Unterwegs nach Camden Village Tamina, Helen, Laura und Calvin zusammen mit Stevie (nach Absprache setzt Tamina vorerst aus)
Helen kam nicht umhin über die scherzhaften Worte von Miss Hall zu lachen und amüsiert den Kopf zu schütteln. "Nun, sie würden es auf jeden Fall nicht bereuen. Wir haben nicht umsonst hier oben den ersten Nationalpark Amerikas bekommen," und auch wenn Helen dieses ganze Spektakel darum für übertrieben gehalten hatte, war ihr der Stolz darauf anzuhören. Es war nun einmal etwas besonderes und auch gleichzeitig etwas wunderschönes. Im letzten Jahr hatte sie sich die Zeit genommen weiter nördlich hinauf zu reiten, um sich das Naturwunder anzusehen. Natürlich unter dem straken Protest ihrer Mutter, die das für pure Zeitverschwendung gehalten hatte. Und natürlich auch für viel zu gefährlich. Wie man sah lebte Helen noch immer und war um eine Erfahrung reicher. Es hatte sich auf jeden Fall gelohnt und sie würde es jedem mit etwas Abenteuerlust empfehlen.
Doch die Unterhaltung hatte sich rasch gewendet und Helen sah sich ungezwungen über ihre Arbeit plaudern. Normalerweise hielt sie sich in diesem Gebiet etwas zurück bis sie sich sicher war wie ihr Gegenüber möglicherweise darauf reagieren würde, dass sie ihr eigener Boss war und dafür keinen Mann nötig hatte. Bei Miss Hall schien diese Vorsicht jedoch wundersamer weise unnötig zu sein. Etwas, das Helen tatsächlich überraschte und verwunderte. Ohne weiter darüber jedoch nachzudenken, nickte sie, als Miss Hall ihre Absichten und ihr Vorhaben um die Ranch als vielversprechend bezeichnete. Sie hatte in der Tat große Pläne und sie wollte diese auch umsetzen. Besser gesagt, sie wollte sie umgesetzt sehen und sich von niemanden einen Strich durch die Rechnung machen lassen. Die Frage, die Miss Hall daraufhin stellte, ließ Helen kurz verwundert den Blick heben, mit dem sie Miss Hall bedachte. Hatte sie sich eben so ungenau ausgedrückt? Gut möglich. Aber vielleicht lag es nur daran, dass sie Leute kannte, die für jemanden wie Helen bereit waren zu arbeiten? "Oh, nun, wie eben schon gesagt, ich bin im Augenblick auf der Suche, aber auch langfristig bin ich an vertrauensvollen Arbeitnehmern interessiert. Eine Ranch erledigt sich nicht von selbst. Auch dann nicht, wenn sie erst einmal läuft." Noch ehe sie näher nachfragen konnte, wieso Miss Hall nachgefragt hatte, bot diese ihr schon die Erklärung. Nun war es wirklich an Helen verwundert die Brauen in die Höhe zu ziehen. Denn mit vielem hatte sie gerechnet, nur nicht mit einer Frau an ihrer Seite, die Arbeit auf einer Ranch nicht scheuen würde. Aber eigentlich überraschte sie diese Wende nicht wirklich. Dass Miss Hall nicht unbedingt ihren Lebensunterhalt damit verdiente für andere Menschen Socken zu stopfen oder den Haushalt zu führen war schon beim ersten Aufeinandertreffen bei der Kutsche klar gewesen. Sie hatte sie mehr als Gelegenheitsarbeiterin gesehen. Jemand der hinter der Bar stand oder hinter einer Ladentheke. Sie hörte Miss Hall jedoch erst einmal ruhig zu und unterbrach sie nicht sofort. Sie hatte überraschend viel zu erzählen und vieles davon gefiel Helen. Wie oft traf man schon auf eine Gleichgesinnte? Nun zumindest in den letzten 20 Jahren war ihr in ganz St. Johns und Umgebung nicht eine Frau wie Miss Hall begegnet, ganz zu schweigen von einem Spiegelbild ihrer selbst. Entsprechend machte sich etwas Aufregung in Helen breit und sie missachtete den warnenden Blick ihrer Mutter, der sie kurz über Miss Hall hinweg traf. Für sie gab es überhaupt keinen Grund an der Geschichte der Frau zu zweifeln. Hätte sie unauffälliger sein wollen, hätte sie sich bestimmt etwas ausgesucht, mit dem man nicht so sehr auffiel, wie mit solch einer Vergangenheit. Man reiste einfache besser, wenn man sich als Witwe ausgab, eine die verarmt und ohne Hoffnung war. So jemanden half man gerne und begegnete ihm mit Respekt. Menschen wir ihr oder Miss Hall brachte man nur Verachtung entgegen. Obwohl sie nur versuchten ihr Leben alleine zu bestreiten. In ihrem eigenen Fall hatte sie dabei noch nicht einmal die Wahl gehabt und es einfach tun müssen.
Während Miss Hall weitersprach brachte Helen ihre Überraschung wieder unter Kontrolle und begann die Sache rasch rein geschäftlich zu bedenken und zu berechnen. Wie viele arbeitslose Männer mochte es in und um Camden Village geben, die bereit waren für eine Frau zu arbeiten? Und wie viele davon waren nicht schon längst bei Simones angestellt? Und wie viele davon waren verzweifelt genug, um jede Arbeit anzunehmen? Bestimmt nicht viele. Sie hatte ihre Gründe gehabt, wieso sie ihren neuen Vorarbeiter mit nach Camden Village gebracht hatte. Wenigstens hatte sie so einen Mann vor Ort, dem sie trauen konnte und der dafür sorgen mochte, dass man den einen oder anderen unter Vertrag bekam, bevor sie die Lunte rochen für wen sie tatsächlich arbeiten würden. So gesehen wäre sie wohl tatsächlich auf jede helfende Hand angewiesen, auch auf die einer Frau, wenn sie sich ihr anbot. Aber was würde geschehen, wenn sie willige Arbeiter fanden, die damit umgehen konnten, die Befehle einer Frau auszuführen, aber nicht damit, dass eine weitere Frau neben ihnen im Sattel saß? Das konnte bei weitem mehr Probleme mit sich bringen, als das generelle Finden von Cowboys. Obwohl sie das Risiko erkannte, konnte sie nur unschwer Nein zu Miss Hall sagen. Wie hätte sie das können, wo diese ohne zu zögern und lange nachzufragen ihr aus diesem dummen Unfall heraus geholfen hatte? Wie hätte sie jemanden einfach so eine Absage erteilen können, der so viele Parallelen zu ihr selbst aufwies? Zumal sie bei dieser Angelegenheit auch gewaltig mit dem Rücken zur Wand stand. Sie hatte damals jede Chance ergreifen müssen, um die väterliche Ranch voranzutreiben. Jede. Sie wusste also wie man zu kämpfen hatte um in dieser Welt zu bestehen. Sagte sie nun nein, wäre sie wohl nicht besser als all die Menschen, die ihr damals geweißt sagt hatten, dass sie versagen würde. Es war dennoch ein Risiko. Aber eines das sich zu überlegen lohnte. Und um diese notwendige Zeit zu gewinnen, sah Helen erst einmal der Unbekannten in den Rücken, die nach wie vor ohne Interesse an ihren Mitreisenden, das Tempo angab. Die Stadt konnte demnach nicht mehr weit sein. "Nun.. Texas also, sagen sie?," fing sie im Plauderton an. "Da ist die Rinderzucht ja praktisch geboren worden," sie grinste Miss Hall frech an. "Und sie sind auf jeden Fall weit gereist. Aber eine Menge Erfahrung scheinen sie ja mitzubringen. Nur, gestatten sie mir eine Frage? Ich wundere mich, wieso jemand, der alles hat, was ihn glücklich macht, davon wegtreibt, um dort nach Arbeit zu suchen, wo man ihm nur sehr schwer Arbeit geben wird. Dass soll heißen, es interessiert mich die Geschichte dahinter mehr, als das offensichtliche. Wenn ich jemanden einstellen soll, der ein gewisses Risiko in sich birgt, möchte ich gerne so viel wie möglich über ihn wissen. Sofern das kein Problem für sie ist, könnte durchaus eine Anstellung für sie drinnen sein," das leise Schnauben ihrer Mutter überhörte Helen dabei genauso wie sie ihren Blick zuvor übersehen hatte.
Unterwegs nach Camden Village Tamina, Helen, Laura und Calvin zusammen mit Stevie (nach Absprache setzt Tamina vorerst aus)
Mrs. Alcott bestätigte, dass sie tatsächlich auf der Suche nach guten Arbeitern war. Sie erwähnte wohl bewusst das Wort vertrauensvoll, das Stevie sehr gut verstehen konnte. Ebenso wie der Hinweis, dass eine Ranch auch wenn sie mal lief, eben immer Arbeit abwarf und es demnach immer etwas zu tun gab. Stevie sah wie die noch eben so gelöste Stimmung zwischen ihnen recht schnell wieder auf eine neutrale und mehr geschäftliche Ebene umschwenkte. Helen Alcott hatte wieder ihr Pokerface aufgesetzt und Stevie war sich sicher, dass es hinter ihrer Stirn ratterte und rechnete. Stevie gönnte ihr den Moment der Ruhe und hatte auch dafür Verständnis. Doch als Mrs. Alcott wieder Worte fand, nahm das Gespräch eine für Stevie sehr unbequeme Richtung ein, die sie womöglich doch noch bereuen ließ, dass sie Texas überhaupt erwähnt hatte. Denn genau das griff sich die Ranchersfrau heraus und fragte nun genauer nach. Stevie verspannte sich unmerklich für alle anderen und war anfangs noch erleichtert als Mrs. Alcott Texas als Geburtsland der Rinderzucht erwähnte. Das wäre schon einmal ein Pluspunkt für Stevie. Sie lächelte ihrer Gesprächspartnerin zustimmend zu. Sie fand es wohl auch gut, dass Stevie schon einiges an Erfahrung mit den besagten Rindern hatte, doch die scharfsinnige Lady ging noch weiter in die Details. Einerseits konnte man sagen, dass sie das natürlich zu Recht fragte. Immerhin kannte man sich nicht und keiner wollte die Katze im Sack kaufen. Doch Helen Alcott traf den Nagel wieder einmal so genau auf den Kopf, dass Stevie ganz anders wurde. Augenblicklich hatte sie den Hals in der Schlinge und noch ehe sie eine Zu- oder Absage der Rancherin erhalten hatte, zog sich diese zu. Sie fasste Stevies Vergangenheit so präzise und zutreffend zusammen, dass der Rothaarigen immer unwohler wurde. Sie war also von Texas weggegangen, obwohl sie dort Arbeit hatte, ihr die Farm ihres Vaters auch eine Zukunft bot und sie offensichtlich glücklich dort gewesen war, nur um ausgerechnet dort Arbeit zu suchen, wo kaum welche zu finden war und sie so weit wie möglich weg von Zuhause war. Es interessierte sie die Geschichte dahinter wie Mrs. Alcott ohne Scham zugab. Stevie war mit einem Mal schlecht. Denn diese Geschichte konnte sie unter keinen Umständen preisgeben. Zum einen wollte diese sowieso niemand wirklich hören und zum anderen gefährdete sie jeden der davon wusste. Sie bezeichnete Stevie als Einstellung mit einem gewissen Risiko und die Rothaarige wusste genau was Mrs. Alcott meinte. Trotzdem traf sie die Erkenntnis schwerer als sie geglaubt hatte, dass sie wohl auch hier nicht einfach eine Zusage für den Job bekam und alle ihre Probleme gelöst waren. Was hatte sie denn eigentlich erwartet? Blauäugig wie sie war hatte sie wohl wirklich angenommen Mrs. Alcott würde freudenstrahlend sofort ihre Zusage geben und womöglich noch betonen, dass sie überglücklich war dass Stevie sich ihr anbot. Nein. Die Realität sah anders aus. Und wenn ihre Vergangenheit kein Problem war um sie zu erzählen dann wäre eine Einstellung durchaus möglich. Stevies Herz sank ihr in die Hose. Das war es dann wohl gewesen. Das gehässige Schnauben der alten Dame ignorierte Stevie. Keiner sollte merken, dass sie gerade in die Ecke getrieben worden war und Mrs. Alcott genau das wissen wollte, dass für keine Ohren bestimmt war. Stevie überlegte einen Moment, ob sie Mrs. Alcott bitten sollte das Gespräch fortzuführen, wenn sie unter vier Augen waren, doch das würde wiederum erst Recht die Aufmerksamkeit ihrer stillen Zuhörer auf sich ziehen, was wiederum gefährlich werden konnte. Ihre Antwort musste auch weiterhin fröhlich, locker und wie selbstverständlich über ihre Lippen kommen. Ebenfalls durfte die Gesprächspause nicht all zu groß werden. Doch Stevie konnte keinem der hier anwesenden sagen, dass sie in Texas einen Mann getötet hatte. Die Umstände, dass es ein Versehen war und in absoluter Notwehr geschah, um ihre Schwester zu beschützen, würde auch hier niemand richtig einschätzen. Stevie wäre dann schneller zur Mörderin mutiert als sie bis Drei zählen konnte. Nein, sie musste halbwegs ehrlich sein, zumal sie Mrs. Alcott nicht anlügen wollte. Doch in Gefahr bringen wollte sie sie ebenfalls nicht. So lächelte ihr Stevie wieder zu, auch wenn es ein weniger fader war als zuvor. Ihre Finger krampften sich um die Zügel und als sie dies bemerkte entspannte sie sofort wieder bewusst ihre Hände. Nichts sollte ihre Angst nach außen zeigen. „Nun, natürlich dürfen sie fragen.“ gab sie freundlich von sich und spielte auch weiterhin die gut gelaunte. „Ich fürchte nur, es könnte sie langweilen.“ Und noch ehe sie loslegte entschied sich Stevie wieder anders. Sie konnte hier auch nicht vor aller Ohren verkündigen, dass sie ein Kind hatte. Ein uneheliches Kind, das nun bei ihrer Schwester aufwuchs und Stevie sich als leibliche Mutter zurückgezogen hatte. Auch hier gab es Gründe, aber soweit würde sie gar nicht erst kommen, wenn sie das Kind erwähnte. Nein. Das würde auch niemand verstehen. Sie sah zu Mrs. Alcotts Mutter hinüber und ein Frösteln überkam sie. Diese Reaktion würde wahrlich unschön werden. Am Ende hatte sie hier noch einen guten Ruf ihrer Mitreisenden oder sonstiges durch ihre bloße Anwesenheit beschmutzt. So geriet Stevie nun doch in eine größere Gesprächspause und schließlich ins Stottern. „Nun….ja….“ sie lächelte unglücklich in Mrs. Alcotts Richtung, „es fällt mir nicht leicht darüber zu reden.“ Sie sah wieder gerade aus, kontrollierte gedanklich wo sie sich befanden und lenkte die Gruppe wie nebenbei abermals an einer Weggabelung auf den richtigen Pfad. „Ich habe noch eine Schwester dort, die ebenfalls sehr aktiv auf unserer Ranch eingebunden war.“ Sie lächelte aufrichtig vor sich hin, als sie an Abigail dachte. Doch ihre Gesichtszüge wurden schnell düster und ernst, als sie ihre Lüge weitersponn, „doch im Laufe des Erwachsen werden haben wir uns entzweit. Es gab viel Streit und wir konkurrierten um die Anerkennung unseres Vaters.“ Stevie tat es leid, dass sie Mrs. Alcott nun frei heraus anzulügen begann. „Als es schließlich darum ging wer die Ranch weiterführen würde, waren wir schlimm verfeindet. Es war für meine Eltern kaum zu ertragen und die Art und Weise wie ihre Kinder miteinander umgingen verletzte sie.“ Stevie wurde traurig. Wäre es so gewesen, ihr wäre wahrlich das Herz zersprungen. Abigail war ein herzensguter Mensch und Stevie liebte sie über alles. Aber auf einer Farm oder Ranch war ihre Schwester nicht zu gebrauchen. Dafür war sie die perfekte Hausfrau und Stevies Tochter eine wundervolle Mutter. Sie nun so schrecklich in Szene zu setzen tat Stevie weh. „Schließlich habe mich entschieden die Farm freiwillig zu verlassen.“ Sie starrte geradeaus und ihr Gesicht war ernst und blass geworden. Passenderweise konnte man es so interpretieren, dass sie die Erinnerungen traurig machten. In Wirklichkeit war es jedoch die Situation und die spontan erfundene Lüge, die für Stevie anstrengend war, auch wenn ihr die Worte erschreckend leicht über die Lippen gegangen waren. „Verzeihen Sie, dass ich nicht mehr in die Tiefe gehe. Keine schönen Erinnerungen, deswegen kann ich vorerst auch nicht mehr dazu sagen.“
Unterwegs nach Camden Village Tamina, Helen, Laura und Calvin zusammen mit Stevie (nach Absprache setzt Tamina vorerst aus)
Helen nahm sich kurz die Zeit Miss Hall von der Seite zu mustern, als sie ihre Frage gestellt hatte. Aber sie konnte noch so genau hinschauen wie sie wollte, Miss Hall hatte entweder nichts zu verbergen oder war eine Meisterin darin ihre Gefühlsregungen für sich zu behalten. Da war nichts, was Helen etwas näheres über die Frau an ihrer Seite verraten hätte. Keine Anspannung, kein Verkrampfen, kein angespanntes Lächeln oder gar ein unmutiges Gesicht. Im Gegenteil. Ihr schlug ein freundlicher Ton entgegen und ein Zustimmen zu der Frage. Natürlich erhielt sie nicht sofort eine klare Antwort, damit hatte Helen im Grunde auch gar nicht gerechnet. Wer erzählte schon einer Fremden gerne mehr über sich als nötig? Selbst dann, wenn einem ein Job winkte? Helen hatte es in ihrem Leben stets so gehalten, dass die Menschen um sie herum weniger von ihr wussten, als umgekehrt. Sie hatte sich damit natürlich in manchen Lagern einen zweifelhaften Ruf eingefangen, gegen den sie nun nicht mehr ankam, aber das störte sie nicht weiter. Sie hatte gelernt tolerant gegenüber Intoleranz zu sein und ließ daher jedem seine eigene Meinung ohne ihn ständig bekehren zu wollen. In Miss Halls Fall bedeutete dies nur, dass sie deren Zögern gut nachvollziehen konnte. Da sie kurz wieder auf den Weg gesehen hatte, musste sie erneut zur Seite blicke, um Miss Hall ein kleines, aufmunterndes Lächeln zu schenken. "Ich will sie zu nichts drängen Miss Hall. Ich kann verstehen, wenn gewisse Dinge aus der Vergangenheit eher ein Fluch als ein Segen ist. Aber sie könnten es einfach einmal versuchen? Ob es mich langweilt kann ich hinter her noch immer selbst entscheiden," mit diesen Worten überließ sie Miss Hall erst einmal ihren Gedanken und wartete darauf, zu was sich die Rothaarige durchringen würde. Es war meist ein guter Schachzug darauf zu warten, bis sein Gesprächspartner von alleine anfing. Alles andere führte nur zu Halbwahrheiten oder gar zu einer Verweigerung. Bei der Fremden, die ihnen voran ritt war der Plan leider fehlgeschlagen, aber dieses Mal, bei Miss Hall schien er zu funktionieren. Denn es dauerte nicht lange, da offenbarte Miss Hall, dass sie eine Schwester hatte, mit der sich über die Ranch zerstritten hatte. Das war natürlich wirklich etwas, über das man wohl gerne schwieg und am liebsten auch schnell vergaß. Helen hatte zwar keine Geschwister und wusste daher nicht, wie es wirklich sein musste sich mit der Schwester zu überwerfen, aber die Erfahrungen mit ihrer Mutter, die zahlreichen Streitgespräch und die Zerwürfnisse, die sie in den letzten Jahren immer Mal wieder gehabt hatten, hatten Helen gelehrt wie schmerzhaft so etwas sein konnte. Viel anders als mit der eigenen Mutter konnte es mit der Schwester kaum sein. Gemessen an Miss Halls Gesichtsausdruck mussten die Erinnerungen ziemlich alte Wunden wieder aufreißen, denn sie wirkte auf einmal sehr niedergeschlagen und traurig. Wären sie langsamer geritten, hätte sich Helen zu einer ihr seltenen, menschlichen Regung hinreißen gelassen, in dem sie eine Hand beruhigend Miss Hall auf den Arm gelegt hätte. So blieb nur wieder ein verständnisvoller Blick.
"Ich verstehe, Miss Hall. Sie müssen mir nicht mehr erzählen. Ich kann ihren Punkt nachvollziehen und ihren Entschluss der Familie und der Ranch zu liebe einfach zu gehen schlicht bewundern. Nicht jeder Mensch besitzt so viel Größe. Das gefällt mir," dass tat es in der Tat und Helen war nicht verlegen darum dies auch zu zugeben. Menschen mit Rückgrat konnte sie auf ihrer Ranch gut gebrauchen. Arglos über die aufgetischten Lügen beschloss sie kurzer Hand Miss Hall eine Chance einzuräumen. "Wie wäre es denn Miss Hall, wenn sie einfach mit mir zusammen zur Snowflake Ranch hinausreiten würden und für einen etwas geringeren Lohn erst einmal für ein paar Stunden Probearbeiten? Das tu ich nicht, weil sie eine Frau sind, der ich nicht viel zu trauen würde," Helen lachte an diesem Punkt durchaus humorvoll kurz auf. "Ich wäre nämlich die letzte, die sich solch eine Einstellung erlauben dürfte. Also, nein, ich tue das in der Tat mit jedem Arbeiter, den ich neu einstelle. Erspart mir viel Kummer, wenn jemand am Ende doch nichts taugt. Es wäre ein Angebot... für den Anfang, wenn sie möchten?"
Helen sah kurz fragend zu Miss Hall hinüber, während Caleb vor ihr auf einmal etwas unruhig im Sattel wurde und sich sogar in die Höhe stemmte. Sie hatte Mühe ihn zu halten und wunderte sich, was den Jungen gerade so sehr in Aufregung versetzte, dass er sich so leichtsinnig verhielt. Ehe sie etwas ermahnendes sagen konnte, hob Caleb den Arm und streckte i hn aus. "Rauch, ich kann Rauch sehen. Dass ist doch bestimmt die Stadt dort hinter dem Wald?" Er sah fragend zu Miss Hall und stellte sich zeitgleich vor, wie wunderbar jetzt ein warmes Zimmer mit warmen Essen und Tee wäre. Zwar würde er bestimmt einen unliebsamen Mittagsschlaf halten müssen, weil Großmutter die ganze Aufregung für zu viel für ihn hielt, aber das war alle Male besser, als das Wetter gerade. So aufregend wie er den Ritt noch vor wenigen Minuten gefunden hatte, so ungemütlich empfand er ihn inzwischen...
Unterwegs nach Camden Village Tamina, Helen, Laura und Calvin zusammen mit Stevie
Stevie fühlte sich mies. Ihre Lüge kam auch noch besonders gut bei Mrs. Alcott an und diese lobte sogar den Mut und die Größe der Rothaarigen. Stevie hielt den Blick starr geradeaus. Sie hatte ihre Schwester gerade zu einem furchtbaren Menschen gemacht und sich selbst ins beste Licht gesetzt, um Mitleid bei Mrs. Alcott und nun sogar Anerkennung zu ernten. Stevie hätte am liebsten sofort wieder das Ruder herumgerissen und Mrs. Alcott die Wahrheit erzählt, denn diese verdiente es ganz und gar nicht belogen zu werden. Und erst Recht nicht als sie plötzlich beschloss Stevie eine Chance zu geben. Stevie hatte damit gerechnet, dass Mrs. Alcott länger darüber nachdenken wollte und sich möglicherweise erkundigen würde, wo sie sie erreichen konnte, um ihr ihre Entscheidung dann mitteilen zu können. Der spontane Entschluss und das Vertrauen, das Mrs. Alcott auf diese Weise in sie investierte, ließen Stevie sich noch schlechter fühlen. Sich innerlich schämend und ins nächste Mausloch wünschend, nach außen hin jedoch mit einem strahlenden Lächeln, das trotz allem dieses Mal nicht gespielt war, wandte sie sich Mrs. Alcott wieder zu. Immerhin bekam sie hier gerade eine Chance auf einen Job! Und damit war sie um einiges weiter als in den letzten Tagen und Wochen gekommen. Sie würde wieder Geld verdienen können und wenn sie richtig verstanden hatte sogar hier und jetzt?! Auf die Ranch sollte sie am besten gleich mitkommen. Stevie wusste gar nicht was sie sie sagen sollte. Hatte sie sich bisher immer auf Ehrlichkeit berufen und war auf ihrer Suche nach Arbeit abgewiesen worden, so hatte sie heute zu einer Notlüge greifen müssen und bekam gleich drauf einen Job. Seltsam wie das Leben manchmal so mit einem spielte. Dabei war sie generell dafür offen und ehrlich zu bleiben und deswegen hatte sie das Gefühl die Chance bei Mrs. Alcott gar nicht zu verdienen. Gerade auch, wenn sie bleiben durfte, war es wichtig diese Story irgendwann wieder gerade zu rücken und mit viel Glück würde Mrs. Alcott auch das nachvollziehen können. „Ich weiss gar nicht was ich sagen soll, Mrs. Alcott.“ versuchte Stevie Zeit zu schinden, auch wenn ihre Entscheidung eigentlich schon feststand. Ein Job bedeutete Arbeit und dieser Gelegenheit war sie lange nicht mehr so nahe gekommen wie jetzt. Das sie zugreifen musste war sonnenklar. Doch Stevie störte selbst wohl am meisten wie sie zu dieser Chance gekommen war. Sie hasste es zu lügen und doch tat sie es immer wieder, wenn die Sprache auf ihre Familie und ihre Herkunft kam. Dann verselbständigten sich ihre Gedanken und ihre Zunge und ehe sie sich versah war ein neues Lügenmärchen entstanden. Natürlich schützte sie auf diese Weise ihre Familie, aber auch sich selbst, da sie immer noch Angst hatte die Bennetbrüder könnten auf Rache sinnen, wenn sie jemals dahinter kommen würde, was damals wirklich zwischen Stevie und ihrem Schwager passiert war. Einen kurzen Moment glitten ihre Gedanken auch zu Cassiel. Dieser wartete sicherlich schon längst im Cafe mit seinen Geschwistern auf sie und wunderte sich wo Stevie blieb. Wenn er sich mittlerweile schon auf die Suche gemacht hatte und die leere Pferdebox entdeckt hatte, war er sicherlich beunruhigt. Hin und her gerissen entschied sich Stevie zunächst das Jobangebot anzunehmen. „Ich nehme sehr gerne an, Mrs. Alcott. Und mit den Bedingungen bin ich natürlich ebenfalls einverstanden.“ das freudige Leuchten in ihren Augen bestätigten Mrs. Alcott, dass sich Stevie tatsächlich sehr über die Zusage freute. Es war dringend nötig Geld zu verdienen. Und sobald davon wieder etwas zur Seite gelegt werden konnte, war es ihr auch möglich wieder etwas davon nach Texas zur Unterstützung ihrer Familie zu senden. Denn auch wenn Stevie ihre Schwester so schlecht hingestellt hatte, so drehte sich doch insgeheim ihre Welt nur um ihre Tochter und ihre Familie, die sie in Texas hatte zurücklassen müssen. „Und ich komme gerne mit auf ihre neue Ranch. Ich hatte heute eh nichts besseres vor.“ grinste sie vergnügt. Die Ranch interessierte sie sehr und Stevie konnte ihre Neugier kaum in Zaum halten. Am liebsten hätte sie Mrs. Alcott noch Fragen zur Ranch und ihrem Leben gestellt, aber das konnte auch noch bis später warten.
Als sich Caleb reckte und streckte, folgte Stevies Blick seinem ausgestreckten Finger. „Ja du hast Recht. Da ist Rauch und demnach haben wir es gleich geschafft.“ Stevie war überrascht wie weit sie während ihres Gesprächs und den vielen Gedanken und Ideen, die ihr mit Mrs. Alcotts Angebot im Kopf herumspukten, gekommen waren. Camden Village war so gut wie erreicht. Stevie schnalzte mit der Zunge und ließ den goldfarbenen Hengst etwas schneller antraben, um sich an die Spitze der Gruppe zu setzen. Sie wollte den Damen den leichteren Weg nach Camden Village zeigen. Es gab bereits einen Trampelpfad zur Stadt, der weniger rutschig und schwer begehbar war wie die zurückliegende Strecke. Und vielleicht konnte sie dann auch verhindern, dass die Fremde, die auffällig ruhig gewesen war, durchstartete sobald sie die ersten Häuser zu Gesicht bekam.
Die Gruppe kam weiterhin gut voran und ehe man sich versah lag Camden Village einladend vor ihnen. Der Rauch der Häuser und die verschneiten Dächer gaben dem Ort ein verträumtes Aussehen. Stevie ließ sich wieder etwas zurückfallen und rief der Gruppe ein „Willkommen in Camden Village zu.“ Als man sich der Mainstreet näherte. So oder so ähnlich hatte ihr auch Cassiel die Ankunft versüßt und sie hatte das Bedürfnis diese Geste an ihre Begleitung weiterzugeben. „Ich bringe sie am besten direkt zum Gästehaus, damit sie sich dort erholen können. Die Pferde können sie dann mir überlassen.“ Sie suchte den Blick von Mrs. Alcott, „wenn die Pferde an der Kutschstation sind und wir dort Bescheid gegeben haben, dass Hilfe benötigt wird besorgen wir ihnen ein Ersatzpferd. Dieses Mal dann auch mit Sattel.“ Sie zwinkerte vergnügt und war selbst überrascht wie freudig und gut gelaunt sie mit einem Mal nach Camden Village zurückkehrte.
Unterwegs nach Camden Village Tamina, Helen, Laura und Calvin zusammen mit Stevie
"Sagen sie einfach Danke, Miss Hall," erwiderte Helen prompt, zwar ernst aber mit einem amüsierenden Funkeln in den Augen. Ihr war zwar nicht ganz entgangen, dass die Rothaarige etwas gezögert hatte, als würde sie tatsächlich das Jobangebot überdenken müssen, aber sie wollte Miss Hall da nichts unterstellen. Immerhin war sie auf der Suche und einem geschenkten Gaul schaute man bekanntlich nicht ins Maul. Aber selbstverständlich hätte sie sich an der Stelle von Miss Hall auch nicht anders verhalten. Es galt ja zum einen vorsichtig zu sein und zum anderen nicht jeden gleich wissen zu lassen wie verzweifelt man auf Jobsuche war. "Freut mich, dass sie annehmen," sagte sie etwas aufgeräumt und geschäftlich, einfach der Gewohnheit zu liebe und brachte etwas Tempo aus dem Ritt heraus um Miss Hall kurz die behandschuhte Hand über die Sättel hinweg zu reichen. Besiegelt wurde bei ihr ein Abkommen nicht viel anders wie bei den Männern im Geschäft. Ein Handschlag und ein Wort das galt. "Dann auf gute Zusammenarbeit?"
Ehe Calvin auf den Rauch aufmerksam machte, erwähnte Miss Hall, dass sie bereit wäre sofort mit auf die Ranch zu reiten. So hatte es Helen gerade gar nicht gemeint. Eigentlich hatte sie erst einmal ein Gästezimmer beziehen wollen, um zur Ruhe zu kommen und auch um sich ein wenig um Calvin zu kümmern. Aber andererseits... sie hatte ihre Mutter dabei und mit ihrem Vorarbeiter wäre sie womöglich ebenfalls auf die Ranch geritten. Von daher korrigierte sie die Falschannahme nicht, sondern nickte. "Das trifft sich ja hervorragend," sagte sie stattdessen mit einem Nicken. "Vielleicht bleiben wir je nachdem was wir vorfinden auch gleich eine Nacht. Falls sie in Camden Village also noch etwas zu erledigen haben, würde ich vorschlage wir brechen dort angekommen eine Stunde später auf?" Den Vorschlag hatte sie gerade ausgesprochen, als ihr Junge den besagten Rauch für alle erwähnte. Miss Hall bestätigte auch seine Annahme sofort. Camden Village lag vor ihnen. "Wunderbar. Ich könnte inzwischen für eine warme Mahlzeit und einen Kaffee ein Vermögen bieten," stöhnte Helen. Ihr war dabei weder wirklich kalt, noch fror sie oder bekam gar auf dem ungesattelten Pferderücken Probleme. Aber müde war sie. Sie waren früh aufgestanden und hatten doch ein klein bisschen viel seit dem Aufbruch erlebt. Das setzte sogar ihr zu, die bei weitem mehr gewohnt war zu ertragen und zu bewältigen als ihr Sohn, der noch recht munter wirkte. Worte waren nicht nötig, um Miss Halls geändertes Tempo zu bemerken und sich ihm anzupassen. Schließlich wollten sie alle aus der Kälte heraus. Sie überließ Miss Hall die Führung der kleinen Truppe und umfasste Calvin etwas enger, ehe sie das Tempo aufnahm.
Rasch erreichten sie einen sichtbaren Weg, der deutlich machte, dass sie sich endlich der Zivilisation näherten. Auch der Rauch über den Bäumen wurde etwas dichter und stieg optisch höher auf. Dann trat der Wald zurück und vor ihnen lag der See und die Häuser der Stadt. "Wir sind wohl da," flüsterte sie Calvin ins Ohr, als Miss Hall ein „Willkommen in Camden Village" nach hinten rief. "Sieht gemütlich aus," stellte sie fest. Dabei kannte sie ja den Ort längst. Sie war oft genug hier gewesen um mit Simones zu verhandeln und andere Geschäfte zu tätigen. Die Coopers hatten immer gerne Kälber und Zuchttiere bei ihr bestellt, um sie an die Rancher im Umland weiterzuverkaufen. Gutes Geld. Doch für Calvin war das hier alles Neuland. So aufgeregt er auch noch gestern gewesen war, so schien er auf einmal immer ruhiger zu werden, als verstünde er endlich, dass er seiner alten Heimat den Rücken endgültig gekehrt hatte. Auch wenn in St. Johns nicht viele Freunde zurückblieben hatte es den einen oder anderen interessanten Jungen gegeben. Es galt Calvin ein bisschen bei Laune zu halten. "Gästehaus klingt gut," bestätigte Helen Miss Hall und holte zu ihr wieder auf, jetzt wo sie die Stadt erreicht hatten. "Dort gibt es bestimmt heiße Schokolade," sagte sie wieder an Calvin gerichtet. Miss Hall übernahm derweil ein paar Planungen, die Helen gefielen. Immerhin nahm ihr die neue Angestellte einiges an Verantwortung ab und ermöglichte es ihr sich erst einmal um ihre Familie kümmern zu können. Was allerdings mit der Fremden geschehen sollte, stand noch in Frage. Helen sah kurz nach vorne und sah mit etwas besorgtem Gesichtsausdruck wie die junge Frau das Tempo anzog und sich ein ganzes Stück von der Gruppe entfernte. Anscheinend nahm sie die Häuser vor ihnen als Garant von Sicherheit und wollte dort so schnell wie möglich hin. Doch ihre Aufmerksamkeit galt weiterhin erst einmal Miss Hall.
"Das klingt wirklich gut, Miss Hall," sie lachte leise, wegen des Sattels. "Und vor allem bequemer." Während sie die Hauptstraße erreichten, hatte die Fremde schon ein gutes Stück der Straße hinter sich gelassen. Helen konnte nur den Kopf schütteln und zügelte selbst das Tempo, um etwas langsamer als zuvor durch den Ort zu reiten. Viel war nicht los um diese Zeit, sah man von einer kleinen Gruppe vor der Sheriff Station ab und von einem Pärchen. Ein einsamer Passant eilte auf dem verschneiten Bürgersteig in ihre Richtung, aber ansonsten wirkte Camden VIllage wie gewöhnlich verschlafen.
Mittlerweile versuchte Mathew Codswallop, das ganze sportlich zu nehmen.
Das Malheur beim Aussteigen... Lesebrille im Eimer. Aber dafür die Hose umsonst durch ein Dutzend Wagenräder gebügelt. Der Zug war nur bis St. Johns gefahren. Aber dafür hatte er die Postkutsche erwischt. Er hatte ein zweites Mal Fahrgeld bezahlen müssen, das ihm wegen seiner monatlichen Reisekostenpauschale niemand ersetzen würde. Dafür war er in der Postkutsche ganz ordentlich durch das Gezänk der Reisenden unterhalten worden. Dann war auch noch die Kutsche umgekippt. Aber der Umstand, dass plötzlich eine hübsche Frau mit in Unordnung geratenen Röcken quer über ihm lag, war den Schreck schon wieder wert gewesen. Besonders viel Umgang mit Röcken hatte er ja leider nicht gerade. Dann waren sie mitten im Nichts gestrandet, aber es hatte bald Pferde für die Weiterreise gegeben.
Immer sportlich rangehen an die Sache, Codswallop...
Mathew hatte sich hinten gehalten und die übrige Gesellschaft vorreiten lassen. Man konnte ja nie wissen. Diese Gegend war zwar nicht erst gestern besiedelt worden, aber das hier war alles noch Frontier. Eine Gegend im Übergang. Nicht mehr ganz wild, aber auch noch nicht ganz zivilisiert. Gefahren gab's hier mehr als genug. Die Wind River Reservation war in unmittelbarer Nähe, aber Injuns scherten sich bekanntlich nicht um Linien auf Karten. Konnte also jederzeit passieren, dass einem plötzlich 'ne Horde Rothäute auflauerte. Dass die Shoshoni offiziell "Friendlies" waren, das war leicht gesagt, wenn man Listen in warmen Bürostuben erstellte. Hier, auf dem hartgefrorenen Boden der Tatsachen, konnte es aber ebenso gut passieren, dass man es plötzlich mit ein paar gefiederten Gentlemen zu tun bekam, die sich als statistische Ausreißer entpuppten, die sich dann ganz unfreundlich für jemandes Pferd, Waffe, Wertsachen, Essen, Klamotten oder gar Haupthaar interessierten. Und, schwupps, war man dann selbst ne Statistik... Außerdem, die vorwärtsdrängende Zivilisation hielt in ihrem Füllhorn ja auch nicht nur Segnungen, sondern auch so manches Laster bereit. Als Papier-Söldner und Miet-Maul für streitsüchtige Goldschürfer und Ladeninhaber bei Ambew, Lance & Chaser und später bei Nasty, Brutish & Short hatte er regelmäßig in menschliche Abgründe geblickt, von denen er zuvor nicht den blassesten Schimmer gehabt hatte. Und seit er bei der Staatsanwaltschaft wirkte, war sein Glaube an das Gute im Menschen auf einem neuen Tiefpunkt angelangt. Wenn man erst einmal einige Dutzend Ermittlungsakten über Banditenüberfälle, Rancherkleinkriege voller Rohheiten und Opfern unter völlig Unbeteiligten und Akte tödlicher Gewalt ohne erkennbare Gründe gelesen hatte, dann ritt man nicht mehr so unbeschwert übers Land wie zuvor... Nein, nein, Mathew Codswallop fühlte sich am Ende der kleinen Kolonne genau richtig. Wenn die Damen da vorne es so eilig hatten, dann sollten sie eben ihre eigenen Erfahrungen mit den heimischen Bestien und Banditen machen... Die Staatsanwaltschaft war die Kavallerie der Justiz, nicht die richtige Kavallerie. Sein Schlachtfeld war nicht der leere Feldweg, sondern der hoffentlich gut besuchte Gerichtssal.
Irgendwann verlangsamte sich die Kolonne vor ihm, und Mathew schloss auf. Die Damen waren offensichtlich bester Stimmung. Dann sah Mathew den Grund der allgemeinen Freude. Da vorn lag Camden Village. Na endlich! Schon begannen die Damen über Unterbringungsmöglichkeiten zu plaudern. Der Name des Gästehauses fiel. Mathew fiel ein, dass das Gästehaus von eher bescheidener Größe war. Von diesen Frauenzimmern hier war die eine oder andere ganz sicher nicht geneigt, sich eines der wenigen Zimmer zu teilen oder anderweitig zusammen zu rücken. Das konnte eng werden, so viele Zimmer gab es im Twin Falls ja nicht. Zeit, jetzt mal einen Zahn zuzulegen, damit er als erster am Hoteltresen eintraf... Als Organ der Rechtspflege musste Mathew schließlich ausgeruht ans Werk gehen, das war er seinem Amt schließlich schuldig! Mathew drückze seinem Mietgaul die Hacken in die Flanken und bugsierte sich, den Finger an der Hutkrempe seines Bowlers, an den Damen vorbei.
"Die Damen... Nach hinten ist alles sicher. Die Damen werden jetzt wohl keinen Schutz mehr benötigen. Ich darf mich empfehlen...", murmelte er im Vorbeireiten etwas verdruckst und ging dann in einen zügigen Leichttrab über. Da er wußte, dass jetzt die Blicke der Damen auf ihn geheftet waren, bemühte er sich, beim Reiten eine gute Figur zu machen. Nach zweihundert Yards merkte er seine Oberschenkel. Diese Art von Trab hatte er schon lange nicht mehr gemacht. Als der Weg um eine hohe Schneewehe bog, ließ sich Mathew in den Sattel plumpsen und ging wieder in den Schritt über. Vor ihm lag die Stadt. Aber da war noch etwas! Ein Chuck-Wagon mit zwei Extrapferden zuckelte vor ihm den Weg entlang. Mathew beschloss, zu den Leuten aufzuschließen und kurz Hallo zu sagen und etwas auf den Busch zu klopfen. Vielleicht war das ja noch jemand, der ihm sonst das wohlmöglich letzte Zimmer im Twin falls wegschnappen könnte...