Als Sarah den Wohnraum betrat, war einige Zeit vergangen. Stolz wegen Erics Bemerkung, sie würde wie eine Dame aussehen, hatte sie sich sofort daran gemacht, ihre Morgentoilette mit aller Sorgfalt zu erledigen. Für gewöhnlich war sie nicht eitel, doch sie hatte seine Worte als Hinweis darauf aufgefaßt, daß es ihn freuen würde, sie beim gemeinsamen Kirchgang sonntäglich herausgeputzt zu sehen. So hatte sie allein schon für die Pflege ihrer Locken geraume Zeit aufgewendet. Mama hatte ihr manchmal die Haare sehr ausdauernd gekämmt, was sie nicht sonderlich gemocht hatte. Sarah liebte keine fremden Hände und vor allem keine Kämme und Bürsten an ihrem Haar. Doch Onkel Eric zuliebe war sie heute über ihren Schatten gesprungen und hatte sich alle Mühe gegeben, auch mit ihrer Frisur.
Auch das besagte blaue Kleid hatte sie vorsichtig aus seiner schützenden Hülle befreit, in der es die lange Reise nach Camden mitgemacht hatte. Nun trug sie es, nur die zugehörige Haube lag noch in ihrem Zimmer. Penibel strich sie den Stoff noch einmal glatt, bevor sie zu Onkel Eric an den Tisch trat. Es war wirklich wunderschön und gab ihr das Gefühl, daß heute ein ganz besonderer Tag sei. Mit nur einem winzigen Anflug weiblicher Eitelkeit blieb sie einen Moment stehen, um ihm die Gelegenheit zu geben, Kleid und Trägerin gebührend zu bewundern. Doch gleich darauf senkte sie schon wieder den Blick und kletterte auf einen der Stühle, peinlich darauf bedacht, die schöne große Schleife des Kleids nicht zu zerknittern. Sie war einfach nicht dafür geschaffen, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, fühlte sich nicht recht wohl, wann immer sie sich beachtet wähnte.
Als sie schließlich saß und ihre Beine in der Luft baumelten, schaute sie über den Tisch, auf dem ein appetitliches Frühstück angerichtet war. Das Mädchen aß meist kaum mehr als ein Spatz, doch jetzt, noch dem Aufstehen, verspürte es Hunger. Der Duft des Frühstücks war verlockend – sogar der des Kaffees. Zwar trank sie keinen, denn dafür war sie noch zu klein. Der Kaffee war für ihren Vormund gedacht. Doch der Geruch gehörte für Sarah einfach zu einer Mahlzeit. Auch Mama hatte gern Kaffee getrunken, und so war sie an den Duft gewöhnt.
Als Sarah schliesslich gewaschen und schön angezogen in den Wohnraum trat, musterte Eric sie kurz, lächelte aber sehr. Ja, sein Engel sah bezaubernd aus. Sogar um ihre Locken hatte sie sie sich gekümmert, wie eine kleine Dame. Aber es schien ihr auch zu gefallen. Denn bevor sie sich an den Tisch setzte, schien sie sich ein wenig zu präsentieren. Nicht sonderlich auffällig, aber genug für Eric, der dann auch gleich ein Lob versprühte: »Du siehst wirklich sehr hübsch aus, Sarah! Wirklich!« Sie gab sich solche Mühe, allen zu gefallen. Besonders ihm. Ob das nun gut oder schlecht war. Warum sollte er ihr nun nicht sagen, was er meinte? Und doch schien es auch irgendwie, dass sie nicht gerne wirklich im Mittelpunkt stand. Zumindest nicht bei Fremden.
Und dann setzte sie sich an den Tisch, genau darauf bedacht, das ihr Kleid und auch sonst alles richtig saß und Eric grinste. Zwar aß Sarah wirklich wenig, aber heute schien sie Hunger zu haben. Irgendwie glaubte er es an ihrem Blick zu sehen. Und dennoch gab es auch hier noch ein kleines Ritual. Eines, was er nur für Sarah tat: Das Tischgebet. Es war nur kurz und ein Dank an den Herren. Doch dann forderte Eric Sarah auf, ordentlich zu essen. Er selber griff auch beherzt zu, auch bei seinem Kaffee. Sarah hatte ihren Kakao.
Aber auch wenn das Essen vielleicht nicht ganz so reichhaltig war, wie in City of Kansas, einfach, weil ein Notstand zu herrschen schien, gab es genug und eine gewisse Auswahl: Schinken, Käse und Marmelade.
Auch Eric berstrich sich sein Brot, welches es auch für Sarah vorher in Scheiben geschnitten hatte.
Irgendwann beim Frühstück fragte er dann: »Und? Bist du aufgeregt, was die Kirche angeht? Und wie ist es denn bisher so in der Schulegelaufen??«
Schüchtern, aber auch stolz lächelte das Mädchen über das Lob seines Onkels. Sarah war nicht sonderlich eitel, doch nachdem sie einmal ihr Lieblingskleid ins Gespräch gebracht hatte, war sie auch besonders sorgfältig dabei vorgegangen, sich sonntagsfein zu machen. Daß ihr Vormund diese Mühe würdigte, war ihr viel wert, zeigte es doch, daß er sie wahrnahm und ihr Bemühen zu schätzen wußte. Voller Inbrunst sprach sie leise mit, als Eric schließlich das Tischgebet aufsagte. Und dann begann sie zu essen – zu naschen eigentlich mehr, gemessen an den Portionen, die andere Heranwachsende vertilgten. Trotzdem war ihr anzusehen, daß es ihr durchaus schmeckte. Penibel bestrich sie ihr Brot mit süßer Marmelade, als handle es sich um ein Kunstwerk. Und genauso penibel säuberte sie ihre Finger von den klebrigen Tröpfchen, die bei dieser Aktion haften geblieben waren. Das Tuch, das sie dafür verwendete, breitete sie danach über ihren Schoß, wie Mama es sie gelehrt hatte. Zu ihrem Sonntagskleid gehörte nicht die für Alltagskleider übliche Kinderschürze, so daß sie besonders aufpassen mußte. Es durften nach Möglichkeit keine Flecken auf den feinen, himmelblauen Stoff geraten, denn es war schließlich ihr bestes Kleid, und jede Wäsche schadete Stoff und Farben. Es sah wohl ein wenig geziert für ein Kind ihres Alters aus, wie sie so vorsichtig und zurückhaltend aß, doch Sarah war der Meinung, daß sie damit bewies, wie selbständig sie war und wie gut Mama und Onkel Eric sie erzogen hatten.
In kleinen Häppchen biß sie von ihrem Brot ab und trank dazu immer wieder Schlückchen des heißen Kakaos. Ihre kurzen Beine baumelten unter dem Tisch in der Luft, während sie sich im Raum umsah. Noch war ihr alles fremd, von den mitgebrachten Möbelstücken abgesehen. Sie würde einige Zeit benötigen, bis sie sich nicht mehr unwohl fühlte. Erics Frage ließ sie sich wieder auf ihren Vormund konzentrieren. In einer wiederum seltsam erwachsen anmutenden Geste legte sie ihr angebissenes Brot auf den Teller zurück, um zu überlegen, bevor sie antwortete. "Ich glaube schon, Onkel Eric. Ich kenne ja den Reverend nicht, und die Kirche auch nicht." Nun, eigentlich hatte sie immer einen Heidenrespekt bei den Gottesdiensten, weil doch der Herrgott im Himmel besonders genau hinsah, wenn man in der Kirche war. Schließlich war es ja sein Haus... Dann schürzte sie die Lippen. "In der Schule war es ganz gut..." Sie schielte wieder auf ihr Brot und wich damit Onkel Erics Blick aus. Niemand hatte sie bislang besonders gepiesackt oder ihr Angst gemacht – mehr erwartete sie gar nicht von der Schule, um zufrieden zu sein. Natürlich hatte sie kein einziges Mal unaufgefordert den Mund aufgemacht oder sich gar freiwillig gemeldet, auch wenn sie dem Unterricht recht mühelos hatte folgen können. Es war dasselbe wie im neuen Haus der Malones und in der Kirche: Sie kannte weder Lehrer noch Schüler und würde sich dementsprechend vorerst hüten, sich aus ihrem Schneckenhäuschen herauszutrauen.
Eric nahm wahr, oder glaubte es zumindest, dass sich Sarah irgendwie darüber freute, dass er sie wahrgenommen hatte und ihre Bemühungen und wegen dem Kleid. Er fand das normal, dass er das tat, ohne zu wissen, das es anderen Menschen vielleicht anders ging. Aber er fand es wichtig, seine Nichte wahrzunehmen, ja sogar ernst. Egal wie alt sie war. Sie hatte ihre Mutter verloren und nie einen Vater gehabt. Er war nun alles, was sie nun hatte. Vielleicht war er über besorgt, aber dann war das gerade mal so. Er kommentierte dann ja auch nicht alles, dass sie sehr reif auf ihre Weise war und verantwortungsvoll. Zugegeben, sie nahm ihm sogar ein wenig Bürde ab. Denn er selber hatte keine Kinder, wusste nicht, wie das eigentlich so war mit der Erziehung. Er mochte da ein wenig modern erscheinen, aber er handelte einfach nach seinem Gewissen. Wer sollte ihm schon sagen, was eine richtige Erziehung war? Er hatte sich immer nur mit seinem Job und Verbrechern herumgeschlagen. Weswegen er auch nie eine Ehefrau hatte, was er manchmal schon sehr vermisste. Aber nun war er für seine Nichte verantwortlich. Und er musste mit ihr ein neues Leben anfangen. Nicht nur für sie, sondern auch für sich. Aber Eric war recht zuversichtlich, dass es das schaffen würde und er musste zugeben, dass Sarah ihm irgendwie eine große Hilfe war. Sie war immer brav und bemühte sich sehr. Und momentan hatte er fast nicht mal die Zeit darüber nachzudenken, ob er alles richtig machte. Er erinnerte sich aber dennoch an Terrys Worte, als sie sich vor ein paar Tagen endlich trafen. Das er Eric falsch eingeschätzt hatte, oder sie Situation.
Nun aber wollte er mit Sarah erst einmal den ganz normalen Alltag üben. Und so bestrich er sein Brot mit etwas wenig Butter, da sie rar war und legte eine Scheibe Schinken darauf und bis herzhaft zu, während der zwischendurch seinen Kaffee trank, der ihm sehr gut tat.
Dann, so ein wenig in seinen Gedanken versunken, obwohl er Sarah eben etwas gefragt hatte, horchte er auf. Und er grinste. Sie hatte vielleicht noch nicht verstanden, dass der neue Reverend der Stadt Onkel Terry war, bei dem sie ja, als Eric so lange im Krankenhaus gelegen hatte, längere Zeit gewohnt hatte in der City of Kansas.
Eric legte sein angebissenes Brot zurück auf den Teller und schaute Sarah aufmerksam an. »Liebes, der neue Reverend hier in der Stadt ist Onkel Terry. Und den kennst du doch gut. Es wird heute sein erster Gottesdienst sein, also mache dir keine Sorgen. Terry löst nämlich den alten Reverend hier im Ort ab. Also, da kann doch nichts mehr schief gehen, oder?« Fast verschwörerisch zwinkerte er Sarah zu.
Auf das, was sie über die Schule sagte, ging er dann erst einmal nicht ein. Er würde sie beobachten, aber er wollte sie nun auch nicht drängen. Vielleicht lief es ja wirklich gut in der Schule. Und Sarah wusste, dass sie mit allem zu ihrem Onkel kommen konnte. Lediglich sagte er dann fast beiläufig: »Wenn es aber mal Probleme in der Schule geben sollte, bitte ich dich, damit ehrlich zu mir zu kommen, in Ordnung?«
Hin und wieder knabberte Sarah an ihrem Brot, während sie Onkel Eric zusah, der seinerseits mit merklichem Appetit aß. Sie war wie üblich recht still, solange er sie nicht direkt ansprach. Doch machte sich ihr Stolz auf sein Lob in kleinen Gesten bemerkbar, die einem Fremden wohl kaum aufgefallen wären, ihrem Vormund dagegen mittlerweile vertraut sein mochten. Mit geradem Rücken saß sie auf dem viel zu großen Stuhl, die Augen aufmerksam auf ihn gerichtet. Mit den gezierten, geradezu damenhaften Bewegungen beim Verzehren ihrer bescheidenen Mahlzeit wirkte sie beinahe wie eine Erwachsene, die auf Kindermaß zusammengeschrumpft war. Dennoch konnte ihr Äußeres nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie im Grunde eine Halbwüchsige war, die sich in einem kindlichen Spiel in die Rolle einer Frau versetzte. Ernst und Würde, die sie auszustrahlen versuchte, mochten auf den Beobachter eher belustigend wirken, waren sie doch auf naive Weise übertrieben, eine unschuldig unbeholfene Imitation erwachsener Frauen. Für das schüchterne Mädchen waren sie jedoch Ausdruck ihres Wunsches, dem Vormund ein gutes Mündel zu sein und ihm zu demonstrieren, wie sehr sie sich darüber freute, von ihm für voll genommen zu werden, trotz ihres geringen Alters.
Sie war sogar versucht, Josephine nicht mit zur Kirche zu nehmen – immerhin war ihr bewußt, daß die Puppe etwas war, das sie eindeutig als kleines Mädchen identifizierte und überhaupt nicht zum Bild einer erwachsenen Frau paßte, dem sie so gern entsprechen wollte. Die Entscheidung war allerdings eine schwere, denn zum einen fühlte sie sich mit Josephine im Arm wohler, ganz abgesehen davon, daß es für sie persönlich sehr gut mit dem Erwachsensein in Einklang zu bringen war, wenn man sich um ein kleineres Wesen kümmerte. Schließlich tat das jede Mutter mit ihren Kindern. Zum anderen besaß sie ein Kleid für Josephine, das fast exakt wie eine kleine Ausgabe dessen aussah, das sie gerade trug. Ein feines Sonntagskleid in himmelblauer Farbe mit einer großen Schleife und zugehöriger Haube. Es war alles andere als einfach gewesen, aber als sie ihr eigenes Kleid bekommen hatte, war Sarah ungewöhnlich hartnäckig gewesen und hatte so lange gebettelt, bis Mama schließlich entnervt etwas mehr Stoff besorgt und die kleine Ausgabe des Kleidungsstücks für die Puppe genäht hatte. Vor Stolz hatte das Mädchen geglüht, als sie zum ersten Mal mit ihrem "Baby" im Arm, beide im gleichen Kleid, umhergelaufen war.
Sie grübelte noch immer über das Für und Wider, Josephine hier zurückzulassen, als Eric sie wieder ansprach. Erstaunt blinzelte sie ihn an und hätte vor Überraschung beinahe Marmelade auf ihre Sonntagssachen gekleckert. "Onkel Terry ist jetzt hier der Reverend? Aber wer hält denn dann zuhause die Predigten?" Daß ein Reverend irgendwann zu alt wurde, um seiner Aufgabe weiter nachzugehen und folglich von einem neuen abgelöst werden mußte, das war ihr einsichtig. Aber Onkel Terry war doch gewiß noch nicht zu alt – warum hatte er dann seine frühere Gemeinde verlassen, um hier zu arbeiten? Denn für ihn mußte doch wiederum auch ein Ersatz gefunden werden. Da wäre es doch, schloß sie messerscharf, viel einfacher gewesen, diesen zweiten neuen Reverend gleich hierher nach Camden kommen zu lassen. So wäre alles viel weniger kompliziert gewesen. Nicht daß sie etwas dagegen gehabt hätte, wenn nun Onkel Terry hier sein würde. Jedes bißchen an gewohntem war ihr lieb und teuer. Doch andererseits, fiel ihr mit Unbehagen ein, hieß das auch, daß Jeremiah ebenfalls hier bleiben würde. Und mit ihr zusammen in die Schule gehen! Und gewiß hätte er nichts Eiligeres zu tun, als den anderen Kindern zu erzählen, daß man Sarah ungestraft piesacken konnte, weil sie sich nicht wehrte... mit einem Mal betrübt schaute sie auf ihr angebissenes Brot.
Die Zeit in der Schule würde wieder einmal schwer werden für sie. Sarah war wohl das einzige Kind, das weniger Angst vor Lehrern und Schulstoff als vor den Mitschülern hatte. Ihr wurde peinlich bewußt, daß sie eben doch noch keine Erwachsene war, die mit den kleinen Gemeinheiten anderer wohl souveräner umzugehen gewußt hätte. Sie war ein kleines und vor allem ängstliches Mädchen, dem sich bereits jetzt wieder der Magen zusammenzog bei dem Gedanken daran, wie die Jungs sie ärgern würden und die anderen Mädchen sie von oben herab behandeln, obwohl sie sich doch nichts mehr gewünscht hätte, als dazuzugehören, so laut und unbekümmert zu sein wie die anderen auch. Onkel Eric konnte sie das nicht erklären – er hätte es wohl nicht verstanden und wäre nur unnötig besorgt gewesen, hätte er davon erfahren. So bemühte sie sich um eine zuversichtliche Miene und nickte mit einem leisen "Mhm." zu seiner Aufforderung, sie solle ihm bescheid sagen, wenn sie Probleme in der Schule hätte. Ihre Probleme waren eben einfach nicht die üblichen wie schlechte Noten oder Streit mit anderen Kindern. Sarahs Probleme schienen ganz ohne ihr Zutun zu kommen.
Ja, Eric glaubte zu bemerken, dass Sarah, die dennoch recht still an ihrem Brot knabberte, sich immer noch sehr über sein Lob wegen ihres Aussehens freute. Es war einfach ihre Art, der gerade Rücken, vielleicht auch das leicht erhobene Kinn, ohne dass sie dabei hochnäsig wirkte. Überhaupt schien es sie angespornt zu haben, sich nun noch ein wenig damenhafter zu bewegen. Irgendwie war es ja wirklich niedlich, auch wenn sie gerade mal neun Jahre alt war. Ja, manchmal wünschte er sich, wenn er es sich so recht überlegte, dass Sarah ein wenig kindlicher sein konnte. Aber das konnte er ihr ja schlecht beibringen. Sie war nun mal, wie sie war.
Sarah war dann plötzlich doch mehr Kind, als sie vielleicht wollte, als die verdutzt darüber war, dass Terry hier nun der Reverend war. Und Eric unterbrach sein Essen, kaute zu ende und blickte Sarah dann aber ernst an, nicht zu ernst, nicht tadelns oder so. »Nun, in City of Kansas gibt es nun eben einen anderen Reverend. Einen Nachfolger. So wie Terry hier der Nachfolger eines anderen Reverend ist.« erklärte der ehemalige Sheriff. Von Sarahs weiteren Gedanken bekam er ja nichts mit. Und Terry war vielleicht aus ähnlichen Gründen wie Eric aus der Stadt gegangen: Aus Trauer wegen Terrys Frau und Eric, weil er mit Sarah ein neues Leben anfangen wollte.
Das er die Schule ansprach, schien der kleinen Dame nicht ganz zu gefallen, das spürte Eric irgendwie instinktiv. Denn sie sagte eigentlich nichts, zeigte nur, dass sie verstanden hatte. Und ihre aufgesetzte bemühte Miene konnte auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie irgendwas bedrückte, wenn es um das Thema Schule ging. Was immer es auch war. Für Eric war es normal, dass ein Kind selbst lernen musste, sich irgendwie durchzusetzen. Auch Sarah. Aber er wusste auch von ihrer Art, oft schüchtern zu sein und er erinnerte sich an ein Gespräch über Mut, was er vor knapp einer Woche mit ihr geführt hatte.
Also beugte er sich ein wenig zu ihr herüber und legte sanft seine größere Hand auf ihren Unterarm und schaute sie nun etwas eindringlicher an. »Saha, ich meine das ernst. Wenn du Probleme hast, kannst du immer mit mir darüber reden, ja?« Sie war nun mal ein Mädchen und kein Junge ... dachte er irgendwie so.
Eric konnte nicht wissen, daß er seinen Finger auf einen wunden Punkt legte, als er nochmals davon sprach, sie solle ihm von möglichen Problemen erzählen. Einerseits hätte Sarah liebend gern ihre Seele erleichtert, von ihren Ängsten und Nöten gesprochen. Andererseits hatte sie wie stets furchtbare Angst, ihm, trotz aller gegenteiligen Versicherungen, auf die Nerven zu gehen. Für gewöhnlich erzählte sie daher alles, was sie belastete, ihrer Puppe Josephine. Das war zwar nicht dasselbe wie es Mama zu erzählen, aber es tröstete sie doch. Immerhin glaubte sie zu wissen, daß Mama alles hörte, was sie sagte – irgendwo auf ihrer Wolke im Himmel sitzend.
Um Zeit zu gewinnen, knabberte sie erst einmal erneut an ihrem Brot. Zu ihrem Vormund schielend sah sie seinen Blick und geriet mit ihrem Entschluß ins Wanken. Er fragte so hartnäckig nach... was, wenn er wirklich wollte, daß sie ihm all ihre Sorgen beichtete? Es war so schwer für sie, sich zu entscheiden..! Denn ungehorsam wollte sie ja auch nicht sein. So kaute sie übergründlich auf dem kleinen Bissen herum, den sie genommen hatte, und schaute wieder auf, als Eric ihr die Hand auf den Arm legte. "Na ja... es ist wegen der anderen Kinder..." Ein wenig unglücklich sah sie zu ihm hoch. "Weißt du, ich hab Angst, daß sie mich auslachen oder so." Sie war sich nicht ganz im klaren darüber, ob er wußte, wovon sie sprach. Es war ja lang her, daß er Kind gewesen war.
Und er war ein Junge gewesen. Die konnten sich besser wehren als Mädchen. Noch dazu: Selbst für ein Mädchen stellte Sarah ein sehr leichtes Ziel für Hänseleien und Streiche dar. Vielleicht konnte sich Onkel Eric also gar nicht genau vorstellen, wie gemein manche Kinder sein konnten. Und ihre Sorge daher gar nicht nachvollziehen. Unsicher musterte sie ihn, bevor sie ans Weitersprechen dachte.
Eric glaubte zu erahnen, was in Sarah vorging. Ihm fiel auf, wie sie lange mit einer Antwort haderte, sie eher lustlos an ihrem Brot kaute. Ja, dem ehemaligen Sheriff entging kaum etwas, wohl ganz zum Leidwesen seiner Nichte. Aber so war er nun mal. Er hatte genug Zeit gehabt, Menschen zu studieren. Und bei seiner Nichte war es nicht anders. Und dann kam sie doch mit etwas heraus. Zögerlich. Eric tat so, als wäre es das normalste der Welt, füllte seinen nun leeren Becher mit frischen Kaffee, nah sein Brot wieder auf und aß weiter. »Ja? Wegen der anderen Kinder? Das ist deine Angst, dass sie dich auslachen?« fragte er noch einmal nach, aber ja, Sarah war ja nun sehr ehrlich gewesen. Aber noch verstand er nicht und spürte weiter, dass es Sarah unangenehm war. Aber da musste sie nun mal durch. »Aber warum hast du Angst? Also, warum hast du Angst, ausgelacht zu werden? Und ist das dir hier in Camden Village schon untergekommen, oder resultiert ... eh ... zeugt Deine Angst vor Erfahrungen aus City of Kansas?« Eric bemerkte erst, als er seine Worte gesprochen hatte, dass er durch und durch der Ermittler war, der versuchte, scharfinnig herauszubekommen, um was es wirklich ging.
Und dann räusperte er sich. Er wollte nämlich wirklich Klarheit. »Sarah, ob du willst oder nicht, ich bin nicht dein Feind. Du musst mir nichts beweisen. Ok, ich kann Deine Mutter nicht ersetzen, aber ich versuche mein Bestes dir ein guter Vormund zu sein. « Auf einmal gab es da ein seltsames Stechen in seinem Kopf. Eine leichte Migräne machte sich bemerkbar. Er wusste, dass er Sarah nicht wie einen Verdächtigen behandeln durfte. Aber war er vielleicht einfach nur zu gutmütig oder sogar zu lasch? Er hatte doch einfach keine Ahnung. Er wusste, dass andere Eltern sehr viel härter waren. Aber deswegen musste er es doch nicht sein, er wollte seine Nichte verstehen.
Aufmerksam schaute er nun wieder zu seinem Mündel, aber nicht tadelnd, nur etwas ernster.
Mit einem leisen Seufzer gab Sarah auf. Onkel Eric war hartnäckig, und er würde so lange auf einer Antwort bestehen, bis er sie hatte. Es war schwer, sich seinen Fragen zu entziehen. Kleinlaut starrte sie daher auf ihr angebissenes Brot. Zwar drückte er sich etwas kompliziert aus, doch war sie ja durchaus in der Lage, ihn zu verstehen. "Ach, wenn man irgendwo neu ist, machen immer alle ihre Scherze mit einem... besonders die Jungs." Es war ihr wirklich peinlich, vor ihrem Onkel davon zu sprechen. Am liebsten hätte sie es vermieden, denn er hatte doch offensichtlich schon erraten, wovor sie sich fürchtete. Zuhause, vor ihrem Umzug, da war sie auch stets dem Spott anderer Kinder ausgesetzt gewesen. Jeder Mensch suchte manchmal jemanden, auf dem er herumhacken konnte, und sei es nur, weil es ihm selbst ähnlich gegangen war und er sich besser fühlte, wenn er seinerseits Häme und Spott austeilen konnte. Sarah war als dankbares Opfer kleiner Gemeinheiten und böser Scherze bekannt gewesen. Mit schöner Regelmäßigkeit hatten die Mädchen sie gehänselt oder die Jungs ihr Streiche gespielt, ob sie sie nun an ihren Zöpfen zogen, ihr von hinten das Kleid lüpften oder ihr Grashüpfer oder Frösche unter die Schulbank schmuggelten. Man konnte mit Fug und Recht sagen, daß sie das ganz Repertoire der Jungenstreiche vielfach hatte auskosten müssen. Und die Mädchen... nun, bis auf die wenigen Ausnahmen, die manchmal mit ihr gespielt hatten, wie ihre beste Freundin, hatten auch sie ihre Mittel und Wege gehabt. Spottlieder oder böse Worte hatten genauso getroffen wie die Streiche der Jungs.
Ihre Stimme war sehr leise und dünn, als sie bittend zu ihrem Vormund aufsah. "Zuhause war das so, und hier ist es bestimmt auch nicht anders..." Sie hoffte darauf, daß er ihr erlassen würde, alles haarklein zu sagen, was ihr auf der Seele lag. Sarah zog es vor, stumm zu leiden. Doch Eric machte keine Anstalten, ihre Bitte zu erfüllen. Er redete weiter über ihre Sorgen. Sicherlich mit guten Absichten, doch war es ihr nach wie vor unangenehm, ihm alles beichten zu müssen. Sie machte daher noch einen Versuch, ihn von seinem Ziel abzubringen. "Aber es... es wird bestimmt nicht so schlimm, Onkel Eric. Du mußt dir keine Sorgen machen!" Betrübt stellte sie fest, wie lahm ihre Worte klangen und wie wenig Überzeugungskraft darin lag. Betreten schaute sie auf ihre Hände, die sie in den Schoß gelegt hatte. Erst als Eric von seiner Vormundschaft sprach, hob sie erschrocken wieder den Kopf. Ja, natürlich tat er sein bestes, und sie war ihm so dankbar dafür! Aber das wußte er doch? Oder wollte er sie auf etwas hinweisen? Ängstlich beeilte sie sich zu nicken. "Ja, ich weiß das, Onkel Eric! Du machst auch alles ganz, ganz toll! Ehrlich!" Keinesfalls wollte sie undankbar erscheinen oder ihn verärgern. Beteuernd nickte sie nochmals. Er war doch der einzige Mensch, den sie hatte, dem sie wirklich vertraute. Hoffentlich hatte er ihre Worte nicht am Ende noch als Beschwerde verstanden, er kümmere sich zuwenig um sie!
Eric war sich nicht sicher, ob er Sarah genug kannte oder einschätzen konnte. Er hatte sie vor vielen Monaten einfach als seine sehr geliebte Nichte wahrgenommen, bis eben ihre Mutter, Erics Schwester starb und dann hatte er sich auch nicht wirklich lange um sie kümmern können, da er so lange im Krankenhaus gelegen hatte und Terry so freundlich war, Sarah bei sich und seiner Familie aufzunehmen. Erst eigentlich wirklich wenige Monate nach seiner Genesung hatte sich Eric um das Kind kümmern können, und das ohne Erfahrung, da spielte es auch keine Rolle, ob er als Sheriff ein guter Menschenkenner war. Mit einem Kind war das nun einfach etwas ganz anderes. Und so glaubte er dennoch zu spüren, dass Sarah erst etwas genervt schien, aber so wie sie nun mal war, auch stets bemüht. Um was auch immer. Eric fand sie ja fast zu perfekt für ein Mädchen, aber vielleicht bewertete er das auch einfach über. Zuerst wollte , mochte sie nicht reden, aber da Eric hartnäckig war, sprach sie es an: Das übliche eben, was wohl so passierte.
Eric wäre gerne noch weiter darauf eingegangen, aber er hatte auch das Gefühl, dass es Sarah sehr unangenehm war und nun wollte er auch nicht weiter nach bohren, als sie dann schliesslich doch ein wenig erzählte. Und Eric hatte inzwischen unter seiner Migräne zu leiden, was ihn ein bisschen unleidlicher machte. Auf die Idee kam er nicht, dass Sarah ihren Onkel nur nicht enttäuschen wollte. Nein, darauf kam er einfach nicht, weil er sich eben doch nicht in Sarah rein fühlen konnte. Und er bemerkte dann ja auch, wie sie das alles herunterspielte. Wie sie schon damit klar kam. Es lam ihm dennoch nicht richtig vor. Aber vielleicht war das einfach normal. Für ihn war Sarah ein ganz normales Mädchen, dass einfach sehr um ihre Mutter trauerte.
»Ist schon gut und ja, manche Jungs aber auch Mädchen sind so. Die wollen sich beweisen. Nimm es einfach nicht zu ernst ...« wiegelte er auf einmal seltsam ab und rieb sich die Schläfen, unter denen es pochte. Er hatte sein Brot nicht zu ende gegessen, sein zweites und schaute etwas genervt wegen seinen pochenden Kopfschmerzen drein.
Dann aber hatte er noch Sarahs weitere Worte vernommen, dass er ja alles ganz prima machen würde, was wieder so ein Zeichen war, dass Sarah einen Weg eingeschlagen war, den er hatte einfach noch nicht ergründen können. Sie hatte sich damals allerdings schon aufgelehnt, als Eric ihr erklärte, dass sie die Stadt verlassen würden. Aber sie hatte es irgendwie geordnet getan. Wiederstand war daa, ja, aber eben irgendwie fast schon geordnet. Eric wollte nicht am Ende seines Lateins sein, er bemühte sich wirklich. Aber er wollte auch nicht in allem was sehen.
»Ich danke dir, Sarah, wir kriegen das auch weiter hin, nicht waahr?« Er versuchte locker zu sein und zwinkerte Sarah zu.
»Dann lass und nun zu Ende frühstücken und dann machen wir uns bald auf den Weg zur Kirche, wo du Terry reden hören wirst und wir einen Teil der Menschen, die in diesem Ort leben, sehen werden ... «
Erics Kopfschmerzen wurden immer schlimmer und er hasste es. Es nahm ihm so viel von seinem logischen, konsequenten Denken und wieder rieb er sich die Schläfen. ASrah kannte das in zwischen von ihm. Auch dass er dann manchmal ziemlich ungnädig sein konnte und vielleicht wusste Sarah auch, dass er dies erst nach seinem Krankenhausaufenthalt hatte .
Es war eine große Erleichterung für Sarah, als sie Haltung und Tonfall ihres Vormunds anzumerken glaubte, daß er nun nicht mehr auf einem weiteren Nachbohren bestand. Onkel Eric mußte bemerkt haben, wie unangenehm ihr seine Fragen geworden waren, auch wenn sie natürlich wie üblich weder etwas gesagt noch sich aktiv gesträubt hatte. Ein dankbares kleines Lächeln glitt über ihr Gesicht. Für einen Moment verspürte sie den Impuls, auf seinen Schoß zu klettern und ihm einen Kuß zu geben. So hatte sie sich immer bei Mama bedankt. Aber natürlich war sie dafür nun schon zu groß, wo sie ja beinahe schon erwachsen war. Oder jedenfalls dem Erwachsensein ein Stück näher. Und außerdem war die Beziehung zu ihrem Onkel trotz aller Innigkeit nicht dieselbe wie zu Mama. Sarah wußte nicht einmal, wie er auf eine solche Geste reagiert hätte. Lieber riskierte sie nicht seinen Unmut und beschränkte sich auf ebendieses Lächeln, das wohl recht unterkühlt gewirkt hätte, wäre es von einem anderen Kind gekommen. Für sie, die oftmals kaum den Mund aufbekam, war es bereits ein Beweis großer Zuneigung.
Rasch verschwand das Lächeln jedoch von ihren Lippen, als sie sah, wie sich ihr Vormund mit einem leichten Verziehen des Gesichts an die Schläfen faßte und sie leicht massierte. Bestürzt sah sie ihn an. Hatte er etwa wieder dieses schlimme Kopfweh..? Zögerlich nur zeigte sie ihm noch einmal ihr Lächeln, nachdem er auf ihr Lob mit einer betont fröhlichen und lockeren Erwiderung reagiert hatte. So sehr sie darum bemüht war, ihre eigenen Nöte verborgen zu halten, um ihm nur ja nicht zur Last zu fallen, so sensibel war sie in Bezug auf die kleinen Signale, die er, vielleicht sogar unwillentlich, gab. Ihr kleines Gesicht zeigte einen besorgten, ja beinahe ängstlichen Ausdruck, als sie sich auf dem Stuhl reckte, um ihn zu mustern. Sie spürte, daß es ihm nicht mehr so gut ging wie vor einigen Minuten noch, und, typisch für Sarah, machte sich Gedanken, ob sie vielleicht in irgendeiner Weise schuld daran sein konnte.
Gehorsam beendete sie ihre Mahlzeit, wie er es gesagt hatte, und schielte dabei nur ab und an zu ihm hinüber, ohne ein Wort zu sagen. Und wo ein anderes Kind vielleicht gefragt hätte, ob es ihm schlecht ginge, handelte sie danach wiederum in einer für sie ganz typischen Art und Weise. Nachdem sie ihr Brot gegessen und den Kakao getrunken hatte, rutschte sie vorsichtig von ihrem Stuhl, blickte noch einmal zu Eric, der offenbar ebenfalls mit dem Frühstück fertig war, und begann dann, mucksmäuschenstill ihr Geschirr und das seine zusammenzuräumen. Ganz leise nur klapperten die Teller unter ihren kleinen Händen, die sich bewegten, als gelte es, rohe Eier zu transportieren. Wie auf Zehenspitzen machte sie sich dann daran, alles beiseite zu räumen, damit der Tisch gesäubert werden konnte. Sie wußte, daß Onkel Eric normalerweise solche Aufgaben zum großen Teil selbst übernahm. Doch zum einen war es ja eine ganz klar weibliche Aufgabe, den Haushalt zu versorgen, und Sarah hatte es wie andere Mädchen auch schon frühzeitig gelernt, ganz selbstverständlich ihren Teil beim Geschirrspülen, Kochen, der Wäsche und dem Sauberhalten der Wohnung zu tun.
Und zum anderen hoffte sie, mit dieser Hilfe Onkel Eric ein wenig entlasten zu können, und sei es nur für den Moment. Sie hatte einfach das Bedürfnis, ihm zu helfen, besonders jetzt, da er offenbar krank war und Schmerzen hatte. Und auf andere Weise hätte sie ihre beinahe mütterliche Regung in diesem Moment nicht umzusetzen gewußt. Bei ihrer Puppe Josephine und in einem kindlichen Spiel war das einfacher. Bei Onkel Eric hätte es sich aber einfach nicht richtig angefühlt, ihn mit einem strengen Blick ins Bett zu schicken und ihm einen heißen Tee zu kochen. Sarah wollte, ohne es zu wissen, die Rolle der fehlenden Hausfrau in Erics Haushalt übernehmen, womit sie naturgemäß noch völlig überfordert war. Bei aller empfundenen Hilflosigkeit fühlte sie sich aber doch glücklich, wenigstens ein klein wenig zu Erics Entlastung tun zu können. So schenkte sie ihm ein vorsichtiges schüchternes Lächeln, als sie die Teller und Tassen auf ihren kleinen Händen davontrug. Eine praktische Schürze, wie sie sie als Tragehilfe zu verwenden gewohnt war, gehörte ja leider nicht zu ihrem feinen Sonntagskleid.
Nur kurz glaubte Eric wahrgenommen zu haben, dass Sarah erleichtert war, dass er sie nicht mehr mit seinen Fragen löcherte. Ihm war es eh gerade angenehm, denn seine Kopfschmerzen machten ihm mehr zu schaffen, als er wollte. Und auch wenn er Sarah nicht beunruhigen wollte, so liess es sich nun einmal nicht vermeiden, denn das Pochen in seinem Kopf wurde immer stärker. Und er wurde dadurch missgelaunt. So sehr er sich auch versuchte, zusammen zureissen, diese Schmerzen kamen von einer Sekunde auf die andere und dann sehr heftig. Und hinzu kaam, dass ihm innerlich übel würde. Er musste nur schauen, dass er nicht gleich zum Lokus hinunter rennen musste, um sein Frühstück zu erbrechen. Aber so weit wollte er es nicht kommen lassen. Er freute sich einfach über Sarahs Erleichterung und deren Lächeln. Auch wenn dieses bald verschwand, denn er hatte es nicht verhindert, das Sarah mitbekam, dass er sich die Schläfen rieb und ihr Lächeln wich in eine besorgte Miene. Aber sie fragte nicht nach. Sie kannte das schon, oder wollte Eric einfach in Ruhe lassen.
Stattdessen rutschte sie von ihrem Stuhl und deckte den Tisch ab. Sie war ein so braves Mädchen. Und auch wenn er fand, dass sie manchmal zu brav war, so dankte er ihr im Stillen, was sie tat. Sie wollte eben helfen, so gut es ging. Auch wenn er meinte, dass das auch Zeit hätte noch nach der Kirche. Aber er liess sie einfach machen. Hauptsache sie würde sich nicht zu sehr ängstigen. Denn ihr Blick sprach kurz Bände, bevor sie dann alles mucksmäusschen still abräumte.
Und so rieb sich Eric weiter die Schläfen und schenkte Sarah noch ein kurzes, dankbares Lächeln, als sie das Geschirr in den Küchenbereich trug und er murmelte: »Danke Sarah, das ist lieb von dir ...« Ach, sie war ja eigentlich auch alt genug dafür, dass musste er sich immer wieder sagen. Dennoch musste wohl bald eine Haushaltshilfe her ...
Die Kopfschmerzen aber wurden nicht weniger und dann kramte Eric in seiner Westentasche eine kleine Dose seiner Tabletten hervor und nahm zwei davon. Er wurde oft so unleidlich, wenn ihn seine Kopfschmerzen pkagten. Aber heute war ein wichtiger Tag. Kirchgang, da würden sie viele Leute aus der gemeinde treffen. Innerlich seufzte Eric. Ob er hier wohl eine Zeitung würde aufbauen können?
»Danke für das Abräumen, Sarah ... « meinte er dann, als seine Nichte zurück kam. Aber er machte noch keine Anstalten, aufzustehen, um mit Sarah das Haus gen Kirche zu verlassen. Stattdessen stützte er seinen Ellenbogen auf den Tisch und seine Stirn in seine offene Handfläche, er stützte sich also leicht auf. »Wir können dann auch gleich los. « Eric wollte Sarah gegenüber keine Schwäche zeigen. Sie würde sich nur Sorgen machen. Aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass ihm schummrig war und wenn er jetzt aufstehen würde, noch mehr.
Also versuchte er etwas abzulenken. »Und gefällt dir dein neues Kinderzimmer?«
Mit großer Sorgfalt räumte Sarah den Tisch ab und bemühte sich darum, möglichst leise zu sein, um Onkel Erics Kopfschmerzen nicht zu verschlimmern. Sie tat die Arbeit nicht einmal ungern, denn zum einen enthob sie das Mädchen der Frage, wie es sich angesichts seines leidenden Vormunds verhalten sollte. Zum anderen war sie auch stolz darauf, daß sie ihren Teil zum Funktionieren des kleinen Haushalts beitragen konnte, fast wie eine Erwachsene. Peinlich genau stapelte sie das Geschirr, nahm sich ein Tuch und wischte den Frühstückstisch ab, wobei sie sich auf die Zehenspitzen stellen mußte, um auch die Mitte der Tischplatte zu erreichen. Nach getaner Arbeit kehrte sie wieder auf leisen Sohlen zu ihrem Onkel zurück – und stand ein wenig hilflos vor ihm. Nun wußte sie nicht recht, wie sie sich verhalten sollte. Es war genau die Situation, die sie mit der Hausarbeit ein wenig hatte herauszögern können. Sie hätte ihm so gern geholfen, doch wie hätte sie das gekonnt? Sie war ja kein Doktor. Doktoren wußten, warum einem etwas wehtat, und sie gaben einem dann Pillen, die man schlucken mußte, damit es besser wurde. Wobei Onkel Eric solche Pillen hatte, aber so richtig gesund war er bis jetzt nicht geworden.
Eine Weile lang stand sie still vor ihm und spielte an ihrem Kleid herum. Dann entschloß sie sich, von seinem Dank ermutigt, zu einem kleinen Lächeln. "Ich bin fertig, Onkel Eric. Es ist alles weggeräumt. Und nachher, nach der Kirche, mache ich alles sauber, ja?" Dabei versuchte Sarahs ihrer dünnen Stimme einen fröhlichen Klang zu geben. Er sollte nicht meinen, daß sie es als Belastung empfand, ihm zu helfen. Es war ihr kleiner, schüchterner Versuch, ihm Unterstützung anzubieten. Denn sie sah und spürte sehr deutlich, daß es ihm nicht gut ging. Er versuchte sich zwar zu beherrschen, doch seine ganze Körperhaltung und vor allem seine Miene sprachen nur zu deutlich davon, wie er sich fühlen mußte. Sicher, er sagte, daß sie gleich losgehen konnten, und von Sarahs Seite aus war das auch richtig. Ihre Haube lag bereit, sie mußte sie nur noch aufsetzen und mit einer ordentlichen Schleife unter dem Kinn festbinden, ihren feinen Mantel anziehen, dann war sie bereit für die Kirche. Doch ihr Vormund wirkte nicht so, als sei er in diesem Moment in der Lage, aufzustehen und sich der sonntäglichen Menge der Kirchenbesucher auf dem Weg zum Gottesdienst anzuschließen.
Leise betete sie zum Herrgott, daß es Onkel Eric gleich wieder besser gehen würde. Denn der Herrgott war allmächtig und konnte das bewirken, auch wenn die Doktoren mit ihren Pillen wohl nicht dazu in der Lage waren. Und da ihr Onkel ja schließlich zum Gottesdienst gehen sollte, also zu Ehren Gottes, mußte der doch ein Einsehen haben, glaubte sie. Und es schien, als habe der Schöpfer ihr kleines Gebet erhört, denn kaum hatte sie es in Gedanken gesprochen, da fragte Onkel Eric sie nach ihrem Kinderzimmer. Dabei zeigte er zwar noch immer die Anzeichen seines Unwohlseins, doch war Sarah so sehr von dem Wunsch beherrscht, daß es ihm besser ginge, daß sie diese nun leichter übersah. Dementsprechend reagierte sie für ihre Verhältnisse ungewöhnlich eifrig auf seine Frage, bemüht, ihn die Kopfschmerzen ganz vergessen zu lassen. "Es ist so schön und so groß, Onkel Eric! Ich hab es schon Josephine gezeigt, und sie findet es auch ganz toll!" Das war nicht einmal gelogen, zumindest wenn man ihr kindliches Spiel mit der Puppe als Realität ansah. Und ein derartiges Zimmer hatten nur wenige Kinder für sich allein, so daß sie ihre Begeisterung auch nicht heucheln mußte. Nur hätte sie diese für gewöhnlich nicht so sichtbar geäußert. Jetzt aber galt es, ihren Onkel aufzumuntern, was sie ganz unbewußt versuchte.
Obwohl Eric sonst vieles auffiel, weil er einfach sehr genau seine Umgebung und die Mitmenschen beobachtete, merkte er diesmal nichts davon, wie bemüht Sarah war, alles leise zu bewerkstelligen. Aber immerhin nahm er wahr, dass sie den Tisch abräumte. Und er fand es in Ordnung, auch wenn das eigentlich nicht ihre Aufgabe war. Aber ja, so lernte sie eben auch Verantwortung und er hatte schon bemerkt, dass sie es nicht ungern tat.
Eric hingegen ärgerte es, dass sie mitbekam, dass es ihm nicht gut ging. Da war er dann doch typisch der Mann, der nicht zeigen wollte, dass es ihm schlecht ging. Wollte und musste er doch ein Vorbild sein. Aber auf der anderen Seite waren seine Kopfschmerzen so sehr ins Unermessliche gestiegen, dass er glaubte, nicht mal mehr der eigene Herr seiner Gedanken zu sein. Ja, sie waren so schlimm, dass er sich am liebsten einfach nur ins Bett verkrochen hätte, was sonst nicht seine Art war. Aber da er wusste, warum er diese Kopfschmerzen hatte, erinnerte er sich auch sehr schmerzlich an den Vorfall damals, als ihn die Banditen gekidnappt hatten und das waren wahrlich keine schöne Erinnerungen. Er glaubte, seinen kalten Angstschweiss auf seiner Haut zu spüren und die Furcht, dies nicht zu überleben. Eric war kein Weichling, er hielt auf seine wirklich fiel aus, sonst hätte er den Job des Scheriffs nicht jahrelang übernehmen können. Aber diese Kopfschmerzen und die Erinnerungen brachten ihn manchmal einfach aus seinen geordneten und kontrollierten Bahnen.
Fast in seinen Gedanken versunken, drangen Sarahs Worte dann erst wie durch einen Nebel zu ihm durch und dann setzte er eine freundliche Miene auf. Sie sei nun bereit und würde später alles abwaschen. Und sie wirkte so fröhlich, als sie es sagte, aber war sie das auch? Nein, bestimmt nicht. Schliesslich war offensichtlich, dass es ihrem Onkel nicht gut ging und sie versuchte einfach nur lieb und anständig zu sein. Warum auch immer. Nein, es war klar: Sie wollte auf ihre Weise für ihn da sein, ihn nicht verärgern, wo er doch litt. Ein so liebes Mädchen ... und Eric wusste es im Moment kaum zu würdigen. Gedanklich, das Pochen in seinem Kopf machte ihn einfach verrückt. Dennoch sprach er sehr kontrolliert:
»Danke Sarah ...« Und er nickte seiner kleinen Nichte versucht aufmunternd zu. Diese antwortete dann sehr ehrlich, wie er glaubte zu spüren, dass ihr das Zimmer wirklich gefiel und dies freute Eric dann auch so, dass er zurück lächelte. das sie sich vorhin am liebsten auf seinen Schoss gesetzt hatte, jonnte er nicht ahnen. Aber ihm ging es manchmal ähnlich. Er wollte ihr ein Vater sein und wusste dennoch, dass er es eben nicht war. Er wollte ihr aber zweigen, dass er für sie da war.
Wie auch immer. Eric erhob sich dann etwas mühsam, seufzte und meinte: »Gut, dann sollten wir wohl mal langsam los.« fast ein wenig mechanisch und wollte dann zu einer Truhe gehen, um aus ihr etwas zu holen, doch auf einmal merkte er, wie ihm leicht schwindelig wurde. Er wollte sich vor Sarah zusammenreissen, aber es war nicht zu übersehen, wie er auf einmal leicht wankte und sich gerade noch an der Lehne seines Stuhles festhalten und so stützen konnte. Noch bevor Sarah aber reagieren konnte, stiess er hervor: »Alles in Ordnung, ich habe alles im Griff ...« Aber ihm war auf einmal schrecklich übel und es ärgerte ihn einfach, dass Sarah das alles mitbekam.