ihn kümmerte. Ohne besonderen Grund oder aus Eigennutz. Obwohl sie das ja genau genommen auch nicht tat. Natürlich hätte sie ihm auch geholfen, wenn sie ihn verletzt im Wald gefunden hätte... Das würde sie jedenfalls gerne annehmen. Doch sicher war sie sich da nicht. Letztendlich war es doch egal. Die Situation war wie sie war. Mit all ihren komplizierten Hintergründen. Auf eine verquere Art schien es ihn zu beruhigen, als sie sich darauf berief, dass es sicher auch nicht die beste Lage wäre, wenn man sie im Anschluss an seinen Leichnam fand. Als wenn sie damit wieder in sein Weltbild passte. Irgendwie stimmte Dakota das traurig. Denn so viel hatte sie von seinem Weltbild schon mitgekriegt: Es glich ihrem eigenen viel zu sehr. Bloße Nettigkeit war nichts, was sie beide einfach akzeptieren konnten. Eigentlich traurig.
Kein Wunder, dass sie versuchte, das Interesse von sich auf ihn zu lenken. Selbst wenn ihr Plan nicht so ganz aufging. Dachte sie anfangs. Denn es schien nicht so, als wollte Gabriel ihr antworten, so wie er angestrengt ins Feuer starrte. Als er es dann doch tat, wünschte sie fast, er hätte es nicht getan. Verstehend sah sie ihn ernst an und nickte leicht. So gesehen konnte sie seine Verunsicherung sehr gut verstehen. Ging es ihr nicht ähnlich? Hatte sie nicht eben noch da gesessen und sich ebenso von seiner freundlichen Anwandlung verunsichern lassen? Ein kleines versonnenes Lächeln umspielte ihre Augen- und Mundwinkel, als nun sie auf die flackernden Flammen neben sich sah. Es ehrte sie, dass sie bei ihm ebenso die erste Ausnahme war, wie er es bei ihr war. In den Momenten, wo er sie nicht in altbekannter Manier anschrie und ihr Unsinniges unterstellte.
Seine Frage riss sie aus ihren müßigen Gedanken und ließ sie blinzelnd zu ihm sehen. Sinnend legte sie den Kopf leicht auf die Seite. Was sollte sie ihm darauf antworten? Nachdenklich musterte sie ihn. Er war eben ehrlich zu ihr gewesen... konnte sie es wagen, dies nun auch zu ihm zu sein? Sie war sich da nicht so sicher. Unsicher biss sie sich leicht auf die Unterlippe und wandte den Blick wieder dem Feuer zu, wobei sie ihre Beine erneut enger an sich zog. Sie wollte ihn nicht anlügen, aber sie konnte ihm auch nicht die ganze Wahrheit sagen. Dazu war sie sich zu unsicher, ob sie ihm vertrauen konnte. Also versuchte sie einfach so dicht wie möglich bei der Wahrheit zu bleiben. „Ich war auf dem Weg in die nächste Stadt, um Schutz vor der Witterung zu suchen.“, antwortete sie schließlich zögernd. „Ich dachte, ich hätte mich verlaufen, als ich dein Pferd hörte.“ Nun und wie das geendet war, wussten sie ja beide. Also zuckte sie nur leicht mit den Schultern. Die ärgerlichen Nachfragen lenkten ihren Blick irritiert zurück zu Gabriels Gesicht. Woher kam diese erneute Wut? Verwundert schüttelte sie leicht den Kopf. „Ich war allein.“, informierte sie ihn kühl, aber fest -und unterließ es ihm zu sagen, dass sie nicht wusste, ob jemand hinter ihr her war. Sie nahm es an. Aber sie wusste es nicht mit Sicherheit. Auch nicht, wie nah diese Verfolger gegebenenfalls waren. Wieso also ihre Lage verschlechtern? Denn etwas sagte ihr, dass ihm die ehrliche Antwort nicht gefallen würde. „Was ist mit dir? Wieso warst du alleine unterwegs?“, drehte sie den Spieß entschlossen um und musterte ihn ebenso misstrauisch wie er sie eben noch.
Und dann waren sie doch wieder am Anfang angelangt. Sie ahnte es schon, als sein Blick irgendwie panisch herum zu gleiten begann. Anfangs versuchte sie sich damit zu beruhigen, dass dies nur das Fieber war. Das er einfach nicht genug Tee zu sich genommen hatte. Sein Blick verlor erneut zunehmend an Klarheit, verriet, dass ihn das Fieber immer mehr beutelte. Weswegen sie bei seiner gereizten Frage nur traurig lautlos seufzte. „Du hattest sie zuletzt.“, ermahnte sie ihn leise und ruhig, wobei sie sich vorsichtshalber aber keinen Millimeter bewegte. Gabriel wirkte, als würde er jeden Moment auf sie losgehen wollen. Nun und wozu ein weißer Mann in eine fiebrigen Wahnvorstellung fähig war, wollte sie lieber nicht heraus finden. Als er in dem Augenblick zu brüllen anfing, zuckte sie doch kurz zusammen. Dann straffte sie sich jedoch entschlossen und ließ ihre Beine in einen Schneidersitz sinken. Ihre Hände hob sie deutlich sichtbar für ihn an. „Ich habe ihn nicht.“, versuchte sie ihn zu beruhigen, doch sie ahnte schon, dass ihre Stimme gar nicht mehr zu ihm durchdrang. Dazu brauchte sie nicht den hell lodernden, fast irren Zorn in seinen fiebrigen Augen zu sehen.
Einen Moment lang erwog Dakota aufzustehen und draußen abzuwarten bis er seinen Anfall überwunden hatte. Doch sie wagte es nicht, ihn in dieser Verfassung alleine zu lassen. Was wenn er sich noch einmal verletzte? Oder gar die Decke oder Hütte in Brand setzte? Nein. Das durfte sie nicht riskieren. Also zog sie langsam und vorsichtig, den Blick wachsam auf ihm ruhend, die Beine unter sich. So konnte sie falls nötig schneller reagieren. Im Augenblick ging allerdings herzlich wenig Gefahr von Gabriel aus. Er war zusammen gesunken und zitterte so sehr, dass es Dakota Angst machte. Sein Fieber musste sprunghaft angestiegen sein. Das war nicht gut! Bedacht schob sich Dakota näher zu ihm. Sein Blick war so starr in den Raum gerichtet, dass sie einen Moment bangte, sein Herz hätte aufgehört zu schlagen. Einzig seine flachen, hektischen Atemzüge sprachen dagegen. Langsam streckte sie die Hand aus, um das feuchte Tuch von seiner Stirn zu ziehen und es auszuwringen. Sie wünschte, sie hätte mehr Leinen zur Verfügung. Dann könnte sie ihn mit Wickeln versorgen. Doch diese Möglichkeit hatte sie nicht. Also legte sie ihm nur wieder den kühlenden Stoff auf die Stirn.
Nachdenklich blieb sie neben ihm hocken, musterte seine angespannten Züge und überlegte, was sie noch tun konnte, um das Fieber aus seinem Kopf zu ziehen. In dem Moment fing er an wirr zu reden. Besorgt zog Dakota die Augenbrauen zusammen. Wen sollte sie seiner Meinung nach geholt haben? Und wieso sollte dieser jemand sie beide umbringen wollen? Nun verengte sie ihre Augen angespannt. Vielleicht hätte sie lieber ihn fragen sollen, wer hinter ihm her war. Kalte Angst breitete sich in ihr aus. In was hatte er sie da hinein gezogen? Einzig sein leerer Blick verhinderte, dass sie aufsprang und aus der Hütte flüchtete. Stattdessen erwischte sie sich dabei, wie sie neben ihm auf die Knie glitt und ihre Hände nervös über ihre Schenkel rieb. Sie musste etwas tun... Nur was? Er fantasierte eindeutig. Denn seine geknurrten Worte konnten unmöglich an sie gerichtet sein. Sie hatte ihn immerhin gerade weder angesprochen, noch berührt. Zu gerne würde sie hören, was er hörte. Was auch immer es war, es erhitzte seinen Körper nur noch mehr. Seine irgendwie hilflos wirkende Wut strahlte förmlich von ihm ab. Sie wusste, dass es unklug war und doch konnte sie ihre Hände nicht aufhalten. Als hätten sie ein Eigenleben entwickelt, streckte sie eine aus und legte ihre klammen Finger an seine heiß glühende Wange, während die andere nach seiner Hand griff. „Gabriel...?“, wisperte sie ebenso hilflos wie besorgt. Denn ihr war bewusst, dass sie keine Antwort erwarten konnte.
Gabriel wartete. Lauerte wie eine Katze, während er die ätzenden Atemzüge seines Vaters hörte. Als ihn etwas im Gesicht berührte, war er nur noch fähig zu handeln. Seine Augen nahmen die Person, die sich bedrohlich über ihn beugte verschwommen, aber nun bewusst wahr. Zielsicher schoss seine Hand vor und fand ihr Ziel, die Kehle seines Vaters, die er mit brutalem Griff wütend umschloss und zudrückte. Zeitgleich bäumte sich sein Oberkörper auf und während er seinen Angreifer, dessen erstickende Atemzüge er mit Wonne vernahm, auf den Boden zwang, rollte er sich mit einer fließenden Bewegung über ihn. Sein Körpergewicht und der Griff um den Hals hielten seinen Vater nun mit Leichtigkeit unter sich. Vergessen waren das schmerzende Bein und das Fieber, das ihn beutelte. Auch wenn seine letzte Handlung das Töten seines Vaters sein würde, so hatte dies doch zumindest noch einen Sinn. Den alten Sack mit in die Hölle zu nehmen wäre das schönste auf Erden für Gabriel. Mit sicherem Griff der noch freien Hand löste er das Messer aus seiner Hosentasche, an das er sich mit einem Mal ohne Probleme erinnerte. Die Hand an der Kehle wurde daraufhin von der scharfen Klinge seines Messers abgelöst. Gabriel hätte im Nachhinein nicht einmal genau sagen können, ob sein Vater Widerstand leistete oder erstarrt unter ihm lag. Er war wie im Rausch und handelte ohne andere Eindrücke oder Störungen überhaupt bewusst wahrzunehmen. Mit einem Mal hatte er so viel Kraft, das er Bäume ausreissen könnte. Das Adrenalin schoss ihn durch die Blutbahnen und bestärkte ihn in seinen Vorhaben. Sein Vater würde mit ihm sterben. Die Klinge drückte gegen die Haut seiner Kehle. Gabriel sah die verschwommene Fratze seines Vaters. „Sag mir wo ich zuerst anfangen soll. Soll ich dir die Augen rausschneiden oder besser gleich die Zunge, dass ich deine verhasste Stimme nicht länger ertragen muss.“ Doch er erhielt keine Antwort. Gabriel drückte fester mit der Klinge zu, bis er die warme Flüssigkeit des Blutes an seinen Fingern spürte. Mit einem Mal erzitterte das Bild vor seinen Augen. Für Sekundenbruchteile sah er eine Frau unter sich liegen, der er die Klinge an die Kehle drückte. Gabriel blinzelte irritiert. Das Bild wechselte wieder zurück und er sah seinen Vater wieder vor sich, der das fiese Lächeln immer noch auf dem Gesicht hatte. Dann jedoch verschwamm das Bild wieder und wurde abermals von einer Frau abgelöst. Gabriel zog irritiert die Augenbrauen zusammen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Seine zweite Hand hatte unterhalb der Klinge wieder fest die Kehle umschlossen, um seinen Vater in Position zu halten. Doch Gabriel hatte nicht das erwartete raue Kinn eines Mannes unter den Fingern. Die Haut war erstaunlich weich und zart und kaum hatte er sie mit der Klinge berührt, hatte sie auch schon zu bluten begonnen. Das Bild vor seinen Augen erbebte und schwankte. Er spürte den warmen und beinah geschmeidigen Körper unter sich. Sein Vater hatte Kraft, das wusste er. Und jetzt da er angeschlagen war, hätte er ihn normalerweise mit Leichtigkeit von sich schieben können. Aber nichts dergleichen geschah. Oder hatte er es einfach nicht wahrgenommen? Das Knistern des Feuers drang an sein Ohr, ebenso der muffige Geruch der alten Hütte…. Allmählich setzte sich die Gegenwart wie ein Puzzle vor seinen eigenen Augen wieder richtig zusammen. Und was er da sah, konnte er im ersten Moment kaum glauben. Unter ihm lag Dakota, deren Kehle er fest zudrückte und gleichzeitig die Klinge daran hielt. Einen Moment sah er sie irritiert an, bis er begriff, dass sein Vater nie hier gewesen war und er fantasiert hatte. „Dakota!“ wich es ihm erschrocken über die Lippen und er zog seine Hände mit dem Messer sofort zurück, als hätte er sich an ihr verbrannt. Ungläubig sah er an sich herunter. Sah sein verletztes Bein, das er wie selbstverständlich über ihre Beine gelegt hatte und sie gefangen hielt, während sein Oberkörper ihren beinah zu erdrücken drohte. „Dakota….“ murmelte er unter Schock vor sich hin und begann sofort sein Gewicht so zu verlagern, das er sie wieder freigeben konnte und neben ihr lag. Mit völlig blassen Gesicht, das vom Fieberschub schweissnass glänzte, sah er sie mit Augen an, die einem Kind in Sachen Unschuld Konkurrenz hätten machen können. Er hatte fantasiert und Dakota bedroht. Einen Moment ließ er seinen Blick prüfend durch die Hütte gleiten, doch hier war niemand ausser sie beide. So wie die ganze Zeit es auch nie anders gewesen war. Der grauenvolle Schmerz kehrte mit Macht zurück, doch Gabriel ignorierte dies weitgehend. Auch das sein Bein wieder in Flammen stand vor Schmerz, seit der unbedachten Bewegungen während seines Angriffs. Gabriel sah wieder zu Dakota und sah das Blut das auf ihrer hellen Haut in dünnen Rinnsälen sich seinen Weg suchte. Er ergriff den feuchten Lappen, der in seine Nähe lag und hob ihn ihr entgegen. „Hier…“ murmelte er immer noch völlig verwirrt und einsilbig und drückte kurzerhand den Lappen gegen die Schnittwunde an ihrem Hals. Immernoch konnte er nicht begreifen was geschehen war. Er fühlte sich einfach nur erledigt. Fertig mit sich und seinem Körper. Und offenbar war er auch dabei den Verstand zu verlieren. Seine Nerven lagen blank. Er war sich sicher gewesen sein Vater wäre hier. Er hatte ihn gehört, ja sogar seinen Atem gespürt. Er hatte ihn vor sich gesehen! Und nun sollte er sich das alles nur eingebildet haben? Gabriel wusste, dass eine Entschuldigung die Behandlung Dakotas nicht wieder gut machen würde. Deswegen sparte er sich die flauen Worte gleich komplett. Doch in seinem Blick lag Bedauern und eine gewisse Schuld, die er sich eingestehen musste. Der einzige Mensch, der ihm hatte helfen wollen, wäre beinah von ihm umgebracht worden. Es hatte nicht mehr viel gefehlt. Wann wäre ihm dann aufgefallen, wen er wirklich getötet hatte? Wäre er vielleicht erst aufgewacht, wenn ihr warmes Blut in Strömen über seine Hand geflossen wäre? Oder wäre er nach dem Kraftakt direkt neben ihr gestorben in dem Glauben seinen Vater mitgenommen zu haben. Gabriel fuhr sich mit zittriger Hand über das glänzende Gesicht. Es kostete ihn auch weiterhin Mühe seinen Oberkörper aufrecht zu halten und bei Sinnen zu bleiben. Fort war die Kraft, die ihn eben noch beflügelt hatte und die bereits wohlbekannte Schwäche wollte sich wieder seiner bemächtigen. Doch er musste wissen ob es Dakota gut ging und wie sie auf sein Handeln reagieren würde. Also harrte er aus. "Bist du in Ordnung?" fragte er und sah sie dabei direkt an.
Hätte sie gewusst, was die besorgte Berührung auslösen würde, sie hätte ganz sicher nie ihre Hand nach Gabriel ausgestreckt. Doch nun war es zu spät. Nun fand sich Dakota, nur einen Wimpernschlag, nachdem ihre kühlen Finger seine vor Fieber heiß glühende Haut berührt hatten, auf dem Rücken wieder. Einen offensichtlich vollkommen in seiner Fieberfantasie gefangenen Gabriel auf sich, seine Hand erstaunlich fest um ihre Kehle geschlossen, so dass ihre Lungen sich nur noch leise zischend mit Sauerstoff füllen konnten. Doch das registrierte das Halbblut ohnehin nur noch am Rande. Zu sehr lenkte sie die aufsteigende Panik ab. Angst ausgelöst durch seinen Blick, der ihr verriet, dass er vergessen hatte, wo er war und mit wem. Blanker Hass und der Wunsch zu töten, standen in den fiebrig glänzenden, aber leeren Augen.
Eine Einschätzung, die schnell noch durch den Druck einer scharfen Klinge an ihrer Kehle bestätigt wurde. Ein Beben durchlief den schlanken Körper, bevor Dakota erstarrte, als sie spürte wie ihr Blut warm über ihren Hals lief. Von einem Moment auf den anderen rührte sich außer ihren Augenlidern und ihrer Brust nichts mehr. Aus Angst, ihn noch weiter zu reizen, ihm gar den Auslöse zu liefern, den er brauchte, um nicht nur durch ihre Haut, sondern tiefer zu schneiden. Dabei fielen ihr die flachen, erzwungen ruhigen Atemzüge zunehmend schwer. Nicht nur wegen seinem Gewicht, sondern auch wegen der sich stetig vertiefenden Angst um ihr Leben, die ihr Blut immer schneller durch ihren Körper pumpte, so dass es ihr bald in den Ohren rauschte und ihr Herz so heftig schlagen ließ, dass sie fürchtete, allein dessen Trommeln könnte Gabriel zu etwas verleiten, was sie unbedingt vermeiden wollte. Etwas, was seine Worte nur noch deutlicher werden ließen.
Ein stummes Wimmern stieg in Dakota hoch, als sie mit einem zittrigen Atemzug die Augen schloss. Krampfhaft versuchte sie ruhig zu bleiben, der Panik nicht noch mehr Raum zu geben. Trotzdem drangen unaufhaltsam Tränen unter ihren Lidern hervor, zogen weitere feuchte Spuren über ihre nahezu blutleere Haut. Da verstärkte sich der Druck der Klinge, ließ noch mehr Blut fließen. Ein panisches Zittern erfasste Dakota und doch schaffte sie es einfach nicht, um ihr Leben zu kämpfen. Nicht, weil sie nicht leben wollte, sondern aus erlernter Angst vor den unbedachten brutalen Handlungen weißer Männer. Still liegen und erdulden... es hatte ihr schon so oft das Leben gerettet. Doch noch nie war es ihr so schwer gefallen.
Plötzlich erstarrte auch Gabriel, hielt irritiert blinzelnd inne, bevor seine Finger sich ohne jede Ankündigung noch fester um ihre Kehle legten. So fest, dass sie keine Luft mehr bekam. Nun bäumte sie sich doch einen Hauch weit auf, spannte sich an und krallte ihre Finger in den morschen Holzboden unter ihnen. Die Splitter, die sich in ihre Nagelbetten gruben, schickten einen gnadenlosen Schmerz durch ihren Körper und ließen sie wieder zu Sinnen kommend ein weiteres Mal innerhalb von Sekundenbruchteilen erstarren. Die Augen noch immer fest geschlossen, wollte sie doch Gabriels von Fieber und Wahn verzerrtes Gesicht nicht sehen. Doch dann passierte etwas, womit sie im Leben nicht gerechnet hätte: Sie hörte ihren Namen. Erschrocken, fassungslos... erkennend. Ängstlich, ob sie sich dies nur eingebildet hatte, hoben sich ihre Lider. Es dauerte jedoch eine Weile, bevor sie Gabriel durch den steten Tränenschleier erkennen konnte. Er sah sie tatsächlich an. Sie. Nicht seine verhasste Fantasie.
Verschwunden waren Klinge und Hand, sogar das erdrückende Gewicht seines Körpers... und doch rührte sich Dakota einen weiteren bebenden, aber befreiten Atemzug lang nicht. Dann jedoch schoss ihre eigene Hand an ihre misshandelte Kehle, während sie sich mit dem anderen Arm ungelenk etwas hoch stemmte und so schnell wie ihre zitternden Glieder es zuließen von Gabriel weg kroch. Bis sie die seltsam tröstliche kalte Wand hinter sich spürte und sich nach Atem ringend an diese lehnte. Ihren von Schmerz, Schock und den gnadenlosen Erinnerungen verdunkelten Blick unentwegt auf Gabriel gerichtet, falls er sich doch noch einmal auf sie stürzen sollte.
Auch wenn er wahrlich nicht mehr danach aussah. Eher wirkte er so, als wenn ihn die Kraft, die ihn eben noch zu dieser unerwarteten Attacke beflügelt hatte, rasant verließ. Im gleichen Maß, in dem die Schmerzen wieder zurück kehrten. Blass musterte sie ihn aus weit aufgerissenen Augen. Versuchte zu erkennen, ob die Gefahr wirklich überstanden war. Denn so recht mochte sie dem unschuldig geschockten Ausdruck auf seinem Gesicht nicht Glauben schenken. Was wenn er sie nur so ansah, damit sie sich ihm wieder näherte? Damit er beenden konnte, was er eben doch abgebrochen hatte... Sie zuckte gegen ihren Willen zusammen, als er in dem Augenblick wieder zu ihr sah, nachdem er nahezu fassungslos die verlassene Hütte betrachtet hatte. Als er nach dem feuchten Lappen griff und ihn in ihre Richtung hob, schreckte sie sogar noch mehr zurück. Doch alles, was er tat war, den Lappen auf den Schnitt zu drücken. Verwirrt blinzelte Dakota ihn an, bevor sie ihre Finger auf das feuchte Tuch legte, um dieses an Ort und Stelle zu halten.
Ganz langsam schob sie sich etwas dichter an den Kamin, um die Wärme des noch immer flackernden Feuers zu suchen. Jetzt, wo ihr Herz nicht mehr raste, ihr Blut wieder langsamer floss, fror sie auf einmal bitterlich. Sie musste sogar die Zähne zusammen beißen, um zu verhindern, dass diese lautstark aufeinander schlugen. Vorsichtig, jede unbedachte Bewegung vermeidend, zog sie ihre Beine an den Oberkörper und umschlang diese mit dem freien Arm. Wobei ihre Muskeln ohnehin keine schnellere Bewegung zugelassen hätten. Ihr Körper fühlte sich steif an und schmerzte von dem angestrengten ruhig Halten. Schaudernd presste sich Dakota dichter an die wärmenden Steine, versuchte nicht daran zu denken, was eben passiert war. Versuchte sich daran zu erinnern, dass Gabriel nicht gewusst hatte, was er tat. Es half nicht. Auch sein aufgewühlter, bedauernder, gar schuldbewusster Blick half nicht. Selbst wenn dieser einen kleinen Teil in ihr besänftigte, das Zittern einen Hauch weit abflachen ließ.
Als er die Hand hob zuckte sie erneut zusammen. Ohne das sie es verhindern konnte, hatte sie auf einmal das Bild eines anderen Weißen vor Augen. Ihr Mann wechselte mit ihrem Vater und all den anderen vermeintlichen Freunden, die sie im Laufe der Jahre geschlagen und misshandelt hatten. Wieder traten ihr die Tränen in die schockgeweiteten Augen. Doch dieses Mal hob sie ihr Kinn an, mahnte sie sich selber, dass Schwäche sie in diesem Moment nicht weiter brachte. Sie hatte überlebt. Sie war noch immer frei. Mehr zählte nicht. Seine Stimme lenkte ihren Blick zurück zu ihm. Wachsam, vielleicht sogar eher misstrauisch betrachtete sie ihn forschend. Was interessierte ihn das? Wollte er das wirklich wissen? Sie wusste es nicht zu sagen. Also nickte sie nur zögernd und senkte dann den Blick. Bedacht hob sie die Hand, um beidhändig das Tuch von ihrer Kehle zu nehmen, sorgsam neu zu falten und erneut auf den brennenden Schnitt zu legen. Erschöpft und noch immer innerlich frierend legte sie den Arm wieder um sich und lehnte den Kopf an die wärmenden Steine des Kamins, darauf lauschend, was Gabriel machte...
Gabriel hätte damit umgehen können, wenn Dakota ihn angeschrieen hätte. Er hätte sogar Verständnis gehabt, wenn sie nach ihm geschlagen und ihn beschimpft hätte. Sogar wenn sie nun endgültig die Nase voll von ihm gehabt hätte und geflohen wäre, möglicherweise mit seinen Sachen und seinem Pferd, ja, auch dann wäre er voller Verständnis gewesen. Und das allein war auch Schock genug für Gabriel. Seit wann hatte er Verständnis für irgendwen oder irgendwas? Aber er hatte Dakota verletzt. Hatte sie beinah umgebracht in seinem Wahn. Und alles wäre besser gewesen, als sie jetzt so sehen zu müssen und sich dafür verantwortlich zu fühlen. Ein Häufchen Elend saß zusammengekauert in einer Ecke. Sie machte ihm keine Vorwürfe, sie sah nicht einmal ärgerlich oder wütend aus. Nein. Sie hatte stattdessen grenzenlose Angst vor ihm. In ihren Augen stand Panik, die sich mit den körperlichen Anzeichen eines Schocks verband. Ihr Körper bebte und zitterte und sie war aschfahl. Ihre Wangen glänzten feucht, als hätte sie geweint. Gabriel konnte sich nicht erinnern. Und das war genau das Problem. Er konnte sich nicht erinnern Dakota so brutal gepackt und bedroht zu haben. Er hatte doch seinen Vater gesehen. Ihn gespürt und gehört. Wie hatte er so die Kontrolle über sich selbst verlieren können? Bei jeder seiner Bewegungen sah er wie sie zusammenzuckte und ihr Atem sich beschleunigte. Sie sah ihn an als wäre er der Leibhaftige und möglicherweise war er das sogar vor kurzem gewesen. Er hatte Töten wollen. Er hatte den Puls unter seinen Fingern gespürt und die Kehle, die er hasserfüllt immer mehr zugedrückt hatte. Doch nichts davon hatte mit Dakota zu tun. Wie sollte er ihr erklären, dass sie versehentlich zwischen die Fronten geraten war? Zwischen ihn und seinen verhasstem Vater. Hasste er ihn so sehr, dass er nicht mehr zwischen Realität und Fiebertraum unterscheiden konnte? Gabriel wendete den Blick von Dakota ab. Selbst das schien ihr nun unangenehm zu sein. Beschämt sah er auf den staubigen Boden der alten Hütte. Die Situation überforderte auch ihn völlig. Auf seine Frage hin hatte sie nur traurig genickt. Nach allem hatte er wohl kein Recht auf eine Antwort.
Gabriels Augen glänzten weiterhin fiebrig, seine Wangen hatten eine für ihn ungesunde rote Färbung angenommen und er war schweißgebadet von Kopf bis Fuß. Gabriel fühlte sich hundsmiserabel und der Vorfall von eben tat sein übriges dazu. Die Luft war nun endgültig raus und er begann mit sich selbst abzuschließen. Vielleicht hatte er es längst nicht mehr verdient überhaupt noch am Leben zu sein. Hatte man ihm das nicht von klein auf immer wieder vorgehalten? Jeder Atemzug war ihm doch missgönnt gewesen. Seine Seele wäre verkommen und bösartig hatte er ständig vorgehalten bekommen. Vielleicht war all das Gerede doch wahr gewesen. Das hatte er soeben bestens bewiesen. Der einzige Mensch, der es einmal gut mit ihm zu meinen schien, brachte er beinah um. Die Bösartigkeit hatte wieder in ihm zugeschlagen und Dakota hatte beinah mit dem Leben dafür zahlen müssen. So oder so ähnlich hätte seine Stiefmutter die Situation beschrieben. Gabriel kniff die Augen zusammen. Woher kamen all diese rührseligen und belastenden Erinnerungen? Er wollte überhaupt nicht darüber nachdenken. Weder über seine Vergangenheit noch über die Gegenwart und den Vorfall mit Dakota. Bisher war es ihm immer gelungen die unangenehmen Ereignisse bewusst zu verdrängen, zu vergessen oder zu ignorieren. Doch dieses Mal gelang Gabriel das nicht.
Schuldgefühle. So etwas hatte es für Gabriel nie gegeben. Es war ein unangenehmes Empfinden und Gabriel mochte es nicht sich so zu fühlen. Man fühlte sich einfach nur schrecklich. Verantwortlich für etwas zu sein und mit einem anderen Menschen mitzufühlen bedeutete doch nur doppeltes Leid oder nicht? Es war praktischer sich niemals so fühlen zu müssen. Wenn man sich nur auf sich selbst konzentrierte und seine Mitmenschen ignorierte ging es einem viel besser. Dann entstanden erst gar nicht diese Situationen wie es hier nun der Fall war. Wenn er jemand verletzt hatte, dann hatte dieser es meist verdient gehabt. Meist hatte darauf eine ordentliche Schlägerei gefolgt oder Gabriel hatte mal wieder richtig sein Fett wegbekommen und hatte eine Nacht in einer Zelle nächtigen müssen. Auge um Auge war nur gerecht. Wenn es die Situation erfordert hatte, dann waren natürlich auch von Waffen Gebrauch gemacht worden. Noch nie hatte Gabriel sich gefragt, was aus den Menschen geworden war, die er mit einer Kugel oder seinem Messer verletzt hatte. Warum auch? Sie hatten es in der Regel verdient gehabt und er hatte sich verteidigt. Umgekehrt hatte es auch nie jemanden interessiert, wenn er verletzt worden war. Aber noch niemals hatte er jemanden etwas getan, der völlig wehrlos war. Der ihm nicht ebenbürtig war und der nun bei seinem Anblick tief erschütternde Angst empfand.
Gabriel fand keine Worte, die sein Vergehen wieder gut machen würden. Und er fühlte sich schlecht deswegen. Vielleicht war es auch der stete Schmerz seiner Wunde, der ihn allmählich weich werden ließ. Kurzerhand fasste er einen Beschluss. Und auch dieser sollte das erste Mal sein, dass er so handelte. Vorsichtig tastete er nach seine Revolver, der immer noch im Holster an seinem Bein steckte. Dass er diesen vor ein paar Minuten noch gesucht hatte und Dakota dafür angebrüllt hatte, war ihm nicht mehr in Erinnerung. Auch das Messer, das er achtlos neben sich gelegt hatte, fand er nun mühelos. Mit langsamen und ruhigen Bewegungen legte er die beiden Waffen nebeneinander und schob sie in Dakotas Richtung. „Wenn…“ begann er ohne sie dabei anzusehen und zog seine Hand wieder vorsichtig zurück, „wenn das noch mal passiert, dass ich nicht Herr meiner Sinne bin und dich angreife“ er riskierte einen kurzen Blick zu ihr, bevor er wieder auf die Waffen schaute, „.. dann benutzt du die hier. Nimm’ am besten den Revolver. Wenn du auf meinen Kopf oder Oberkörper zielst kannst du nicht viel falsch machen. Einfach abdrücken.“ Es war wohl nicht gerade die Art von Entschuldigung, die Dakota gebraucht hätte, aber es war Gabriels Art um Verzeihung zu bitten. Und er wollte, dass sie sich wieder sicher in seiner Nähe fühlte. Er selbst wollte ebenfalls Gewissheit haben, dass er nicht in einem neuerlichen Wahnanfall doch noch Dakota verletzte oder gar umbrachte. „Einer Frau habe ich noch nie Leid zugefügt, Dakota. So etwas mache ich nicht.“ gab er kleinlaut von sich und bettete sich unter einem Stöhnen wieder in eine liegende Postion. Bewusst wandte er sich etwas ab von ihr, um ihr auch hier mehr Sicherheit zu geben, in dem er sie nicht unentwegt anstarrte. Sein Blick verfing sich dabei wieder im Feuer, das irgendwie beruhigend auf ihn einwirkte. Niedergeschlagen beobachtete er die züngelnden Flammen und bemerkte die Müdigkeit, die sich in ihm hocharbeitete. Die Schmerzen waren auch weiterhin unerträglich, aber Gabriel hatte keine Lust mehr dagegen anzukämpfen. Er nahm sie zur Kenntnis, fühlte die Schwäche, die sich seiner Glieder bemächtigte und ließ auch das angestrengte Zittern zu, das ihn immer wieder in Schüben überkam. „Ich denke ich bin keine Gefahr mehr für dich.“ gab er monoton von sich, denn nun erkannte auch er endlich, dass das letzte bisschen Kraft aufgebraucht war. Vergeudet an eine Wahnvorstellung, die letztendlich nur erreicht hatte, das das kleine bisschen Vertrauen zwischen ihnen zerstört war.
Wieso war sie nicht gegangen? Sie hätte spätestens jetzt jedes Recht dazu. Er würde sich nicht einmal wehren, wenn sie ihm die Satteltaschen mit seinem Geld unter dem Kopf wegreissen würde. Auch sein Pferd konnte sie haben. Es schien doch sowieso mit ihm zu Ende zu gehen. Doch dann würde er niemals erfahren, warum sie bei ihm blieb. Und das verwunderte Gabriel immer mehr.
Gabriel kniff die Augen zusammen, als der Schmerz beinah übermächtig wurde. Sein Bein marterte ihn und die Gliederschmerzen trieben ihn allmählich wirklich in den Wahnsinn. Ein Glück, dass er sich von Dakota abgewandt hatte und sie nicht sehen konnte, dass er nicht länger den Schmerz verdrängen konnte. Als ob sein Wahnanfall sämtliche Wände in ihm eingerissen hatte, so war es ihm auch nicht länger möglich den Schmerz auszublenden. Mit einem lauten Schnaufen griff er nach der Decke, die noch halbwegs auf seinen Beinen lag und zog sie hektisch von sich, um sie in Dakotas Richtung zu schleudern. Dass er sie damit womöglich wieder erschrecken würde, war ihm erst danach klar. Er glühte am ganzen Körper und sie fror. Sie sollte die Decke haben, wie er es schon die ganze Zeit gewollt hatte. Er streckte die Hand nach der Kelle aus, die in dem Topf lehnte, der dieses seltsame Gebräu enthielt. Laut Dakota sollte dies doch das Fieber senken und den Schmerz betäuben. Er streckte die Finger aus und versuchte aber dabei liegen zu bleiben. Er konnte und wollte sich nicht mehr aufrichten. Aber er wollte den Schmerz loswerden. Wieder verfehlte seine Hand nur knapp den Griff der Kelle. Erschöpft ließ er die Hand sinken. Dakota konnte er nicht darum bitten. Bei einem erneuten Versuch bewegte er sich ruckartig und brachte so auch sein schmerzendes Bein in Bewegung. Ein Stechen, als hätte ihm jemand in diesem Moment das Bein mit einem Schwert abgetrennt, ließ ihn aufschreien. Ermattet blieb er liegen und lauschte seinem eigenen Atem, der sich beschleunigt hatte, als der Schmerz übermächtig wurde. Er hasste das alles hier. Er hasste es sich so zu fühlen, er hasste es verletzt zu sein und er hasste sich selbst, sein Leben und was er daraus gemacht hatte in diesem Moment so abgrundtief, dass zu sterben plötzlich gar nicht mehr so schlimm erschien. Womöglich würde er der Welt einen Dienst erweisen, wenn er sie endlich verlassen würde. Sollte sein Vater doch die glückliche Nachricht erhalten, dass sein Bastard in einer Hütte verreckt war. Gabriel war es egal. Die Augenlider begannen zu zittern. Er war so müde. Einfach nur müde. „Ich will nicht mehr….“ keuchte er und schloss die Augen.
Sie sollte sich bewegen. Fort von ihm. Fort von dieser Hütte. Sie wusste das. Doch sie rührte sich keinen Millimeter von der Stelle. Still und regungslos, von dem andauernden, einfach nicht stoppen wollenden Beben abgesehen, verharrte sie auf ihrem Platz am Kamin. Die Sinne allein auf Gabriel gerichtet. Alle außer den Blick. Diesen hielt sie noch immer sorgsam gesenkt. Sie brauchte ihn nicht anzusehen, um zu sehen, was er machte. Das verrieten ihr auch ihre anderen Sinne. Denn er war nicht leise. Seine schwere Atmung verriet ihr, dass die Schmerzen wieder da waren, schlimmer wie vorher, aber auch dass er sich seines Fiebers wieder bewusst war. Seine schweren Bewegungen zeichneten sich an dem Geräusch seiner Stiefel oder des Stoffes seiner Kleidung auf dem Holzboden ab. Nein, sie brauchte ihn nicht anzusehen, um zu wissen, dass er sich noch immer nur notdürftig aufrecht hielt.
Erst als sie zwei leise Geräusche hörte, die sie nicht einzuordnen wusste, hob sie den Blick. Sie sah ihn jedoch nicht direkt an, sondern musterte ihn nur durch ihre Wimpern hindurch. Verborgen, unauffällig, versteckt... sicher. Da lag ein Ernst auf seinem Gesicht und eine Schuld, die sie noch nie auf dem Gesicht eines Weißen gesehen hatte. Erst recht nie wegen etwas, was man ihr angetan hatte. Verunsichert senkte sie den Blick etwas und erfasste die beiden Waffen vor ihm. Genau in dem Augenblick, als er diese in ihre Richtung schob und sein Schweigen brach. Irritiert zogen sich ihre Augenbrauen zusammen, ebenso wie sie ihre Beine einen Moment lang ohne es zu merken noch enger an sich zog, sich noch enger an den tröstlich warmen Kamin presste. Seine Worte ergaben keinen Sinn für sie. Verwirrt hob sie nun doch den Blick, erwiderte sein kurzes Aufschauen aufgewühlt.
Als er seinen Blick zurück auf die Waffen senkte, blieb der ihre auf ihm ruhen. Langsam drang der Sinn seiner Worte zu ihr durch, drang durch den Nebel, den der Schock um ihren Verstand gelegt hatte. Bis sie verstand. Mehr oder weniger. Denn sie verstand nicht, wieso er ihr das Werkzeug zu ihrer Verteidigung lieferte. Wieso er sie regelrecht dazu aufforderte, ihn zu... töten, sollte er sich noch einmal mit der Absicht zu töten im Fieberwahn auf sie stürzen. Ihr Atem stockte einen Herzschlag lang, als ihr wirklich aufging, was er da von ihr verlangte. Sie konnte nicht töten. Nicht bewusst. Nicht... auf diese Art und Weise. Blass starrte sie ihn fassungslos an. Doch er schien gar nicht zu bemerken, was seine Worte anrichteten.
Er sprach leise, nahezu... kleinlaut weiter und bestätigte letztendlich indirekt das, was sie ohnehin gewusst hatte. Das er nicht sie gemeint hatte, nicht sie hatte töten wollen. Ihr Verstand wusste das. Ebenso wie dieser wusste, wie viel Überwindung ihn diese letzte Handlung gekostet haben musste. Und doch konnte sie ihre Zweifel, ihr Misstrauen ihm gegenüber noch immer nicht ablegen. Genauso wenig wie die Angst. Wieder verblüffte er sie, indem er sich nur wieder hinlegte, sich sogar leicht von ihr abwandte. Kein Versuch, sich ihr zu nähern. Kein wütendes Anfahren, weil sie nur ängstlich neben dem Kamin hockte. Keine einzige Reaktion wie sie jene kannte und erwartete. Stattdessen lag da ein gewisses Verstehen in seinem Verhalten. Neben Bedauern. Nein, sie verstand ihn in diesem Moment noch viel weniger wie in allen zuvor.
Nachdenklich musterte sie ihn. Wie er da lag, in die Flammen sah und so offensichtlich mit seinem Körper kämpfte, dass sie ihre Position doch fast aufgegeben hätte. Doch sie blieb, wo sie war. Streckte nicht noch einmal die Hand nach ihm aus, streckte sie aber ebenso wenig nach einer der Waffen aus. Sie harrte einfach und wartete ab. Wartete auf etwas, von dem sie noch nicht wusste, was es war. Sein monotones Eingeständnis war es sicher nicht. Jenes ließ sie sogar nach einem unwillkürlichen Zusammenschrecken eher zweifelnd schauen. Sie hatte lernen müssen, dass Männer in mehrerlei Hinsicht gefährlich werden konnten. Weit über das rein Körperliche hinaus. Denn das er ihr physisch im Augenblick nicht gefährlich werden konnte, erkannte sie auch. Seine Kräfte waren aufgebraucht. Ihn beherrschte nur noch der Schmerz. Doch auch dieser konnte Menschen zu merkwürdigen Taten verleiten.
Wofür das hektische Griff nach der Decke mit dem anschließenden Wurf in ihre Richtung nur der Beweis war. Blinzelnd löste Dakota ihre Haltung nun doch etwas, zog langsam die Decke vom Feuer weg und zögernd um sich. Dabei verfolgte sie angespannt, wie er versuchte, den von ihr zubereiteten Weidenrindentee, der wohl inzwischen eher einem wässrigen Sud ähneln dürfte, zu erreichen. Wieder zogen sich die Augenbrauen des Halbbluts irritiert zusammen. Vertraute er auf einmal auf den Tee? Es schien fast so. Nur das er diesen auch nach mehrmaligem Versuchen nicht erreichte. Abwägend betrachtete sie Gabriel, ließ ihren Blick zwischen diesem, der Kelle und den Waffen umher wandern. Sein Schrei lenkte ihren Blick zurück zu seinem Gesicht. Nichts als Schmerz stand in diesem. Schmerz und... Resignation.
Tatsächlich sank er in dem Moment matt in sich zusammen, blieb einfach liegen wie er war. Und das sah nicht wirklich bequem aus. Gegen ihren Willen besorgt lauschte sie seiner ungesund schnellen Atmung, die davon kündete, wie sehr er mit seinen Kräften am Ende war. Sie hätte jedoch nie im Leben die zwischen keuchenden Atemzügen ausgestoßenen Worte erwartet. Erschrocken richtete sie sich nun doch etwas auf. Doch er schloss nur die Augen und blieb ruhig liegen. Zu ruhig. Dakota wusste nicht, wie lange sie wartete, bevor sie sich sicher war, dass er wirklich schlief oder bewusstlos war. Erst dann wagte sie es ihre Haltung ganz langsam aufzugeben. Darauf bedacht, keinen Laut zu verursachen. Sie legte die Decke neben sich, den blutbesudelten Lappen auf die andere Seite. Dann schob sie sich behutsam auf die Knie und kroch vorsichtig näher zu Gabriel.
Noch immer schien keine Gefahr von ihm auszugehen. Einen Moment harrte sie noch abwartend, dann stand sie leise auf. Ihre Bewegungen waren routiniert, liefen mehr automatisch als willentlich ab, als sie sich als erstes einen Kräuterverband für ihren Schnitt fertigte. Dann legte sie Feuerholz nach, bevor sie die Pistole von Gabriel mit spitzen Fingern unter dessen Satteltaschen schob. Sein Messer hingegen legte sie griffbereit neben sich, als sie sich daran machte, ihn vorsichtig wieder in eine bequeme Position zu bringen. Sie wusste, dass sie ihn eigentlich von den durchschwitzen Kleidungsstücken befreien sollte. Doch das wagte sie nicht. Also beließ sie es dabei, die freiliegenden Hautpartien mit dem notdürftig gesäuberten Tuch vom Schweiß zu befreien und die Wunde an seinem Bein neu zu verbinden, wobei sie die restliche Kräutermischung verwendete. Anschließend tauschte sie das restlos blutige Wasser gegen frischen Schnee aus und stellte diesen unweit des Feuers zum Schmelzen hin. Dafür zog sie den mit etwas Schnee verdünnten Tee dichter zu Gabriel, so dass dieser ihn problemlos Erreichen konnte, so er das denn noch einmal versuchen wollte.
Sie wusste nicht, wie lange sie für all das gebraucht hatte. Ihre eigenen Kräfte neigten sich jedenfalls ebenfalls langsam zunehmend dem Ende zu. Doch sie zwang sich, noch einmal nach seinem Pferd zu sehen, dieses notdürftig zu versorgen, bevor sie erneut zögernd neben Gabriel trat. Prüfend betrachtete sie seine bleiche Haut, die nur durch das Fieber einige fast zornig rote Flecken aufwies. Ihr Blick glitt weiter zu der Decke, die noch immer dort lag, wo sie jene vorhin hatte liegen lassen. Dann tat sie etwas, was sie im Nachhinein wohl auf ihre eigene Erschöpfung schieben würde. Sie holte die Decke, breitete sie über Gabriel aus und streckte sich dann an dessen Seite aus. Den Rücken an seine heiße Seite geschmiegt, sein Messer in der einen Hand, die andere unter ihre Wange geschoben. Ein Beben durchlief ihren Körper, als die Ereignisse des Tages auch nun bei ihr ihren Tribut forderten und sie innerhalb weniger Atemzüge in einen tiefen Schlaf fiel.