Als Stevie den Speiseraum betrat war dieser völlig leer. Wie angewurzelt blieb sie in der Tür stehen. Sie hatte gar nicht auf die Taschenuhr geschaut, die sich in dem kleinen Beutel unter ihrem Bett befand, der das wenige Hab und Gut von ihr hütete. Normalerweise brauchte sie diese auch nicht, denn ein Blick in den Himmel und sie wusste ungefähr wie spät es war. Doch aus dem Fenster hatte sie heute nur gesehen, um aufzustöhnen als sie die Schneemassen und den kalten Wind entdeckt hatte, der um die Häuser pfiff. Sie war definitiv zu Früh an diesem Morgen und das bezog sich nicht nur auf das Frühstück, denn man konnte schlecht zu dieser frühen Stunde bei den Leuten an die Türe klopfen und nach Arbeit fragen. Sie möglicherweise sogar aus dem Bett holen. Nein, das wäre ein sehr schlechter Beginn und wäre bereits vom ersten Wort an zum scheitern verurteilt. Stevie trat zu dem Tisch an dem sie üblicherweise morgens saß und starrte auf den leeren Stuhl. Ihre Stiefelabsätze hatten hohl im Raum nachgeklungen und Stevie hatte beinah das Gefühl das ganze Haus hätte ihre Schritte gehört. Möglicherweise war sie heute aber einfach auch nur etwas überempfindlich. Schnaufend ließ sie sich auf dem Stuhl nieder, lehnte sich darin zurück und streckte die Beine aus, um sie übereinander zu schlagen, während sie die Hände vor der Brust verschränkte und zu dem nah gelegenen Fenster hinaus schaute. Was würde ihr der heutige Tag wohl bringen? Sie schloss einen Moment die Augen und sandte ein Stoßgebet zum Himmel, als sie erschrocken die Augen aufriss. Heute war Sonntag! Und das hieß, dass sie zur Kirche musste! Sie hatte es Cassiel versprochen. Unglücklich sah sie an sich hinab und breitete einen Moment die Arme aus, um das ganze Ausmass der Katastrophe zu begutachten. Nein, sie schämte sich nicht für ihre Aufmachung, aber sie wusste, dass sie damit wieder in einer neuen Gemeinde und gerade in der Kirche unangenehm auffallen würde. Man würde sie wieder mit Blicken taxieren und während des Gottesdienstes so fromm wie möglich wirken, doch vor dem Kirchengebäude war den Menschen keine Grenze mehr gesetzt und dann würde sich Stevie wieder all die schönen Kommentare und abfälligen Bemerkungen entweder direkt oder im vorbei gehen anhören müssen. Vielleicht hättest du heute besser dein Sonntagskleidchen anziehen sollen schnaubte Stevie in Gedanken und grinste einen Moment vor sich hin. Mal davon abgesehen, dass sie nicht ein Kleidungsstück besaß, das eine Dame tragen würde, wäre sie lieber nackt in die Kirche gekommen, als in einem Stofffetzen, der die Frauen auf weibliche Reize reduzierte und die Männer aufforderte sie zu heiraten oder andere Dinge mit der Trägerin des Kleides anstellen zu wollen. Nackt in die Kirchen zu gehen, so wie Gott mich schuf, wäre doch im Prinzip genau im Sinne der Bibel oder? Und dann hätten die Menschen endlich mal etwas zum Lästern! Stevies Grinsen verebbte und ein nüchterner Gesichtsausdruck erschien wieder. Cassiel wusste nicht wie schwer es Stevie fiel ihm diesen Gefallen zu tun und ihn und seine Geschwister in den Gottesdienst zu begleiten. Er schien auch noch nicht bemerkt zu haben wie sehr ihre Anwesenheit seinem Ruf schadete. Sie meinte es ihm sogar schon gesagt zu haben, doch da hatte er nur gelacht von welchem Ruf sie denn bitte sprechen würde. Und zum wiederholten Male dachte Stevie daran, dass Cassiel einfach keine Ahnung hatte wen er da wirklich kennen gelernt hatte.
Ein Geräusch ließ Stevie aufsehen und sie blickte in Richtung Küche. War Miss Farley etwa auch schon wach? Sie würde es der geschäftigen Leiterin des Gästehauses durchaus zutrauen. Und Miss Farley gehörte hier in Twin Falls zu den wenigen Menschen bei denen Stevie ein gutes Gefühl hatte. Sie hatte bisher keinen anmaßenden Blick oder sonstige missbilligende Gesten von ihr vernommen, die davon zeugte, dass auch sie sich an Stevies Anwesenheit störte. Sie wurde von ihr stattdessen freundlich und zuvorkommend wie jeder andere Gast hier auch behandelt. Stevie mochte das Gästehaus. Es strahlte die Wärme und den Charme dieser Dame aus, die hier alle Fäden in der Hand zu halten schien. Und das gefiel Stevie. Immer wenn sich irgendwo eine Frau ein kleines Reich schuf, das nur sie allein dirigierte und verwaltete waren die Frauen dieser Welt doch schon ein Gänsefüsschen weiter. Oder etwa nicht?
Nun gut, zurück zum Gottesdienst. Sie würde nun doch die Tageszeit im Auge behalten müssen, um nicht zu spät vor der Kirche zu erscheinen. Dort wollten Cassiel und seine Geschwister auf sie warten. Er hatte sie natürlich abholen wolle, aber auch das hatte Stevie ihm ausgeredet bis er schließlich nachgegeben hatte. Sie brauchte heute Morgen Zeit zum nachdenken.
Sie verschränkte wieder die Arme vor der Brust und blickte aus dem Fenster wo immer noch ein heftiger Wind tobte, während sie über ihren Problemen brütete und fieberhaft nach einer Lösung suchte oder zumindest einen Weg diese anzugehen.
In Gedanken stieg Dean die Treppe von den Gästezimmern kommend hinab und wandte sich in Richtung des Durchgangs zum Speiseraum. Es war für den Bostoner ungewohnt, lange in die Zukunft zu planen. Bislang hatte er stets nur für sein Vergnügen gelebt, in den Tag hinein, auf seinen Charme und sein Glück vertrauend. Der Posten als Deputy war der erste gewesen, der ihn zu einer gewissen Strukturierung seiner Tagesabläufe gezwungen hatte. Und das hatte ihm überhaupt nicht zugesagt. Wäre nicht Kate gewesen, er hätte Camden schon lange wieder den Rücken gekehrt. Der Papierkram, die Zwänge und Notwendigkeiten der Arbeit, die mangelnde Unabhängigkeit, alles das hatte ihm den anfänglichen Spaß am Tragen des Sterns verleidet. Der Stern, den er heute noch Clayton zurückgeben würde. Denn der und Camden hatten ihn wissen lassen, daß sie ihn nicht länger als Ordnungshüter in der Stadt sehen wollten, nun, da er seine Idee verwirklicht und mit Hayway das Queen of Hearts eröffnet hatte. Kurz grinste der schlanke Mann, als er sich den indignierten Bürgermeister vorstellte, der von den Käufern des alten leerstehenden King Saloon offenbar ernsthaft erwartet hatte, irgendein langweiliges, spießiges und unprofitables, aber höchst frommes Gewerbe in dem riesigen Schuppen zu betreiben.
Nein, Camden war wirklich ganz schön naiv gewesen. Wie Clayton zu der ganzen Sache stand, wußte Dean nicht genau, der Alte hatte sich bedeckt gehalten. Doch er selbst war sicher, mit diesem Geschäft den großen Deal gemacht zu haben. Die Belohnung wegen der Waltonbande hätte er nicht besser anlegen können. Auf diese Weise hatten die Toten auf seinem Gewissen wenigstens noch einen nutzbringenden Nebeneffekt für ihn. Und nun würde es für ihn auch kaum mehr die Notwendigkeit geben, einen Mann über den Haufen zu schießen. Ein aufdringlicher Freier vielleicht ab und an, der ein Mädchen zu sehr bedrängte – mehr nicht. Und für die reichte im allgemeinen eine Tracht Prügel im äußersten Fall. Was Hayway übernehmen würde. Der Mann war etwas einfach gestrickt, aber genau der Richtige für derlei Aufgaben. Dean dagegen würde sich um die Mädchen kümmern und zusehen, daß die Dollars in die Kasse des Bordells flossen. Mit dem Daumen wischte er kurz über den Stern, den er noch immer an seiner Weste trug, bevor er ihn wieder unter dem Jackenaufschlag verschwinden ließ. Heute abend würde Clayton das Stückchen Blech zurückerhalten. Und Dean würde einen guten Tausch gemacht haben. Regelmäßig Leben und Gesundheit riskieren, Schreibkram erledigen und jedermanns Sorgen vorgeheult bekommen, und das alles für einen mickrigen Lohn, das war nun vorbei.
Für ihn begann das Leben als selbständiger, freier Unternehmer, der mit ein wenig Geschick und Glück Geld scheffeln konnte, ohne sich zu überarbeiten. Nun, was das Geschick anging, war er natürlich prädestiniert, und Frau Fortuna war ihm ebenfalls noch jedesmal hold gewesen. Ja, er war sicher, dieses miese kleine Kaff würde sich für ihn auf den zweiten Blick doch noch zu einem Glücksfall entwickeln. Die Sache mit jeder Wirtin würde sich ebenfalls finden, denn mit den Weibern hatte er ebenfalls schon immer ein Händchen gehabt, oh ja... Er trat durch die geöffnete Tür, und sein Blick fiel in den Speiseraum, wo bislang nur ein einziger Gast saß. Mit einem beiläufigen Nicken in Richtung des Mannes wollte sich der Bostoner an seinen gewohnten Platz setzen, als er plötzlich das Gefühl hatte, irgend etwas stimme nicht ganz mit der sitzenden Gestalt. Irritiert schaute er sie ein zweites Mal an, und diesmal genauer. Dann hoben sich seine Augenbrauen, als sein Blick von Stiefeln und Hosenbeinen nach oben wanderte und auf einem Gesicht zur Ruhe kam, dessen weiche Form und glatte, bartlose Haut sehr eindeutig vom weiblichen Geschlecht der Besitzerin kündete, ganz abgesehen von der Haarmähne.
Es passierte selten, daß Dean perplex war, und er ließ es sich auch jetzt nicht allzu deutlich anmerken. Dennoch starrte er das eigenartige Frauenzimmer an und blieb stehen. Er hatte ja schon davon gehört, daß es hier im Ort so ein verrücktes Weib geben sollte, das in Männerkleidern umherlief und sich gar an einen Amboß stellte. Doch eine Geschichte hören – er war noch nicht mit der Schmiede in Berührung gekommen – und solch ein bizarres Mannsweib vor sich sehen waren zwei verschiedene Dinge. In seiner Miene mischten sich Amüsement und Unglauben. Hatte die Kleine keinen Mann, der ihr für diesen lächerlichen Unfug den Hintern versohlte? Lässig grinsend stand der Bostoner im Durchgang, die eine Hand mit dem Daumen in seinen Gürtel gehakt.
Erdrückende Stille weilte im Speiseraum und ließ Stevies Gedanken freien Lauf, während sich ihre Probleme vor ihrem inneren Auge zu türmen begannen. Auch Miss Farley war bisher nicht erschienen. Offenbar war Stevie heute wirklich zu früh aus dem Bett gefallen. Doch auf das Frühstück im Gästehaus zu warten lohnte sich wie Stevie mittlerweile wusste. Es war lecker zubereitet und immer war alles da was das Herz begehrte. Es war eines der besten Gästehäuser in denen Stevie je gewesen war, auch wenn sie diese wohl an einer Hand abzählen konnte. Twin Falls kam ihr wie eine kleine heile Welt vor in die sie sich hatte flüchten dürfen, während draussen der Sturm tobte.
Schritte zerrissen die Stille und Stevies Gedanken, als ein weiterer Gast den Raum betrat. Stevie schenkte ihm nur ein fades Lächeln zur Begrüßung, bevor sie ihren Blick wieder dem Fenster zuwandte und weiter vor sich hin brütete. Meine Güte, ihre schlechte Laune war heute wirklich beschämend. Doch auch sie gab sich, wenn auch nur selten, gerne mal einen Tag dieser Laune hin. Den Fremden schenkte sie vorerst keine weitere Beachtung mehr, was vielleicht auch besser für ihn war. Normalerweise hätte sie ihn freundlich und offen angelächelt und gegrüßt und vielleicht auch mit einem flotten Spruch aufgeheitert, sofern die Sympathie auf den ersten Blick stimmte. Aber heute, tja, da war alles anders. Doch so war sie immerhin nicht mehr die einzige Hungrige, die sich zu früh im Speiseraum eingefunden hatte. Einmal mehr begannen die Gedanken der Rothaarigen zu kreisen. Sie brauchte einen Job, nur wo sollte sie anfangen? Musste sie unbedingt heute in die Kirche? Konnte sie Cassiel von einer Ausrede glaubhaft überzeugen ohne ihn dabei zu verärgern? Sollte sie heute nicht doch Whisky satteln und diesen Warren aufsuchen? Fragen über Fragen für die sie einfach keine Antwort finden wollte. Allmählich gefiel ihr der Gedanke jedoch immer besser bei Wind und Wetter aufs Pferd zu steigen und sich zu dieser Ranch durchzuschlagen. Dann hätte sie wenigstens etwas zu tun und käme sich nicht mehr so verloren und unbrauchbar vor. Whisky würde zumindest die Bewegung gut tun, denn er stand nun schon eine Woche im Mietstall und war bald ebenso launig wie seine Herrin. Andernfalls war es nicht ungefährlich bei diesem Wetter zu Pferd unterwegs zu sein.
Stevie hatte den Fremden beinah schon vergessen, als sie ihn aus den Augenwinkeln wieder wahrnahm. Erst jetzt bemerkte sie, dass er sich noch keinen Platz im Raum gesucht hatte. Sie sah wieder in seine Richtung und traf auf seinen direkten Blick. Er stand lässig im Türrahmen und grinste sie dämlich an. Auf Stevies Gesicht zeigte sich keine Regung, als sie sich wieder abwandte. Der hatte ihr gerade noch gefehlt. Konnte Gott und die Welt nicht einfach mal einen Bogen um sie machen? Nur einen einzigen Tag hätte sie mal gerne ihre Ruhe gehabt ohne auf ihre nervigen Mitmenschen zu stossen. Aus dem Augenwinkel stellte sie erneut fest, dass er immer noch an Ort und Stelle verharrte und sie wohl weiterhin anstarrte. Entschlossen sah sie wieder zu ihm, nur um erneut mit seinem amüsierten Blick und stahlblauen Augen konfrontiert zu werden. Ihr Blick dagegen war frostig ablehnend und ihre Mundwinkel verzogen sich verärgert zu zwei schmalen Linien, die immer mehr Mühe hatten den aufkommenden Wortschwall zu unterdrücken. Er ließ sich nicht sonderlich von ihrem verärgerten Gesichtsausdruck beeindrucken und wich ihr ebenso keine Sekunde aus. Stevie spürte wie ihre Wut sekündlich anschwoll. Er konnte zwar nichts für ihre momentanen Probleme und ihre schlechte Laune, aber offenbar bot er sich geradezu freiwillig an zumindest ihrer Wut endlich ein Ziel zu geben. Doch es war nicht nur das. Es war vielmehr sein belustigter Blick, der auf ihr ruhte, sein freches Grinsen, das davon zeugte, dass er an irgendetwas anscheinend großen Spass zu haben schien und Stevie wurde das Gefühl nicht los, dass dieser Spass auf ihre Kosten ging. Und wie er da im Türrahmen lehnte. Selbstgefällig und überheblich wie es nur ein Mann, der von sich überzeugt war, tun konnte. Fehlt nur noch der Strohhalm in der Mundecke, auf dem er dann herum kauen kann. Stevie sog tief den Atem ein und zwang sich den Blickkontakt zu unterbrechen und wieder zum Fenster zu schauen. Nein, tu es nicht, Stevie. Halt deinen vorlauten Mund. Und Ärger kannst du dir keinen erlauben. Sie hatte den Mann schon mal gesehen. Er wohnte bereits länger wie sie im Gästehaus und hatte ihr bisher nie sonderlich große Beachtung geschenkt. Stevie war sich sogar sicher, dass er sie nie wirklich wahrgenommen hatte und im Prinzip war ihr das auch Recht. Doch heute schien alles anders zu sein. Heute war der Tag und Camden Village wohl eindeutig gegen sie. Nochmal tief Luft holen und ruhig bleiben. Doch es gärte in ihr und sie spürte wie sich unter seinem penetranten Blick, den er nicht abwenden wollte, die Nackenhaare einzeln aufstellten. Eigentlich das Zeichen für Stevies siebten Sinn den Mund zu halten. Immerhin wusste sie nicht einmal wer genau hier vor ihr stand. Doch die Wut gewann die Oberhand. Aufgebracht sah sie wieder zu ihm, während ihre Augen streitlustig aufblitzten: „Vielleicht sollten Sie ausspucken was Ihnen auf der Zunge liegt, bevor sie noch daran ersticken. Dann haben wir es endlich beide hinter uns.“ fauchte sie ihn angriffslustig an und dachte im selben Moment, dass sie völlig überreagierte. Doch nun war es zu spät und die Worte laut ausgesprochen. Sie sah ihn weiterhin durchdringend an, als wollte sie ihn allein mit ihrem Blick auf der Stelle tot umfallen lassen, denn er sollte wissen, dass er hier kein schwächliches Frauenzimmer vor sich hatte. Und gerade heute war er an der richtigen Adresse!
Man konnte Dean nicht nachsagen, daß er ein konventioneller Mann war. Die Kleine in ihrer unpassenden Männerverkleidung war zwar mitnichten etwas, das er gutgeheißen hätte, doch ihre provokante Art reizte seine Neugier. Weit davon entfernt, sich auch nur ansatzweise zu genieren oder verunsichern zu lassen, schlenderte er auf ihren Tisch zu. "Na, na, warum so hitzig, Mädchen..? Ich tu dir doch nichts." Sein Grinsen offenbarte sein Amüsement, und sein Tonfall enthielt gerade das Maß gutmütigen Spotts, das dieses Frauenzimmer aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Palme bringen würde. Es machte ihm immensen Spaß, sie zu reizen. Ein kleines Spielchen, augenzwinkernd... genau das, worauf er in der letzten Zeit, dank dem vermaledeiten Stern an seiner Brust, hatte verzichten müssen. Ein Deputy als Vertreter des Gesetzes mußte natürlich höchst seriös sein. Der Bostoner dagegen hatte das Spiel zwischen Mann und Frau, das Kokettieren und Flirten, schmerzlich vermißt. Kate, als einzige Frau im Ort, der er sich privat hätte nähern können, war hingegen nur äußerst selten zu greifen gewesen. Sein Drang nach Einsatzmöglichkeiten für seinen selbstbewußten Macho-Charme war dementsprechend beachtlich angewachsen, ohne ein Ventil finden zu können.
Nun schien ein solches – zumindest ein kleines – direkt in Sicht zu sein, und das stimmte ihn heiter. So wie die Kleine aussah, wollte sie wohl auf irgendeine Art hart wirken, unnahbar, selbständig. Kurzum, keine richtige Frau. Aber es war für ihn vollkommen klar, daß ein Paar Hosen aus ihr noch keinen Kerl machten. Sie wirkten wie ein bizarre Verkleidung, fehl am Platz und provokant. Und gerade diese sicherlich bewußte und gewollte Provokation der jungen Frau erschien ihm irgendwie reizvoll. Sie schien eine ähnliche Wildkatze zu sein wie Kate... Als er wenige Schritte vor ihr angekommen war, stoppte Dean ab und besah sie sich von oben und bis. Langsam, scheinbar halb amüsiert, halb gelangweilt – oder gar etwas mitleidig? Ein Schmunzeln umspielte seine Lippen, als er mit dem Kinn in ihre Richtung nickte. "Na, haben wir uns im Kleiderschrank vergriffen? Oder war nichts Anständiges zur Hand? Es gibt hier im Ort eine brauchbare Schneiderin, soweit ich weiß." Ihm war klar, daß sein Gegenüber wohl keinen Wert auf normale Frauenkleidung legte. Dagegen sprach die Art, wie sie sich gab. Auch wenn er es nicht recht nachvollziehen konnte. Die meisten Frauen hätten sich wohl in Grund und Boden geschämt, sich so wie dieses Weibsbild gekleidet öffentlich zu zeigen.
Der durchdringende Blick, den ihm der aparte Lockenschopf zuwarf, floß am Selbstbewußtsein Deans ab wie Regen an einer Felswand. Er ließ sich davon nicht im geringsten irritieren, fuhr lieber damit fort, sie eingehender zu mustern. Wirklich, wenn man sie sich in einem angemessenen Kleid vorstellte, war die Kleine gar nicht mal übel! Und ihr offenkundiger Zorn änderte daran nichts. Schließlich tat er ja auch das seine dazu, sie anzustacheln. Es bereitete ihm wirklich einen höllischen Spaß! Dabei war er zufrieden damit, die Kleine zu necken – mit so etwas mußte sie schließlich rechnen, wenn sie so herumlief. So war auch das Funkeln in seinen Augen eher das eines großen Jungen, der einen Streich spielte, als eines, das Bösartigkeit oder echte Empörung gezeigt hätte. Dean wußte genau, welchen Platz Frauen in seinem Weltbild hatten, doch ein bißchen Persönlichkeit und Widerspenstigkeit machte sie nur attraktiver. Oder zumindest interessant, so wie das Kätzchen hier, das ihn anfunkelte, als wolle es gleich die Krallen zeigen. Genüßlich grinste er sie weiter an und wartete auf ihre Reaktion.
Stevie hatte gehofft ihn im mindestens genauso verärgern zu können wie er es allein mit seinem penetranten Blick bei ihr geschafft hatte. Doch Fehlanzeige. Stattdessen stellte die Rothaarige fest, dass sie ihm wohl gerade den Startschuss gegeben hatte für ein Duell, das ihm zunehmend Freude zu bereiten schien. Stevie zog fragend eine Augenbraue hoch, als er selbstbewusst auf ihren Tisch zuschlenderte und sie wie nannte? Ach ja, Mädchen. Selbstgefällig blieb er vor ihr stehen und das Grinsen in seinem Gesicht wurde immer breiter. Stevie wurde schlagartig klar, dass sie ihn gerade herausgefordert hatte. Wütend sah sie ihn weiterhin an, während alles in ihr danach schrie einfach aufzustehen und diesem Kerl sein freches Gegrinse aus dem Gesicht zu schlagen. Moment! Was war denn heute nur los mit ihr? Seit wann ließ sie sich von solch billigen Sprüchen und ein paar aufdringlichen Blicken derart reizen, dass sie kurz davor war einen Mann zu verprügeln. Mal abgesehen davon, dass sie kräftemäßig keine Chance gehabt hätte. Und gegen diesen hier vielleicht sogar drei Mal nicht. Er war bereits dazu übergegangen sie nochmals aus nächster Nähe von Kopf bis Fuss zu mustern. Stevies Nasenflügel bebten. So etwas Dreistes wie dieser Kerl war ihr schon lange nicht mehr untergekommen! Normalerweise hatte sie die meisten Männer mit ihrer direkten Art und ihrem losen Mundwerk innerhalb der ersten Minute in die Flucht geschlagen. Ein Frauenzimmer, das sogar redete und den Mund aufmachte war für viele schon eine Nummer zu groß. Doch es gab immer wieder welche, die sich bemüßigt fühlten auf Tuchfühlung zu gehen. Reizend. Stevie starrte zurück und nahm sich dann ein Beispiel an ihrem Gegenüber ihn einfach ebenso schamlos zu mustern. Man könnte sogar fast sagen, dass er gut aussah, wenn er nicht diesen selbstgefälligen Gesichtsausdruck hätte. Seine blauen Augen waren durchaus interessant, doch gerade blitzten sie vor Belustigung und reizten Stevie damit zu explodieren. Vielleicht war es einfach auch nur seine Aura an Selbstbewusstsein und Überlegenheit, die Stevie von der ersten Minute an herausgefordert hatte. Dieser Mann hatte anscheinend noch nie selbst die Krallen gestutzt bekommen. Vielleicht wurde es endlich mal Zeit seinem Selbstbewusstein einen Dämpfer zu verpassen. Als er jedoch auf die übliche Schiene auswich und ihren Kleidungsstil spöttich kommentierte, schnaubte Stevie abfällig. „Oh man, was besseres ist Ihnen nicht eingefallen?“ Ihre Stimme klang dabei eiskalt, während sie ungeniert zu ihm aufsah. Ein Umstand, den sie vielleicht auch noch ändern sollte, denn einen Vorteil wollte sie ihm in keinster Weise anbieten. Und sei es nur der Blick von oben herab. „Glauben Sie mir, diesen Spruch habe ich mindesten schon hundert Mal gehört…“ sie musterte ihn absichtlich nun nochmals genauso ausgiebig von oben bis unten, wie er es zuvor bei ihr getan hatte, und fügte dann mit einem provozierenden Funkeln in den Augen hinzu, „…und Männer wie Sie habe ich ebenfalls bereits zur Genüge getroffen. Nur bisher hatte ich immer das Glück, dass sie bis nach meinem Frühstück mit ihren Aufdringlichkeiten gewartete haben.“ triumphierend sah sie ihm wieder direkt in die Augen und freute sich über ihre eigene Schlagfertigkeit, mit der sie nun zu alter Form zurückfand. Am Ende würde ihr die anstrengende Begegnung im Speiseraum noch den Tag retten. Soweit kam es noch!
Doch noch ehe das Wortgeplänkel zwischen ihnen ausarten konnte, gab es eine Unterbrechung in Form von Mrs. Cornwell. Da hatte Stevie wohl vorhin doch richtig gehört. Miss Cornwell war ebenso tüchtig in der Küche, als auch tüchtig im schwatzen auf der Straße wie Stevie von Cassiel erfahren hatte. Und ihr jetziger Gesichtsausdruck bestätigte, dass allein Stevies Anblick hervorragenden Lästerstoff für die Waschweiber dieser Stadt bieten würde. Mrs. Cornwell war ihr nie unfreundlich begegnet jedoch setzte sie stets dieses Lächeln auf, das niemals ihre Augen erreichte, wenn sie Stevie sah. Dennoch sah Stevie sie freundlich an und war beinah dankbar für das Auftauchen der Frau. Nun würde sich ihre Begegnung mit diesem Kerl von allein im Sande verlaufen, wenn er sich an seinen Tisch begab, um zu frühstücken. Sie hörte Mrs. Cornwells Frage und antwortete vorfreudig: „Ein Kaffee wäre toll.“ Dabei schenkte sie ihr ein strahlendes Lächeln und ignorierte ihr aufdringliches Anhängsel. Die Frage nach der hoffentlich angenehmen Nacht überging Stevie bewusst, denn zum einen war diese nur theoretisch und guten Anstands bezeugend gestellt worden und erwartete keine wirkliche Antwort, andererseits hatte Stevie alles andere als gut geschlafen und wollte besser nicht wieder an ihre Sorgen erinnert werden. Zumal eine neue Sorge sich gerade wie selbstverständlich vor ihr aufgebaut hatte und sich anscheinend auch nicht freiwillig von ihrer Seite entfernen wollte.
Der Weg von der Lake Street war Sophie sehr weit erschienen. Sie war zwar früher als gewöhnlich aufgebrochen, doch die Schneemassen hatten noch zugenommen, der Wind drohte mehrmals ihre Mütze fort zu reißen und sie konnte sie nur mit einer Hand festhalten, weil sie die andere für die Krücke brauchte, die Dr. Leigh ihr gegeben hatte. Es würde noch Wochen dauern, bis sie wieder ohne herumlaufen konnte, und das gebrochene Bein normal belasten konnte. Nicht einen Moment hatte das Mädchen bei ihrem Sprung an die bleibenden Schäden gedacht, die sie sich zu ziehen könnte. Sie hatte einen teuren Preis bezahlt und was noch schlimmer war, dass auch Cassidy nicht verschont geblieben war. Sophie fühlte sich schuldig, aber zu gleich hatte sie eine merkwürdige Euphorie im Griff, die seit Dr. Leighs Neuigkeiten für sie nicht mehr fort gehen wollte. Was zählte da schon das gebrochene Bein oder das verlorene Ohr? Sie war frei, allein das zählte doch. Vielleicht konnte sie irgendwann ja über das verlorene Leben in ihrem Körper trauern, aber zur Zeit fühlte sie sich nur erleichtert. Ihr war endlich das Vergessen vergönnt, welches sie sich mit dem Sprung ins Wasser so sehr herbei gewünscht hatte. Die ersten Tage war sie viel zu schwach gewesen, um sich ihrer Umgebung bewusst zu werden, doch dann wurde sie ein bisschen kräftiger, konnte selbsständig Essen und sich anziehen und ein wenig in der Klinik um herhumpeln und da hatte sie ein unbekannter Tatendrang befallen. Sie hatte sich monatelang vor der Welt verkrochen und war so selten wie möglich nach draußen gegangen. War es nicht Zeit, wieder am Leben teil zu haben? Natürlich wusste sie, dass nicht alles auf einmal gut geworden war. Diese kindliche Naivität hatte sie schon im Sommer eingebüßt. Man würde immer mit dem Finger auf sie zeigen und über sie tuscheln. Aber dann wiederum hatten die vielen Stunden, die Ruth und auch Cassidy an ihrem Krankenbett gesessen hatten und ihre Hand hielten, ihr gezeigt, dass das vielleicht gar nicht so wichtig war? Ein abstruser Gedanke, über den sie noch vor wenigen Wochen hysterisch gelacht hätte. Jetzt war sie sich auf einmal nicht mehr so sicher.
Gestern war sie nach Hause in die Wohnung in der Lake Street zurückgekehrt und Ruth hatte ihr von dem neuen Reverend erzählt und ein weiteres Mal war es Sophie erschienen, als lösten sich ihre Probleme in Luft auf. Der zornige Mann, der ihr das Höllenfeuer versprochen hatte, war fort. Er würde sie nicht mehr verfolgen und sie musste seine donnernde Stimme nicht mehr hören. Der neue Reverend veranstaltete zu seinem Einstand ein kleines Fest im Gästehaus und Sophie war Ruths Drängen eingefallen, sich wieder unter die Leute zu mischen und zur Arbeit zu gehen. Es würde ihr gut tun, hatte die Köchin gesagt, und ihr wieder Farbe ins Gesicht treiben. Die Farbe hatte sie jedenfalls schon, als sie vor Anstrengung schwitzend am Gästehaus ankam und sich die Veranda hinauf kämpfte. Sie war noch nicht wieder bei Kräften, aber jetzt um zu kehren kam nicht in Frage. Also hänge sie ihren Mantel wie immer in der Rezeption auf und betrat dann den Speisesaal. Wie es schien hatte sie sich mit der Zeit verschätzt und statt wie üblich vor den ersten Gästen da zu sein und bei der Zubereitung des Essens zu helfen, waren bereits zwei der Gäste und Ruth anwesend. Unbewusst glitt ihre Hand zu ihrem Nacken, um dort zu prüfen, ob ihre Locken nach wie vor so fielen, dass sie den Stumpf gut überdeckten. Sie hatte heute morgen immerhin eine geschlagene Stunde vor dem Spiegel gesessen, um es so hin zu bekommen, dass ihr Haar züchtig genug frisiert war, um keinen Unbill zu erregen und loose genug, um zu verstecken. „Guten Morgen, die Herrschaften.“ grüßte sie in gewohnter Manier relativ leise und machte einen sehr langsamen Knicks, um das verletzte Bein nicht zu belasten. Den Rücken hielt sie dabei gerade und ausnahmsweise einmal lag ein Anflug von Neugier in ihren blauen Augen, als sie die kleine Ansammlung musterte. Ruth schenkte sie dabei ein kurzes Lächeln und blieb neben der Köchin stehen, um ihr bei den Bestellungen der beiden behilflich sein zu können. Sie schienen sich nicht zu kennen, denn es sah nicht so aus, als wollten sie an einem Tisch essen. Trotzdem waren sie wohl in ein Gespräch verwickelt gewesen. Sie kannte keinen von beiden mit Namen und war froh eine diplomatische Lösung gefunden zu haben. Den Mann traf nur ein ganz kurzer Blick, der kaum reichte sein kantiges Gesicht, seine adrette Erscheinung und die tiefblauen Augen wahr zu nehmen, bevor sie sittsam die Augenlider niederschlug. Vielleicht fand die junge Frau die bei ihm saß ja, dass er gut aussah und unterhielt sich deswegen mit ihm? Sophie hätte einen ansehnlichen Mann nicht einmal erkannt, wenn er auf einem Elefanten dahergeritten käme. Doch wenn sie sich die junge Frau so besah, hatte sie nicht den Eindruck, dass das der Grund war. Lehnte sie sich nicht gar auf ihrem Stuhl ein wenig zurück, um fort von ihm zu kommen? Erst jetzt nahm sie sich die Zeit unter gesenkten Augenlidern die Frau in Augenschein zu nehmen. Ein scheues Lächeln zeigte sich in ihren Mundwinkeln, als sie die rote Lockenmähne betrachtete. Es gab wenig, worauf Sophie stolz war, aber ihre Haare gehörten definitiv dazu. Die Fremde hatte einen deutlicheren Braunton als sie selbst, und die Locken waren viel kleiner und gekrauster als ihre eigenen, aber trotzdem fühlte sie sich ihr sofort verbunden.
Zumindest bis zu dem Augenblick in dem sie feststellte, dass die Frau …. Männerkleider trug? Sophie hatte schon von Frauen gehört, denen an der Frontier nichts anderes übrig blieb, weil sie wie die Männer mit anpacken, das Vieh antreiben und ähnliches mussten. Trotzdem wirkte die Frau regelrecht bizarr und Sophie spürte wie ein albernes Kichern ihre Kehlen hinaufstieg. Um den Moment zu überspielen, fummelte sie ungeschickt an ihrer Krücke herum und nahm sie in die andere Hand. „Haben die Herrschaften schon etwas bestellt, Ruth, was ich ihnen bringen kann?“ fragte sie dann, weil es immer noch am sichersten schien, mit der Köchin zu reden und nicht mit den Gästen.
Ruth mit Stevie und Dean im Speisraum, Sophie kommt dazu
"Kaffee - kommt sofort." Ruth war ein wenig verwundert über das strahlende Lächeln, dass Miss Hall für sie übrig hatte. Sicherlich würde sie nie Derartiges laut äußern oder auch nur andeuten, aber sie wusste sehr wohl, dass ihr halbherziges Lächeln eben doch deutlich machen konnte, dass sie Miss Hall nicht gerade zu ihrem Bekanntenkreis oder gar Freundeskreis zugehörig betrachtet wissen wollte. Also wirklich - nein, allein dieser Aufzug! Zwar waren ihre Haare beneidenswert kräftig in der Farbe und nicht so farblos wie ihre und sie hatte wohl auch nicht die schlechtesten Manieren, aber trotzdem - irgendwas war an dieser Frau einfach nicht richtig. Warum sollte eine Frau sich der Frauenkleidung oder ihres Frauseins schämen und als Mann auftreten wollen? Das würde sie wohl nie verstehen und - dem Herrn sei Dank - das musste sie auch nicht. Dean Foster stand in unmittelbarer Nähe und Ruth nahm an, dass sie gerade eine Unterhaltung unterbrochen hatte, denn der ließ bekanntlich nichts anbrennen. Natürlich hatte sich dieser "Mr. Arrogant" noch weder zu der Frage nach Tee oder Kaffee geäußert, noch einen guten Morgen gewünscht. Das störte Ruth allerdings nicht weiter, denn schon die Vorstellung, mehr als zwei Worte mit diesem Menschen sprechen zu müssen, ließ sie sich innerlich schütteln. Er war ihr einfach zuwider in seiner selbstzentrierten und arroganten Art, sich die Welt zu Füßen legen zu wollen. Dass er nun angeblich den Sheriffstern abgegeben hatte und sich statt dessen ein Bordell - Herrgott noch mal, was soll nur aus unserer Stadt noch werden? sein Eigen nannte, passte zu diesem, denn welche ehrbare und gute Christin würde sich diesem schmierigem Menschen hingeben? Nun, Sie jedenfalls würde sich nicht weiter mit ihm befassen wollen und so er annahm, sie werde schon wissen, was seine Gewohnheiten zum Frühstück waren, irrte er sich gewaltig. Nein, nein - je ehe er begriff, dass sich die Welt nicht nach ihm richtete, desto besser war es und so würde sie mit seiner Bedienung eben warten, bis der gnädige Herr sich dazu herab ließ, ihre einfache Frage nach Tee oder Kaffee zu beantworten. Erstaunt aber auch hoch erfreut drehte sie sich zur Tür hin um, als sie Schritte wahrnahm. Deren Rhythmus wies schon darauf hin, dass es Jemand war, der sich der Hilfe einer Krücke bediente und so nahm sie an, dass es sich um ihre kleine Freundin Sophie handelte. Diese war in den Fluss gestürzt und hatte sich dabei ein Bein gebrochen, so dass sie kaum ohne Krücke würde gehen können. Ruth hatte ein bisschen an sie hin geredet, ihr Mut zugesprochen, damit sie sich aus dem Haus und wieder in die Arbeit und damit auch ins Leben zurück wagte. Offensichtlich war ihre Botschaft bei dem Mädchen angekommen, denn diese kam gerade auf sie zu und kontrollierte den Sitz ihrer Haare. Diese waren nicht ganz so streng frisiert, wie Ruth es von Sophie gewohnt war, wohl um den Stumpf einer abgenommenen Ohrmuschel zu verdecken. Ruth musste zugeben, dass diese neuere Frisur Sophie ausgesprochen gut stand. "Guten Morgen, Sophie. Wie schön, dass Du Dich auf den Weg gemacht hast." Ein warmes und freundliches Lächeln, das nun auch ihre Augen erreichte, begleitete ihre Worte, als sie auf das Mädchen zu ging. Ein bisschen unsicher, wie sie sie nun begrüßen konnte war sie schon, denn sie wusste nicht genau, wie Sophie diese Krücke händeln und in wie weit diese sicher stand, ohne ihr verletztes Bein belasten zu müssen. Sophie schien Miss Hall zunächst als sympathisch zu empfinden, doch dann schienen ihr die Hosen, die diese trug aufgefallen zu sein. Sophies schüchternes Lächeln wich dem Versuch, ein Kichern zu unterdrücken. Das konnte Ruth erkennen, denn so gut kannte sie Sophie inzwischen schon. Innerlich seufzte sie, denn dem Grunde nach hatte Sophie ja Recht: Der Aufzug in dem Miss Hall durch die Gegend lief, war lächerlich. Vielleicht will sie damit Aufmerksamkeit erregen - dann sollte man das schlicht ignorieren."Miss Hall wünscht Kaffee zum Frühstück und Mr. Foster hat sich noch nicht entscheiden können." An der Art wie sie ihre Worte betonte, mochte Sophie sehr wohl erkennen, was sie von Mr. Foster und der ihr noch fremden Miss Hall hielt. Wahrscheinlich sollte sie wohl inzwischen sicher wissen, wie Mr. Foster im Allgemeinen frühstückte, aber sie vermied weitgehend den Kontakt zu ihm. Das war gar nicht so leicht und sie fürchtete schon, dass das noch zu Schwierigkeiten und Mißstimmung zwischen Kathleen und ihr kommen könnte, denn diese schien tatsächlich Gefallen an diesem selbstgefälligen Menschen gefunden zu haben - ganz im Unterschied zu Miss Hall, die vielleicht nur gelächelt hatte, weil Ruth mit ihrem Erscheinen verhindert haben mochte, dass der ehemalige Deputy sie als seine Beute zu betrachtete. Die Annahme, dass auch Miss Hall diesen nicht gut leiden mochte, lies sie ihr fast sympathisch werden und wer weiß - vielleicht trat sie auch nur wie ein Mann auf, um sich vor solchen Typen wie Foster zu schützen? "Wie gesagt - Kaffee kommt sofort." Ruths Lächeln war ein wenig wärmer, als das vorheriger, als sie Miss Hall noch einmal ansah. Mr. Foster dagegen betrachtete sie mit einer gewissen Mißbilligung, denn der stand immer noch wie bestellt und nicht abgeholt in seiner sehr überheblichen Art herum. "Tja - dann will ich mich mal um den Kaffee kümmern.. " Langsam bewegte Ruth sich nun in Richtung Küche und das nicht, weil sie nicht wirklich viel zu tun hatte, sondern damit es nicht ganz so auffiel, so Sophie deutlich langsamer gehen musste. Diese würde sicherlich nicht die Aufmerksamkeit auf ihre Verletzung gerichtet wissen und schon gar nicht nach deren Ursache gefragt werden wollen.
Stevie und Dean, Sophie kommt hinzu, Mrs. Cornwell kurz
Das Auftauchen der Köchin bedeutete für den Deputy nicht mehr als eine kurze Unterbrechung des amüsanten Gesprächs. Weder ließ er sich vom Blick dieser sittenstrengen Schnepfe sonderlich stören, noch von dem eindeutigen Unterton ihrer Worte. Es war nicht so, daß er nicht beides wahrgenommen hätte – nur war es nicht in der Lage, ihn merklich zu erschüttern. Der Rotschopf vor ihm schien die Angestellte jedoch zu begrüßen. Vermutlich versprach sie sich davon genau das, was sie nicht erleben würde, nämlich daß Dean betreten das Gespräch beenden und sich von ihr zurückziehen würde. Da sollte sich die Kleine allerdings getäuscht haben. Zumal sie von der Köchin wohl keine übermäßige moralische Unterstützung würde erwarten können. Denn die war überkorrekt, und ihre Blicke in Richtung der jungen Frau verrieten, daß sie auch deren Auftreten mißbilligte. Was Wunder bei ihrer provokanten Verkleidung, die zum Lachen reizte. Mehr als ein leichtes Verlagern seines Gewichtes auf das andere Bein und ein höfliches, wenn auch leicht amüsiert wirkendes Nicken in Richtung der Köchin ließ er daher als Reaktion nicht sehen. Ihm war dieser Typ der moralisierenden alten Jungfer bestens bekannt – Weiber, die keinen abbekommen hatten und darum die Nase um so höher trugen, trafen sie auf einen Menschen, der das Spiel zwischen Mann und Frau offensichtlich kannte und genoß. Er zweifelte keinen Augenblick daran, daß die Köchin unter ihren Röcken schlichtweg vertrocknet war – nie richtig gegossen. Nur mühsam unterdrückte er ein Grinsen, das seinem Gegenüber wohl die Schamröte ins Gesicht getrieben hätte.
So blitzten nur seine Augen belustigt, als er sich nach dem Nicken in Mrs. Cornwells Richtung wieder Stevie zuwandte. Deans Gesicht dagegen zeigte ein höfliches, durchaus manierlich wirkendes Lächeln, dem man den gewandten Weltmann ansah. Er wollte gerade auf die Frage nach seinen Wünschen reagieren, als er in seinem Rücken jemanden näherkommen hörte. Sich umwendend entdeckte er ein Mädchen, das ihm vage bekannt vorkam. War die Kleine nicht schon hier im Gästehaus gewesen? Eine Bedienstete..? Er erinnerte sich in diesem Moment nicht genau. Wie bei jedem weiblichen Wesen jedoch setzte er auch bei ihrem Anblick ein charmantes Lächeln auf und nickte ihr grüßend zu. "Guten Morgen, Miss..." Wohlwollend nahm er den Knicks des Mädchens zur Kenntnis – ja, er schätzte gute Manieren durchaus, wo sie angebracht waren. Unsicher wirkte die Kleine, ganz anders als das Mannsweib am Tisch, als sie ihre Augen niederschlug. Beinahe verlegen wirkte sie – wie niedlich! Deans Augenbrauen gingen allerdings leicht in die Höhe, als er die Krücke bemerkte. Teufel, was war der Kleinen denn zugestoßen..? Kurz tauchte der Gedanke auf, die Waltonbande könne womöglich noch einige Taten auf dem Kerbholz haben, von denen Sheriff Clayton und seine Deputys noch gar nichts wußten. Er erfaßte die Situation aber ausreichend akkurat, um sich eine Frage zu verkneifen. Schließlich würde er mit dem heutigen Tag den Stern abgeben, der ihn zu einem Ordnungshüter machte. Und als simpler Gast des Hauses wäre es in diesem Moment wohl etwas zu auffällig gewesen, sich näher zu erkundigen. Ganz offenbar waren die Wunden, die das Mädchen erlitten hatte, nämlich bereits versorgt, bestand also keine unmittelbare Gefahr mehr für sie.
Trotzdem – er fragte sich, ob sie einen Unfall gehabt hatte oder angegriffen worden war. Letzteres war für Dean ein abstoßender Gedanke. Und zudem einer, der einen bitteren Geschmack auf seiner Zunge aufkommen ließ, erinnerte er ihn doch daran, daß er selbst einmal – ein einziges Mal – eine Frau geschlagen hatte, in einem Anfall heißen Zorns. Es war und blieb falsch. Frauen waren anders als Männer und mußten anders behandelt werden. So leger er ansonsten mit Gesetzen und Sitten umzugehen pflegte: Die Grenze zwischen Mann und Weib war etwas, das zivilisierte Menschen ausmachte. Darin stimmten wohl auch die allermeisten überein. Denn sogar das junge Mädchen schien am unpassenden Aufzug der Rothaarigen Anstoß zu nehmen, wenn er ihre Mimik richtig interpretierte. Ja, die Rothaarige... wollte er sich weiter mit ihr unterhalten, mußte die Köchin zuvor abgefertigt werden. Dean wandte sich wieder zurück und öffnete gerade den Mund, um seine Bestellung aufzugeben, als die Angestellte des Gästehauses sich wieder auf den Weg in die Küche machte. Für einen Moment war der Bostoner perplex. Das Weib hatte ja einen Nerv! Lief einfach wieder fort, bevor er geantwortet hatte! Einen kurzen Moment überkam ihn das Bedürfnis, ihr Manieren beizubringen – denn ihn zu beachten, gehörte für Dean zu den grundlegenden Manieren – doch dann winkte er innerlich ab. Wahrscheinlich war die dumme Schnepfe nur bemüht, ihm ihre Mißbilligung zu zeigen. Hatte wohl schon davon gehört, daß er sich nun als Geschäftsmann etabliert hatte, in einem Gewerbe, dem Frauenzimmer naturgemäß ablehnend gegenüberstanden. Sollte sie. Er hatte ja noch ein anregendes Gespräch vor dem Frühstück in Aussicht... mit einem angedeuteten Grinsen wandte er sich wieder dem kleinen Rotschopf zu.
Sevie, Dean und Ruth, Sophie kommt hinzu anschließend verlassen Ruth und Sophie den Raum
Mrs. Cornwell schien leicht irritiert über Stevies strahlenden Gesichtsausdruck, den sie ihr schenkte, als sie sich ihr zugewandt hatte, fing sich jedoch gleich wieder und antwortete, dass der Kaffee sofort kommen würde. Der Lichtblick an diesem Tage. Und ein weiterer kam sogleich hinzu nämlich als der Blick der Köchin abwartend zu dem Mann an Stevies Seite wechselte. Sofort verdunkelten sich ihre Augen und völlige Missachtung loderte darin auf. Es war kaum zu glauben, aber im Vergleich zu ihm war Stevie schon fast befreundet mit der Köchin! So war sie zumindest nicht ein einziges Mal angeschaut worden. Zumindest nicht, wenn sich ihre Blicke getroffen hatten. Aber wenn Blicke töten könnten wäre der arrogante Kerl heute definitiv ein zweites Mal tot umgefallen. Stevie freute sich im Stillen in Mrs. Cornwell für diesen Moment eine Verbündete gefunden zu haben.
Stevies Aufmerksamkeit wurde zur Tür gelenkt, als eine weitere Person eintrat. Erst jetzt stellte sie fest, dass sie die Schritte, die irgendwie merkwürdig unregelmäßig geklungen hatten, schon unbewusst aufgefangen hatte, doch erst jetzt wirklich registrierte. Herein kam ein hübsches junges Mädchen, das bei der plötzlichen Beachtung, die ihr alle Anwesenden zukommen ließen, trotz Krücke und offensichtlich verletztem Bein, in einen Knicks verfiel und höflich grüßte. Stevie lächelte ihr freundlich zu, denn Mrs. Cornwell ergriff sofort das Wort, das sich mit der gleichzeitigen Begrüßung des eingebildeten Kerls überschnitt, so dass ihr ein zurückgrüßen nicht möglich war. Stevie schenkte ihrem Anhängsel einen verächtlichen Blick. Denn kaum, dass ein hübsches Mädchen zur Tür herein kam, blühte dessen Gesicht förmlich auf. Dieses Phänomen war Stevie schon bei vielen Männern aufgefallen. Beim Anblick junger Mädchen und hübscher Frauen gab es oben einen Kurzschluss und eine Etage tiefer wohl ebenfalls. Stevie wendete ihren Blick genervt ab und betrachtete lieber die junge Frau, die nun auf die Gruppe zukam. Derweil hatte Stevie Zeit die wundervolle Haarpracht des Mädchens zu bewundern. Sie hatte große Locken, die in einem satten rot schimmerten, das Stevies Haar nicht unähnlich war und dennoch waren sie nicht miteinander zu vergleichen. Es erinnerte sie vielmehr an das Haar ihrer Schwester. Ebenso kraftvoll und faszinierend anzuschauen. Das junge Ding nahm seinen Platz neben der Köchin ein und fragte, ob bereits bestellt wurde. Demnach arbeitete sie hier wohl, wobei sich Stevie fragte wie das mit ihrem verletzten Bein funktionieren sollte. War Mrs. Cornwell etwa solch ein Drache, dass sie der Kleinen nicht mal Ruhe gönnte, um gesund zu werden? Aber als sie in das Gesicht der Köchin schaute erkannte sie dort zum ersten Mal einen warmen Ausdruck, der ihre Augen strahlen ließ und ein echtes Lächeln lag auf ihren Lippen. Da hatte es wohl doch jemand in das Herz der reservierten Köchin geschafft. Stevie sah wieder zu dem Mädchen, das sie eingehend in Augenschein genommen hatte und ihren Blick über ihren Körper gerade zu beenden schien. Anschließend lag ein vergnügter Ausdruck auf ihrem Gesicht und sie sah aus, als würde sie gleich losprusten. Stevie konnte ihr dies jedoch nicht übel nehmen. Möglicherweise sah sie zum ersten Mal eine Frau in Hosen und ihre Reaktion war mehr lieblich, als empörend. Sie zwinkerte dem Mädchen nun selbst amüsiert zu, während Mrs. Cornwell sie in Richtung Küche dirigierte und ihr Stevies Bestellung eines Kaffees weitergab. Dabei erwähne sie auch einen Mr. Foster, der sich noch nicht geäußert hatte. Wissend ging ihr Blick wieder hinauf zu seinem Gesicht. Soeben hatte sie seinen Namen erfahren. Über die Schulter hörte sie nochmals Mrs. Cornwells Stimme und folgte dieser mit einem Blick über die Schulter, nur um auf ein warmes Lächeln der Köchin zu stoßen, dass Stevie ebenso herzlich zurücklächeln ließ und innerlich erfreute. Was auch immer sie getan haben mochte, um der Frau plötzlich sympathisch zu werden, es war zumindest ein Anfang. Nochmals wurde ihr versichert, dass ihr Kaffee nicht vergessen war und Stevie nickte dankbar. Dann waren die beiden Damen in der Küche verschwunden und Stevie wieder allein mit diesem Mr. Foster. Als sie zu ihm aufsah bemerkte sie, dass auch er den beiden Frauen, die in der Küche verschwunden waren nachgeschaut hatte. Vielleicht war ihm jetzt erst seine Bestellung eingefallen, was dann wohl eindeutig zu spät war. Stevie schmunzelte kurz, als sie seinen verblüfftes Gesicht sah, das jedoch augenblicklich wieder verschwand, als sich seine Augen wieder an ihr festbissen. Wieder lag dieses arrogante Funkeln darin und dann war es abermals da: das anzügliche Grinsen, das Stevie in Rage brachte. Er hatte gar nicht auf ihre vorherigen Provokationen reagiert, was Stevie beinah enttäuschte. War sie sich doch sicher gewesen ihn damit ebenso zu verärgern, wie er es bei ihr geschafft hatte. Doch wahrscheinlich hatten das Auftauchen von Mrs. Cornwell sowie der jungen Sophie ihren diesen Triumph ruiniert. „Was wollen sie eigentlich von mir?“ fragte sie entnervt und fügte sogleich an, „Oder was muss ich tun um sie vor meinem Kaffee doch noch los zu werden, Mr. Foster?“ sie wusste, dass auch das wieder streitlustig klang und von ihm möglicherweise fehl interpretiert werden konnte. So wie Männer eben gerne so gut wie alles falsch verstanden. Aber dann würde sie ihn gerne höchstpersönlich wieder auf die Straße der Tatsachen zurück bringen. Sie sah ihn abwartend an und ignorierte dessen Belustigung.
Stevie und Dean Ruth und Sophie verlassen den Raum
So wie Ruth in der Lage war, mit kaum als einer fragend hochgezogenen Augenbraue Missbilligung aus zu drücken,, so konnte sie für Sophie auch mit einem Lächeln und einem Blick den Raum mit Wärme erfüllen. Ihre Nähe gab dem Mädchen ein willkommenes Gefühl von Sicherheit. Sie erahnte, wie der Blick der Köchin zu ihrer Stütze flackerte, doch Sophie lag es fern, private Angelegenheiten wie ihren Zustand vor den Augen der Gäste an zu sprechen,, weswegen sie nur ein scheues „Es ist auch schön wieder hier zu sein, Ruth.“ zur Antwort gab. Sie verdankte es zum großen Teil Ruth, dass sie ihre anfängliche Lethargie überhaupt heute überwunden hatte und allein dafür war sie ihr dankbar. Der Mann mit dem Dreitagebart entbot ihr mit einem Lächeln einen Gruß. Er kam ihr vage vertraut vor, sicher hatte sie ihn irgendwann in der Stadt gesehen, aber seine Ankunft musste nach Thunders Anschlag gelegen haben, und in dieser Zeit hatte sie nur sporadisch gearbeitet, fast nie mit jemandem gesprochen und ihr möglichstes gegeben, die Welt vergessen zu machen, dass es sie überhaupt gab. Sie würde Ruth fragen müssen, denn es gehörte zum guten Ton, die Namen der Gäste auch zu kennen. Kurz konnte sie spüren, wie sein Blick, ähnlich dem von Ruth zu der Krücke wanderte und sie musste sich zwingen nicht zurück zu weichen. Blicke wie diese würde sie noch zur Genüge ernten, da wäre es da Beste, sich gleich daran zu gewöhnen. Zumindest bekam sie auch etwas außergewöhnliches zu sehen, dann statt einem Weiberrock trug die Frau am Tisch Männerhosen. Nicht nur dass das furchtbar verrucht schien, es musste sich doch auch merkwürdig tragen. Und als Frau zeigte man seine Beine einfach nicht der ganzen Welt. Mehr ungläubig als wirklich entrüstet, bemühte sich Sophie um Contenance, denn es kam gar nicht in Frage, die Frau deswegen an zu starren. Das war allerdings gar nicht so einfach, denn die Frau zwinkerte ihr burschikos zu, ein Verhalten, welches sie sonst nur von Cassidy kannte, wenn sie einen geheimen Gedanken teilten. Gegen ihren Willen verspürte sie Verlegenheit, die sie sich nicht so recht erklären konnte, und war froh, dass Ruths Aufnahme der Bestellung ihr den optimalen Vorwand lieferte, in der Küche zu verschwinden. Sie glaubte zwar kurz eine merkwürdige Dissonanz zwischen Ruth und dem Mann zu spüren, doch woher dieser stammen mochte, konnte sie nicht einmal ansatzweise ergründen. Deswegen beschränkte sie sich zum Abschied auf einen zweiten, wesentlich flüchtigeren Knicks, denn Ruth wartete schon auf sie und zum anderen würde eine allzu ofte Wiederholung der Bewegung ihr schnell Schmerzen bereiten. Bemüht rasch, aber nicht hektisch an Ruths Seite zu humpeln, verschwand sie hinter Ruth in der Küche.
In Ruths kleinem Reich brannte wohl schon eine Weile im Ofen, so dass sie nicht frieren musste. Um Kaffee und Tee schien sich Ruth bereits gekümmert zu haben. Sophie trat zu dem großen Holztisch, an dem sie schon Stunden mit Ruth gestanden, Kartoffeln geschält und der Köchin bei der Arbeit zur Hand gegangen war, und lehnte sich vorsichtig mit der Hüfte dagegen. Dabei griff sie wie von selbst nach einer Tasse, um sie mit Kaffee zu füllen, und dann auf das hölzerne Tablett zu setzten. „Ich habe Ms Farley noch nicht Bescheid gesagt, dass ich heute wieder arbeiten will.“ informierte sie Ruth dann. Ihre Chefin war sehr freundlich gewesen, als sie Sophie besucht hatte und hatte ihr gar bezahlten Urlaub angeboten. „Aber ich dachte, wenn der neue Reverend heute im Gästehaus ein Fest gibt, dann gibt es sicher viel zu tun.“ Ruth hatte den neuen Gottesmann erwähnt. „Ich habe mir wohl einen geschäftigen Tag für den Wiedereinstieg in die Arbeit gesucht, wie?“ murmelte sie und schenkte Ruth ein vorsichtiges Lächeln. Es war leichter, über die Arbeit zu reden, stellte Sophie fest und dachte rasch nach. Am klügsten wäre es, wenn Holly sich um die Zimmer kümmern würde, während sie Ruth zur Hand ging, denn ständig die Treppe hinauf und hinab zu laufen, wäre für Sophie ein Ding der Unmöglichkeit. Ihr Blick huschte hinüber zu den großen Schränken, in denen das viele Geschirr untergebracht war, das sie für den Anlass brauchen würden. „Also was kann ich am sinnvollsten tun?“
Stevie und Dean Sophie und Ruth verlassen den Raum
Der Bostoner sah der Köchin und dem jungen Mädchen nach, als sie sich in Richtung Küche wandten. Die Alte hatte dabei nur einen geringen Anteil seiner Aufmerksamkeit. Das lag nicht nur an ihrem biederen, vertrockneten Äußeren und Deans Vorliebe für junge Frauen – er war sich darüber hinaus ziemlich sicher, ihre Gedanken und Motive in Bezug auf sich zu kennen. Viel interessanter war die Junge. Sie hatte ein recht hübsches Gesicht, zumindest soweit er es gesehen hatte. Immerhin hatte die Kleine ja ihre Augen während des kurzen Wortwechsels die meiste Zeit von ihm abgewandt oder züchtig zu Boden gerichtet. Zudem war da noch die Frage, wo und wie sie sich ihre Verletzung zugezogen hatte. Der Deputy war ein ausgesprochener Macho, was jedoch nicht hieß, daß er ein brutaler oder gewalttätiger Mann war. Es ließ ihn im Gegenteil mißmutig die Stirn runzeln, das Mädchen offenkundig nicht ganz frei von Schmerzen und Problemen mit der Krücke voranhumpeln zu sehen. Frauen waren zarte Geschöpfe, die man entsprechend behandeln mußte. War es ein Unfall gewesen, nun gut... bedauerlich, aber wohl nicht zu ändern. Hatten hingegen tatsächlich die Banditen etwas mit dem Zustand der Kleinen zu tun, dann würde er das schon noch herausfinden. Und, ob er nun den albernen Stern noch trug oder nicht, nach Möglichkeit denjenigen fassen, der dafür verantwortlich war. Es gab Dinge, die ihm gegen den Strich gingen...
Schließlich jedoch war er wieder mit dem Rotschopf am Tisch allein, und die junge Dame ließ auch gar nicht lange mit dem nächsten bissigen Ausfall auf sich warten. Eine Weile lang musterte er sie schweigend, ohne auf ihre Verbalattacke zu reagieren, ganz so, als sei sie ein kleines Kind, dessen Worten man nur ein nachlässiges Interesse entgegenbringt. Er ahnte, daß genau das sie besonders reizen würde, viel mehr, als es eine zornige Entgegnung seinerseits vermocht hätte. Ja, sie erwartete, sie wollte geradezu die Konfrontation, und mit ihr die Anerkennung als Gegner auf Augenhöhe. Wenn er ihr nun demonstrierte, daß er gelassen blieb, ihr den hitzigen Ausbruch mit beinahe väterlicher Güte nachsah, kurzum, ihr klarmachte, daß er sie als schwaches Frauenzimmer ansah, das man nicht grob behandelte, ganz gleich, ob es nun angemessen angezogen oder als Mann verkleidet war... das würde sie seiner Einschätzung nach ohne großen Aufwand zur Weißglut bringen. Und der Gedanke begann ihm ernsthaft Spaß zu machen. Sicher, er mußte sich bald auf ins Queen of Hearts machen, nachsehen, ob dort alles in Ordnung war. Schließlich war er ja nun Geschäftsmann. Aber ein wenig Zeit hatte er noch, und warum sollte er die nicht auf amüsante Weise verbringen?
Grinsend sah er auf sein sitzendes Gegenüber hinab. "Aber ich hab dir doch gar nichts getan, Mädchen. Warum also so nervös? Oder mach ich dir etwa Angst..?" Deans Augen funkelten belustigt. Er wußte, daß gerade die letzte Frage für das kleine Mannsweib ein rotes Tuch sein mußte, wenn er es nicht völlig falsch einschätzte. Andererseits würde sie, wenn sie ehrlich zu sich war, zugeben müssen, daß er ihr wirklich nichts getan hatte. Weder hatte er sie mit Worten beleidigt, noch eine Bewegung gemacht, sie zu belästigen. Ihre Reaktion war, sachlich betrachtet, stark übertrieben. Sie reagierte nämlich einzig und allein auf das, was er ihr subtiler signalisierte. Und das wiederum konnte er leugnen – das war das schöne daran, wenn man als kultivierter Mann etwas dezentere Gesten beherrschte als eine einfache grobe Beleidigung. Ja, sie mußte genau wissen, daß sie wenige Möglichkeiten hatte, sich auf derselben Ebene zur Wehr zu setzen, und genau das ließ sie mit blinder Wut reagieren. Kate beispielsweise hätte vielleicht ihrerseits mit Spott reagiert, doch dafür war die Kleine hier zu heißblütig und zu unerfahren. Ein geradezu ideales Opfer für einen kurzen Spaß, bevor er sich der Arbeit zuwenden mußte.
Joe warf sich seine Lederjacke über den Arm und ging die Treppe hinunter. Vor dem Gottesdienst hatte er noch die Absicht gut zu frühstücken. Womöglich war er dafür mehr als nur früh genug dran, aber länger zu schlafen hätte für ihn auch nicht viel Nutzen gehabt. Joe war ausgeschlafen und hatte gute Laune. Jetzt fehlte nur noch eine Kleinigkeit in seinem Magen für einen halbwegs anständigen Sonntagmorgen. Und natürlich der Gang zur Kirche. Seltsam. In praktisch jeder Stadt, egal wie klein sie auch sein mochte, fand sich eine Kirche. Wie eine Konstante im Leben der Menschen, egal wo sie sich hinbewegten. Der Gedanke hatte etwas Beruhigendes, ähnlich wie der Anblick des Gästehauses an jenem Abend, an dem er in Camden Village angekommen war. Aber nicht nur deshalb freute er sich auf den Gottesdienst. Er musste Kontakte knüpfen und Leute treffen. Das war nun mal von Vorteil, wenn man nach Arbeit suchte. Und anscheinend suchte man in der Stadt tatsächlich nach einem neuen Sattler. Wie praktisch das doch war. Jetzt brauchte er sich nur noch gut zu verkaufen. Oder auch nicht. Wie es aussah, war die Konkurrenz schließlich nicht allzu groß.
Aus dem Speiseraum drangen Stimmen, während er auf die Tür zuging. Stimmen mit beinahe etwas gereiztem, provokanten Unterton. Nein, nicht nur beinahe sogar eindeutig. Ein Anflug von Neugier regte sich in ihm, aber nicht so sehr, dass man es ihm direkt angesehen hätte. Auf der anderen Seite des Durchgangs stand mit übertrieben lässiger Manier, fast schon ein wenig selbstgefällig, ein Mann. Für den Bruchteil einer Sekunde blieb Joe im Raum stehen, musterte den Rücken des Mannes, räusperte sich kurz und schob sich dann jedoch ohne noch einmal lange zu zögern an ihm vorbei um zu einem der gedeckten Tische zu gelangen. Kurz fiel Joes Blick auf sein Gesicht. Er war sich nicht sicher, ob er ihn schon einmal gesehen hatte. In seinen ersten Tagen hier in Camden Village hatte er einige neue Leute zu Gesicht bekommen, es wäre keine Überraschung gewesen, wenn dieser Mann auch dabei gewesen wäre. Zumindest kam er ihm schon jetzt nicht außerordentlich sympathisch vor.
»Guten Morgen«, grüßte er trotzdem kurz alle Anwesenden und setzte sich, ohne lange nachzudenken, an den Tisch. Die Frau am Nebentisch beachtete er nur kurz. Von einem hübschen jungen Mädchen in einem schönen Kleid hätte er sich vielleicht nicht derart schnell losreißen können. Die Frau, die hier jedoch nicht weit von ihm entfernt saß, zwang ihn aber lediglich dazu, flüchtig die Nase zu rümpfen. Mannsweib. Es war nicht das erste Mal, dass ihm jemand wie sie begegnete, aber er würde sich wohl nie vollkommen an den Anblick einer Frau in Männerkleidern gewöhnen. Es fühlte sich einfach merkwürdig an. Joe konnte nicht einmal genau sagen, weshalb, es passte einfach nur nicht. Unschlüssig zog er eine Augenbraue hoch. Er wollte sich seine gute Laune nicht von der seltsamen Gestalt vermiesen lassen. Abgesehen davon hatte er auch nicht vor, irgendeine mehr oder weniger passende Bemerkung, das kam wohl ganz auf den Standpunkt an, auf die Frau loszulassen. Das Beste war es wohl einfach, seine Meinung für sich zu behalten. Während seiner Reise hatte er schließlich bereits gelernt, dass derartige Weiber sich meist nicht daran amüsierten, wenn man danach fragte, ob sie sich im Kleiderschrank geirrt hatten. Erinnerungen kamen in Joe hoch und führten zu einem leicht belustigten Ausdruck in seinen Zügen. Aber irgendwie kam ihm sein Lächeln dann doch etwas fehl am Platz vor, denn die Stimmung im Raum fühlte sich mehr als nur etwas unterkühlt an. Bei dem Gedanken daran, wie schockiert seine Mutter die »Dame« angaffen würde, musste er sich den jetzt ernsthaften Ausdruck in seinem Gesicht regelrecht aufzwingen. Wie das Frauenzimmer mit Hosen und der süffisant dreinblickende Mann sich gegenseitig musterten. Joe stattdessen starrte nun auf die Tischplatte vor ihm. Am besten hielt er sich wie gewöhnlich aus derartigen Auseinandersetzungen heraus. Worum auch immer es dabei ging, es war mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit alles andere als sein Problem. Er verhielt sich lieber wie der neutrale Beobachter.
Leicht ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf das Holz. Warum eigentlich? Im Grunde hatte er alle Zeit der Welt, um auf die Köchin zu warten. Allzu schnell musste er nicht von hier weg. Abgesehen davon wusste er ja noch nicht einmal, was er überhaupt frühstücken wollte.
Wieder prallten ihre Worte ohne jegliche Reaktion an ihrem Gegenüber ab. Allmählich begann sie dieser Mann mehr und mehr zu verblüffen, anstatt zu verärgern. Woher nahm er diese Geduld und Gelassenheit, wo sie ihm doch mehr als nur eine Einladung gegeben hatte endlich mit der Sprache herauszurücken. Beschimpfungen, Spott oder Parolen wie das Leben einer Frau richtig auszusehen hatten. Irgend so etwas hatte sie erwartet. Vielleicht sogar einen handfesten Streit, wobei sie das Wort Diskussion bevorzugte. Doch nichts davon war wirklich eingetreten, abgesehen von dem netten kleinen Spruch zu Beginn, und das nahm ihr allmählich den Wind aus den Segeln. Er blickte sie lange einfach nur an, ohne etwas zu sagen und Stevie hielt seinem durchdringenden Blick stand. Natürlich ärgerte sie es, dass sie ihn zu keiner Reaktion hatte bringen können, und natürlich stieg ihre Wut und Unzufriedenheit über den Misserfolg bedenklich an, aber allmählich gingen ihr die Worte aus. Und das war sehr selten. Schließlich schlich sich wieder das Grinsen auf sein Gesicht, das von Stevie jedoch weiterhin nicht erwidert wurde. Als er sie endlich ansprach benutzte er wieder den ausgesuchten Kosenamen für sie und sprach beinah mit ihr wie mit einem kleinen Kind. Möglicherweise benahm sie sich auch in diesem Moment so, das wollte sie ausnahmsweise nicht abstreiten, doch laut zugeben: niemals! „Hall, Mr. Foster. Mein Name ist immer noch Hall. Und ich bitte sie diesen auch zu benutzen, wenn sie mich unbedingt mit einem Namen ansprechen wollen. Immerhin nenne ich sie auch nicht nur Junge oder Kleiner.“ Das Mädchen konnte er sich wohin stecken, denn das war sie schon lange nicht mehr. „Und nein, sie machen mir keine Angst. Da wären sie der Erste, der das schaffen würde.“ Das war zwar gelogen, aber ein Körnchen Wahrheit beinhaltete es in jedem Fall. Der Einzige, der ihr jemals hatte Angst machen können, war ihr Schwager gewesen in seinem Wutanfall und der darauf folgenden rohen Gewalt, die sie im wahrsten Sinne des Wortes von den Beinen gerissen hatte. Nur diese Art von Angst, kannte sie vor einem Mann, wobei das keineswegs hiess, dass sie sich nicht zu wehren wüsste. Doch Gewalt war etwas, das sie für immer verabscheuen würde.
Sie dachte über Fosters Worte nach und das ärgerte sie im selben Moment. Aber vielleicht hatte er Recht. Sie war heute tatsächlich in irgendeiner Form nervös, doch was verstand er schon davon. Schließlich hob sie ergebende die Hände, offensichtlich würde nichts was sie heute von sich gab bei diesem Mann in irgendeiner Form fruchten. Alles schien an ihm abzuprallen. „Möglicherweise haben sie Recht; Mr. Foster. Heute scheint nicht mein Tag zu sein.“ Sie schnaufte laut aus und verschränkte wieder die Arme in Abwehrhaltung vor der Brust. Eine Entschuldigung würde er keineswegs zu hören bekommen. Immerhin würde er das wohl auch nie in Betracht ziehen, als er ihr an den Kopf geworfen hatte, sich im Kleiderschrank vertan zu haben. „Ich werde aus ihnen nicht schlau.“ ergriff Stevie wieder das Wort und sah den dunkelblonden Mann mit dem Dreitagebart abschätzend an. An einem anderen Tag, einem besseren wie heute, in einer anderen Gemütsfassung und alter schlagfertiger Form, hätte sie vielleicht sogar fast Gefallen an diesem Gespräch finden können. Immerhin schien ihr Foster gewachsen zu sein und nicht so schnell das Handtuch zu werfen. Und ausserdem hatte er sie bisher (noch) nicht wirklich beleidigt oder gar beschimpft, wie es andere Männer immer gern getan hatten, wenn sie auf Stevies loses Mundwerk getroffen waren. Und ja, auch wenn sie bei ihm niemals Chancen als Frau haben würde, unter anderen Umständen hätte sie ihn auch als attraktiv und gut aussehend anerkannt, der ihr durchaus gefallen konnte. Doch was hatte man von einem gut aussehenden Mann, wenn er durch und durch ein Mistkerl war. „Wenn es also das ist was sie hören wollen, dann nehme sie doch bitte Platz am Damentisch, Mr. Foster. Ich werde ihre Gesellschaft für die nächste halbe Stunde dann auch noch zu ertragen wissen. Wahrscheinlich sind sie heute sogar noch mein kleinstes Problem.“ Das mochte wohl wie aufgeben klingen, aber für Stevie war es vielmehr nachgeben. Tat das bekanntlich nicht der Klügere? Und es war allmählich anstrengend, wenn ihre Wut kein Ziel traf. So zog sie es vor ihm ihre Nähe mehr oder weniger freiwillig anzubieten, damit er sich nicht den Triumph auf die Fahne schreiben und behaupten konnte er hatte das entschieden. Sie würde heute wohl ihr Frühstück besser nur auf den Kaffee beschränken, um dann schnellst möglichst den Speiseraum verlassen zu können, denn just in diesem Augenblick kam der nächste Gast herein. Ein junger Mann, der nur einen kurzen Blick für sie und Foster übrig hatte, doch das reichte auch schon. Auch bei ihm sah sie einen Anflug von Missbilligung, so dass sich jeder Gruß am Morgen von selbst erledigte. Wieso waren heute überhaupt alle so früh auf den Beinen? Und warum nahm sich gerade heute wieder jeder ihrer Mitmenschen das Recht heraus über sie zu urteilen? Sei es im stillen oder in laut geäußerten Worten. Sie hatte es allmählich satt!
Stevie wandte sich von dem neuen Gast ab, der am Männertisch Platz nahm. Etwas das Stevie ebenfalls nicht verstand. Warum mussten Männer und Frauen überhaupt an getrennten Tischen sitzen? Gut, der Anstand und die Sitten verlangten es wohl so, doch davon verstand Stevie nicht viel und sie gab auch nichts darauf. Keine der Damen würde es umbringen, wenn sich ein Mann zu ihnen gesellen würde. Zumindest nach Stevies Ansicht.
Foster, Foster, Foster sie überlegte schon die ganze Zeit in welchen Zusammenhang sie diesen Namen schon gehört hatte. Cassiel hatte ihr sämtliche Namen und Funktionen in den letzten Tagen um die Ohren gehauen und natürlich konnte sie sich nicht alle merken. Unter anderem war ihr die Funktion von Foster entfallen. Sie musterte ihn nochmals ohne Scheu und tippte auf Geschäftsmann. Also jemand mit dem sie getrost umgehen konnte, da sie sowieso nie wieder mit ihm zu tun haben würde. Oder war er etwa auf einer Ranch tätig? Vorarbeiter möglicherweise? Nein, sein Aufzug passte nicht recht. Eine höhere Position oder wichtiges Amt konnte er nach Steves Einschätzung ebenfalls nicht in dieser Stadt bekleiden. Dazu war seine Art wohl nicht ganz die richtige, wenn er auch ansonsten ziemlich gut gekleidet war. Aber er provozierte gerne und gekonnt und sie konnte sich auch durchaus vorstellen, dass er mit seinem Aussehen bei Frauen punktete. Möglicherweise ein Lebemann mit dem entsprechenden Kleingeld?
Wieso habe ich bloss Cassiel heute gebeten nicht ins Gästehaus zu kommen? Stevie fehlte mit einem Mal anständige Gesellschaft und sie sehnte sich nach einem freundlichen Blick oder einem echten Lächeln, das ihr gegenüber auch ernst gemeint war. Und vielleicht auch ein paar nette Worte, die es vielleicht doch noch schafften konnten sie heute an diesem trüben Morgen aufzumuntern. Wenigstens gab es einen einzigen Menschen in dieser Stadt, der sie zu mögen schien.
Stevie und Jonathan an getrennten Tischen, Dean an der Tür, Randall kommt dazu
Randall hatte sich Zeit gelassen, um sich ordentlich anzuziehen, so dass er in der Annahme zu spät zu sein, verdutzt stehen blieb, als er Deputy Foster bereits im Speiseraum sah. Diesen hatte er nur kurz im Vorbeigehen im Laufe der Tage gesehen, aber nicht mit ihm gesprochen und das wollte er jetzt auch nicht. Es war zwar nicht so, dass er ihn gänzlich ablehnte, aber seine Verhältnis zu Deputys aller Orten war - nun ja von gesunder Vorsicht geprägt. Besser man ging ihnen aus dem Weg. Da dieser aber nun schon einmal da war und an einem der gedeckten Tische stand, musste er wohl oder übel mit dessen Anwesenheit hier leben. "Guten Morgen, die Herrschaften. Ich darf?" Ohne eine Anwort abzuwarten, schob er sich an Foster vorbei und warf nur kurz einen Blick auf die Rothaarige, die bereits am Tisch saß. Ob diese Vergnügen an Mr. Fosters Gesellschaft hatte, wusste er nicht einzuschätzen und es war für ihn wohl auch nicht wichtig. Wie hieß sie bloß noch - . ach, ja Miss Hall. Randall hatte sich anhand des Gästebuches die wesentlichen Namen eingeprägt und verdrehte innerlich die Augen, als er nach einem schrägen Blick im Vorbeigehen sah, dass diese wieder einmal Hosen trug und das war bereits Stadtgespräch. Das war ein Anblick, von dem er noch nicht sicher wusste, wie er diesen zu betrachten hatte. Sein Ego war wohl angefasst, denn für doof mochte ihn dies Weibsbild wohl halten, so sie annahm, er lasse sich nur durch Hosen in ihrem Geschlecht täuschen. Andererseits trug sie ihre roten Haare offen zur Schau, so dass ihr Versuch durch Hosen als Mann zu gelten, schlicht lächerlich wirkte. Außerdem fand er, war es ziemlich dumm von ihr, in so einem Aufzug herumzulaufen. Sie war fremd in der Stadt und so würden sich ihre Kontakte und Bekanntschaften zu anderen Einwohnern Camden Villages wohl auf Ablehnung, Tratsch und Klatsch über sie beschränken. Da das aber nicht Randalls Problem war, nickte er ihr nur kurz zu und sah sich nach einem freien Platz um. Tische waren nur zwei gedeckt und Randall,der nun annahm, ohnehin einen Tisch mit einem anderen Gast teilen zu müssen, steuerte er einen freien Stuhl an. Ein Platz an dem Tisch war bereits besetzt und Randall nickte dem jungen Mann freundlich zu. "Guten Morgen, Sir? Darf ich?" Ohne viel Aufhebens setzte er sich zu dem jungen Mann an den Tisch. Dieser schien fast noch ein Junge zu sein - höchstens zwanzig, eher jünger schätzte Randall - aber dessen Gesellschaft zog er dennoch der Fosters vor.