Die Küche liegt gleich links vom Eingang und besitzt eine zweite Tür, die zum Servieren direkt ins Eßzimmer dient. Die Küche ist der kleinste Raum der Wohnung, beherbergt aber einen modernen Herd, der auch das Backen von Brot und Kuchen ermöglicht, wie eine Steinspüle. Wegen der Lage ist kein Pumpsystem vorhanden und es muss regelmäßig frisches Wasser über die Pumpe im Garten ins Haus geholt werden. Ein kleiner Tisch in der Mitte des Raumes wird gerne für Schulaufgaben genutzt, aber auch für das Kneten von Teig und Ausrollen von Teigen. Hinter der Tür beginnt eine Küchenzeile, die sich L-förmig bis zur Spüle erstreckt und Raum für Geschirr und Töpfe biedet, wie Besteck, Gläser und Tassen. An der Wand zum Eßzimmer befindet sich ein Vorratsschrank mit Salz, Mehl, Zucker, Kaffee, Tee und diversen Konservendosen.
Für die Kinder gut sichtbar angebracht, als Mahnmal der elterlichen Disziplin, hängt an der Küchentür ein Riemen, der jedoch meist Martha durch die mütterliche Hand droht. Ebenso hängen Matts Paddle als auch der bedrohliche Holzlöffel für Martha an der Küchenwand neben dem Vorratsschrank, so wie Francis Rasierleder. Darüber hängt in verschnörkelter Schrift auf eine Holzplatte eingraviert der Spruch: "Spare the rod and spoil the child."
Martha war tatsächlich mehr als nur ein wenig verstimmt und ihrer Laune entsprechend auch nur halb so konzentriert bei der Arbeit, wie sie es wohl besser gewesen wäre. Ihr drohte womöglich nach den neuen Regeln nicht sofort eine Abstrafung über Mutters Knie, aber sie würde es sicherlich in das Büchlein notieren müssen und wie rasch hatte man bei all den Missgeschicken, die einem am Tag unterlaufen konnten, sein Kontingent erfüllt? Das ging hier in ihrer Familie ganz schnell. Auch wenn die Spielregeln geändert worden waren. Und Martha war eigentlich nicht darauf erpicht herauszufinden wie diese neuen elterlichen Regeln auf sie angewandt wurden. Und doch achtete sie nicht darauf, dass sie das Wasser ordentlich in den Topf goss, wischte die feuchten Flecken nicht gleich vom Boden auf, noch rieb sie die Arbeitstheke trocken und beim Feuerschüren rieselte Asche auf den Boden. Doch statt diese gleich zusammen zu fegen, stapelte sie mürrisch das Geschirr in die Steinspüle und gab ein wenig Seife dazu. So viele Missgeschicke wie Mutter ihr die letzten Tage über durchgehen hatte lassen, befürchtete Martha zum ersten Mal seit sie denken konnte, nicht sofortige Strafe. Es war ein seltsam befreiendes Gefühl. Als sie die Küchentüre hörte, zuckte die sonst schreckhafte Martha nicht gleich zusammen, erkannte sie doch Matthews Schritte. Er vergeudete keine Zeit!
"Martha du könntest, Martha mach mal bitte, Martha hol doch schnell und Martha hilf schnell... ich hab das so satt," schimpfte sie leise vor sich hin, in der Gewissheit, dass nur Matt sie hören konnte und das sollte er auch. Immerhin kam ihre Freizeit schon wieder einmal zu knapp. Wieso dachte in diesem Haus bloß jeder, sie bräuchte keine Zeit für sich alleine und hätte Spaß daran jeden und alles in der Familie zu bedienen? Also eines war schon einmal so klar wie das Amen in der Kirche - sollte das ihr weiteres Leben sein, weil man dies von einer Frau erwartete, dann würde sie niemals heiraten und Kinder bekommen. Ach was dachte sie da, sie bekam ja sowieso keine Kinder und keinen Mann, denn dann würde sie ja zu lassen müssen, dass dieser mit diesem furchtbar großen Knüppel zwischen seinen Bein in sie... ach nein, darüber wollte sie gar nicht nachdenken. Das war so unvorstellbar und widerlich. Es tat bestimmt auch weh, so wie sie Mutter verstanden hatte und dieser furchtbare Mann am Montag hatte ihr ja ziemlich deutlich vor Augen geführt, wie groß dieses Ding sein konnte und wie prall es gegen ihre Enge gedrängt hatte. Schrecklich. Nein, da konnte Vater und Mutter sie eher tot prügeln, als das sie sich dem Ehezwang unterwarf. Wütend warf sie den Putzlappen in das Spülwasser und wandte sich ihrem Bruder zu. Der steuerte gerade einen der Stühle an. "Ja, fein, setzt dich ruhig. Ich hab' ja alle Zeit der Welt. Keine Freunde, die auf mich warten, kein Leben außerhalb dieser verdammten Küche... aber die Haare schneide ich dir, natürlich. Wie könnte ich Pa widersprechen." Sie griff nach einem frischen Handtuch, das mit anderen auf einem Regalbrett über der Anrichte lag und ging zu Matt, um es ihm um die Schulter zu legen. Nicht sonderlich sanft, und mürrisch wie sie sich den ganzen Morgen über schon fühlte. Der Schlafmangel machte sich deutlich spürbar.
Beim Eintreten hatte Matt der Tür zur Essecke hin einen leichten Schubs mit dem Ellenbogen verpasst, so das diese leise zu klappte. Seine Eltern hasste es gerade zu, wenn es laut polterte und er wollte nicht unbedingt schon wieder den Unmut seiner Eltern auf sich ziehen - nicht nach dem sein Pa ihm tatsächlich erlaubt hatte, am Nachmittag mit Joe auszureiten. Obwohl er wohl nie genau verstehen würde, warum seine Eltern Etwas gegen unvorhergesehene laute Geräusche hatten, war nun froh, dass er diese Regel genauso verinnerlicht hatte wie die, das die Küchentür zu schließen war. Dabei ging es ihm in diesem Moment jedoch weniger Zugluft oder um Gerüche, die aus der Küche in das anliegende Wohnzimmer drangen, sondern Martha. Diese murrte und schimpfte halblaut vor sich hin. Irritiert zuckte Matt zusammen, als seine Schwester deutlich verärgert das Spültuch in die Spüle warf, dass es nur so spritzte. Beinahe wäre ihm noch was aus der Hand gefallen, so sehr überraschte ihn Marthas Ausbruch. Was hatte sie nur heute? Sie war doch sonst friedlich und so gehorsam, dass man meinen könnte, mit ihrer Hausarbeit glücklich zu sein. "Was ist denn in Dich gefahren?" Marthas Ärger schien der Gesamtsituation zu gelten, so dass Matt sich nicht persönlich angesprochen fühlte. Er war wohl nicht der Auslöser und deshalb fragte er freundlich nach, während er sich einen der Küchenstühle in den Raum holte. Eigentlich war das kaum nötig, denn es ging ihm nur um die Spitzen, die ihm in die Stirn und Augen fielen. Mehr sollte Martha nicht schneiden, oder na, ja gut zugegeben: Die Haare an den Seiten fielen ihm auch immer mal wieder ins Gesicht, so er seinen Kopf neigte. Diese könnten wohl auch die Schere vertragen, aber auf keinen Fall mehr! Matt setzte sich trotzdem rittlings auf den Stuhl, so dass die Rückenlehne nicht im Wege sein konnte. Er unterdrückte ein amüsiertes Grinsen, als Martha immer noch schimpfend ein sauberes Handtuch holte. "Hör schon auf." In der Aufforderung lag kein Ärger, sondern eher Beruhigung, denn so ärgerlich, wie Martha gerade zu sein schien, fürchtete Matt, sie werde dies an seinen Haaren auslassen. "Komm, schon - die Spitzen abschneiden, so dass sie mir nicht mehr allzusehr in die Augen fallen und gut ist." Natürlich konnte Martha ihrem Vater nicht widersprechen, jedenfalls nicht ohne eine üble Züchtigung zu erfahren, aber in einem Punkt hatte er ja Unrecht gehabt. Es ging nicht um eine neue Frisur und Marthas Schimpfen darüber, ließ Matt annehmen, diese nähme an, viel Zeit für einen Neuschnitt opfern zu müssen. "Witzig, was Pa sich da wieder zusammen denkt, oder? Als ob ich eine neue Frisur haben müsste, um einen Freund zu beeindrucken!" Matt lachte leise, denn das war für ihn völlig abwegig. Monatelang schon lagen seine Eltern ihm damit in den Ohren, sich endlich die Haare zu einer, wie sie es nannten, gottgefälligen, Frisur schneiden zu lassen. Als ob Gott sich dafür interessierte! Entgegen ihrer sonst ruhigen Art legte Martha ihm das Handtuch vergleichsweise Unsanft um die Schultern. Ja, sie würde ihm sicher die Haare schneiden, aber ihre Worte machten auch deutlich, dass sie es nicht gerne tat. Martha war ganz offensichtlich gereizt und unwillig, so dass Matt erneut dachte, sie sei womöglich müde. Bereits beim Frühstück hatte sie auf ihn müde und appetitlos, fast krank, gewirkt. Müdigkeit betrachteten seine Eltern in aller Regel als Ausrede, um sich ungeliebten Pflichten entziehen zu können, aber gelten ließen sie diese nicht. Ein mitfühlendes Lächeln schenkte er Martha, während er sich möglichst gerade hinsetzte und wünschte sich im Stillen, er hätte sie nicht ausgerechnet heute darum gebeten - als ob das nicht noch Zeit gehabt hätte.
Martha funkelte ihren Bruder böse an, als er sich erlaubte nach dem Grund ihrer schlechten Laune zu fragen. Doch rasch wurde ihr bewusst, dass er dies nicht tat um sie zu ärgern. Wahrscheinlich war er genauso erstaunt über diese schlechte Stimmung, wie sie selbst. Er dagegen hatte sichtlich gute Laune. Nun ja, ihm war ja auch das Ausreiten erlaubt worden. Und Ben durfte zu Jeremiah hinüber. Und sie? Sie durfte aufwaschen, Matt die Haare schneiden und dann auch noch den Küchenboden fegen. Zum Glück gab es heute kein Mittagessen vorzubereiten, denn Pa wollte nach der Kirche mit der Familie ins Gästehaus, weil der neue Reverend seinen Einstand feierte. Sie gingen so gut wie nie in das Gästehaus zum Essen. Martha konnte sich an zwei oder dreimal in ihrem ganzen Leben erinnern. Ansonsten wurde das Geld bei Pa gespart. Nach dem Gästehaus würde sie artig mit nach Hause folgen und wahrscheinlich für das Abendessen in der Küche stehen, während ihre Brürder sich amüsieren durften. Und Matt fragte ernsthaft was los war? Sie ging zurück an die Küchenzeile und suchte nach der Schere in einer der Schubladen, während Matt ganz nach seiner Art lässig auf dem Stuhl Platz nahm. "Oh, du....," fauchte Martha ungewöhnlich aggressiv. "Ich hör auf wenn es mir passt. Willst du mir jetzt auch schon Vorschriften machen, wie alle hier im Haus?", sie trat vor Matt, der ihr gerade angewiesen hatte, dass er hauptsächlich vorne die Spitzen geschnitten haben wollte. Das war nicht viel Arbeit. Zum GLück. Martha atmete ein wenig durch, als ihr bewusst wurde, dass sie in ein paar Minuten mit Matts Haaren fertig sein würde. Wenn sie sich dann mit dem Geschirr noch beeilte... doch das könnte noch für ein paar Minuten reichen.
"Das denkt er sich nicht zusammen, Matt," seufzte Martha schon wieder ein wenig versöhnlicher. "Das wünscht er sich eben von dir. Einen schönen, kurzen Haarschnitt," jetzt musste sie doch ein wenig grinsen, wenn sie auch nicht in Matts Lachen einstimmte, aus Sorge die Eltern könnten sie hören und mitbekommen, dass sie über sie sprachen. Das wäre genauso ein schlimmes Vergehen, wie ihnen zu widersprechen. "Und recht hat er doch. Du hast bald Haare wie ein Mädchen. Welche Frau sollte sich dann noch für dich interessieren," Martha hob ein wenig den zu langen Pony ihres Bruders an und setzte die Schere ein Fingerbreit an um die erste Franse zu kürzen.
"Was?" Bas erstaunt sah Matt seine Schwester an und hob einen Arm in einer Art Abwehrbewegung. Marthas Fauchen in Verbindung mit der scharfen Schere in der Hand betrachtete er mit einer gewissen Skepsis. "Hallo? Ich bin's, Matt. Als ob ich Dir je Vorschriften machen wollte." Letzteres tat er vielleicht doch mit seiner Bitte, lediglich die Spitzen zu kürzen vielleicht doch. Allerdings schienen diese Worte Martha ein wenig zu beruhigen, denn sie wurde wieder fröhlich. Natürlich durften sie nicht in Abwesenheit der Eltern über diese sprechen und schon gar nicht sich über den Sinn und Unsinn derer Ansagen. In sein Lachen über die Bemerkung seines Vaters ging sie nicht ein, aber hin erschien ein Grinsen auf Marthas sonst so ernstem Gesicht. "So?" Matt war sich nicht sicher, ob Frauen tatsächlich ihre Herz im Hinblick auf die Länge der Haare verschenkten. Bisher jedenfalls hatte er nicht den Eindruck, dass an Marthas Worten viel dran war, denn seit jenem denkwürdigen Nachmittag bei Megan war in aller Stille so manches Mädchen seinem Charme erlegen. Dass sein Vater ihn gerne mit kurzen Haaren sehen würde, war Matt bekannt und kurz kam ihm tatsächlich der Gedanke, ob wohl Rebeccah seine langen Haare leiden mochte. "Wenn Du mich fragst, wird das ohnehin völlig überbewertet. " Matt grinste ein bisschen frech und schloss im Reflex die Augen, als Martha die ersten Stirnhaare ihre Finger nahm und die Schere ansetzte. "Untersteh`Dich! " Noch schmunzelte Matt, aber gefühlt schienen die Haare jenseits von Marthas Fingern doch schon erheblich zu lang zu sein. Ganz kurz kam in ihm die Erinnerung an Bonnie hoch, der er vor Jahren einmal an den Haaren gezogen hatte - dieser Versuchung hatte er damals nicht widerstehen können. Matt grinste, denn in der Erinnerung war der darauffolgende Ärger mit Graham und Miss Thompson genauso wie die Züchtigung des Vaters, die ohnehin nur eine von vielen gewesen war, völlig in den Hintergrund geraten. Daraus war eine lockere Freundschaft zu Graham entstanden und mit Bonnie hatte er manche schöne Stunde in der alten Scheune am See verlebt - jedenfalls bis Cassidy diese angezündet hatte. Wehe, jetzt erliegt Martha der Versuchung.. Skeptisch verzog Matt nun doch den Mund, äußerte sich aber nicht weiter dazu. Möglicherweise hatte er tatsächlich bald so lange Haare wie ein Mädchen, aber er wusste inzwischen dann schon, dass nicht die Länge der Haare das Geschlecht bestimmte. Dafür müsste sie wohl Anderes abschneiden. Mit einem kurzen Seufzen unterdrückte Matt seinen spontanen Impuls, die Augen zu verdrehen. Dieser Gedanke war ebenso abwegig wie irre, und sicherlich auf seine momentane Untätigkeit zurückzuführen. "Oh, - das Interesse der Mädchen bezieht sich wohl kaum auf die Haare... hoffentlich." Woher wollte Martha das überhaupt wissen? Martha hatte keine Freundinnen, zumindest so weit Matt wusste, und auch kaum Gelegenheit Beziehungen zu knüpfen - und selbstverständlich auch nicht zu Männern. Letzteres war wohl eher ihrem Gehorsam und der Tatsache, dass sie kaum Freizeit hatte, geschuldet, denn eigentlich war Martha durchaus hübsch anzusehen mit ihren ordentlich zu dicken Zöpfen geflochtenen glänzenden Haaren und ihrem seltenen Lächeln. Ob man sich im Nähkreis.. nein, nicht in Mas Anwesenheit - bestimmt nicht. Matt konnte sich zwar vorstellen, dass Martha schon darunter litt, sich nicht mit einer Gleichaltrigen austauschen zu können, denn für sie musste zumindest das Erleben mit diesem schwarzen Ungeheuer traumatisch gewesen sein. Wenn er schon das Gefühl hatte, durchzudrehen und nachts unter Alpträumen litt, weil er keine Gelegenheit mit Jesse oder zur Not mit Graham über sein Erleben und seine Empfindungen zu sprechen - wie mochte es dann erst seiner kleinen Schwester gehen? Sicher, das stundenlange Tratschen über das Stadtgeschehen oder das alberne Gekicher jüngerer Mädchen hinter der vorgehaltenen Hand war eher lästig und wurde überbewertet, aber auch Martha brauchte doch Jemanden, der ihre Fragen dazu beantwortete und ihre Ängste auffing. Seine Mutter war da wohl kaum der richtige Ansprechpartner - und er schon mal gleich gar nicht, obwohl er dabei gewesen war. Wahrscheinlich schläft sie nicht viel besser als ich .. "Sag.. mal.. Wie geht es Dir eigentlich inzwischen damit - also mit der Sache neulich im Laden.... " Matt sprach nur leise, denn er fürchtete das Martha, sich in die Ecke gedrängt fühlen könnte und das wäre dann nicht nur seiner neuen Frisur abträglich, sondern auch ihrer Beziehung. Immerhin hatte sie ihm angeboten, mit ihr über seine Erleben bei der Rettung Jesses zu sprechen und er hatte das gerne getan. So hatte er sich einen Teil seiner ausgestandenen Angst von der Seele reden können, auch wenn er immer noch unter dem Gesehenen litt. Die Details zu Jesses Zustand bei Auffinden, die Misshandlung und seinen Verdacht, der Freund sei gar vergewaltigt worden, hatte er für sich behalten. "Es würde helfen darüber zu sprechen.."
Das ihr Bruder auf ihre schlechte Laune reagierte, war Martha natürlich verständlich und war wohl auch kaum zu vermeiden gewesen. Dennoch ärgert es sie. Mehr, weil sie die Laune aus sich herausgelassen hatte, als über Matts Fragen, die ihrem Bruder ja durchaus zustanden. Darum konnte sie auch ein klein wenig schmunzeln, als ihr zu verstehen gab, dass sie gerade ein wenig übertrieb. Er hatte ja recht. Nur über seine Haare, da hatte er leider in ihren Augen unrecht. Sie schnaubte entsprechend ein bisschen verächtlich die Luft durch die Nase und schüttelte mit dem Kopf. "Also wirklich Matthew!", sie hatte zwar nicht die blaßeste Ahnung davon von welchem Interesse Matthew gerade sprach, aber in Bezug auf die Haare konnte er ihr jetzt nichts vormachen. "Welche Frau will denn mit einem Mann verheiratet sein, der seine Haare wie diese Wilden im Reservat trägt? Also ich nicht. Ein anständiger Mann sorgt auch für einen regelmäßigen Besuch beim Friseur. Ich kann Pa da völlig verstehen," und schnipp schnapp, waren die ersten Spitzen ab. Eine zweite Strähne musste daran glauben und gerade als Martha die letzte Franse mit den Fingern aufnahm und die Schere ansetzte, stellte Matthew ihr eine Frage, mit der sie überhaupt nicht gerechnet hatte. Sprach er sie damit doch wieder auf den Montagabend an und weckte die Erinnerung an den furchtbaren Mann. Natürlich war er nur an ihrem Wohl interessiert und an nichts weiterem, aber er versetzte ihr damit doch einen kleinen Schrecken. Dass es Matt in erster Linie um sie ging realisierte Martha dabei erst viel später, was sie dagegen jedoch sofort bemerkt war die viel zu schief geratene Haarsträhne. Matts Ponyfransen hatten jetzt ein Loch. Erschrocken weideten sich kurz Marthas Augen und sie setzte eilig, wenn auch ein wenig fahrig die Schere noch einmal an und besserte nach. Ohne Matt eine Erklärung zu geben. "Ehm... ehm...du, du meinst reden würde helfen ja," wiederholte sie nervös geworden seine Worte. Sie hoffte Matt würde das alleine auf den Umstand des unangenehmen Themas schieben, auf das sie wahrscheinlich genauso reagiert hätte, wenn sie nicht über die krumm geratenen Fransen ins Schwitzen geraten wäre. "Es würde ... ich weiß nicht...," ihr war bewusst, dass sie ihre Familie bisher mehr oder weniger angeschwindelt hatte. Sie hatte Matt, aber auch ihren Vater und ihre Mutter im Glauben gelassen, dass Matt rechtzeitig gekommen sei und nichts passiert war. Welchen Nutzen hätte es gehabt, ihnen zu erzählen, dass der Mann sie entblößt hatte und mit seiner Hand und diesem hässlichen Knüppel zwischen seinen Bein ihrer Scham zu nahe gekommen war? Viel zu nahe. Das war beschämend. Und am Ende schleifte sie Mutter noch zum Reverend, damit dieser sie von ihren Sünden reinwusch. Nein diese Vorstellung war grausam. Sie würde aufpassen müssen, was sie Matt erzählte, damit er nicht noch einen Verdacht bekam. "Würde es helfen? Vielleicht," sie sprach wirr, dass wusste Martha, aber ihr wollte nichts besseres einfallen um Zeit zu gewinnen, während sie den Pony noch ein Stück mehr kürzte. Schon besser. Nur jetzt passten die restlichen Haare an der Seite nicht mehr wirklich zu dem viel zu krzen Pony. Matt sah im Augenblick richtig... nun, bescheuert aus. Das war kein Wort, das man bei den McKays häufig benutzte, aber es traf sehr gut auf ihren Bruder zu. Wie bekam sie jetzt die Seiten angepasst, ohne das Matt Verdacht schöpfte? "Ich schlafe schlecht," gestand sie schließlich Matt und schnitt an einer Ponyfranse so herum, dass Matt gar nicht mitbekam dass sie gut ein Stück über den Ohren abschnitt und dann rasch Maß nahm für die andere Seite....
"Also wirklich Martha." Gekonnt imitierte Matt Marthas Stimmlage. Sie hörte sich beinahe an wie seine Ma! Kurz grinste er, dann wurde er aber wieder ernst. Eigentlich wollte er nicht unbedingt eine Miniaturausgabe seiner Ma aus seiner Schwester gemacht sehen, aber darauf war sein Einfluss wohl gering. Allerdings wollte er auch keine Kopie seines Vaters werden. "Ich weiß gar nicht, was Du willst - ich lasse mir doch gerade die Haare schneiden." Matts Tonfall war ein bisschen murrend, denn Martha schien mit der Schere nach zu schneiden. Jetzt war es an ihr, ihm die Haare anständig zu schneiden und er fragte sich, was daran so schwierig war, die Spitzen gerade abzuschneiden. "Ja, das denke ich. Ich denke, Du.." Martha wirkte gerade ein wenig unkonzentriert und deshalb hielt Matt dazu lieber den Mund. Das fehlte ihm gerade noch, dass sie ihm die Haare völlig verschnitt. "Du redest schon wie unsere Eltern, echt. Der Haarschnitt entscheidet doch nicht über die Gesinnung." Matt unterdrückte den Impuls den Kopf zu schütteln. Anständig war kein Attribut, dass er ausgerechnet im Zusammenhang mit Haaren benutzen würde. Martha wiederholte sich und wirkte durcheinander, so dass Matt zu der Überzeugung kam, dass diese wirklich zu wenig Schlaf gefunden hatte. Ob sie auch unter Alpträumen litt und von dem Ereignis im Laden ebenso träumte, wie er von den Schüssen, die ihn am Forest Creek nur knapp verfehlt hatten? Sah sie noch immer das Gesicht dieses Tieres vor sich, fühlte dessen Hände an ihrem Körper, so wie er ihr immer noch den nackten, blutenden Jesse vor sich sah und meinte, die Kälte des Schnee und des Windes am Forest Creek spüren zu können? Matt unterdrückte ein Seufzen, denn er war ja wohl kaum Derjenige, mit dem Martha darüber sprechen konnte oder wollte. Matt bekam eine Gänsehaut und spannte unwillkürlich für den Bruchteil einer Sekunden die Nackenmuskeln an. Martha hatte erneut eine oder mehrere Strähnen zwischen ihre Finger genommen und als sie die Schere ansetzte fühlte er den leichten Zug am Haaransatz. Was macht sie denn da? Das ist doch nicht der Pony.. Also so lang ist er nun auch wieder nicht. Schon wollte Matt annehmen, dass Martha sich nur aus Spaß ihm gegenüber einen Scherze erlaubte, aber nein - sie setzte die Schere an und er fühlte das Kitzeln der fallenden Haare unmittelbar an seinem Ohr. Deutlich irritiert sah Matt seine Schwester an, die nun erwähnte, sie habe schlecht geschlafen. "Netter Versuch" Obwohl er es besser zu wissen meinte, denn Martha sah auch müde aus, schob er ihre Worte nun auf ihren Versuch, sich damit zu entschuldigen. Sie hatte ihm versehentlich oder mit Absicht gerade die Haare über den Ohren gekürzt! Das stand überhaupt nicht auf seinem Plan! "Echt, ich bin nicht amüsiert." Matt wusste nicht ob er nun darüber lachen oder maulen sollte. Er hatte doch nur die Spitzen geschnitten haben wollen - nicht eine neue Frisur. So sehr hätte Martha ihrem Vater nun doch nicht ernst nehmen müssen! "Ich wollte keinen Neuschnitt." Matt war kurz davor aufzuspringen, nahm aber an, dass ihn das jetzt auch nicht weiter bringen würde. Noch hoffte er sich zu irren, aber falls Martha sich wirklich verschnitten hatte, würde sie ihm nun wohl doch einen Neuschnitt angedeihen lassen müssen, damit die Sache nicht völlig aus dem Ruder geriet.
Als Matt sie kurz nachäffte, wenn auch auf liebenswürdige Art, hielt es Martha nur für gerecht, dass sie gerade dabei war seine Haare mehr zu stutzen, als der Burder ahnte. Das war ein bisschen wie Gerechtigkeit. Sie lächelte daher nicht nur als Antwort auf sein Grinsen. Als er dann jedoch ernster anmerkte, er würde gerade im Moment mit ihrer Hilfe etwas gegen zu langes Haar unternehmen, nickte sie nur äußerst konzentriert und ließ eine etwas längere Haarsträhne zu Boden segeln. Ob er schon etwas bemerkt hatte? Sie warf ihrem Bruder einen prüfenden Blick ins Gesicht. Völlig entspannt wirkte er mit nichten, aber vielleicht lag das auch am Thema. Über seine Haare diskutierte Matt nicht gerne. Wieso er diese gerne so lang trug, konnte sich Martha selbst nicht erklären. Ihr waren die eigenen Haare schlicht zu wider. Alleine die ganze Arbeit beim Waschen. Und das Flechten. Und regelmäßig mussten auch bei ihr die SPitzen geschnitten werden. Schon wegen dem Praktischen hätte es Martha als nicht schlecht empfunden kurze Haare tragen zu können. WAs nutzte ihr eine Haarpracht, wenn sie ständig aus dem Weg geräumt werden musste, um bei der Hausarbeit nicht zu stören. Matt dagegen schien sich nicht daran zu stören, dass er mehr Zeit brauchte, um seine Haare rein zu bekommen. Alleine das lästige Bürsten am Abend ihres Haars stand in ihren Augen in keinem Verhältnis zum Nutzen der eigenen Haare. Wäre sie Matt, ein Junge, dann hätte sie ihre Haare längst abgeschnitten.
"Es sieht aber schöner aus und ist praktischer," widersprach sie Matts Einwand und betrachtete ihr Werk. Nicht schön, gar nicht schön. Jetzt hatte Matt zwar einen schönen Pony und freie Ohrenpartien, aber der Rest hing lang hinab auf seinen Nacken. So konnte sie ihn doch unmöglich heute in die Kirche lassen? Nur wie bekam sie es hin, dass Matt keinen Verdacht schöpfte und sie machen ließ? Er hatte ja ausdrücklich nur um ein paar gekürzte Fransen gebeten. Sie wechselte auf die andere Seite und schnitt dort erst einmal passend über dem Ohr die zu langen Strähnen ab. Matt bekam dies natürlich wie zu erwarten gewesen war mit und protestierte. Aber so ging er wenigstens nicht mehr auf ihre Worte über ihren Zustand ein und war von dem ihr unangenehmen Thema abgelenkt. "Ehm, ich weiß doch, Matt... ich ... mach ... auch ... gar nicht... viel ab," konzentriert maßnehmend brachte Martha ihre Worte über die Lippen, jedes Mal eine Pause machend, wenn sie wieder nachschnitt und ging anschließend nachdenklich einmal um Matt außen herum. "Aber weißt du, die Haarsträhnen waren so lang, da muss ich doch den Rest anpassen," erklärte sie ganz ruhig, obwohl ihr Herz raste und sie ständig damit rechnete Matt würde aufspringen und einen Spiegel verlangen. Darum war es wohl nun an ihr abzulenken und wenn es sein musste, dann eben auch mit dem unseligen Montagabend. "Du sag mal... Rebeccah... Also die Bailey aus Mas Nähkreis, hat die noch mal etwas zu dir gesagt, wegen Montag? Sie war... na ja, so komisch, sie hat im Nähkreis so getan, als würden wir uns gar nicht kennen und ständig musste sie das Zimmer verlassen". Martha hatte nicht herausgefunden wohin Rebeccah jedes Mal gegangen war, denn sooo oft konnte doch kein Mensch bei diesem Wetter freiwillig zum Toilettenhäuschen laufen. Nachsehen hatte Martha natürlich nicht können, denn während dem Nähkreis wachte ihre Mutter noch viel genauer über das Benehmen ihrer Tochter, um sich auch ja nicht mit ihr vor den Freundinnen und Bekannten zu blamieren. Aber natürlich war in Martha darüber eine Angst gereift, die darauf basierte, dass sie Rebeccah als streng gläubige junge Frau kannte und sich seit dem Nähkreis sehr erfolgreich einredete, dass es Rebeccah einfach nicht mit ihr Sünderin in einem Zimmer aushielt. Sie hatte ja alles gesehen... Oh Gott, alleine bei der Erinnerung trieb es Martha die Schamesröte in die Wangen.
Praktischer..Hmm Nachdenklich betrachtete Matt die Haarträhne, die gerade zu Boden fiel. Diese wsr lang genug, um ihn statt nachdenklich mißtrauisch hätte werden lassen müssen, doch hatte Marthas Bemerkung dafür gesorgt, dass ihm nicht auffiel, wie viel Martha tatsächlich abgeschnitten hatte. Selbstverständlich konnte er ihren Worten nicht in Gänze zustimmen. Schönheit war wohl für jeden Menschen etwas Anderes und tatsächlich schien der Mensch dazu zu neigen, immer das als schön zu empfinden, dass entweder vertraut war oder aber im Gegensatz zu eigenem Erleben stand. Es war also für Matt nicht schwer nachzuvollziehen, dass diese kurze Haare als schön empfand, denn ihre waren sehr lang, und vertraut waren ihr kurze Haarschnitte bei Jungs und Männern sicherlich auch - jedenfalls noch, denn Ben würde auch bald seine Haare schneiden lassen müssen, bevor sein Kopf dem Rücken eines ungeschorenen Schafes glich. Matt grinste kurz, als er auf den Gedanken kam, dass Ben ihm möglicherweise auch darin nacheiferte - und das würde Ben nicht gut bekommen. Dafür würde er wohl mehr als nur Diskussionen darüber auszuhalten haben und das wäre vielleicht ein Grund, um sich die Sache mit den langen Haaren noch einmal zu überlegen. Praktisch waren zu lange Haare nicht und deshalb hatte auch er schon mit dem Gedanken gespielt, sich die Haare kurz schneiden zu lassen. Aber jetzt Martha darum zu bitten, ging für Matt gar nicht. Das wäre wie ein Einknicken. Jetzt klein bei zu geben, nachdem er monatelang sich den Argumenten der Eltern verschlossen hatte, würde wohl auch bedeuteten zuzugeben, dass Recht behalten hatten und damit würden sie ihm wohl auch in alle anderen Entscheidungen hineinreden wollen. "Oh, na ja dann.. aber bitte nicht der Haarlänge Pas angleichen, ja?" Matts Grinsen geriet ein bisschen schief, denn einerseits konnte man bei seinem Pa nicht unbedingt von Haarlänge sprechen und andererseits konnte das bedeuten, dass seine Haare nun insgesamt kürzer gerieten, als er eigentlich gewollt hatte. Hat sie verschnitten, so dass eine Angleichung nun nötig geworden ist, könnte ich mich auf Martha berufen - bräuchte nicht mal klein beigeben. Matts Mundwinkel zuckten, als er kurz davor war, Martha darum zu bitten, kurz zu schneiden. Dazu konnte er sich allerdings doch nicht durchringen und so blieb er äußerlich unbewegt sitzen, während Martha um ihn herumging und ihn musterte, wie der Reiter um's fremde Pferd. Ab und zu setzte sie die Schere an und Matt war versucht, den Kopf zu neigen, um zu sehen, wie viel Haare zu Boden fielen. Gut zu wissen, dass sie im Zweifel wieder nachwachsen werden. Matt schenkte es sich, zu Boden zu sehen. "Hmm- nö. Hat sie nicht." Matts kurze Antwort ließ nicht durchblicken, dass er noch etwas länger über die Frage Marthas nachdachte. Rebeccah hatte nicht versucht, mit ihm zu sprechen und schon gar nicht über den Vorfall im Laden. Einerseits war das ungewöhnlich, denn sie hatte an ihm erste Hilfe geleistet und so war doch davon auszugehen, dass sie noch einmal nach seinem Befinden fragen würde. Andererseits passte es in das Bild einer verschüchterten Rebeccah, die niemals einen Mann ansprechen würde. " Sie ist tatsächlich oft zum Toilettenhäuschen hinüber. Das ist mir aufgefallen, weil ich nebendran am Schuppen zu tun hatte." Matts Tonfall war sachlich und täuschte so darüber hinweg, dass er sich im Grunde genommen, gerade darum Gedanken machte. Auch eine verkühlte oder gar entzündete Blase konnte dazu führen, dass man sehr oft das Toilettenhäuschen aufsuchen musste - und Schmerzen bereitete das auch. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie unangenehm er es empfunden hatte, als er sich bei einem der letzten Besuche am Mill River verkühlt hatte. Die Vorstellung, das Rebeccah unter Ähnlichem litt, bewegte ihn mehr, als er angenommen hatte. Andererseits hatte sie ihn im Vorbeigehen gesehen und er hatte sich ein paar Mal in ihrer Nähe so verunsichert gefühlt, dass ihm der Hammer entglitten war. Ein, zwei Mal hatte er ihr nachgesehen und sich dabei einmal auf den Daumen gehauen. Er war sich nicht, sicher ob sie sich tatsächlich verkühlt hatte, seine Nähe gesucht hatte, oder ob sie tatsächlich aus irgendwelchen Gründen Martha aus dem Wege gegangen war. "Sprecht Ihr sonst mehr miteinander - während der Handarbeiten?" Eigentlich war diese Frage überflüssig und dumm, denn er wusste, dass zumindest seine Ma und Mrs. Cornwell und insbesondere Mrs. Porter beieinander wohl ebenso flink mit der Zunge, wie mit Nadel und Schere waren. Bei Martha und Rebeccah konnte er sich das jedoch kaum vorstellen. "Rebeccah spricht doch ohnehin nicht viel - und so überstürzt, wie sie den Laden verlassen hat, schon gar nicht mit mir." In Matts Stimme schwang leises Bedauern mit, ohne dass er sich dessen bewusst gewesen wäre. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er wohl versuchen könnte, über Martha mehr von Rebeccah zu erfahren, aber nach Marthas Worten war das eher ausgeschlossen. Oha - das ist mir wohl was entgangen.. Martha war während ihrer Frage rot geworden, so sehr, als schäme sie sich für ein Erleben, dass sie eventuell mit Rebeccah teilte. Fürchtete sie denn, diese habe sie kompromittiert und ihm ein wohl gehütetes Geheimnis anvertraut? Matt hatte keine Ahnung, was das sein konnte. Es sei denn, da war Etwas zwischen den Beiden gewesen, bevor er in den Laden gekommen war. "Sag- Mal.. Gibt es da Etwas, was ich wissen sollte?" Forschend sah Matt seine Schwester an und hob dabei den Kopf an. Dass sie gerade dabei war, ihm die Haare gerade zu schneiden, hatte er über seine Gedanken an Rebeccah beinahe vergessen.
"Ehm.. ich gebe mir große Mühe," murmelte Martha, die langsam doch in Panik geriet. Egal wie sehr sie versuchte Matts Haare zu retten, sie kam nicht umhin einzusehen, dass es da nichts mehr zu retten gab. Wären sie nicht auf Rebeccah zu sprechen gekommen, hätte Martha wohl allen Mut zusammen genommen, um Matt ihren Fehler zu gestehen. Sie musste es ihm ja sagen, bevor ihn die Leute alle vor der Kirche schief ansahen und dumme Fragen stellten. Aber die Unterhaltung über Rebeccah war ihr eine solch willkommene Ablenkung von ihrem eigenen Vorhaben, das sie einsah, dass sie dieses nur halbherzig beschlossen worden war. Allerdings hatte Matt auch keine Antworten auf ihre Fragen, zumindest keine, die sie ein wenig beruhigt hätten. So blieb ihr weiterhin die Vorstellung, dass Rebeccah mit ihr schlicht nicht einen Raum teilen wollte. Und da hatte sie ja den Beweis dafür, dass Mutter sie am Montag angelogen hatte. Sie hatte doch Schuld an dem Vorfall... wie, wusste sie sich selbst nicht so recht zu erklären, aber sie war sich sicher darüber, dass sie heute ihr dunklestes Kleid tragen würde. Das mit dem hochgeschlossenem Kragen und den vielen Unterröcken, die nicht im geringsten ihre Figur betonen würden. Und Mutters dumme Diät würde sie wohl weiterhin, nun mit Vorsatz, sabotieren müssen. Man sah ja wo es hinführte, wenn man hungerte, um attraktiv für Männer zu werden. Allerdings war Martha auch sehr darüber verunsichert, ob sie wirklich dazu berechtigt war ihre Mutter in Frage zu stellen. Sie würde sie doch niemals anlügen. Nein, sie hatte ihre Eltern bislang keiner Lüge überführen können und da würde ihre Mutter doch nicht einfach so eine Ausnahme machen, nur um ihre Tochter zu beruhigen? Nicht die Frau, die doch gewöhnlich auch kühl und reserviert auf ihre Alltagsprobleme reagierte und nicht gerade Rücksicht auf die Belange und Gefühle ihrer Kinder nahm. Sie seufzte leise, während Matt bestätigte, dass er Rebeccah am Nähabend öfters draußen angetroffen hatte. Vielleicht war es doch schlicht eine Blasenentzündung gewesen, die Rebeccah nach draußen getrieben hatte und nicht Marthas Anwesenheit. Sie übertrieb womöglich tatsächlich. Wenn sie nur die Antworten selbst auf ihre vielen Zweifel gewusst hätte.... "Hm, ob wir was?" Martha tauchte aus ihren Gedanken auf und sah Matt kurz an, der ihr eine Frage gestellt hatte, die sie ein wenig überraschte. Das Interesse hatte sie von Matt gar nicht erwartet und es irritierte sie ein bisschen, genauso wie seine kleine Verteidigungsrede über Rebeccah. Wobei es natürlich genauso gut sein konnte, dass er nur versuchte Martha zu beruhigen.. Innerlich seufzte sie über ihre Unsicherheit und Wankelmütigkeit, nickte dann aber zu Matts Worten. "Na ja, wir reden schon manchmal. Aber viel gemeinsam haben wir nicht. Sie geht noch zur Schule. SIe darf noch zur Schule," verbesserte sie sich selbst und ihr war der Neid deutlich anzuhören. "Sie redet meist über die anderen dort, die ich fast alle nicht kenne. Und ich muss mich ja auch besonders auf die Näharbeiten konzentrieren. Du kennst doch Ma. Ein Fehler und ich bereu ihn am Abend doppelt," während dem Nähkreis war Martha vor dem Stöckchen sicher, aber natürlich hagelte es verbal genug Tadel um sich als Schlusslicht im Nähkreis zu fühlen. Und wenn all die ehrenwerten Damen gegangen war, bekam sie natürlich ihre Fehler noch zu spüren. Daran führte selten ein Weg vorbei. Es war kein Wunder, fand Martha, dass sie dne Nähkreis genauso verabscheute wie all die Handarbeiten, die in der Woche auf sie warteten. "Da rede ich meist weniger als Rebeccah," sie lachte leise, aber mit Bitterkeit in der Stimme. So entging ihr Matts Bedauern, als er erwähnte wie hastig Rebeccah am Montag aus dem Laden gelaufen war. So hastig war sie in MArthas Augen gar nicht weggelaufen. Sie hatte sich immerhin genug Zeit genommen sich um sie alle zu kümmern, ehe sie zu ihrer aller Überraschung recht deutliche Worte den Eltern gegenüber erlaubt hatte. In dieser Erinnerung musste Martha ein wenig Lächeln, denn es hatte unverschämt gut getan, dass da jemand gewesen war, der sich in erster Linie um sie gesorgt hatte. Dieser Gedanke ließ sie kurz innehalten, denn er vertrug sich nicht mit ihrer Annahme Rebeccah würde nach dem Gesehenen und Erlebten den Abstand suchen, weil sie unrein geworden war. Dann wäre sie wohl schon am Montag einfach weggerannt, ohne sich um sie zu kümmern... Ein wenig über sich selbst genervt verscheuchte Martha die Gedanken. Wenn sie nur ein einziges Mal mit etwas mehr Selbstsicherheit durch die Welt gehen könnte... Matts nächste Frage ließ Martha jeden Selbstzweifel vergessen und sie hielt in der Bewegung inne, nicht sicher wie sie jetzt nur wieder reagieren sollte. Die Frage trieb sie regelrecht in die Enge, war sie doch gewöhnlich eine schlechte Lügnerin. Etwas zu verschweigen oder auszulassen, wenn man darüber sprach, fasste Martha nicht als Lüge auf. Aber gezielt zu verschleiern, auszuweichen und am Ende tatsächlich zu lügen war für Martha ein Ding der Unmöglichkeit. Auf Matts Frage konnte sie nur mit einem Nein antworten, um der Wahrheit zu entgehen, aber damit müsste sie ihm frech ins Gesicht lügen.
"Ich... also... was?", es war ein peinliches Gestottere und Gestammel, aber Martha wollte kein Nein über die Lippen kommen und damit war ihr bewusst, dass sie Matt schon mehr sagte als er wissen sollte. "Oh... also... ja," die rettende Idee saß doch direkt vor ihr!! Es konnte nicht schlimmer für sie kommen, Matt seinen neuen Haarschnitt zu gestehen, als wenn sie ihm erzählen müsste, was dieser furchtbare Mann mit ihr angestellt hatte. Die Entscheidung fiel rasch... "Ja, also da ist wirklich etwas. Das mit deinem Pony...," Martha trat ein Stück zurück und betrachtete sich Matts Haare. "Ich bin da ein wenig... ausgerutscht... nur ein kleines bisschen. Wirklich. Ist nicht schlimm. Aber ich müsste noch den Nacken schneiden, sonst siehst du aus wie einer von den Wilden... also nur ein bisschen... du brauchst keine Panik zu bekommen," sie sprach schnell und leise und ein wenig gepresst, denn wenn Matt jetzt ein Theater veranstalten würde, würde er nur die Eltern anlocken und wer das alles wieder auszubaden hatte, war letztendlich sicher sie. Denn Ma würde ganz bestimmt kein PArdon mit ihr kennen, denn selbst wenn ihr die kürzeren Haare gefallen würden, hätte Martha nur wieder einmal mehr bewiesen, dass sie ungeschickte Hände hatte. Und wohin das führte wusste Martha aus schmerzhaften Erfahrungen damit nur zu gut. Es war wichtig, dass Matt jetzt die RUhe bewahrte... "So viel nur," sie nahm Maß mit Zeigefinger und Daumen und zeigte ungefähr 10 Zentimeter und ließ sie rasch auf fünf schrumpfen. Auch wenn es ihn WAhrheit durchaus mehr als zehn sein würden.... Aber solch kleine Notlügen vertrat Martha ganz gut vor sich selbst....
Das soll wohl so sein. Martha gab sich offenbar wirklich Mühe, denn sie ging immer wieder um Matt herum und schnitt hier und da nach. Gefühlt saß Matt nun schon sehr lange still, so dass er sich fragte, was am Schneiden der Spitzen nun so lange aufhielt. "Sie geht tatsächlich in die Schule?" Erstaunt zog Matt eine Augenbraue in die Höhe, denn das hatte er Rebeccah nicht zugetraut. Viele Eltern nahmen ihre Mädchen früher aus der Schule, da diese für ihre Tätigkeit als Hausfrau und Mutter wohl kaum eine höhere Bildung benötigten, aber schaden, fand Matt, konnte diese auch nicht. "Neidest Du Rebeccah die Schule oder kann sie besser nähen?" Matt fragte freundlich nach, denn er konnte sich kaum vorstellen, dass Martha noch weniger sprach als Rebeccah. Immerhin war Martha im Gegensatz zu dieser doch hier zu Hause! Matt war der Anflug von Neid in Marthas Stimme nicht entgangen, und der bezog sich sicherlich nicht nur auf Rebeccahs Nähkünste oder gar ihr Aussehen, denn daran war ebenso wenig etwas Besonderes, wie an Marthas. Außerdem gilt Neid auch als Sünde. Es muss Martha schon sehr wichtig sein, so sie es Jemandem neidet. Aber die Schule? Matt konnte sich darauf keinen Reim machen und auch nicht nachvollziehen, warum für Martha die Sonntagsschule nicht ausreichte. Da lernte man Bibelverse auswendig, lernte, wie man sich moralisch einwandfrei verhielt und das war in Matts Augen nicht nur manchmal schwierig genug, sondern das war wohl das Wichtigste - zumindest für ein Mädchen, das mal einen Haushalt zu führen hatte und die grundlegenden Kulturtechniken, hatte Martha ja auch gelernt. Matt kam in seinen Gedanken nicht weiter und wurde zunehmend nervös. Martha war rot geworden und nun gab sie sogar stammelnd zu, dass es da Etwas gab, was er wissen müsste. Schämte sie sich nun doch noch wegen diesem Tier, obwohl dieses ihr nichts hatte antun können? Das zumindest hoffte Matt, denn bis jetzt hatte Martha bestätigt, er sei rechtzeitig gekommen. Erst als Martha noch ein bisschen herumdruckste und seinen Pony erwähnte, kam ihm in den Sinn, dass sie sich offenbar tatsächlich verschnitten hatte. "Du hast was? Verschnittten?" Matt war sich nicht sicher, ob er sich darüber ärgern sollte oder ob er erleichtert sein sollte. "Deswegen also.." Das war ein guter Grund um nach zu schneiden, denn mit schief geschnittenen Haaren wollte er sich auch nicht gerade sehen lassen müssen. Erstens würde Martha dann sicherlich Ärger bekommen und als ungeschickt und dumm gelten. Im Stillen war er fast froh darüber, denn so waren seine Haare ein bisschen kürzer, als er gedacht hatte, und damit käme er seinen Eltern entgegen, ohne jedoch klein bei geben zu müssen. "Verstehe.. Wie viel?" Matt verstand tatsächlich, denn vorne kurze Haare und hinten deutlich zu lang, sähe wohl tatsächlich wild aus - sogar für seine Verhältnisse. Außerdem konnte Martha ja doch Recht haben - vielleicht vermittelten Männer mit langen Haaren den sittsamen und ehrbaren Mädchens eher unzuverlässig, untreu oder aber zumindest unordentlich zu sein - und das Bild, war auch in Matts Augen nicht gerade das Bild eines Mannes, der einen guten und verlässlichen Ehemann abgeben würde. Rebeccah ist durchaus in heiratsfähigem Alter - Ob sie sich im Nähkreis darüber austauschen? "Schneide ein bisschen ab.. ist wohl besser, als schief." Kritisch musterte Matt die Geste Marthas mit der sie andeutete, wie viel sie würde abschneiden müssen. Irgendwas zwischen fünf und zehn Zentimetern.. "Ich will keine kurzen Haare, Martha. Schneid' also bitte so viel wie zwingend nötig und so wenig, wie gerade eben möglich, ab, ja?" Matt zog unbewusst die Augenbraue zusammen und musterte Martha ähnlich streng, wie sein Vater. Doch sicherlich unterhielt man sich im Nähkreis auch über solche Dinge und wurde dort nicht auch die eine oder andere Ehe geradezu gestiftet? Hatte Rebeccah mit Martha über ihn gesprochen, erklärte das selbstverständlich, warum Martha nicht so richtig mit der Sprache rausrücken wollte.
Martha runzelte ein wenig die Stirn, als sie kaum, dass sie Matt das Maß angegeben hatte, eine weitere Strähne über dem Nacken kürzte. Das war besser, als seinen komischen Blick erwidern zu müssen, der Martha unweigerlich an Pa erinnerte. Jetzt war er doch ärgerlich... Aber wenigstens bekamen seine Haare langsam Form. Ja doch, so langsam sah der Rest passend zum Pony aus und Martha war zufrieden. "Ja, also, sieht nicht schlecht aus," wich sie seinen vielen Fragen aus, mit denen er zu wissen verlangte, wie viel Martha inzwischen schon abgeschnitten hatte. Sie nickte nur abwesend, als er betonte, dass sie nicht zu viel schneiden sollte und bitte nicht zu schief. Dafür war es jetzt wohl zu spät. Froh, dass er ihr Missgeschick aber mit Fassung trug, lächelte sie ein wenig verkniffen und zuckte leicht mit den Schultern. "Und tut mir aufrichtig leid, Matt. Das war keine Absicht. Ich bin... nur so schrecklich müde in letzter Zeit und unkonzentriert," es war von GLück zu sagen, dass Mutter ihr nicht jedes Mal sofort auftrug das Buch zu holen, obwohl sie sich ganz offensichtliche Fehler in den letzten Tagen geleistet hatte. Sogar zu viel Salz war im Eintopf gewesen und gestern hätte sie fast das Fleisch in der Pfanne in schwarze Kohlebriketts verwandelt. War es da ein Wunder das sie übermüdet, schreckhaft und unkonzentriert wie sie seit dem Übergriff war, wenig Sinn für Matts Haare gehabt hatte? Also für sie nicht... Während sie sich an Matts Nacken zu schaffen machte, dachte sie kurz über Matts Fragen in Bezug auf Rebeccah nach. Die Antwort war jedoch keine schwierige. Natürlich neidete sie Rebeccah das Privileg zur Schule gehen zu dürfen, wie sie es auch Mary Simones oder Cassidy Clayton neidete. Sogar Elisa Freeman, eine Schwarze, durfte zur Schule und diese war nicht viel älter oder jünger als Martha selbst. Aber sie war auch ein wenig eifersüchtig auf Rebeccahs feine Handarbeiten. Sie waren selbstverständlich noch lange nicht so edel und vollkommen wie die von Mutter oder Mrs. Cornwell. Aber durchaus ansehnlicher als Marthas. Und auch wenn Martha oft genug Rebeccah leise vor sich hinschimpfen hörte, wenn sie Maschen verlor oder sich in den Finger pickste, bekam sie am Ende ein Lob für ihre Ausdauer, sogar von Ma, während für Martha meist nur ein missbilligender Blick übrig blieb.
"Also wirklich, Matt. Ja, natürlich geht sie noch zur Schule. Wäre es nicht so, würde ich es kaum sagen," tadelte sie nachträglich leicht Matt, der doch tatsächlich ihre Aufrichtigkeit in Frage gestellt hatte. "Und beides... aber verrat es nur nicht Ma oder Pa," sie wusste ja selbst ganz genau was ihre Eltern von der Schule für Mädchen hielten. Ein Grund wieso sie niemals gewagt hatte, dagegen zu rebellieren. Es war ihr vorbestimmter Wertegang und konnte froh sein, dass sie lang genug in die Schule hatte gehen dürfen, um das Lesen und Rechnen gut zu beherrschen. Sie würde damit für ihren Ehemann gut Haushalten können und ihren Kindern das Lesen aus der Bibel nachbringen dürfen. Alles darüber hinaus würde sie als Hausfrau und Mutter kaum brauchen. Alles wichtige für die Moral lernte sie in der Sonntagsschule. Und dennoch hatte Martha das Gefühl ausgeschlossen zu sein und auch etwas zu verpassen. Nur wie erklärte sie das Matt, der weitgehenst durch die Erziehung der Eltern sicher nicht viel anders über die Schule für sie dachte. Wahrscheinlich lachte er sie gleich aus. "Die würden nur ärgerlich werden. Und das zurecht. Man darf nicht neidisch sein und eine SÜnde damit begehen. Aber was soll ich dagegen machen," Martha seufzte schwer. "Ich gebe mir doch auch Mühe im Nähkreis, aber keiner lobt meine Arbeit, schon gar nicht Ma. Wenn sie schlecht auf mich zu sprechen ist, tadelt sie den ganzen Abend. Das ist mehr als peinlich," schnipp... die letzte Strähen fiel zu Boden. "Rebeccah ist nicht wirklich sooo viel besser als ich und ich glaube ihr macht das ganze Nähen und Häkeln genauso wenig Spaß wie mir, aber sie ist eben doch ein wenig besser und sie kann... ach nicht so wichtig. Sie ist einfach besser," fast hätte Martha Matt anvertraut, dass sie Rebeccah für eine Heuchlerin hielt, für eine die geschickt das Liebkind spielen konnte und damit perfekt über ihre Fehler hinwegspielen konnte. Aber da sie ihm schon Neid gestanden hatte, wollte sie nicht auch noch direkt die Gefahr eingehen falsches Zeugnis über Rebeccah abzulegen. Normalerweise hielten sie unter den Geschwistern zusammen, keiner verpetzte den anderen bei den Eltern und wenn es ihnen möglich waren, nahmen sie den anderen in Schutz, so lange ihnen dafür nicht selbst eine fürchterliche Züchtigung drohte. Matt würde schon nicht gleich nach nebenan laufen und den Eltern entsetzt Marthas moralischen Verfall beichten. Aber da sich Martha längst selbst für ihre Gedanken schämte, wollte sie Matt damit nicht unnötig belasten. "So fertig," stellte sie rasch fest, um abzulenken und zog das Handtuch von Matts Schultern. "Sieht wirklich gut aus... und wirklich Matt...es tut mir soooo leid...," in ihren Mundwinkeln zuckte es überraschend. "Aber ich befürchte Pa wird sehr glücklich sein, wenn er dich sieht."
"Ah..ja." Matts gedehnte Worte wiesen daraufhin, dass er nicht sicher war, wie er Marthas Aussage zu deuten hatte. Nicht schlecht also.. Kurz riskierte er einen schrägen Blick zum Boden, um zu sehen, wie lang die abgeschnittenen Haarsträhnen waren. Ein paar Strähnen konnte er entdecken und diese waren - ja, doch .. auf jeden Fall, länger als er gedacht hatte. "Definiere mal nicht schlecht.. ist das nun eher gut oder schlecht." Matt murmelte mehr, denn er laut sprach. Er erwartete darauf allerdings keine Antwort, denn Martha konnte für ihn ohnehin nicht genauer definieren, was gut oder schlecht aussah. Daran schieden sich nun einmal die Geister. Obwohl er weder darum gebeten oder gar eine Erklärung eingefordert hatte, entschuldigte Marha ihr Versehen mit Müdigkeit und schlechtem Schlaf. Das glaubte er ihr sofort, denn bereits am Frühstückstisch war ihm aufgefallen, dass sie fast zu müde, zum essen gewesen war. Nicht dass Martha sonst viel aß, aber heute morgen war es auffallend wenig gewesen. "Schon, gut. Ich werde es überleben." Eine Mischung aus Ärger über die gefühlt nun viel zu kurzen Haare und Sorge um die Schwester ließ Matt leise seufzen. Er wünschte wirklich, er hätte sie nicht noch gebeten, ihm die Haare zu schneiden. Als ob nicht absehbar gewesen wäre, dass sie sich verschnitt! Ein wenig verblüfft zog er die Mundwinkel nach unten, als ihm der Gedanke kam, dass sie ihm gar damit einen Gefallen getan haben könnte. Hatte er doch schon länger heimlich mit dem Gedanken gespielt, dass kürzere Haare praktisch waren, vielleicht sogar gut aussahen und wer wusste schon, ob nicht doch ein von den bei seinen Eltern angeseheneren Mädchen ihr Herz an ihn nur deswegen nicht verlor, weil die Haare so lang gewesen waren. Andererseits hätte er sich wohl niemals freiwilig die Haare dermaßen kürzen lassen, dann damit hätte er seinem Vater gegenüber klein beigegeben und diesen mehr Einfluss auf sein Leben nehmen lassen, als ihm lieb war. So jedoch hatte Martha ihm versehentlich einen Gefallen getan und ihm damit eine Entscheidung abgenommen, die souverän zu treffen er nicht in der Lage geweesen war. Er hatte also keinen schlechten Schnitt gemacht und wenn da nicht die Sorge um Martha gewesen wäre, ginge es ihm im Augenblick richtig gut. Schließlich hatte er einen interessanten Gottesdienst vor sich, zumindest hoffte er das, würde Rebeccah wiedersehen und mit Jonathan den Spuren des Forest Creeks von der Mündung bis zu Quelle folgen. "Vielleicht könntest Du trotzdem mal mit ihr Reden? Ich meine nur- dann schliefest Du vielleicht besser.." Über und über rot war Matt geworden, als er Martha vorschlug, mit Rebeccah zu sprechen und ihm bewusst wurde, dass es ihm nicht nur um Marthas Wohl dabei ging. Nein, wenn er ehrlich war, würde er zugeben müssen, dass er durchaus hoffte, auf diesem Wege mehr über Rebeccah zu erfahren und öfter in den Genuss ihrer Nähe zu kommen. Unwillig verzog er den Mund, denn Martha musste nicht unbedingt wissen, dass er ausgerechnet für Rebeccah mehr empfand, als er gedacht hatte. Noch vor wenigen Tagen hätte er nicht im Traum an diese graue und verschüchtert wirkende Person gedacht und jedes Interesse an ihr mit Nachdruck bestritten. Irgendetwas war zwischen ihnen geschehen, denn seit er ihr Lächeln gesehen hatte, war es um ihn offenbar geschehen. In ihrer Nähe wurden ihm die Knie weich wie Butter und die einfachsten Handgriffe schienen zu misslingen. Matt war deswegen nun doch froh, dass Martha ihm die Haare im Nacken kürzen musste, denn so blieb ihr seine Verlegenheit verborgen - zumindest konnte er das hoffen. innerlich verdrehte Matt die Augen, als Martha sie leicht noch tadelte. "Mensch, Martha - ich habe doch nicht den Wahrheitsgehalt Deiner Worte angezweifelt. Ich wunderte mich nur, darüber wie tief stille Wasser sein können." Marthas weitere Worte über Rebeccah ließen ihn annehmen, dass Martha wohl kaum das Gespräch mit Rebeccah suchen würde. Nicht, wenn sie dieser tatsächlich den Schulbesuch neidete. "Natürlich sage ich den Eltern nichts." Matt war fast entrüstet über diese Bitte, die es seiner Meinung nach nicht gebraucht hätte. Er sprach ohnehin nur so selten, wie möglich über persönliche Dinge mit seinen Eltern. Warum sollte er mit diesen nun ausgerechnet über Martha oder Rebeccah sprechen und ein petzen kam für ihn ohnehin nicht in Frage. Rebeccah näht also besser, als Martha - wahrscheinlich auch schon länger.. "Mach Dir nicht so viele Gedanken - ich finde, Du nähst ganz prima. Also.. die Chaps, die Du mir gemacht hast, sehen doch gut aus." Ein offenes Lächeln begleitete Matts Worte, denn erstens entsprach das wirklich seiner Meinung und zweitens lag es ihm fern, Martha Honig um den Mund schmieren zu wollen. Außerdem, und das war wohl der Hauptgrund für seine Worte gewesen, konnte Martha zur Abwechslung ruhig ein Lob vertragen. Sie hörte so oft Ermahnungen oder erhielt Anordnungen, da würde ihr ein Lob aus seinem Mund schon nicht zu Kopf steigen. Inzwischen war Martha fertig und betonte, dass ihr Schnitt gut geworden war und wie Leid Ihr das tat. Sie betonte das so auffällig, dass Matt schon annehmen wollte, sie habe das mit Absicht gemacht. "Das sollte es auch." Matt schmunzelte, denn er war erstens nicht wirklich wütend und zweitens war es wohl ein Fehler gewesen, anzunehmen Martha könne so übermüdet, wie sie wirkte, gut Haare schneiden - und zwar seiner. Irgendetwas in ihrer Stimmlage und vor Allem an ihren verräterisch zuckenden Mundwinkeln, ließ ihn jedoch annehmen, dass ihr das so gar nicht leid tat, dass sie seine Haare hatte kürzer schneiden müssen, als er gewollt hatte. Matt bekam eine Gänsehaut und schüttelte sich ein wenig, als sie das Handtuch von ihm nahm. Natürlich waren die feineren Härchen unter seinen Kragen gerutscht. "Wie komme ich nur darauf, dass Dir das nicht wirklich leid tut.." Grinsend kratzte Matt sich kurz im Nacken, bevor er sich erhob und die Haare von seinen Oberschenkeln abklopfte. Oha, da hat sie aber gründlich gearbeitet. Der Menge der auf dem Boden liegenden Haare nach zu urteilen, war es wohl fraglich, ob er nicht doch einen gänzlich neuen Kurzhaarschnitt bekommen hatte. Mit dem Fuß schob Matt den Stuhl wieder an den Tisch zurück. "Meinst Du? Ich fürchte, Pa ist eher .. nun ja bei meinem Erscheinen nicht gerade amüsiert - auch nicht bei kürzeren Haaren. " Mit einer Hand fuhr Matt sich durch den Pony. Dieser fühlte sich wirklich deutlich kürzer an, als zuvor. "Ich habe ihn vorhin wohl ungewollt geärgert. Ich wollte bei Hanson mitarbeiten und weil Pa mich die Woche über am Haus beschäftigt hat, konnte ich das nicht.. Natürlich kann er nicht akzeptieren, dass er daran, dass ich diesen Job nun nicht habe, nicht ganz unschuldig ist.. Du musst also schon sehr kurz geschnitten haben, damit mein Haarschnitt ihn wieder mit mir versöhnt." Matt drehte sich nach dem Besen um, denn die Haare wollte er selbstverständlich nicht so auf dem Boden herumliegen lassen. "Soll ich Dir ein Geheimnis verraten? Eigentlich hast Du mir sogar einen Gefallen getan - damit - aber sag's nicht weiter, ja?" Matts Schmunzeln wich einem breiten Grinsen, als ihm bewusst wurde, dass er nun wirklich kurze Haare hatte, ohne zugeben zu müssen, dass er seine Ansicht bezüglich der langen Haare geändert und damit dem seines Vaters angeglichen hatte. "Ach, wir haben wohl noch mehr als einen Augenblick Zeit, oder? Weißt Du was? Ich fege hier schnell zusammen - dann kannst Du noch ein paar Minuten ausruhen." Noch bevor Martha Einspruch erhob, denn das würde sie sicher tun, da seine Eltern normalerweise davon ausgingen, dass diese nun selber fegte, griff er sich kurzerhand den Besen und begann, die Haare zusammenzufegen.
"Ja, also ich denke, dass ist eine Sache des Geschmacks," erwiderte Martha ein wenig unsicher und grinste Matt schief an. "Oder des Betrachtungswinkels. Ich finde es jetzt gut," zufrieden räumte sie die Schere beiseite und legte das Handtuch in einen Korb, in dem die schmutzige Küchenwäsche gesammelt wurde. "Du kannst dich ja im Spiegel betrachten. Dann kannst du das ja für dich selbst bestimmen." Und wie sie ihren Bruder kannte, würde er genau das auch tun. Matthew McKay würde sich kaum unter die weibliche Bevölkerung Camden Villages mischen, ohne eines langen Blickes in den Spiegel. Matts Seufzen ließ Martha jedoch gleich wieder inne halten und sie sah ihren Bruder vorsichtig an. War er jetzt doch verärgert? NAtürlich war er verärgert. Immerhin hatte sie ihm die Haare gekürzt, war ausgerutscht, weil sie nicht aufgepasst hatte. Da wäre sie an seiner Stelle wohl auch ziemlich böse auf sich selbst. Eigentlich rechnete Martha fest mit einem entsprechenden Tadel und hatte schon ein wenig den Kopf eingezogen. Dass er jedoch lieber weiter über Rebeccah sprach überraschte sie so sehr, dass ihr kurz der Mund ein wenig offen stand. Rasch schüttelte sie die Verwunderung ab und versuchte sich daran, sich darüber zu freuen, dass ihr Bruder nicht vorhatte sie für ihren Fehler bezahlen zu lassen. So fiel es ihr schon viel leichter über Matts Worte nachzudenken. Mit Rebeccah noch einmal reden... damit sie besser schlief... konnte Matt Gedanken lesen? Oder sah er nur besser hinter die Fassade als der Rest der Familie? Misstrauisch neigte sie ihren Kopf zur Seite und betrachtete Matt mit einer gewissen Spur von Neugier. Woher er nur manchmal seine Folgerungen nahm... falsch lag er damit ja meist nie. Dennoch beeindruckte er Martha damit immer wieder aufs Neue... Dass der Bruder kurz rot wie eine Tomate geworden war, war ihr jedoch unter der Arbeit entgangen. Matts Entrüstung über ihre weitere Worte dagegen nicht. Aber dafür hatte Martha nur ein Schulterzucken übrig. Sie wusste durchaus, dass sie sich auf Matthew verlassen konnte. Aber manchmal war es ganz gut, wenn man sich rückversicherte. Auch dadurch konnte man schlicht besser schlafen, weil man einfach wusste, dass man alles für den eigenen Schutz unternommen hatte. Aber das musste sie doch Matt nicht wirklich erklären? Der wusste doch selbst wie sich Angst und Frucht vor den Eltern anfühlte? Dass er sie oder besser gesagt ihre Näharbeiten sofort lobte ließ sie verlegen lächeln, aber auch kurz dankbar aufatmen. Sein Lob war durchaus etwas wert, auch wenn es im Vergleich zur Meinung der Mutter nicht viel ausrichten konnte. Entsprechend ratlos zuckte sie dabei mit den Schultern. "Ma findet das nicht.", statuierte sie trocken und damit war für sie das Thema erledigt. Auf sein Necken ging sie dagegen nicht ein, sondern warf ihm nur einen warnenden Blick zu, der aber keinesfalls ernst gemeint war. Erst als Matt von Pa zu reden anfing und dabei vom Stuhl aufstand, war wieder ein leises, aber tiefes Seufzen von Martha zu hören, die ohne dass sie es hätte verhindern können, von Matt die Arbeit abgenommen bekam. Nämlich ehe sie selbst hätte zum Besen greifen können, griff Matt danach und fegte seine eigenen Haare zusammen. Gerecht war dies alle Male, fand Martha, immerhin waren es ja auch Matts Haare, aber natürlich war das keine Arbeit für einen Mann und sie konnte nur darum beten, dass Ma nicht gerade jetzt in die Küche kam. Unbehagen beschlich Martha und sie sah immer wieder zur Küchentür, während sie selbst eilig die Kehrschippe holte um Matts zusammengefegten Haufen aufzunehmen.
"Du solltest nicht immer so streng zu Pa sein. Der will doch auch nur dein bestes," Martha kam nicht umhin ihren Vater ein wenig in Schutz zunehmen. Er war es immerhin, der ihr heimlich Schokolade zusteckte und sie auch in den Arm nehmen konnte. Er war interessiert an ihrem Leben und nicht nur daran, ob sie wieder zugenommen hatte oder nicht, und ob sie den Kreuzstich endlich beherrschte oder doch nur wieder "schlampte". Sicher war Pa ihren Brüdern gegenüber um einiges strenger und härter. Dass erkannte sogar ein Blinder. Aber das gehörte sich eben so. Sie hörte es ja immer wieder von Mutter, dass die Brüder eines Tages ihre eigenen Familien würden ernähren müssen und bei Zeiten eben zu lernen hatten, dass das Leben hart zu einem sein konnte, vor allem, wenn man guten Rat in den Wind schlug und nicht an die Konsequenzen dachte. Sie hatte es doch auch akzeptiert, dass sie Dinge lernen musste, die sie nicht sonderlich interessierten, weil sie es eines Tages jedoch brauchen würde. Natürlich wollte Martha eines Tages genauso gut versorgt sein wie Isabelle und Mutter. Und natürlich wollte sie sich mit den anderen Frauen und Mädchen im Nähkreis, in der Sonntagsschule und später bei den Teeveranstaltungen messen können. Wenn dazu so manch eine Träne nötig war, dann war es eben so. Genaus wie sie die Schmerzen für ihre schlechten Arbeiten ertrug, die als Konsequenz zu tragen waren. Niemals hätte sie sich daher gewagt so über Mutter zu sprechen, wie Matt es gerade über Vater tat. Schon gar nicht wenn die beiden ihnen so nahe waren wie im Moment. "Ich glaube schon, dass er das weiß und sich eingestehen kann. Deswegen ist er ja so schlecht gelaunt. Weil er auf sich böse ist. Er kann das nur nicht zugeben und lässt den Ärger dann einfach an dir aus," nun doch ein wenig durch Matt ermutigt, senkte sie ihre Stimme: "Das wäre ja so, als wenn Ma zugeben würde, sie wäre eine schlechte LEhrmeisterin im Handarbeiten. Aber stattdessen schlägt sie mir lieber auf die Finger und verlangt noch mehr KOnzentration," sie sah kurz über die Schulter, aus Angst Mutter könnte plötzlich hinter ihr stehen und ging rasch in die Knie um die Haare aufznehmen. Besser sie war beschäftigt, falls man sie hier doch dabei ertappen sollte, wie sie sich gegenseitig von den Pflichten abhielten. "Ist doch gut, wenn ich dir einen Gefallen damit getan habe," sie grinste zu Matt auf. "Du darfst das auch gerne als deine Idee vor Pa benutzen, wenn es dir hilft."
Skeptisch verzog Matt die Lippen und nahm den Besen kurz an sich. Martha war dabei das Handtuch und die Schere aufzuräumen, währen sie sprach, und er wolle nicht, dass sie womöglich über den Besen stolperte. "Das werde ich wohl müssen, ja." Matt setzte seine Arbeit langsam fort. Er war sich nicht sicher, ob er wirklich wissen wollte, wie er nun aussah. Andererseits war das wohl besser, als wenn er völlig unwissend über seine äußere Erscheinung im Gottesdienst saß. Falls Jemand einen blöden Spruch abließ, konnte er bei Unwissenheit, weder so tun, als wäre das so gewollt, noch es auf Martha schieben. Nein, doch Spiegel Ein paar längere Haare hing zwischen den Dielen im Boden fest, so dass Matt sich bückte, um diese aus der Ritze zu bekommen. Schnell zog er den Zusammenhang zwischen Marthas Worte über die praktischeren kurzen Haaren und ihrer Versicherung, sie sie mit dem Haarschnitt nun sehr zufrieden. Genau genommen - bin ich nicht schlauer als zuvor..So sie kurze Haare schön findet und ihr das nun gefällt - sind sie wohl doch zu kurz.. Matt richtete ich wieder auf und fegte sorgfältig um den Stuhl herum. So entging Martha seine kurze Verlegenheit, denn noch immer wusste er nicht, ob er das nun gut finden sollte, dass sie hatte die Haare deutlich kürzen müssen, oder ob er sich selber nun nicht mehr leiden konnte - äußerlich betrachtet. "Ja, Du hast wahrscheinlich recht. Wen würde das auch nicht ärgern." Matt stimmte Martha zu, denn erstens hatte er keine Lust noch über seine Worte von eben zu diskutieren, obwohl er diese wohl genau so gemeint hatte wie sie, und zweitens mochte er nicht mit Martha streiten. Diese schien ihren Vater vor ihm ein bisschen in Schutz zu nehmen und hing an ihm, so wie Matt jederzeit vor seiner Mutter stand. Vielleicht nahm er Vieles zu genau und empfand es als zu großes Unrecht, so sein Vater seinen Ärger an ihm ausließ - das war eben so. Andererseits war Martha zu Mutter sehr streng und schien jede ihrer Äußerungen zum Nähen auf die Goldwaage zu legen. Er war zwar im Nähkreis nicht dabei, aber abends, wenn sie beieinander saßen, war er doch schon einmal Zeuge davon geworden, wie Mas Stöckchen zum Einsatz kam. Unter diesen Umständen noch perfekte Näharbeiten zu verlangen, war wohl anmaßend und diesen Ansprüchen konnte Martha genauso wenig gerecht werden, wie Ben denen der Schule oder Pa, als er von Hawkins regelmäßig geschlagen und mit wunden, geschwollenen Fingern hatte über den Hausaufgaben geweint. Innerlich seufzte Matt, denn ein dagegen Aufbegehren brachte gar nichts, außer Schläge für ihn und genauere Kontrolle für Ben. Martha hatte wohl noch doppeltes Pech, denn im Gegensatz zu Ben, dem er locker bei den Hausaufgaben helfen konnte, würde Martha damit auch in Zukunft noch alleine fertig werden müssen, denn feine Näharbeiten konnte er nicht ausführen. "Danke." Martha hatte die Kehrschaufel geholt, so dass er nun ohne Umstände den Berg Haare darauf fegen konnte, ohne lange zu suchen. "Natürlich könnte Ma das nicht zugeben." Matt wollte sich schon bücken, um die Haare auf die Schaufel zu fegen, als Martha offenbar den gleichen Gedanken hatten. Beinahe wären sie noch zusammengestoßen. Matt fuhr zurück und als er sich wieder aufrichtete, kam ihm ein ganz neuer Gedanke. Das war ja vielleicht was! Waren denn Menschen so? Er selber gab auch stets ungern zu, so er die Verantwortung dafür trug, das sein Pferd austickte. Oft war das nicht der Fall, aber wenn der Wallach mal buckelte oder beim Führen an der Hand scheute oder rumzickte, dann war es meistens die Folge einer Nachlässigkeit oder einer ambivalenten Reiterhilfe auf seiner Seite. Im Schlimmsten falle hatte er selber Angst oder war ärgerlich und in dem Fall konnte Shy Boy gar nicht anders, als auf ihn zu reagieren, wie auf ein Raubtier. Obwohl Matt diese Zusammenhänge erkannte, weil er schon sehr sehr lange mit Pferden, insbesondere mit Shy Boy, arbeitete und diesen auch ausgebildet hatte, schob er nur all zu gerne die Schuld daran vor Dritten dem Tier in die Schuhe. In dem Fall in die Eisen.. Letzterer Gedanke ließ Matt seufzen, denn den Weg zu Miss Tucker hatte er mal wieder verschieben müssen. Dabei ging es ihm nicht einmal darum, dass er das Geld nicht hatte, sondern dass ihm schlicht immer wieder was dazwischen gekommen war. Aber nach dem langen Ritt an den Forest Creek war mindestens ein Eisen locker geworden und Matt hatte auch bereits den einen oder anderen krumm getretenen Nagel gezogen. Es wurde Zeit, dass da was passierte und so es nach ihm ginge, würde Miss Tucker keine neuen Eisen anfertigen müssen, sondern lediglich alle vier Eisen ziehen. Die Wildpferde hatten schließlich auch keine Eisen und nach Matts Beobachtungen waren diese gerade in Landschaften wie den Rocky Mountains oder eben auch am Forest Creek weitaus trittsicherer, als Shy Boy, der immer wieder Gefahr lief, auf den Eisen auszurutschen. Ohne Eisen hätte ich am Creek wohl länger im Sattel bleiben können.. Marthas Bemerkung, er könne die Folgen ihres Fehlers, nämlich die kurzen Haare, vor dem Vater als seine Idee darstellen, riß ihn aus diesen Gedanken heraus, so dass er Martha zunächst verdutzt ansah. Nur langsam dämmerte es ihm, dass sie ihm da gerade eine Brücke baute. Es war schon klar. So er dem Vater gegenüber so tat, als habe er es sich anders überlegt und sich die Haare bewusst kurz schneiden wollte, gab er klein bei. Dass wollte er eigentlich nicht, denn er hatte jahrelang stur auf langen Haaren bestanden und damit die Eltern wohl gegen sich eingenommen. Da konnte er doch jetzt nicht einfach seinen mühsam erkämpften Standpunkt ändern! Andererseits würde man ihn bestimmt Fragen stellen. Berichtete er von Marthas Verschnitt - oha, dann würde sie garantiert Schläge bekommen. Das wollte Matt auch nicht provozieren, so dass er sich in einer gefühlten Zwickmühle befand. Er kannte Martha gut genug, um zu wissen, dass sie das wirklich gut gemeint hatte. Sie hatte das sicherlich nicht nur angeboten, damit ihr Strafe erspart bliebe. Das wäre ein erster Schritt zu einer Aussöhnung mit Pa... "Gute Idee - vielleicht mache ich das sogar." Ganz überzeugt hörte Matt sich nicht an, denn das war er auch nicht. Wenn er doch nur seinen Stolz überwinden könnte! Vergab er sich denn wirklich so viel, so er dem Vater gegenüber äußerte, es wäre seine Idee gewesen? Das war noch nicht mal eine echte Lüge, denn darüber nachgedacht hatte er ja schon ein paar Mal. Sicher konnte er auch bei der Wahrheit bleiben, wonach Martha sich verschnitten hatte und danach hatte er eben darauf bestanden, dass sie die Haarlängen anglich - da half ja nichts mehr. Guter Plan, Matt.. Dann wird Martha auch Hiebe erhalten.. Matt hatte dafür noch keine Lösung, so dass er nun den großen Besen wieder an seinen Platz stellte und sich anschickte, Martha die Kehrschaufel abzunehmen. Ein paar Mal hatte sie wie verängstigt zur Tür gesehen, hinter der ihre Eltern saßen, und so ging Matt davon aus, dass ihre Angst vor Strafe wegen Müßiggang oder was auch immer größer war, als ihr Bedürfnis nach Ruhe und Schlaf. Das fand er schade, denn er hätte ihr dies mehr als gegönnt. Außerdem war er ein bisschen überrascht, denn für so clever hatte er sie gar nicht gehalten. Es war ganz schön raffiniert von ihr, auf diese Art eine Grundlage zu schaffen, auf der er und sein Vater sich wieder einander annähern konnten - so sie wollten. Frauen - vielleicht waren sie wirklich raffinierte Biester.. Dieser Gedanke ließ ihn schief grinsen, denn ihm war schon klar, dass er damit trotzt aller Cleverness Martha, seiner Ma und auch Rebeccah Unrecht tat. "Na, bevor ich mich so sehen lasse, sollte ich wohl sehen, ob ich mich im Spiegel erkenne." Matts Schmunzeln deutete an, dass er die Möglichkeit, er werde sich nun fremd sein, nicht ernsthaft in Betracht zog. "Danke, Martha- ehrlich." Matt legte kurz einen Finger quer über die Lippen und schüttelte den Kopf, um anzudeuten, dass von ihm die Eltern nicht die näheren Umstände, die zu den kürzeren Haaren geführt hatten, erfahren würden. In der Küche waren sie nun fertig und aufgeräumt war auch Alles wieder, so dass er diese nun mit seinen sicheren Schritten verließ. Noch hatte er einen Augenblick Zeit für sie alleine und die würde er unter anderem nutzen, um Marthas neuestes Gewerk zu begutachten. Er wollte vorbereitet sein und sich damit zumindest arrangiert haben, bevor er von Anderen darauf angesprochen wurde.
tbc: Matt ~ McKays Beverages/Wohnung/Ess und Wohnbereich