Francis schüttelte ablehnend mit dem Kopf, als Molly ihm noch eine weitere Tasse Tee anbot. Er hatte im Augenblick viel mehr das Verlangen nach etwas Stärkerem, aber wenn er nicht garantiert einen noch größeren Streit mit Molly riskieren wollte, dann ließ er die Whiskey-Flasche an einem Sonntag besser unberührt.
Eher etwas skeptisch blickte er seine Frau an, als sie ein wenig einlenkte und ihn zu beruhigen versuchte. So, wenn es keine Kritik sein sollte, was dann? Über diesen Gedanken konnte Francis aber gar nicht länger nachdenken, denn Molly hatte etwas sehr unangenehmes angesprochen, das Francis seit einige Wochen selbst quälte und beschäftigte. Sein Alter. Vieles was ihm vor ein paar Jahren noch leicht gefallen war, erwies sich immer öfters als mühsam und anstrengend. Selbst das Züchtigen der Kinder konnte mitunter dafür sorgen, dass er außer Atem geriet und nicht selten danach körperlich aber auch moralisch erschöpft fühlte. Er hatte gehofft dies vor seiner Familie verbergen zu können, aber scheinbar besaß Molly ein viel feineres Gespür als Francis bislang angenommen hatte. Vielleicht hatte er aber auch davor nur die Augen verschlossen. Er holte nur einmal tief Luft und schwieg. Er konnte und wollte sich und ihr nicht die Wahrheit gegenüber eingestehen. Auch wenn sie beide wohl wussten, dass Molly etwas Wahres angesprochen hatte. Zum Glück erwartete sie auch gar keine Reaktion und wechselte das Thema. Es besänftigte Francis durchaus, dass sie ihm bis jetzt noch nicht widersprochen und mehrmals Recht gegeben hatte. Er schien sich also nicht grundsätzlich die falschen Gedanken zu machen.
Im Stillen kam er jedoch nicht darum herum Molly beizupflichten. Er konnte Matt durchaus mit Freiheitsentzug bestrafen, weil er ihn dabei an einer sehr empfindlichen Stelle traf, aber Martha, die den lieben langen Tag im Haus zu brachte, hatte darin wohl weniger eine zu fürchtende Strafe zu sehen. Bei Ben, der keine Freunde hatte und sich lieber im Haus und auf dem Hof herumdrückte, war Arrest wohl auch weniger die erste Alternative, die er wählen würde. Blieb nach seiner Meinung nur wieder das alt Bewährte. Er sah durchaus was Molly auf der Seele lastete und erkannte darin seine eigenen Sorgen, Gedanken und Befürchtungen um das Heil der Kinder wider. Nur schien auch Molly keine Lösung dafür zu haben, wie man ein paar Dinge zum Besseren wenden konnte, ohne gleich sein Gesicht zu verlieren oder gar zu riskieren, dass die Kinder einem entglitten. Es war nun einmal so: Wenn sie mit ihrer Erziehung brachen, so fürchtete Francis, obstinate Kinder zu erzeugen und lockerten sie ihre enge Leine, an die sie die Kinder gelegt hatten, fehlten Alternativen, um zu verhindern, dass am Ende der moralische Verfall und Fehltritte der Kinder stand. Dieses Risiko wollte Francis nicht eingehen.
Als Molly plötzlich anfing über Rebeccah zu sprechen, nickte er zögernd. Worauf wollte sie hinaus? Und natürlich kannte er sie. Nicht wirklich persönlich, aber man hatte so seine Informationen eingezogen. Dass sie ein anständiges Mädchen war, hatte auch Francis selbst mitbekommen und nickte wiederum, ehe er damit wohl gänzlich Molly in die Falle gegangen war. Doch den Fehler bemerkte er erst, als sie nach seiner Zustimmung erwähnt, dass Rebeccah noch zur Schule ging und diese darum nicht zwingend eine Gefahr für Martha sein musste. Doch ehe er Molly unterbrach wollte er sie zu Ende anhören, um sich dann seine eigenen Gedanken zu machen. Es konnte ja nicht schaden und er hatte so einiges an seiner Tochter wieder gutzumachen, um vielleicht auch einmal mit Großzügigkeit aufzutreten. Das kostete ihm sicher nichts und verzog Martha bestimmt nicht gleich. "Lass mich darüber in Ruhe nachdenken," bat er Molly mit einem zuversichtlichen Lächeln, um ihr zu signalisieren, dass der Gedanke damit nicht aus der Welt geschafft war, sondern tatsächlich auf fruchtbaren Boden gefallen war. "So eine Entscheidung möchte ich nicht einfach hier und jetzt fällen. Vielleicht kann es nicht schaden, wenn wir Martha selbst zu diesem Thema befragen und hören was sie tatsächlich möchte. Und ganz gleich wie meine Entscheidung ausfällt wird es nichts umsonst geben. Denn Rebeccah mag ein angenehmer Einzelfall sein, aber ich riskiere nicht, dass eine mögliche Nachsicht meinerseits dazu führt, dass Martha auf die Idee kommt, es würde sich etwas ändern. Sie wird für das Schulgeld eine feste Aufgabe übernehmen müssen und sich das Geld quasi verdienen und ich erwarte von ihr in der Schule vollen Einsatz. Das sollte Martha vorher erklärt werden. Nur für den Fall, dass ich der Idee zustimme," räumte er vorsichtshalber ein, damit Molly nicht auf die Idee käme, er hätte schon längst eine Entscheidung getroffen. Die aber immer mehr Konturen annahm, vor allem nachdem Molly sich nach seinem Geständnis entsetzt zeigte. Eigentlich hatte er gehofft sie wäre schon längst zu diesem Schluss gekommen, denn schließlich hatte sie Marthas wunde Hände versorgt und gesehen, was er angerichtet hatte. So blieb ihm nur ein beschämter Blick, der Mollys auswich und ihn leise seufzen ließ.
Etwas bedrückt sagte er nach einer kleinen Denkpause: "Ja das tue ich tatsächlich Molly. Einige Dinge hätten in den letzten Monaten so nicht geschehen dürfen," er sah wieder auf und begegnete ihrem seltenen warmen Lächeln, das ihn immer wieder daran erinnerte welche Seite er an Molly so sehr liebte, dass er ihre alltägliche Kühle bereitwillig ertrug. Er lächelte zurück und als er hinter Molly an den großen Ladenfenstern den angekündigten Wagen mit einigen Soldaten vorbeirollen sah, nahm er rasch seine Hand wieder zurück, die Molly bereits zu entziehen drohte, und straffte ein wenig unter ihren nächsten Worten die Schultern. "Durchaus musste Strafe sein," sagte er etwas reservierter. "Aber ich schätze es hätte auch gereicht, wenn du sie selbst angemessen für ein Mädchen entsprechend gezüchtigt hättest. Aber... nun ja, lügen und stehlen ist nun einmal keine Kleinigkeit. Und die Kinder wissen, dass wir sie für jedes Vergehen einzeln bestrafen müssen. Es hat sie ja nicht umgebracht," die Worte klangen in seinen Ohren wie eine fade Rechtfertigung seiner Tat und Francis war sich nicht so sicher darüber, ob er das nur aussprach um sich selbst ein wenig zu beruhigen. Mollys weitere Worte ließen Francis stark vermuten, dass auch seine Frau bislang nur Ideen und Gedanken zu dieser leidigen Sache gehabt hatte, aber auch noch keine konkreten Lösungen parat hatte. Somit waren sie gemeinsam soweit, wie er in den letzten Wochen gedanklich gekommen war. Möglicherweise mussten sie es einfach wagen ein paar Veränderungen einzuführen. Und sich auch an diese zu halten. Sein Strafbuch hielt er noch immer für eine gute Idee, nur daran gehalten hatte er sich nicht. Daran Schuld trug seine Verärgerung über diesen Jeremiah vom Morgen und das Unverständnis über den Reverend der seinen Sohn auch noch in Schutz genommen hatte. Damit ihm so etwas wohl nicht passieren konnte, hatte er Ben gleich wieder strenger gestraft, als er hätte müssen. Ein Gedanke, der ihn schwer seufzen ließ, ehe ihm eine Idee kam, die etwas.. nun ja ungewöhnlich für ihn war, aber womöglich helfen konnte.
"Vielleicht," räumte er vorsichtig ein. "Vielleicht könnten wir.. nun das ist nur eine Idee und soll nicht aussagen, dass wir nicht fähig wären selbst eine Lösung zu finden, aber vielleicht könnten wir bei Gelegenheit jemanden fragen, der eine andere Sicht der Sache besitzt, als wir? Miss Spencer vielleicht. Sie muss eine ganze Schulklasse disziplinieren und auch wenn ihre Clara ein wenig zu viel plappert scheint sie doch wohlerzogen zu sein. Unter Umständen könnte ich sogar den Reverend erwägen.. wobei mir Jeremiah nicht unbedingt als wohlgeraden in den Sinn käme...Wir müssen ja nicht beherzigen, was sie vorzuschlagen haben, aber anhören könnten wir sie durchaus...."
"Ah, dann kann ich ja aufräumen." Da Francis eine weitere Tasse Tee ablehnte, stellte Molly nun auch seine Tasse mit auf das Tablett. "Natürlich müssen wir das in Ruhe überlegen, ob und wie das gehen kann. Martha kann sich in der Tat das Schulgeld verdienen." Molly unterdrückte ein Lächeln, denn Francis versuchte zwar deutlich zu machen, dass er noch keine Entscheidung getroffen hatte, aber Molly nahm doch an, dass sie bereits gewonnen hatte. Mit Martha darüber zu sprechen hieße, diese an zu sehen und Francis würde dieser keinen Wunsch abschlagen können - vor Allem nicht, so er in der Tat ein schlechtes Gewissen dieser gegenüber hatte. "So? Na, dann. Zusammen sollte es uns gelingen, diese Dinge für die Zukunft zu vemeiden." Mollys Herz machte einen kleinen Freudensprung, also Francis sie warm anlächelte. Leider zog er nun seine Hand ebenso zurück, wie sie, um das Tablett zur Seite zu stellen. "Oh, nein - lügen und stehlen ist und bleiben Sünden, die bestraft werden müssen. Das wusste Martha und hatte also damit zu rechnen." Molly ging auf den in der Bemerkung, eine Züchtigung von ihrer Hand hätte wohl genügt, nicht ein. "Wirklich? Das wäre tatsächlich etwas ganz Neues." Überascht sah Molly ihren Mann an, denn dass dieser andeutete, sich Rat bei Miss Spencer oder dem Reverend zu holen, schien so gar nicht zu ihrem Mann zu passen. Das war sicherlich dem Umstang geschuldet, dass auch Francis nur wusste, dass es so nicht mehr weitergehen konnte mit den Kindern, aber ebenso wenig eine Alternative dazu kannte, wie sie. Dass er bereit war, Rat zu suchen allerdings, zeigte ihr, dass er sich Veränderung wünschte. "Nun, das wäre wohl möglich..Also, dieser Jerry ist zwar das ganze Gegenteil von Ben, aber ich mir ist noch nichts zu Ohren gekommen, dass mich annehmen lässt, er sei auf die schiefe Bahn geraten oder gar kriminell. Als Mann Gotte sollte der Reverend doch wissen, wie die Kinder biblisch zu erziehen sind.. und Miss Spencer.. nun ihre Tochter scheint gut erzogen und doch aufgeweckt zu sein. Doch, vielleicht finden wir dort einen Rat, damit es besser läuft.." Leise Zweifel stiegen in Molly auf, als sie plötzlich Eli vor Augen hatte. Von diesem hatte sie in den letzten Monaten nichts Gutes gehört, aber da Miss Spender diesen bei John zurück gelassen hatte, war er wohl kein Maßstab für ihre Fähigkeiten der Kindererziehung zu nennen. "In der Tat - Alles prüfen das Gute behalten,nicht? Nein, wir müssen nicht Alles beherzigen und das dürfen wir wohl auch nicht.. Schließlich sind unserer Kinder älter, als der Reverend oder Miss Spencer gewöhnt sind, nicht?"