John und Emily unterwegs vom Gästehaus Richtung See
Still ging die junge Haushälterin neben Clayton her. Ihre Schritte knirschten leise im Schnee, ansonsten war es völlig still um sie herum. Emily brachte kein Wort heraus und traute sich auch nicht, den Blick seitwärts zu ihm zu richten, obwohl sie inzwischen fast schmerzlich die Sehnsucht zu spüren begann, noch einmal in seinen Armen zu liegen. Sünde, Sünde und nochmals Sünde! Verzweifelt starrte sie vor sich hin, versuchte sich auf die Kälte zu konzentrieren, die sie in ihrem Gesicht und sogar durch die Haube hindurch an ihren Ohren spürte, die sie das Schultertuch eng um ihre Schultern geschlungen halten ließ und die ihr dank eisiger Windstöße langsam aber sicher auch unter die Röcke kroch. Die Kälte biß schmerzhaft, wo sie die nackte Haut der molligen Britin traf, und sie ließ ihre Kleider noch steifer und schwerer als sonst werden. Aber sie war etwas, womit sie sich ablenken konnte von der Erinnerung an das angenehme warme Pochen in ihrem Unterleib und das hektische Kribbeln in der Magengrube, das sie so vermißte. Es war sehr schwer, ging doch John in keinem Schritt Abstand neben ihr. Natürlich war es nur Einbildung, aber sie glaubte sogar die Wärme zu fühlen, die sein Körper ausstrahlte, auch wenn sie nicht zu ihm hin sah. Stets ließ sie ihren Kopf so weit zur Seite gedreht, daß sein Körper gerade für ihre Augen hinter dem Schirm ihrer Haube verborgen blieb.
So überbrückte sie die Zeit, bis sie den Brunnen vor sich sahen, ununterbrochen ängstlich lauschend, denn irgendwann würde er ja das Schweigen brechen. Und so quälend jeder Augenblick war, in dem sie wie eine Marionette neben ihm her ging, ohne einen eigenen Willen und ohne ein Ziel, das sie angestrebt hätte, so sehr fürchtete sie auch, was er sagen würde – oder vielleicht auch nicht. Da plötzlich, sie waren schon fast am Brunnen angelangt, begann er. Emily blieb stocksteif stehen und starrte vor sich hin. Eine Frage... wie sie erwartet hatte. In ihrer Anspannung bemerkte sie erst einen Herzschlag später, daß er sie geduzt hatte – war das ein Zeichen von Distanz, wollte er ihr zu verstehen geben, daß er sie von nun an wieder nur noch als Bedienstete betrachtete? Oder wollte er damit zum Ausdruck bringen, daß..? Sie schluckte und krampfte ihre Finger in das Tuch, während Clayton selbst für einige Momente schwieg, um sich zu sammeln. Sie lauschte atemlos. Dann sprach er weiter, und Emilys Gesicht fuhr mit einem Ruck zu ihm herum, als sie ganz vergaß, wie sehr sie hatte vermeiden wollen, ihn direkt anzusehen. Bei... Beischlaf..?! Das klang... das war... darüber sprach man doch nicht so... so einfach und... Sie wurde erst blaß und dann rot wie eine reife Tomate. Gütiger Gott, sie hatte sich so sehr bemüht, alle Gedanken daran niederzukämpfen, und nun fachte er das Feuer wieder an! Die Erinnerung stand ihr überdeutlich vor Augen, und nicht nur vor Augen.
Sie glaubte dieselben Gerüche wieder in der Nase zu haben, wie sie sie in jenem Moment wahrgenommen hatte. Das Sofa, Johns Körper, die Wäsche, irgendwo neben dem Sofa eilig abgelegt. Sie hörte die Federn des Möbels unter sich, die leise quietschten. Und sie spürte seine warmen Hände, hart, groß, aber zärtlich, auf ihrer nackten Haut. Und... sie spürte ihn wieder, wie er langsam aber sicher in sie vordrang und ihr die Jungfräulichkeit nahm. Zitternd stieß sie die Luft aus ihren Lungen, sah ihn mit brennenden Augen an. Oh Gott..! Warum tat er das, warum ließ er sie wieder die Kontrolle verlieren?! Emily spürte ihren Widerstandswillen einmal mehr dahinschmelzen wie Schnee in der Sonne. Sie wußte, ihr Tun war sündig gewesen, aber seine Worte allein genügten schon, sie diese Momente erneut durchleben zu lassen – und sie spürte ein heißes Verlangen nach mehr in sich! Mühsam unterdrückte sie ein Schluchzen der Verzweiflung. Schwaches Weib mit schwachem Fleisch, das sie war! Sie wollte sich ja wehren, Gott war ihr Zeuge, aber es gelang ihr einfach nicht! John riß ihre Abwehr einfach so nieder, er war grausam, ohne es zu wollen oder auch nur zu wissen... Trotzdem schüttelte sie hastig den Kopf, als er fragte, ob sie ihn für einen Schuft halte. "Nein! Nein... das... das sind Sie nicht, John! Ich... ich weiß, Sie sind ein ehrlicher, ein guter Mann!" Sie schniefte, als Tränen in ihre Augen schossen. "Oh Gott, ich bin es, die schuld ist, ich allein! Bitte verzeihen Sie mir..!" Weinend barg sie ihr Gesicht in den Händen.
John und Emily unterwegs vom Gästehaus Richtung See
John hatte nicht wirklich eine Vorstellung davon gehabt, was er in Bezug auf eine Reaktion auf seine Worte hin erwartet hätte. Sicherlich aber nicht einen kompletten Stillstand, den Emily an seiner Seite erzwang. John war zwar ein, zwei Schritte weitergelaufen, aber als ihm dabei Emilys Arm entglitt, wurde er sich rasch bewusst, dass sie stehen geblieben war. Also tat er es ihr gleich und wandte sich ihr mit einem etwas irritierten Gesichtsausdruck zu, den Brunnen nun in seinem Rücken. Wie sehr er sie aber wohl mit seinen Worten und letztendlich mit seiner Frage überfordert hatte, sah er erst, als sie genauso ruckartig ihren Kopf hob und ihn ansah. Wobei sie ziemlich rasch ihre Gesichtsfarben wechselte und John zu einer recht hilflosen Geste verleitete - er kratzte sich am Hinterkopf und starrte nun seinerseits vor sich in den Schnee. Sehr langsam kam er auf den Gedanken, dass er womöglich gut beraten gewesen wäre, wenn er sich seine Worte noch etwas besser überlegt und zurecht gelegt hätte. Nur wie sprach man wohlüberlegt über dieses heikle Thema, das für Emily völliges Neuland war und für ihn bereits wie das Atmen zum Leben war? Nichts alltägliches natürlich, aber doch ein Bedürfnis, das er gerne mit Emily für den Rest seines Lebens teilen und stillen würde. Eigentlich hatte er gehofft, dass es Emily helfen könnte, wenn sie sah, wie einfach es für ihn selbst war darüber zu reden. Wenn sie erkannte, dass falsche Scheu und Scham überhaupt nicht notwendig war und es zwischen zwei Menschen, die füreinander etwas empfanden ein Thema sein konnte. Er hatte offensichtlich ihre tiefen, religösen Wurzeln gepaart mit ihrer völligen Unerfahrenheit unterschätzt. Hoffentlich zog sie sich jetzt nicht am Ende vor ihm zurück und bekam kalte Füße. Die Panik stand ihr ja bereits, Johns Meinung nach, direkt im Gesicht. Das hatte er nun von seinem eigenen ungeübten Umgang mit Frauen wie Emily eine war: hochanständig, moralisch der Etikette verpflichtet und sich strikt an Gottes Wort haltend. Es war ihm doch sowieso schon ein großes Rätsel, wieso sich ein Mann wie er, der durchaus eine Vorliebe für selbstbewusste Frauen besaß, sich so sehr in diese junge, unerfahren Dinge verliebt hatte, das je nach Situation auch nicht unbedingt mit Intelligenz geschlagen war, sondern erstaunlich viel Naivität an den Tag legte. Vielleicht machte dies aber gerade den ganzen Reiz an der Sache aus? Einmal davon abgesehen, dass sie jung und attraktiv war und für ihre Unerfahrenheit ihm erstaunlich viel Freude bereitet hatte. John schüttelte rasch diese Gedanken ab, denn wenn er eines nicht wollte, war von sich selbst zu glauben, er suchte nur eine Frau, die er lenken und steuern konnte, die zu ihm aufsah und ihn bewunderte, die ihm der Erziehung wegen treu bleiben würde, selbst wenn er sich einen Seitensprung erlauben würde. Das waren natürlich nette Beigaben, die er bei einer Vermählung mit Emily obendrein bekam, aber es gab natürlich eine ganz andere Seite an ihr, die er liebte und sehr zu schätzen wusste. Sie zeigte diese starke Seite an sich nur zu selten. Sie würde mit den Jahren reifen müssen und wenn John sie darin unterstützte, würde Emily sicher mit dem notwendigen Selbstbewusstsein zu genau solch einer starken Frau heranwachsen, der John nur so schwer wiederstehen konnte.
Völlig unerwartet ergriff Emily nun doch noch das Wort, brach aber dabei in Tränen aus und stellte John vor eine für ihn unüberwindbare Aufgabe. Trösten. So waren rasch die leisen Zweifel an seinen eigenen Absichten abgestellt und er musste eine Lösung finden, um Emily soweit wieder zu beruhigen, dass diese Unterhaltung eine Fortsetzung erfuhr. Er tat das, was er bereits einmal schon getan hatte und reichte Emily ein frisches Taschentuch mit einem: "Hier, bitte. Für die Tränen." Oh, er klang so förmlich und steif, aber andererseits... was erwartete Emily? Sie kannte ihn nun doch schon lang genug, um zu wissen, dass er sowohl in Bezug auf Cassidy, als auch auf die Tränen seiner Haushälterin verloren und hilflos reagierte und Trost nicht spenden konnte. Trotzdem tätschelte er ihr versucht sanft die Schulter, auch wenn die Bewegung steif anmutete. "Jetzt beruhig dich doch wieder, Emily," John blieb stur beim vertraulichen Ton, auch wenn Emily ihrerseits stur bei einer höflichen Anrede blieb und damit Distanz wahrte, die doch völlig unnötig war. "Und hör bitte auf solchen Blödsinn zu erzählen, keiner hat Schuld," ein bisschen drückte doch das schlechte Gewissen, nachdem Emily sich die Schuld am Montagabend gab und ihn so unschuldig und rein darstellte. Schließlich hatte er ihr den Alkohol heimlich in den Tee gegeben, wenn auch im ersten Anlauf nur, um ihre Nerven zu beruhigen. Alles was danach passiert war, konnte man vielleicht der Wirkung des Alkohols zuschreiben, so man wollte, musste es aber nicht zwingend. "Da gibt es doch überhaupt nichts zu verzeihen? Wir wollten das doch beide, oder nicht? Oder hat es dir nicht gefallen? Dann ... dann müsste ich mich bei dir entschuldigen, aber doch nicht du dich bei mir?"
John und Emily unterwegs vom Gästehaus Richtung See
Schniefend und schluchzend griff Emily nach dem Taschentuch, das John ihr reichte. Sie mußte danach tasten, denn ihr Blick war derart tränenverschleiert, daß sie nur noch ganz unscharf sah. Kaum hatte sie das Tuch gefaßt, preßte sie es sich auf die Augen. Es war ihr völlig klar, daß sie auf der offenen Straße standen und, mochte diese auch im Moment wie leergefegt erscheinen, jederzeit irgendein Bürger vorüberkommen und sie weinen sehen konnte. Man würde sich seine Gedanken machen, wenn der Sheriff mit seiner in Tränen aufgelösten Haushälterin mitten in Camden stand... und irgendwo in ihrem Hinterkopf läutete die Alarmglocke, daß sein Ruf darunter leiden würde. An ihren eigenen dachte sie schon gar nicht mehr. Doch obwohl sie alles in ihrer Macht stehende zu tun bereit war, um Clayton vor Schande und Gerede zu bewahren, war sie im Moment einfach nicht in der Lage, ihren Tränen Einhalt zu gebieten. Obwohl sie nichts sah, war sie sich im klaren darüber, wie unbeholfen John ihrem Gefühlsausbruch gegenüberstand, denn das war bislang jedesmal so gewesen. Emily war eine gefühlsbetonte junge Frau und hatte somit mehr als genug Gelegenheit gehabt, zu erfahren, wie unangenehm ihm dieses Moment weiblichen Verhaltens war. Das machte es für die kleine Britin nicht einfacher, wollte sie ihm doch zuallerletzt peinliche Augenblicke bescheren.
Aber die Tränen flossen weiter und weiter. Sie versuchte sich zu beruhigen, konnte es jedoch nicht. All die Tage, in denen sie ihr blutendes Herz verleugnet und den Anschein einer korrekten Bediensteten aufrecht zu halten versucht hatte, in denen sie sich bemüht hatte, die sündigen, verkommenen und dabei so verlockenden und süßen Momente zu verdrängen, sie forderten ihren Tribut, nun, da die Dämme ihrer Selbstbeherrschung einmal gebrochen waren. Emily war im Grunde genommen, ganz wie es Clayton vage bewußt geworden war, eher noch ein Mädchen als eine erwachsene Frau. Gewiß, sie war mehr als erfahren im Führen eines Haushalts, konnte all die Aufgaben einer Frau routiniert erfüllen. Doch ihre Erfahrungen außerhalb der kleinen, begrenzten Welt von Küche, Waschhaus und Lebensmittelläden, der Welt eines Londoner Dienstmädchens, die im Grunde genommen in allen Städten der Welt gleich aussah, die waren mehr als dürftig. In London selbst hatte sie ja kaum mehr von der Stadt gekannt als die wenigen Gassen, die sie bei der Besorgung ihrer alltäglichen Pflichten gesehen hatte. Die kleine Haushälterin war nicht dumm im eigentlichen Sinne, doch sie war es gewohnt, einfachen Denkmodellen widerspruchslos zu folgen, ihre Welt war bis vor kurzem stets in sich stimmig, klar und simpel gewesen. Sie brauchte Ordnung und Hierarchie, um sich wohl zu fühlen, und Erfahrungen mit Männern waren angesichts ihrer frommen und sittenstrengen Erziehung gar nicht denkbar gewesen.
Aus ihrem alltäglichen Trott gebracht, war sie hilflos und verwirrt. Und daß Johns forsches, für sie geradezu überrumpelndes Vorgehen zu einem Erlebnis geführt hatte, das ihr Herz allein bei der Erinnerung noch zu heftigem Klopfen brachte und in ihr eine Sehnsucht nach mehr weckte, verunsicherte sie zusätzlich. Sie weinte und weinte haltlos und wollte nur zu gern von ihm getröstet werden, empfand zugleich unterschwellig seine Unbeholfenheit bei diesem Versuch, sein eher verlegen als souverän wirkendes Tätscheln ihrer Schulter. Er war nun einmal ein Mann, und Männer waren direkt und wenig einfühlsam, wie Gott sie eben geschaffen hatte. Sie waren vernünftig, logisch und entscheidungsstark, aber einfach nicht mit dem Mitgefühl und der Sanftheit ausgestattet, welche der Herr den Frauen geschenkt hatte. Es war also mitnichten seine Schuld. Das wußte sie, und darum schämte sie sich noch mehr, ihm solch eine unangenehme Szene zu machen. Doch sie konnte ja nicht anders! Japsend und von Schluchzern geschüttelt tupfte sie sich die nassen Augen ab und preßte sich das Taschentuch dann auf die Lippen, um das Schluchzen zu ersticken. Aus verweinten Augen sah sie zu John hoch und suchte Luft zu holen, um ihm antworten zu können. Es dauerte jedoch einige Zeit, bis sie verständliche Worte hervorbrachte, noch immer von kleinen Schluchzern unterbrochen. "Aber es war doch Sünde..! Ich... ich... ja, es hat mir gefallen, oh, so sehr..! Ich habe immer wieder davon geträumt, aber... aber das ist doch noch viel schlimmer! Das ist Begierde, das ist Wollust, Todsünde..!" Sie starrte ihn an, während weiter die Tränen aus ihren Augen über ihre vollen Wangen rannen. In Emilys Blick mischten sich Verzweiflung, Scham – und ein kleiner Funke Hoffnung. Er war schließlich ein Mann und damit weitsichtiger und klüger als sie. Vielleicht hatte er ja eine Erklärung, etwas, woran sie nicht gedacht hatte, das aber das Ausmaß ihrer Sündhaftigkeit etwas verringern konnte..?
John und Emily unterwegs vom Gästehaus Richtung See
Den Tränen Emilys hatte John nicht das geringste entgegen zu setzen und er befürchtete, dass seine Offenheit nicht unbedingt zu Emilys Beruhigung beitrug. Es fiel ihm nach wie vor unglaublich schwer das richtige Maß dafür zu finden, was Emily vertrug und was besser unausgesprochen blieb. Oder zumindest in einer etwas versteckten Sprache Ausdruck fand. Doch das war weder Johns Art noch empfand er irgendetwas von der jugendlichen Unreife und Unerfahrenheit von Emily, die für nötige Scham und Zurückhaltung gesorgt hätten. Er war ein erwachsener, vor allem reifer Mann, der genug Erfahrungen gesammelt hatte, um zu wissen, dass er sich für nichts zu schämen brauchte. Bei Emily sah das natürlich völlig anders aus. Er hatte dafür vollstes Verständnis und würde gewaltig zurückrudern, sollte Emily ihn darum bitten. Für den Moment jedoch blieb ihm nichts weiteres übrig, als ab zu warten, bis die Tränen versiegt und Emily bereit zu reden war. Noch einmal klopfte er ihr umständlich, aber versucht sanft, auf die Schulter und hoffte doch ein bisschen zu ihr vorzudringen. Viel mehr Trost wusste er auch gar nicht zu spenden. Vor allem nicht in der Öffentlichkeit - bei aller Offenheit wusste er sich doch manierlich zu verhalten. Letztendlich erlöste ihn Emily, als sie Worte fand, wenn auch durch das Weinen noch mit Schluchzern unterbrochen. So musste John schon genauer hinhören um jedes Wort zu verstehen. Zu folgen fiel ihm jedoch leicht und am Ende musste er schmunzeln. Nicht über Emilys Entsetzen über ihre begangene Sünde, sondern darüber, dass ihre Worte sehr deutlich machten, dass es ihr gefallen hatte. Ohne Zweifel würde sie sonst nicht von Begierde und Wollust sprechen. Oder ihm gar gestehen, dass sie davon geträumt hatte. Niemals. Das machte John ein bisschen stolz auf sich selbst, denn nichts anderes hatte er ihr am Montagabend versprochen. Freude und Lust. Doch das Schmunzeln verschwand schnell wieder als er ihrer Verzweiflung im Blick begegnete und zum ersten Mal zu begreifen schien, wie wichtig es Emily tatsächlich war unbefleckte zu sein. Das hätte ihn fast dazu verleitet ihr jetzt schon den Ring zu zeigen, um ihr klar zu machen, wie ernst es ihm tatsächlich mit ihr war und nichts, was sie je getan hatten oder tun würden, als Sünde zu verstehen war. Keine Sekunde zögerte er, als er den Entschluss fasste, sie mit Taten zu beruhige. Ein, zwei Schritte, dann war er ihr ganz nah, fasste mit den Händen ihr Gesicht und zog sie etwas zu sich heran, beugte sich und gab ihren vor Verzweiflung noch zitternden Lippen einen langen, festen Kuss. Das brachte sie erst einmal zum Schweigen und ihm Zeit um nachzudenken. Denn ihr jetzt schon den Ring zu geben, ihr ein Gelöbnis zu machen, hätte ihm die ganze Vorbereitung und Vorfreude ruiniert, nur um sie zu beruhigen. Langsam löste er sich von ihr und lächelte verliebt in ihr rundes Gesicht. "Eine Todsünde ist das gewiss nicht, Emily. Sondern Liebe," er sagte die Worte mit ziemlichem Nachdruck, um erst gar keine Diskussion aufkommen zu lassen. Zudem war er sich seiner Aufgabe im Moment sehr bewusst. Die Bitte, das stumme Anflehen um Erklärung und Erlösung lag in Emilys Blick. Er würde aufpassen müssen was er sagte und vor allem wie er es sagte. "An Liebe ist nichts eine Sünde. Und schon gar nicht wenn sie mit ernsten Absichten einhergeht. Das habe ich dir schon am Montag versprochen und daran hat sich nichts geändert. Es ist vollkommen in Ordnung, dass es dir gefallen hat und du.. nun.. ehm... mehr möchtest. Mit mir... Ich schätze das ist keine Begierde und auch keine Wollust. Nicht in dem Sinn, wie nun.. ja ehm... wie manche Männer, denen die eigene Frau nicht reicht und sie die leichten Mädchen nötig haben. Verstehst du? Das ist eine Sünde. Aber nicht du und ich..."
John und Emily unterwegs vom Gästehaus Richtung See
Bei aller Verwirrung, in die sie ihre Gewissenskrise gestürzt hatte, nahm John für die kleine Haushälterin noch immer in vielerlei Hinsicht die Rolle eines ruhenden, unerschütterlichen Orientierungs- und Haltepunkts ein. Sie hatte in ihm den ersten Mann gefunden, der sie nicht nur durch Stärke und Entschlossenheit beeindruckte, sondern auch ihr Vertrauen und damit ihre Zuneigung gewinnen konnte. Ihr wurde gar nicht bewußt, wie kindlich ihr Verhalten war, denn sie wollte diesen Mann haben, zu dem sie aufblicken und von dem sie in jeder Notlage Hilfe erwarten konnte, weil er sich als ausdauernder, klüger oder weitsichtiger erwies als sie, die sie nicht allein weiterkam. So auch jetzt. Er war doch so vernünftig und erfahren – John mußte einfach eine Lösung wissen! Es war ihr gar nicht wichtig, wie unbeholfen er sich bei dem Versuch benahm, sie zu trösten. Das schob sie darauf, daß er als Mann eben einfach nicht so einfühlsam sein konnte – Männer und Frauen mußten schließlich klar unterschieden sein, denn alles andere hätte sich nicht mit ihrem frommen, bibelgeprägten Weltbild vertragen. Wie hätte sie Frau sein können, wenn er nicht Mann war? Sie erwartete also gar keine allzu sanften oder empathischen Reaktionen von ihm. Es war seine Absicht, die sie in dieser Hinsicht völlig überzeugte. Emily begann sich etwas zu beruhigen, denn sie faßte kindliches Zutrauen in die Tatsache, daß er ihr nun etwas sagen würde, nach dem sie erleichtert über ihre eigene Einfältigkeit würde lachen können. Wonach sie sich würde fragen können, warum ihr das nicht selbst eingefallen war. Ihre Augen schimmerten noch feucht von Tränen, und sie preßte sich das Taschentuch fest auf die Lippen, entrangen sich ihrer Brust doch noch immer kleine Schluchzer, doch ihr Blick war hoffnungsvoll auf seine Lippen gerichtet, beinahe andächtig.
Sie war nicht darauf vorbereitet, daß er sich an sich ziehen würde, und ließ ganz überrumpelt die Hand mit dem Tuch sinken. Doch noch ehe sie eine Frage stellen konnte, hatte er ihr den Mund mit einem langen Kuß verschlossen. Die rundliche Britin stand ganz reglos da. Einerseits drängte alles in ihr, sich diesem Kuß zu widersetzen. War das nicht eine geradezu gotteslästerliche Wiederholung ihrer gemeinsamen Sünde, war das nicht Satan gehuldigt?! Andererseits war da die junge Frau, ja fast eher das Mädchen in ihr, das einen starken Arm um sich und warme Lippen an den seinen spüren wollte. Das getröstet und im Arm gehalten werden wollte, nicht unbedingt nur durch Argumente, die für den Geist bestimmt waren. Sie sehnte sich auch nach einem Trost für ihr Herz, einem rein gefühlsmäßigen – nach Geborgenheit und Wärme, in denen sie sich ausweinen und zur Ruhe kommen konnte. Beide Regungen stritten in ihr und lähmten sie. So gab Johns Initiative den Ausschlag, denn wenn sie sich ihm auch nicht in die Arme warf, so widerstrebte sie ihm doch auch nicht wirklich. Dann löste er sich von ihr und lächelte sie an. Sie sah zu ihm hoch, und ihr Blick begann wieder Frage und Hoffnung auszudrücken. Er sprach zu ihr und verwendete das Wort Liebe. War das Liebe? Richtige Liebe? Konnte die denn nicht nur zwischen Mann und Frau – nun, natürlich war er ein Mann und sie eine Frau, aber richtige Liebe, also eine, die moralisch nicht verwerflich wäre, die war doch nur möglich zwischen... also zwischen Mann und Weib, in den Worten der Kirche. Wenn der Ehebund geschlossen war.
Dann natürlich war Liebe nicht verwerflich, im Gegenteil. Dann war es ihr Recht und sogar ihre Pflicht, sich gegenseitig zu lieben, Kinder zu zeugen, eine Familie zu gründen. Aber... die Worte drangen ihr wie von selbst auf die Lippen. "Aber... das ist doch nur so zwischen Mann und Weib, also..." Ihr Blick flackerte. Da waren eben Worte an ihre Ohren gedrungen, die... ernsthafte... Absichten..?! Das... das sagte man doch im allgemein, wenn, wenn man... Sie preßte die Lippen zusammen. "John... Sie und ich, wir... wir sind nicht wie... wie die Männer und Frauen, die sündigen..?" Ihr Herz begann heftig zu pochen. Sie ahnte vage, was sie eigentlich für unmöglich hielt, andererseits in ihren Träumen seit ihrer Arbeitsaufnahme bei Clayton so unzählige Male durchlebt hatte, daß der Gedanke sich ihr einfach aufdrängte. Es war ein Traum, der eigentlich zu schön war, um wahr zu werden. Der Traum, der ihr bis zu jenem Tag bloße Schwärmerei gewesen war, ohne konkrete Formen. Der dann, nachdem sie die Haushälterin des Sheriffs geworden war, einen sehr konkreten Gegenstand ihrer Sehnsüchte erhalten hatte, aber noch immer reiner Traum geblieben war. Sollte es möglich sein, daß er wahr werden könnte? Ehrbare, verheiratete Bürgerin, Ehefrau eines angesehenen und respektierten Mannes, Mutter einer Schar gesunder, hübscher Kinder, anständige Hausfrau, mit einem Kreis ebensolcher Freundinnen, Spaziergänge an der Seite eines Gatten, zu dem sie voller Stolz aufblicken konnte? Ein gesichertes Leben, geborgen und behütet, geliebt und gebraucht, bestimmt von häuslichen Pflichten, wie sie ihr Leben bis jetzt bestimmt hatten, aber auch von Zuneigung und Wärme in den Momenten der Muße, statt einsamer Stunden in einem Mägdezimmer oder Kämmerchen? Ihre Hände zitterten mit einem Mal unkontrolliert, sie konnte kaum ihr Schultertuch festhalten.
John und Emily unterwegs vom Gästehaus Richtung See
Es war beruhigend zu spüren, dass sich ihm Emily nicht entrüstet entzog oder allzu sehr versteifte. Sie gab natürlich nicht wie erhofft nach und ließ sich auch nicht in den Kuss fallen, wie sie es erst am Montagabend mit Leichtigkeit getan hatte, aber es war ein Anfang. Allerdings war er sich nicht sicher, ob dieser Kuss und seine Worte danach halfen Emily zu beruhigen und ihr auch zu verstehen zu geben, dass sie das Richtige taten. Letztendlich war sie eine Frau die moralisch so einwandfrei war, dass sie unter anderen Umständen sicherlich auf strikte Einhaltung alter Konventionen bestanden hätte. Ein Kuss vielleicht, eine zaghafte Berührung wäre möglich gewesen und ein anständiges, langes Werben. Alles andere erst nach der Eheschließung. John war sich dem allem und auch der Verantwortung bewusst, die er trug, seit er mehr für Emily empfand, als bloße Sympathien und eine Freundschaft. Wie mächtig hoch und vor allem dick Emilys moralische Schutzmauern waren hatte er nicht ahnen können. Mit Vernunft und logischen Erklärungen würde er womöglich gar nicht weiter kommen, wie er das von Cassidy gewohnt war. Emily war nicht sehr viel älter als seine Tochter, so dass er gehofft hatte, dass er mit ihr nicht sonderlich anders umzugehen hatte. Doch die beiden hatten eine solch unterschiedliche Erziehung genossen, dass John mit seinem Plan seit Tagen bei Emily baden ging. Erst war sie ihm ausgewichen, dann hatte sie ihn reden lassen und nur zugehört, jetzt schien sie regelrecht von ihm Erlösung oder klare Verhältnisse zu erwarten. Mit Cassidy hätte er laut gestritten, sie hätten sich ein paar Dinge an den Kopf geworfen und dann in Ruhe das Problem gelöst. Er gab es nicht gerne zu, aber hätte Emily ihm am nächsten Tag die Hölle wegen dem Alkohol und der geraubten Unschuld heiß gemacht, hätte John sehr gut gewusst, wie er zu reagieren gehabt hätte. Mit so etwas konnte er umgehen. Mit Emilys in sich gekehrten Art stellte sie ihn vor eine recht harte Nuss zu knacken. Dabei war John ja zu allem bereit, was Emily erwartete. Nur nicht hier am Brunnen im Schneegestöber. Ein bisschen verzweifelt seufzte John leise auf, verdrehte merklich die Augen und sah sich mit dem Rücken an die Wand gestellt. Ja, ja natürlich war das alles so, wie Emily meinte, das es gehörte. Aber nur in einer perfekten Welt und die gab es nun einmal nicht. Man war natürlich versucht ein ordentliches Leben zu führen, so wie es sich Emily vorstellte, aber die vielen Höhen und Tiefen machten es einem unmöglich. Emily war noch zu jung, um diese Erfahrung zu besitzen, aber für John war die Zeit gekommen gewisse Dinge über Bord zu werfen, um sich von dem erdrückenden Ballast zu befreien. Dies Emily zu sagen wagte sich John jedoch nicht. Dafür war Emilys Weltbild zu klar strukturiert und an das Wort Gottes ausgerichtet, als dass er ihre Festung mit seiner Lebenserfahrung zum Erbeben bringen wollte. Die Vorstellung ihr Dinge zu erklären, die ihn in ein Licht stellten, das Emily sicher nicht gefallen würde, nur um ihr seine Beweggründe zu erklären, war abwegig. Auch wenn es vielleicht nützlich war, um ihr vor Augen zu führen, dass man nicht immer Gottes Wort folgen konnte. Würde er dadurch aber in ihren Augen nicht ein Mörder sein, der darüber hinaus auch noch in wilder Ehe und damit in Sünde gelebt hatte? Innerlich schüttelte er den Kopf über seine Überlegungen und hielt es für das Beste zu schweigen.
Zumindest darüber und für eine kleine Ewigkeit.
Er brauchte einen anderen Ansatz.
"Nein, Emily, dass sind wir nicht. Wir sind nicht sündig und nicht so wie diese Männer und Frauen, von denen ich gesprochen habe. Ich... also wir... ich mach dir ein Angebot, Emily. Du hörst auf mich wie eine Angestellte zu betrachten und dafür zeige ich dir gleich etwas. Eigentlich wollte ich erst noch einen etwas größeren Spaziergang um den See machen, damit die Überraschung auch ihre Wirkung hat, aber ich glaube, damit du besser verstehst, was ich dir zu erklären versuche, musst du es einfach gesehen haben. Es ist nicht weit. Noch ein Stück weiter, die Richard-Camden hinab, dann sind wir schon da.
John und Emily unterwegs vom Gästehaus Richtung See
Ein eisiger Schreck fuhr durch Emilys Herz, als sie John seufzen hörte und ihn seine Augen leicht verdrehen sah... sie hatte irgend etwas dummes gesagt, oder etwas, das sie nicht hätte sagen sollen! Die junge Frau hatte keine Ahnung, was das war, aber es schien ihr offensichtlich, daß sie seine Geduld gerade auf die Probe gestellt hatte. Verzweifelt hielt sie in seinen Zügen Ausschau nach einem Hinweis, wie sie sich verhalten, was sie sagen sollte. Es war für sie völlig klar, daß jeglicher Fehler ausschließlich bei ihr liegen konnte, so also auch in diesem Fall. Er hatte Erfahrung, er war ein Mann und damit vernünftiger, distanzierter, weitblickender. Noch dazu hatte er auch Erfahrung in... mit... bei... nun, Erfahrung im... Umgang mit dem anderen Geschlecht. Sie wäre ja nicht die erste Frau für ihn, wenn sie denn – bei diesem Gedanken klopfte ihr Herz bis zum Hals – vielleicht doch irgendwann Mrs. John Clayton werden würde, wieder alle plausible Überlegung. Er wußte, er mußte wissen, was erlaubt war und was nicht, wie ihr... Zusammenkommen zu bewerten war. Nur so sehr sich Emily auch bemühte, sie verstand nicht, warum er seinen Worten nach gar kein so großes moralisches Dilemma in ihrer Situation sah. Sie hatten das Bett miteinander geteilt – nun gut, genaugenommen Claytons Sofa, was diesen Ausdruck, den einzigen auch nur in Gedanken vertretbaren, der der kleinen Haushälterin einfallen wollte, unschön profan klingen ließ. Aber egal wie man es nannte, sie hatten etwas getan, das nach allem, was sie wußte, nur zwischen Mann und Frau geschehen durfte, wenn sie den Segen Gottes dazu hatten. Denn dann war es ihre eheliche Pflicht.
Von einem Ehebund konnte jedoch, so gern sie es gesehen hätte, zwischen ihr und John nicht die Rede sein. Sie war seine Haushälterin, er ihr Dienstherr, so waren sie zueinander gestellt. Und es war etwas geschehen, das beileibe nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit zwischen Herrn und Angestellter geschehen war. Bei aller Naivität hatte Emily doch aus ihrer Londoner Dienstmädchenzeit eine grobe Ahnung mitgebracht, was das heißen, was das zur Folge haben konnte. Mehr als einmal hatte sie ein befreundetes Dienstmädchen beobachtet, dessen Bauch sich unmerklich immer mehr gerundet und gewölbt hatte, bis er schließlich nicht mehr zu verbergen gewesen war. Getuschel und Getratsche hatte es dann unter den älteren, erfahrenen Dienstboten gegeben, und die kleine Emily hatte dies und jenes davon aufgeschnappt. Und sie hatte sich ihren Reim darauf gemacht, wenn das betreffende unglückliche Dienstmädchen dann irgendwann hinausgeworfen worden war und sich auf der Straße wiedergefunden hatte, ohne die Chance, jemals wieder von einer Herrschaft angenommen zu werden. Der junge Herr hat ihr ein Balg gemacht, hatte es dann beispielsweise hinter vorgehaltener Hand geheißen. Ein Kind, bedeutete das. Emily hatte dann immer zwischen Mitleid für die armen Mädchen und Verachtung für deren Sittenlosigkeit geschwankt. Wie konnte sich eine ehrbare Frau schließlich einem Mann hingeben, der nicht der ihre war?!
Tja, wie konnte sie... nun wußte sie es. Es gab da eine Macht, die irgendwo in ihr steckte und sie zu Taten zu zwingen in der Lage war, die sie hernach bitter bereute – und sie sich gleichzeitig nach einer Wiederholung ihrer Sünde sehnen zu lassen! War sie überhaupt nur einen Deut besser oder anders als jene Mädchen, die unter den schrecklichsten Beschimpfungen hinausgeworfen wurden, mit ihren dicken Bäuchen und den dünnen, leeren Geldbörsen? Während sich ihre Augen wieder mit Tränen füllten, fragte sie sich, ob es wohl das Schicksal einer jeden Frau war, durch diese Schwäche des Fleisches eines Tages in die Gnade eines Mannes gegeben zu sein, der sie zu einer ehrbaren, tugendhaften Ehefrau und Mutter seiner Kinder ebenso machen konnte wie zu einer sittenlosen Hure und Mutter eines Bastards, die von allen Seiten mit Verachtung betrachtet wurde? Sie hatte sich nicht wehren können, hatte es auch nicht gewollt und würde es auch jetzt nicht wollen, und doch fragte sie sich mit plötzlich aufkeimender Panik, was sie tun sollte, wenn ihr eigener Bauch immer umfangreicher werden würde... Denn das war es, was John und sie gemacht hatten, wenn sie sich nicht völlig täuschte: Sie hatten ein Kind gemacht! Ja, das und nichts anderes mußte es sein, was er da zwischen ihren Beinen getan hatte und was sich so unglaublich wundervoll angefühlt hatte. Doch dann, wurde ihr ebenso unvermittelt klar, war Mrs. John Clayton nicht mehr nur ihr sehnlichster Traum – sie war in diesem Falle auch ihre einzige verbliebene Hoffnung auf ein gottgefälliges und glückliches Leben! Es war nicht länger eine denkbare, eine angenehme Option, auf unbestimmte Zeit seine Haushälterin zu bleiben, ihn stumm anzuhimmeln und es einfach zu genießen, wenn sie bei ihm sein und für ihn sorgen durfte. Ihr wurde schwindlig, sie wankte leicht.
Doch mit großer Mühe bezwang sie ihre Schwäche, schluckte heftig und suchte ihre Tränen erneut niederzukämpfen. Clayton sprach von einer Überraschung, kam ihr langsam zu Bewußtsein. Eine Überraschung..? Sie war völlig durcheinander, mußte erst nachdenken, was er genau gesagt hatte und was er damit wohl meinen konnte. Mit leichter Verspätung nickte sie – teils, weil sie eine vage Hoffnung zu spüren begann und sich daran klammerte, teils auch, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Das Bild ihres ohnehin schon recht rundlichen Bauchs, wie er sich tonnenartig vorwölbte, sie allen sichtbar zeichnete, war zu erschreckend, um ihn so schnell abzuschütteln und wieder klar zu denken. Noch leicht schniefend sah sie zu ihm hoch, betupfte mit dem Taschentuch in der Rechten ihre tränenbenetzten Wangen und deutete mit einem leichten Raffen ihrer Röcke mit der Linken an, daß sie bereit war, ihm zu folgen.
John und Emily unterwegs vom Gästehaus Richtung See
Erneut sichtlich davon irritiert, dass seine Worte dafür sorgten, dass wieder Tränen in Emilys Augen traten, bemerkte John nur flüchtig den Reiter, der hinter ihnen vorbeitrabte. Ansonsten wäre ihm die Chinesin vor dem Reiter im Sattel merkwürdig vorgekommen. So hielt er sie nur für zwei Reiter, die sich ein Pferd teilten und Richtung Gästehaus unterwegs waren. Emily erforderte weitaus mehr seine Aufmerksamkeit, als seine Umgebung. Er hatte fest damit gerechnet, dass seine Worte die letzten Zweifel in Emily hinwegfegen würden und sie beide mit etwas heiterer Stimmung ihren Weg fortsetzen konnten. Hätte er den wahren Grund für Emilys feuchte Augen gekannt, hätte er womöglich darüber gelacht und Emily eine Närrin gescholten. Sie war weit davon entfernt mit einem unehelichen Kind alleine gelassen zu werden. Schon gar nicht war sie nur ein kleines Abenteuer, dass man gewissenlos auf die Straße werfen konnte, wenn man ihrer überdrüssig wurde. Nur leider hatte John nicht die geringste Ahnung von Emilys Sorgen und suchte den Fehler bei sich. Doch er konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob es nun an seinen Worten lag oder an der Erinnerung an ihr kleines Bettgeflüster, die Emily nicht zu beruhigen schienen. Als sie sogar ein wenig wankte, und John hilfreich nach ihrem Arm griff, um sie zu stützen oder aufzufangen, sollte es nötig sein, hielt er seine Idee mit der Überraschung schon längst nicht mehr für einen so guten Plan, wie gerade eben noch. Er fühlte sich aber nicht im Stande das gemachte Angebot wieder zurückzuziehen. Wie würde das aussehen? Er war kein Mann der leicht schwankte. Er stand zu seinen Worten. Überall und jeder Zeit. Da würde er doch auch mit Emily und der ganzen Situation zurecht kommen, ohne erneut kalte Füße zu bekommen? Das war absurd. Er würde eben ihre Antwort abwarten müssen, die er auch bekam. Leider in gewohnt zurückhaltender Art und nur durch ein Nicken als Zustimmung auszumachen. Innerlich amüsierte es ihn jedoch in der Tat wie sich Emily bemühte Haltung zu wahren, während sie doch völlig aufgelöst und verwirrt über die letzten Tage zu sein schien. Dabei war es wirklich nicht nötig, dass sie sich vor ihm zu verstellen versuchte. Er hätte es doch sehr begrüßt, wenn sie sich eben einfach ein bisschen mehr geöffnet hätte, als gewöhnlich. Wie sollte er denn wissen, wo ihr der Schuh drückte, wenn sie zu allem Ja und Amen sagte und sich gänzlich unterordnete? Er wollte schließlich ja wissen, wie es ihr ging, wie sie sich fühlte und was sie seit Montagabend dachte. In dieser Beziehung war er nicht unbedingt einen Schritt weiter, lenkte aber seine Schritte erst einmal wieder weiter die Mainstreet hinab, nachdem Emily ihre Röcke sorgsam gerafft und bei ihm wieder untergehakt für das Weitergehen gerüstet war. Alles in allem hatte sie nur zu verstehen gegeben, dass sie dachte, sie hätten gesündigt und etwas falsches getan, weil sie eben nicht Mann und Frau waren. Und das war nun einmal etwa, das John sowieso vermutet hatte. Er unterdrückte einen weiteren Seufzer und versuchte zu hoffen, dass das neue Haus gleich seine Wirkung auf Emily hatte und die Überraschung ihr übriges dazu tat, dass sie seine ehrbaren Absichten klar und deutlich vor Augen hatte. Wenn er aber bedachte, wie leicht Emily stets den Tränen nah war, befürchtete er in wenigen Minuten in einem Tränenmeer zu baden, dem er gewiss nicht gewachsen sein würde. Aber diese Überlegung kam ein wenig zu spät.
Mit einem aufmunternden Lächeln an Emily gewandt, versuchte er die Stimmung ein wenig zu heben, auch wenn es ihn schon wieder sorgte, dass Emily weibliche Neugier missen ließ. Unter anderen Umständen hätte sie ihm gewiss Löcher über die Überraschung in den Bauch gefragt. "Na, dann wollen wir mal. Ich bin mir sicher, dass dir die Überraschung gefallen wird."
Jesse wollte nur noch fort von diesem Ort, egal warum. Es ging ihm einfach nicht gut. Und er wäre Megan nicht einmal böse, wenn sie noch bleiben wollte. Aber sie hatte ihm doch vorhin noch selber angeboten, dass sie gehen würden können, wenn es Jesse zu viel würde. Und ja, es war ihm alles zu viel. Und natürlich schämte er sich dafür, würde es aber nicht zeigen. Er war doch ein Kerl, durch und durch. Aber nun hatte er sich doch von allen verabschiedet, alles richtig gemacht und nun war er nur noch raus gerauscht, hatte seinen Mantel an sich genommen und war auf die Mainstreet getreten, auch etwas weg vom Gästehaus und trat an den Brunnen in mitten der Strasse. Er atmete tief durch, war erleichtert, weg zu sein, keine Fragen mehr zu beantworten oder für wen sonst was zu sagen. Er hoffte nur, dass Megan kam, wenn nicht, ok, dann eben nicht. Er war aber froh raus zu sein bei all den Menschen, von denen er die wenigsten mochte und von denen ihn die wenigsten mochte.
In Ruhe drehte er sich dann erst einmal eine Zigarette. Zündete sich diese dann genüsslich an und sog den Rauch genüsslich in seine Lungen. Ja, das tat gut. Was nur wollte bloss der Anwalt von ihm? Gab es da vielleicht etwas wegen früher? Als Jesse noch Jesse Ludlow hiess? Oder ging es um die Notwehr in der anderen Stadt, wo Jesse einen verrückten Typen aus Notwehr erschiessen hatte müssen? Oder die Sache mit Small Wolf hier in Camden? Warum wollte der Anwalt ihn und Megan sprechen??? Warum musste alles gerade jetzt kommen? Wo Jesse doch eh genug Probleme hatte wegen Horatio Jones? Jesse war verzweifelt und versuchte dennoch so stark zu sein, wie es ihm möglich war. Aber er spürte einfach auch, dass der schwach war. Seelisch und auch körperlich. Er sollte mehr Liegestütze machen. Aber dann war da noch das Problem mit dem Alkohol. Das war auch nicht einfach. Und dann das mit den Mitmenschen. Er musste seinem Chef doch eigentlich noch sagen, dass Megan nicht mehr für ihn als Hure arbeitete. Oder setzte sich Jesse da über Megan hinweg? Nein, sie wollte das doch nicht. Sie hatten das doch besprochen. Oder nicht? Oder erinnerte er sich nicht mehr.
Jesse wusste kaum mehr was. Sein Hass auf Horatio überschattete so viel. Aber er musste und wollte doch all die Menschen schützen, die er mochte. Ach verdammt ... es war alles so schwer.
Aber nun war er hier draussen alleine und es tat gut. Noch besser würde es ihm gehen, wenn Megan da war. Sie war sein Lichtschein, sein Ein und alles. Aber vielleicht würde sie auch noch gerne beim Empfang bleiben. Egal. Jesse begann sich langsam zu beruhigen und zog den Rauch seiner Zigarette genüsslich ein und hoffte, dass er bald einfach zu Ruhe kommen würde. Das war einfach echt ziemlich viel momentan ...
Dann aber schaute er die Mainstreet entlang und setzte sich auf den Rand des Brunnens, nachdem er den Schnee beiseite gefegt hatte. Und er rauchte seine Zigarette und schloss einfach nur sie Augen, weil er spürte, dass er zu Ruhe kommen musste .... und er wünschte sich seine allerliebste Megan zu sich.
Auf dem Weg aus dem Haus war Sarah fast doch noch ausgerutscht, trotz Onkel Erics Warnung vor den vereisten Treppenstufen. Sie hatte es einfach zu eilig gehabt, endlich aufzubrechen. Es war beinahe wie in der Schule gewesen, wenn sie aufgerufen wurde. Selbst wenn sie die Antwort wußte, brachte sie selten viele Worte heraus. Es war schrecklich unangenehm, befragt zu werden. Daher hatte sie sich sofort nach draußen gestürzt, als Eric sie schließlich aus dieser Befragung entlassen hatte. Auch wenn in ihr ein Gefühl zurückgeblieben war, als sei er alles andere als zufrieden gewesen. Der unschöne Gedanke kam ihr, daß er seine Versuche zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen würde. Irgend etwas erwartete er von ihr, und sie hoffte nur, es wäre nicht, ihm all ihre Gedanken zu offenbaren. Für den Moment allerdings machte sich in ihr die Erleichterung breit, eben wie in der Schule, wenn sie sich endlich, endlich wieder setzen durfte und der Lehrer sich einen anderen Schüler vornahm oder mit dem Unterricht weitermachte. Ungeachtet ihres Beinahesturzes lief sie daher erst einmal los, und es war sogar ein Lachen von ihr zu hören, ein befreites Lachen. Obwohl sie sich noch mehrere Male beinahe auf ihren Allerwertesten setzte, sprang sie kichernd weiter voran, Eric mal ein Stück voraus, dann wieder in einem großen Kreis um ihn laufend.
Auf diese Weise näherten sie sich langsam dem Gästehaus, Eric beständig, Sarah in diversen kleineren und größeren Umwegen, die sich stets irgendwie um ihren Vormund als Zentrum bewegten. Erst als ihr Ziel direkt vor ihnen lag, kehrte sie zu ihm zurück, vernehmlich atmend und mit gerötetem Gesicht. Sie war nicht das kräftigste Kind, das man sich vorstellen konnte, das Herumtoben im Schnee strengte sie spürbar an. Trotzdem ihr Herz danach heftig klopfte, fühlte sie sich aber besser als zuvor. Ihr war wieder eingefallen, daß ja auch noch Mr. Kaninchen auf sie wartete, um ihr seine Welt zu zeigen. Ein verlockender Gedanke, der sie mit Vorfreude erfüllte. Damit würde das nun wohl bevorstehende Eingekeiltsein unter vielen Leuten immerhin leichter zu ertragen sein. Am Gästehaus angelangt schaute sie zu ihrem Onkel hoch und fiel ein wenig zurück. Ihr wäre es nicht ganz geheuer gewesen, selbst die Tür zu dem Haus zu öffnen, das riesengroß vor ihr aufzuragen schien. Komisch, wenn man es mit zusammengekniffenen Augen ansah und die Details seiner Konturen so verschwimmen ließ, hatte es fast Ähnlichkeit mit einem menschlichen Gesicht, das einen aus seinen Fenstern ansah und eine große, breite Nase – die Tür – besaß, unter welcher sich die Veranda zu einem breiten Grinsen verzog. Ob es ein freundliches Haus war..? Sie legte den Kopf in den Nacken und sah an der Fassade hinauf.
Eric war schon erst für den Moment erschrocken, als er mit angesehen hatte, wie Sarah dann doch fast ausgerutscht war auf den Treppenstufen, aber er sagte nichts. Er seufzte nur schwer und dann erleichtert, dass nichts passiert war. Aber ein falscher Tritt und Sarah hätte sich sonst was brechen können. Und Eric war einfach besorgt um seine Nichte. Mehr vielleicht als ein Vater, weil er es einfach noch nicht gewöhnt war, für einen anderen Menschen eine so große Verantwortung zu tragen. Dabeio trug er früher in seinen Job als Sheriff auch Verantwortung für andere Menschen. Aber das war einfach eine komplett andere Sache. Seiner Schwester hatte er am Sterbebett versprochen, auf Sarah aufzupassen. Und das tat er so gut er konnte. Vielleicht manchmal ein wenig zu viel. Aber er war ja schon ganz froh darüber, dass er Sarah nicht mehr bei jeder Gelegenheit an die Hand nahm. Er tat es dann, wenn sie es wollte. Und er wollte sie auch nicht mit seinen Fragen löchern. Auch wenn er viele Fragen hatte. Aber es würde vielleicht auch alles schon geschehen und sich fügen, egal, ob er seinen Wissensdurst stillen konnte oder Sarah einfach das Kind sein liess, dass sie trotz all dem erwachsenen Gehabe war. Und so sprach er auf dem Weg kein Wort, schaute nur ab und an nach ihr, wie sie schon wieder herumtollte und die Gegend erkundete. Mal war sie vor ihm, mal seitlich, manchmal hinter ihm. Aber er war eh in Gedanken, so dass er auch kaum wahrnahm, wer sich auf der Strasse befand. Und so nahm er den Mann am Brunnen (Jesse) auch nur kurz und eher schemenhaft wahr, der da am Rand des Brunnens saß und wohl eine Zigarette rauchte. Kurz glaubte Eric den Mann er kennen. Aber natürlich, er kannte ihn aus der Kirche. Oder kannte er ihn noch woanders her? Vielleicht von einem Steckbrief aus der Vergangenheit? Egal. So wichtig war ihm das gerade nicht. Denn sicherlich würde ein gesuchter Verbrecher nicht einfach in Ruhe eine Zigarette rauchen und so kam er schliesslich mit Sarah vor dem Gästehaus an. Und Sarah war nun wieder an seiner Seite, ein wenig vom herumtollen gerötet im Gesicht. Und er bemerkte, wie sie das Haus anschaute. »Sieht doch einladend aus?«stellte er dann einfach nur fest und erklomm die Stufen, öffenete Sarah die Tür und meinte noch: »Nach Ihnen, Ma'am ...« er versuchte so ein wenig Lockerheit zu spielen.
Es erschien Jesse wie eine Ewigkeit, dass Megan kam. Oder war sie enttäuscht, weil er nicht auf sie gewartet hatte? Jesse zog heftig an seiner Zigarette. Irgendwie gab sie ihm nicht das gewünschte Gefühl von Ruhe. Und so sah er nicht den Mann mit dem Kind, die etwas weiter aus einem Haus kamen und dann zum Gästehaus steuerten. Jesse zog weiter an der Zigarette und dann merkte er, dass er viel lieber noch einen Whisky getrunken hätte. Und in dem Moment fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, diese im Gästehaus zu bezahlen. Verdammt, er war doch sonst nicht so nachlässig. Er war immer stets darauf bedacht, keine Schulden anzuhäufen. Ok, Jimmy kannte ihn und er würde es ihm sicherlich anschreiben. Dennoch ärgerte es Jesse. Und so wartete er sehnsüchtig auf Megan. Aber vielleicht war sie ja auch in einem interessanten Gespräch. Obwohl Jesse einen Rand des Brunnens vom Schnee entfernt hatte, auf dem er nun saß, spürte er, wie kalt es doch war. Und wie müde er war. Eigentlich wollte er nicht einmal mehr den Termin von diesem Anwalt annehmen. Ihm war das alles zu viel heute. Aber er musste wohl oder übel. Und so zog er erneut den Rauch der Zigarette in seine Lungen und starrte auf den Schnee vor ihm. Er hasste Schnee inzwischen. Und das nur wegen Horatio. Das durfte doch nicht sein. Schnee war doch eigentlich etwas schönes, etwas so reines. So sauber und weiss konnte er sein. Früher hatte Jesse den Schnee gemocht, aber im Moment nicht wirklich und er seufzte tief. Eigentlich wollte er nur nach Hause und schlafen, um bloss nicht mehr an Horatio denken zu müssen ... aber er wollte Megan nicht noch weiter enttäuschen ... und so wartete er.
Raphael hatte den ganzen Vormittag nach Camden gebraucht, was an dem verdammten Schnee lag. Denn sie waren auf der draussen liegenden Hazienda bei den Twin Falls regelrecht eingeschneit gewesen, so dass Raphael zurückreiten musste, um eine Schaufel zu holen. Denn der Weg war voller hohen Schneewehen, die den Weg versperrt hatten, und die galt es freizuschaufeln. Das war selbst für den recht gut trainierten Mexikaner eine ziemlich schweisstreibende Arbeit gewesen, denn es handelte sich ja nicht nur um eine oder zwei Schneewehen, sondern um ganze 12. Und mit seiner Schaufel hatte es Stunden gedauert. Und so waren ihm auch diverse Flüche wie »¡puta madre! [verdammte Scheisse] oder Qué putada! [So ein Mist] ¡Madre mía! [Meine Güte]« über die Lippen gekommen, allerdings auch noch weit schlimmere, die hier aber nicht erwähnt werden sollen, denn wenn Raphael mal am Fluchen war, dann richtig. Und er mochte diesen Schnee nicht sonderlich, da es ihn in Mexiko selten gab.
Aber er tat diese Arbeit auch für den Fall, dass er vielleicht Salvatore im Notfall doch mit der Kutsche in die Klinik bringen musste, wenn sich sein gesundheitlicher Zustand doch noch weiter verschlechtern würde. Zwar ging es Salvatore schon etwas besser als noch vor Tagen, aber die Medikamente waren einfach ausgegangen und hinzu kam, dass Raphael sich nun auch noch mehr als einen Schnupfen geholt hatte. Aber war das ein Wunder bei diesem verdammt kalten Wetter, das einfach nicht besser werden wollte?? Und man hatte ihm gesagt, dass das noch bis zum März so gehen konnte im Schlimmsten Fall. Madre Mia, was war das nur für ein Ort und wie sehr sehnte er sich nach Mexiko zurück. Aber es ging ja nicht anders, wurde er doch dort gesucht und musste für lange Zeit untertauchen.
Und so ritt Raphael auf seinem schwarzen Hengst Tornado schliesslich in Camden ein. Immerhin musste er sich nicht auch noch hier den Weg freischaufeln, denn die braven Bürger hatten dies schon einigermaßen getan. Auf seinem Rücken hatte er allerdings seine Gitarre geschnallt, denn wenn er schon mal in Camden war, würde sein Besuch auch etwas länger dauern und er spielte nun einmal leidenschaftlich gerne und vielleicht fand sich ja noch ein Ort, wo er sein Bestes geben konnte ...
Sheriffstation Und so kam er als erstes an der Sheriffstation vorbei. Dort waren einige Leute versammelt, die er aber nicht kannte. Wie dumm, nun wollte er dann doch nicht absteigen und kurz schauen, ob hier ein Steckbrief von ihm hing. Hätte er allerdings geahnt, dass sich Nevada im Büro befand, hätte er seinen Plan geändert. Allerdings hatte er sie nun schon so lange nicht mehr gesehen, dass er der Meinung war, dass sie vielleicht schon längst weiter gezogen war. Also schaute er nur kurz zu den ihm unbekannten Personen, tippte sich mit zwei Fingern als Gruss an die Stirn, falls jemand hinüberschaute und trieb Tornado weiter an, die Mainstreet entlang zuschreiten.
Klinik+Saloon Schliesslich kam er vor der Klinik an, stieg von seinem Pferd ab und trat an die Tür. Doch schnell stellte er fest, dass die Klinik verlassen war. Von dem Empfang heute hatte Raphael nichts mitbekommen und so seufzte er einfach nur und beschloss später noch einmal vorbei zukommen. Doch was nun? Einen Whiskey im Saloon wollte er sich gönnen, etwas Abwechslung tat gut, aber als er vor der Tür stand, sah er das Schild, dass hier gerade geschlossen war. Was war denn nur mit der kleinen Stadft los?? Wo waren die denn bitte alle? Da kam er nach langer Zeit mal wieder her und Camden wirkte fast wie ausgestorben. Er war ja schon froh, dass er die Leute vor der Sheriffstation gesehen hatte und ärgerte sich nun, nicht gefragt zu haben, wo denn alle waren, oder was vielleicht passiert war. Aber er stieg wieder auf seinen schwarzen Hengst und ritt die Mainstreet einfach weiter, bis er vor einem Haus stehen blieb, welches Queen of Hearts nannte und irgendwie eindeutig wie ein neu eröffnetes Bordell wirkte. Kurz davor war er noch am Brunnen vorbei geritten, wo ein Mann stand und eine Zigarette rauchte und auf dem Weg weiter sah er dann noch einen Mann in Gesellschaft eines kleinen Mädchen, die gerade ein Haus betraten. Immerhin, hier waren doch einige Leute unterwegs.
Vor dem "Queen of Hearts" Nun war Raphael nicht gerade ein Stammgast dieser Etablissements, aber irgendwie war ihm eh ziemlich kalt, er nieste und hustete und schnäuzte sich mit einem Taschentuch die Nase. Und dann kam ihm die Idee, dass er sich dann doch vielleicht ein wenig verwöhnen lassen könnte. Ausserdem schien es hier heute gerade eine Neueröffnung zu geben und was war schon gegen ein heisses Bad und eine angenehme Massage einzuwenden? Oder vielleicht auch mehr? Die Ärztin, die ihn damals nach der Schiesserei mit Thunder verarztet hatte, war ja eh gerade nicht da, also musste er sich die Zeit hier ja irgendwie sinnvoll vertreiben und dann grinste er leicht schelmisch. Der eigentliche, alt eingesessene Saloon hatte auch gerade zu, also blieb ihm ja nicht viel Auswahl. Und so stieg er erneut ab von seinem Hengst, band ihn an den Balken vor dem Bordell an und tätschelte diesen sanft auf den Hals. Es schneite ausnahmsweise mal nicht, was nicht bedeutete, dass es sich nicht gleich wieder änderte, denn es wehte ein leichter und kalter Wind. »Wirst du schon aushalten, mein Freund, he?« sprach er dann zu Tornado, der etwas schnaubte, denn er mochte diese Kälte auch nicht, schliesslich war er ein Vollblut Andaluser. Aber Raphael kannte seinen Hengst und ein wenig würde er das hier schon aushalten. Und er selber war froh, wenn er endlich mal etwas Wärme schnuppern konnte, denn Raphael war nun Stunden in der Kälte gewesen, was seine Erkältung leider nur noch gefördert hatte. Und so nieste er erneut. Und wieder lief die Nase. Bald würde er ein neues Taschentuch brauchen ...
Dann aber schritt er auf das Bordell zu ... bewaffnet mit seinen Schofield Kaliber 45. und seiner Gitarre auf dem Rücken.
Megan und Jesse am Brunnen. Malone und Sarah betreten das Twin Falls. Dela Vega vor dem Queen of Hearts
Jesse war vorgegangen und Megan folgte ihm. Der Empfang war ihr, genauso wie ihrem Grossen im Moment ebefalls zu voll und sie sehnte sich nach etwas Ruhe, selbst wenn das bedeutete im kalten zu sein. Sei es nun bei einem Spaziergang oder auch dem im Moment nicht geheizten Haus. Ihres oder Jesses war dabei egal. Sie schnappte sich ihren Mantel und schlüpfte hinein, bevor sie das Twin Falls verliess. Die Tür war gerade hinter ihr zu, als Mr Malone, der Zeitungsverleger vorbei lief. Noch ein Kandidat mit dem sie eigentlich reden wollte, aber erstmal musste sie mit Mr Firth sprechen bevor sie an Malone herantrat. Entsprechend knickste sie nur kurz, mit freundlichem Lächeln, wie es eben ihre Art war und schaute wo Jesse wohl stecken mochte. Diesen erblickte sie am Brunnen, wo er irgendwie mürrisch herumsass und den blauen Dunst in die WInterluft stiess.
Megan stieg die Stufen hinab und tappelte, die Röcke gerafft, zum Brunnen herüber, betrachtete den Reiter, der vor dem Queen of Hearts halt machte und auf die Tür zusteuerte einen Moment lang. Das ging ja früh los bei denen. Nun ja, der Saloon war geschlossen, was sollte der Mann sonst tun? Wenn er ficken wollte blieb im Moment ja nur der neue Laden. Am Sonntag und am Mittag, manche Männer hatten wirklich überhaupt keinen Anstand. Mit diesem Gedanken erreichte sie ihren Jesse, stellte sich neben ihn und küsste ihm fröhlich auf die Wange, strahlte ihn an, als trüge sie eine Sonne in sich, die unbedingt herausbrechen wollte. "Na, hast du mich vermisst." neckte sie ihn fröhlich., küsste ihn erneut. "Ich bin ganz stolz auf dich, wirklich. Danke, mein Schatz. Das du das auf dich genommen hast." ein dritter Kuss folgte. Das sie hier auf der Main Street stand und ihren Verlobten küsste war Megan herzlich egal. Die Bürger waren ohnehin alle im Twin Falls, oder im Hearst, oder eben gerade woanders und nicht hier, also alles bestens.
"Lass uns ins warme, oder willst du frische Luft haben, dann gehen wir eine RUnde um die Häuser." fragte sie und schlug gleichzeitig vor. Nachdneklich, ob sie sich setzen sollte oder nicht, betrachtete sie die Kante des Brunnens, entschied sich in dem jetztigen Kleid aber ganz definitiv dagegen und so blieb sie neben Jesse stehen und legte ihm liebevoll eine Hand auf die Schulter und richtete sich wieder auf, denn bei den Küssen hatte sie sich vorbeugen müssen.
Jesse hatte den Mann und das kleine Mädchen nicht bemerkt und den Reiter nur kurz wahrgenommen. Irgendwo hatte er den Mann schon mal hier gesehen, von dem ging also keine Gefahr aus.
Und Jesse war fast zu sehr in Gedanken und hatte gar nicht so schnell mit Megan gerechnet, als diese plötzlich neben ihm stand und ihm einen Kuss auf die Wange drückte mit der Frage, ob er sie vermisst hätte. Und auch wenn Jesse nicht bester Laune war, so änderte sich alles, als er nach einem ganz kurzem Zusammenzucken in das strahlende Gesicht seiner Liebsten schaute und ja, es war, als würde die Sonne aufgehen, nicht nur durch den trüben Himmel, sondern in seinem Herz. Ja, ihm wurde augenblicklich warm am Körper und versuchte fast eben so zu strahlen, wie sein Sonnenschein, aber das gelang ihm heute dennoch einfach nicht so gut. Dennoch genoss er ihre Lippen auf seiner Wange und auch den zweiten Kuss und sofort stiess er sich vom Brunnen ab und legte seine Arme um seinen Schatz. »Ja ... ich habe dich wirklich vermisst ...«sprach Jesse leise und fast demütig, aber dankbar. Und Jesse meinte es ernst, dabei waren sie ja gar nicht lange getrennt. Aber er war einfach froh, alleine zu sein mit Megan, fort von all den Menschen. Und dann lauschte er eher verlegen ihren Worten, wie stolz sie auf ihn war und er fand das eigentlich gar nicht. Er fand sich eher lächerlich, wenn er an seine Ängste und Panikattacken dachte. Aber er genoss dann auch den dritten Kuss und nahm seine Megan erst einmal sehr fest und dankbar in den Arm. Und auch wenn Megan erst überlegt hatte, sich neben Jesse an den Brunnenrand zu setzen, nahm er ihre Entscheidung in sofern ab, dass er sie fest in seinen Armen hielt und seinen Kopf leicht senkte, damit seine Stirn die ihre berührte. Sie bot dann an, dass sie ins Warme gehen könnten, ausser, wenn Jesse ein wenig frische Luft bräuchte. »Du bist meine frische Luft, mein Schatz ...« murmelte er nur und wirkte seltsam verletzlich, wie sie ihren Grossen ja inzwischen kannte. Dennoch gab er sich nicht gänzlich die Blösse. Schon gar nicht hier, auf offener Strasse. Dennoch drückte Jesse deutlich aus, wie froh er darüber war, Megan an sich zudrücken und das sie einfach da war. Und dennoch wirkte er auch so, als würde eine gewisse Anspannung von ihm abfallen, mit ihr alleine sein zu dürfen, er selber sein zu dürfen.
»Egal, ich mag dich nur bei mir haben, alles andere ist mir egal.« murmelte er leise und seufzte sichtlich schwer. Aber er war sich auch bewusst, dass er noch etwas sagen musste, auf ihr Lob, warum sie stolz auf ihn war. Er dankte es ihr, in dem er ihr einen liebevollen Kuss auf ihre so sanften und wohlschmeckenden Lippen gab und sie dann weiter im Arm hielt, sie aber von oben anschaute, wie ein kleiner Junge: »Ich danke dir, aber ich bin alles andere als stolz auf mich. Ich komme mir vor wie ein elender Versager, wie ein Wrack. Ich ... sehe überall nur noch Gespenster ... « Doch dann drückte er sie leicht und fügte hinzu: »Aber ich danke dir für deine Worte, ehrlich ...«
Jesse sprach nicht weiter. Er war sich zwar nicht sicher, ob Megan verstand, aber er wollte auch nicht zu viel reden. Nicht zu viel seiner Schwäche zugeben, denn damit hatte der Mann aus Montana seine Probleme. Es viel ihm eh schwer, sich selbst offen so zu verurteilen, versuchte er doch eigentlich dennoch immer den starken Mann zu mimen. Aber er wusste auch, dass er das nicht immer musste bei seiner Megan. Sie war für ihn die stärkste Frau, der Fels in der Brandung und manchmal schämte er sich dafür, dass er es vielleicht eben nicht war. Aber seit der Entführung durch Horatio Jones und den Qualen war er einfach nicht mehr der alte Jesse gewesen ... »Wenn du ins Warme möchtest, ok ...« murmelte er und zeigte damit, dass es ihm eigentlich egal war, Hauptsache sie war da. Dennoch war ihm dann nur eines wichtig: »Ich liebe dich ...« und erneut drückte er sie fest an sich. Und wenn er sonst auch unentschlossen und etwas unglücklich an sich wirkte, so zeigte er offen und voller Liebe die seine seiner zukünftigen Frau gegenüber.